01.06.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
»Ich mach dich alle, du russisches Schwein«
Ausländerbehörden gehen immer rabiater mit Flüchtlingen um. Spiegel online spielt dazu die Begleitmusik. Ein Gespräch mit Ralf Santana Lourenco
Interview: Gitta Düperthal
http://www.jungewelt.de/2011/06-01/054.php?sstr=karawane|spiegel
Ralf Santana Lourenco ist Sprecher der Organisation Die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten in Hamburg
In der vergangenen Woche meldete sich über Spiegel online eine »Expertengruppe« mit der Klage zu Wort: Weder Politiker noch Behörden griffen mit der deutschen Abschiebepraxis hart genug durch. Wer bläst da zur Hetzjagd auf Migranten?
Das ist die »Arbeitsgruppe Rückführung«, 1993 von der Innenministerkonferenz gegründet. Ihr Ziel ist, die Zahl der Abschiebungen zu steigern und sie effizienter durchzuziehen. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus Beamten des Bundesinnenministeriums, aus Landesbeamten und Bundespolizisten zusammen. Den Vorsitz hat Niedersachsen, federführend ist der dortige Ministerpräsident.
Warum gehen diese Hardliner jetzt in die Offensive?
Durch die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit von Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsgruppen spitzen sich Widersprüche und Konflikte im Zusammenhang mit der Abschiebungspraxis zu. In der Bevölkerung macht sich allmählich Verständnislosigkeit für diese Maßnahmen breit. Es gibt auch immer mehr Widerstand gegen die Abschiebung von Roma in den Kosovo oder nach Serbien – obgleich bekannt ist, daß sie dort schlimm diskriminiert werden und ihnen dort keine Lebensgrundlage zugestanden wird. Auch nach Syrien werden Menschen abgeschoben, obwohl bekannt ist, daß das Assad-Regime nicht davor zurückschrecken soll, sie gleich nach ihrer Ankunft in Haft zu nehmen und zu foltern.
Wir vermuten daher, daß der Spiegel-Artikel vom 21. Mai, der die Beschwerden der Arbeitsgruppe »Rückführung« lanciert, vorab arrangiert war. Die Gruppe geht aggressiv an die Öffentlichkeit und behauptet, von ihren Auftraggebern nicht genügend Rückhalt zu bekommen. Sie wirft Ausländerämtern und Politikern vor, sich von Menschenrechtsgruppen unter Druck setzen zu lassen und nicht hart genug durchzugreifen. Das ist eine offene Kriegserklärung an Kritiker der Abschiebepraxis und die progressive Presse, die ihre Wächterfunktion wahrnimmt.
Das kann aber doch nicht der einzige Grund für eine derart scharfe Attacke sein.
Ein weiterer Anlaß mag sein, daß kürzlich eine Stellungnahme des UN-Komitees für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erschienen ist. Darin heißt es, Deutschland müsse sich an internationale Standards halten. Man nehme mit großer Betroffenheit die Situation von Asylbewerbern zur Kenntnis, die keine angemessenen sozialen Leistungen erhalten, in überbelegten Behausungen leben, eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und nur eine medizinische Notfallversorgung gewährt bekommen.
Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach Spiegel online dabei?
Spiegel online macht sich zum Sprachrohr. Es scheint so, als ob eine Verabredung zwischen dem Innenministerium und der Redaktion stattgefunden hat, diese Hardliner-Position zu lancieren. Das muß man so deutlich sagen, weil in dem Artikel, der unter der Überschrift »Experten kritisieren Abschiebepraxis als zu lasch« erschienen ist, keinerlei journalistische Recherche und kein Fakten-Check zu erkennen ist.
Zudem wird in dem Artikel auf ein 16-Seiten-Papier dieser »Expertengruppe« verwiesen, das nicht veröffentlicht ist, sondern nur dem Bundesinnenministerium vorliegt. Alle anderen Medien, die das Thema aufgriffen, bezogen sich dann auf Spiegel online.
Ihre Organisation beklagt, daß die Behörden zu immer rabiateren Methoden im Umgang mit Flüchtlingen greifen. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Habe ich. Der Hannoveraner Rechtsanwalt Peter Fahlbusch etwa hat gegen Beamte in Lüneburg Strafanzeige wegen brutaler Vernehmungsmethoden erstattet. Dem Hauptbeschuldigten wird vorgeworfen, Anfang April zwei Flüchtlinge aus Dagestan bedroht, beleidigt und genötigt zu haben. Eine Zeugin, die als Beistand an der Vernehmung des Ehepaars aus dem Kreis Gifhorn teilgenommen hat, berichtete, dieser Beamte habe dem Ehemann gesagt: »Ich mach dich alle, du russisches Schwein.« Zu einem Dolmetscher soll er gesagt haben: »Dieses Arschloch werde ich ins Gefängnis stecken.« Dann soll sich der Beamte wieder an den Flüchtling gewandt haben: »Ich stecke euch alle ins Gefängnis, ihr Idioten, ich mache euch alle platt, hörst du das?« Die Behörde hat mittlerweile interne Ermittlungen gegen mehrere Beamte und Angestellte eingeleitet.