Unbeugsamer Freund
Als Anfang 2005 sein Freund Oury Jalloh in Dessau unter ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle verbrannte, wusste Mouctar Bah, dass er eine Aufgabe hatte. VON CHRISTIAN JAKOB taz Zeitung
Die NPD hetzte, sein Café wird geschlossen: Bahs Hartnäckigkeit war vielen ein Dorn im Auge. Foto: christian jakob
Als er erfuhr, dass er den Preis kriegen soll, hat Mouctar Bah als erstes seine Freundin angerufen. "Immerhin," hat die deutsche Krankenpflegerin mit der er drei Kinder hat, gesagt. Immerhin wird er nun mit der Carl-von-Ossietzky Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet - nach all dem Ärger, den Bah ausgesetzt war.
Als Anfang 2005 der Afrikaner Oury Jalloh in Dessau unter ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle verbrannte, wusste Mouctar Bah, dass er eine Aufgabe hatte. Jalloh war sein Freund. Sein qualvoller Tod sollte nicht ungesühnt bleiben. Und so gründete der Guineer mit anderen eine Initiative.
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Sie demonstrierten vor der Polizeiwache, sammelten 3.000 Euro für eine zweite Obduktion der Leiche. Bah ließ Jallohs Eltern die Vollmacht zur Nebenklage unterschreiben. Als das Landgericht Dessau begann, gegen die beiden Polizisten, die Jalloh eingesperrt hatten, zu verhandeln, saß Bah mit am Tisch - und blieb alle 58 Verhandlungstage dort. Die Polizisten wurden freigesprochen, aus Mangel an Beweisen.
Bahs Hartnäckigkeit war vielen ein Dorn im Auge. Die NPD hetzte gegen ihn, Nachbarn seines Internet-Cafés klagten beim Ordnungsamt über "Zusammenrottungen von Schwarzafrikanern" und den "Gestank von Negerpisse". Eine antirassistische Initiative hatte den Laden einen "Ort, an dem sich afrikanische Menschen ein bisschen sicherer fühlen können als auf der Straße" genannt.
Das Ordnungsamt aber attestierte dem nicht vorbestraften Guineer "große charakterliche Mängel" und entzog die Gewerbelizenz. Nun lebt er von Hartz IV, der Laden ist futsch. Das war eine Retourkutsche, ist Bah sicher, doch umso mehr Zeit bleibt nun für Politik.
Es gibt neue Aufgaben: Viele Afrikaner seien in Asylbewerbeheimen rund um Dessau untergebracht, in Bernburg, Marke oder Möhlau. "Diese Heime sind schrecklich, verschimmelt, kaputt. Die Leute werden krank im Kopf, total deprimiert, wenn sie da leben müssen," berichtet Bah. Eine "Arbeitsgruppe" baut er mit afrikanischen Aktivisten auf, "um zu gucken, was wir machen können."
Wie geht es ihm als afrikanischer Aktivist in Anhalt? "Ich bin nicht deprimiert", sagt der Preisträger. "Es gibt noch viel zu tun."
19.07.2009
http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/unbeugsamer-freund/
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"Zivilcourage offenkundig missbilligt"
Birgit v. Criegern 31.07.2009
Mouctar Bah, Gründer der Oury Jalloh-Gedenkinitiative, wurde von der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet – wenig später stand die Polizei vor seiner Türe
Er hat schon viel erlebt, und auch die jüngste Polizeikontrolle an seinem Arbeitsort hat Mouctar Bah nicht aus der Fassung gebracht. Seit dem Feuertod seines Freundes Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle am 7. Januar 2005 hatte Bah öffentlich für die Aufklärung des Falles gestritten. Er hatte die [extern] Initiative in Gedenken an Oury Jalloh gegründet, die ein Gerichtsverfahren durchsetzte und dieses kritisch beobachtete. Und Bah demonstrierte mit Flüchtlingen auf der Straße in Dessau, Sachsen-Anhalt, wo er wohnt und arbeitet, gegen Alltagsrassismus und Polizeigewalt.
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In den vergangenen Jahren brachte ihm das etliche Schwierigkeiten seitens der Dessauer Polizei und der Behörden ein. Eine weitere Begegnung mit der Polizei wurde ihm jetzt beschert, kurz nachdem er am 17. Juli per offizieller Erklärung die Carl-von-Ossietzky-Medaille von der [extern] Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) erhielt.
Die zweite Ehrung geht an den Kapitän des Schiffes Cap Anamur Stefan Schmidt, der Flüchtlingen in Seenot das Leben rettete. Für diese Tat wurde er bei dem Gericht in Agrigent angeklagt. Die öffentliche Verleihung der beiden Medaillen soll im Dezember erfolgen.
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Natürlich, der Preis freue ihn, sagt Bah gegenüber Telepolis. Doch auch der gesamten Gedenkinitiative Oury Jalloh würde dieser Preis gelten, fügt er hinzu. Seit der Ehrung herrscht Trubel um ihn, aufgeregt wirkt er jedoch nicht, während er die Termine mit Fernsehreportern und Flüchtlingsinitiativen wahrnimmt, zeigt ein freundliches breites Lächeln, wenn er von Hindernissen oder von guten Erfahrungen berichtet. Meistens von letzterem. "Viele Leute haben unsere Arbeit unterstützt – zum Beispiel die [extern] Antirassistische Initiative in Berlin, die Gruppe Plataforma der Flüchtlinge, Berlin. Und Menschen aus der Bevölkerung", erzählt Bah. "Auch wenn wir gegen den rassistischen Alltag in Deutschland kämpfen müssen – viele in dieser Gesellschaft stehen hinter uns. Das hat mir immer Kraft gegeben."
"Charakterliche Mängel" – meinte das Ordnungsamt
Doch in den vergangenen viereinhalb Jahren ging Bah auf einem steinigen Weg. Der junge Mann guineischer Herkunft hatte in Dessau die Öffentlichkeit gesucht, nachdem sein Freund Oury Jalloh in der Zelle 5 im Polizeirevier qualvoll verbrannt war. Mit anderen Flüchtlingen gründete er die Gedenkinitiative, demonstrierte für Wahrheit im Fall Oury Jalloh. "Anfangs waren wir zwischen siebzig und achtzig Leuten, die auf die Straße gingen. Dann, später, wurden wir viel mehr."
Sein mutiges Auftreten gegen Rassismus brachte ihm Probleme ein. Bald wurden Vorwürfe der Behörde laut – gegen sein Telecafé, das er damals als Inhaber führte. Es hieß, dort würde gedealt, und Bah würde dies dulden. Polizisten kamen immer wieder vorbei, forderten Papiere zur Kontrolle. Auch von außen beobachteten sie das Geschäft. Anfang 2006 kam dann ein Brief vom Ordnungsamt: Bah müsste seine Gewerbelizenz abgeben. "Die Begründung: Es habe mehrfach polizeiliche Ermittlungen gegen ihn gegeben, die 'unabhängig vom Ergebnis' auf 'große charakterliche Mängel' schließen ließen." So kommentierte die ILMR in ihrer Pressemitteilung. Es ist diese offensichtliche Repressalie, worauf die ILMR jetzt mit ihrer Ehrung Bezug nimmt: "Die Zivilcourage, mit der sich Mouctar Bah in Dessau beharrlich für Recht und Gerechtigkeit einsetzt, wird von Teilen der Bevölkerung offenkundig missbilligt und von den staatlichen Behörden alles andere als bestärkt."
Bah arbeitete seit 2006 als Angestellter weiter in dem Laden in Dessau. An der Wand fand er eines Tages Hakenkreuz-Schmierereien vor. Auf der Straße wurde er von einem Nazi angegriffen. Die NDP hetzte auf ihrer Homepage gegen ihn. Doch auch der Stress mit den Behörden ging weiter. Das Ordnungsamt behauptete, seine Kundschaft verschmutze den Laden und verursachte zuviel Lärm. Das Telecafé, Anlaufstelle für viele Afrikaner, wurde zu einem öffentlichen Problem erklärt. Bah bekam auch ein Jahr später auf Anfrage die Lizenz nicht wieder ausgehändigt.
Nach der Preisverleihung: Sieben Polizeiwagen rückten an
Heute hat der Familienvater in dem Laden, der einmal seine berufliche Grundlage war, nur noch eine Zuverdienstmöglichkeit als Arbeitskraft – zusätzlich zum Arbeitslosengeld. Und hier fuhren am 21. Juli sieben Polizeiwagen vor, vier Tage nachdem die ILMR ihre Erklärung von der Preisverleihung bekanntgab.
"Es war am Morgen, ich machte gerade im Laden sauber, als die Polizisten ankamen. Sie zeigten mir einen Durchsuchungsbefehl für die Geschäftsräume – wegen angeblicher Hehlerei von einer Markenjeans. Das wurde mir vorgeworfen. Ich wusste gar nicht, wovon sie redeten" erzählt Bah. Aufgeregt hätte er sich jedoch nicht sonderlich. Die Beamten durchsuchten die Räume, fanden nichts, fuhren wieder ab. Das Ermittlungsverfahren des Amtsgerichts wegen der vermeintlichen Hehlerei gegen Bah ist nun Sache seines Anwalts. Er selbst fuhr nach Berlin, zu Presseterminen. Über laufende Schwierigkeiten mit der Polizei zerbricht er sich derzeit nicht den Kopf: "Wir haben nichts zu verbergen", sagt er. "Wir, also die Leute, die hier seit Jahren etwas gegen Rassismus machen. Manche Probleme sind eben die Folge unserer Tätigkeit. Aber das motiviert uns auch, weiter zu machen in der Bewegung für Gerechtigkeit."
"Das lässt mir keine Ruhe"
Als ein größeres Problem empfindet er derzeit, dass sein Familienleben mit der Frau und den drei Kindern zu kurz kommt. "Er soll aufhören", habe eine seiner Töchter zu einer Journalistin gesagt. Es sei auch in den letzten Jahren nicht immer leicht für die Familie gewesen, meint Bah, zu viel Zeit und Energie ging in die politische Arbeit. Obwohl er manchmal überlegt hätte, mit seiner Tätigkeit aufzuhören, hätte er es nicht fertiggebracht: "Das lässt mir keine Ruhe."
Es waren Bah und die schwarze Community in Dessau, die die Gedenkinitative ins Leben gerufen hatten und durchsetzten, dass es zum [extern] Gerichtsprozess über den Feuertod Jallohs in Polizeigewahrsam kam. Die Eröffnung der Verhandlung wurde lange Zeit verschleppt, begann erst mehr als zwei Jahre nach Jallohs Tod. Bah hatte den Kontakt zu den Familienangehörigen Jallohs aufgenommen, damit sie die Nebenklage führen konnten. "Ich fuhr nach Guinea in das Dorf, wo die Eltern von Oury lebten, habe sie nach Deutschland eingeladen." Der Vater war schwerkrank, nur die Mutter reiste nach Deutschland, nahm an einer Gerichtsverhandlung teil - unter Weinkrämpfen. Mouctar Bah versuchte, die Eltern und den Bruder seelisch zu stützen, soweit er konnte. Auch demonstrierte er weiterhin mit anderen Flüchtlingen auf der Straße. Ein Polizist zeigte Bah während des Prozesses an, er hätte Polizisten als "Negerkiller" bezeichnet. Bah dazu heute: "Absurd." Die Anzeige wurde später von der Polizei fallen gelassen.
Im Verlauf der 60 Verhandlungstage ging es immer weniger um eine grundsätzliche Aufklärung der Todesumstände im Fall Jalloh – sondern um die These, dass Jalloh sich, an Händen und Füßen auf die feuerfeste Matratze fixiert, selbst getötet hätte.
Es war zwar wichtig, dass wir diese Gerichtsverhandlung überhaupt durchsetzten. Aber über den Verlauf machten wir uns keine großen Illusionen. Die These der Staatsanwaltschaft, die auf Selbsttötung lautete, fanden wir merkwürdig. Und sie wurde dann auch nicht bewiesen. Doch der Prozess drehte sich ab einem Zeitpunkt nur noch um diese Frage: Wie sich Oury selbst umgebracht haben könnte. Es wurde versucht, mit mehreren Brandgutachten zu zeigen, dass es möglich gewesen wäre, dass Jalloh selbst das Feuer angezündet haben könnte.
Mouctar Bah
Seit dem Juli 2008 gingen die Leute der Oury-Jalloh-Gedenkinitiative aus dem Gerichtssaal, demonstrierten nur noch draußen. Der Prozess wäre eine Farce, erklärten sie. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand zu jenem Zeitpunkt die Rekonstruktion der letzten Minuten und Sekunden unmittelbar vor dem Tod Jallohs ([local] "Vertuschungen und verschwundene Beweismittel").
Ich fand diese vielen Brandversuche, die dann gemacht wurden, nicht mehr sinnvoll. Ich habe außerdem auf einem Video von einem der Versuche gesehen, dass eine alte, schmuddelige Matratze verwendet wurde. Aber die Matratze, auf der Oury lag, war nicht alt gewesen. Das passte nicht zur Wirklichkeit, so wie das hier versucht wurde.
Mouctar Bah
Ergebnis: Infolge der Brandversuche wurde vom Gericht in der Urteilsbegründung großer Raum für die Möglichkeit gegeben, dass Jalloh selbst mit den Händen oder mit dem Feuerzeug die Naht an der Ledermatratze geöffnet haben könnte, auf die er gefesselt worden war, und anschließend den Inhalt der Matratze angezündet haben könnte. Bewiesen wurde das jedoch nicht.
Vorbereitung einer Untersuchungskommission
"Sie konnten es auch bis heute nicht klären, woher Oury das Feuerzeug gehabt haben soll – nachdem er von der Polizei durchsucht worden war", ergänzt Bah gegenüber Telepolis. Im Verlauf des Prozesses waren zahlreiche Lügen und Vertuschungen von Zeugen getätigt worden. Im Dezember 2008 wurden die zwei der Fahrlässigkeit angeklagten Polizeibeamten freigesprochen. Die ILMR kritisierte: "Die formale und strukturelle Stimmigkeit des Verfahrens und ein alternativer Zugang zur Untersuchung und Beurteilung der Umstände des Todes Oury Jallohs im Polizeigewahrsam wurden nicht erörtert."
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hatte immer den Verdacht des Mordes an Oury Jalloh ausgesprochen – und demonstrierte im Januar mit diesem Verdacht weiter. Seit dem März strebt die Initiative außerdem den Aufbau einer internationalen unabhängigen Untersuchungskommission im Fall Oury Jalloh an, bestärkt von der Forderung des [extern] Komitees für Grundrechte und Demokratie, der ILMR und von [extern] Pro Asyl. Auch der "strukturelle Rassismus in Deutschland" solle von Flüchtlingsinitiativen und Experten geprüft werden, betonte die [extern] Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die an andere Fälle vom Tod afrikanischer Migranten in Polizeigewahrsam erinnerte, wie [extern] Laye Konde und Mariame Ssar.
Bah hat viel zu tun. Weiterhin hilft er auch den Familienangehörigen Jallohs, will erreichen, dass sie Schmerzensgeld bekommen. Da zeichnen sich die nächsten Hürden ab – ärztliche Gutachten will das Landgericht Dessau-Roßlau dafür sehen, die einen "erheblichen Gesundheitsschaden (Schockschaden) (…)" nachweisen. Solche Amtsbriefe zu öffnen, und den Verwandten Jallohs in Afrika davon Mitteilung zu machen, das ist keine Kleinigkeit.
Dagegen ist die Hausdurchsuchung der Polizei für Bah unbedeutend: "Das ist nun mal so. Damit muss ich rechnen." Und er will sich nicht nur um die weiteren Notwendigkeiten kümmern, um Licht in den Todesfall seines Freundes Oury Jalloh zu bringen. Auch die Gleichbehandlung der Flüchtlinge in Deutschland ist ihm wichtig. "Es tut mir weh zu sehen, wie Flüchtlinge hier leben müssen – zehn, fünfzehn Jahre im Flüchtlingsheim, ohne Arbeitserlaubnis. Viele werden deprimiert. Man muss etwas machen, damit ihr Leben besser wird."