»Wir wollen nicht in Lagern dahinvegetieren« - Nurjana Ismailov, 20 Jahre alt, ist eine der Sprecherinnen der Flüchtlinge >> https://thevoiceforum.org/node/1995
»Das Personal der Behörde muß ausgetauscht werden«
Konflikte mit Ausländeramt Gifhorn spitzen sich zu. Nach Selbstmord eines Flüchtlings Konsequenzen gefordert. Ein Gespräch mit Fredegar Henze
Interview: Gitta Düperthal
Fredegar Henze ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag Gifhorn in Niedersachsen und setzt sich seit ungefähr einem Jahr für die Flüchtlinge ein, die im Lager in Meinersen leben
Flüchtlinge aus dem niedersächsischen Lager Meinersen haben am Donnerstag in Gifhorn mit einer Demonstration auf den Selbstmord eines 40jährigen Nepalesen reagiert. Sie machen die restriktive Flüchtlingspolitik für den Suizid verantwortlich. Die Landrätin Marion Lau (SPD) in Gifhorn vermutet hingegen die Gründe in dessen »persönlichem Umfeld«. Wie sehen Sie das?
Ich habe großes Verständnis dafür, daß die Flüchtlinge wegen der unerträglichen Zustände im Flüchtlingswohnheim Meinersen auf die Straße gehen. Im konkreten Fall ist jedoch nicht davon auszugehen, daß die spezifischen Bedingungen im Heim den Ausschlag für den Selbstmord gaben. Denn der 40jährige Nepalese, der sich im Bahnhof Gifhorn vor den Zug geworfen hat, soll sich dort kaum aufgehalten haben. Über Hintergründe wissen wir noch wenig. Sollte ihn aber die ausländerrechtliche Situation in den Selbstmord getrieben haben, so ist dafür wohl eher das bundesweite Asylrecht ausschlaggebend. Seit vergangenem Sommer stand bereits die Drohung im Raum, daß er abgeschoben werden sollte. Ich kann mir vorstellen, daß das für den seit 1996 in Deutschland lebenden Flüchtling eine furchtbare Situation gewesen sein muß.
Trotzdem steht außer Frage, daß der Kreistag Gifhorn die Verhältnisse verändern muß, unter denen Flüchtlinge speziell in Meinersen leiden.
Die grüne Kreistagsfraktion hat seit Sommer vergangenen Jahres mehrfach Anträge gestellt, das Flüchtlingswohnheim zu schließen und die Hardlinerpolitik gegenüber den Flüchtlingen aufzugeben. Welche Resonanz hatten Sie bisher?
Im Dezember vergangenen Jahres hatten wir wieder einen Antrag gestellt, den CDU, SPD, FDP und die Unabhängigen abgelehnt haben. Darin hatten wir aufgefordert, die Situation der Flüchtlinge in drei Punkten zu verändern. Erstens sollten alle in Privatwohnungen untergebracht werden, und der Mietvertrag mit dem Betreiber sollte vorzeitig gekündigt werden. Zweitens sollten die Flüchtlinge Bargeld statt Gutscheine erhalten. Drittens kann es mit den Arbeitsverboten nicht so weitergehen, nur weil man nicht weiß, was man anderes machen soll – das ist menschenrechtswidrig und nicht zu verantworten.
Mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden liegen gegen den Leiter der Ausländerbehörde Gifhorn und einige Mitarbeiter vor. Die Behörde geriet in die Schlagzeilen, weil sie eigenmächtig in den Raum eines Flüchtlings eindrang. Mehrfach hatte sie Anträge von Asylsuchenden abgelehnt, an Versammlungen von Flüchtlingsorganisationen teilzunehmen – und diese gar der Abteilung Staatschutz der Polizei übergeben …
Aus unserer Sicht hat sich die Situation im Umgang mit den Flüchtlingen derart verhärtet, daß das Personal ausgetauscht werden muß. Die Ausländerbehörde ist ein Amt, das Dienstleistungen erbringen soll – auch für Flüchtlinge. Das Personal muß damit umgehen können, daß Asylsuchende aus ihrem Herkunftsland fliehen mußten – und somit in einer besonderen Situation sind. Dazu scheinen die Beamten aber nicht in der Lage zu sein.
Stellen sich die Verantwortlichen nicht stur angesichts andauernder öffentlicher Kritik?
Nein, ich nehme wahr, daß in der Leitung der Behörde Unwohlsein darüber existiert, sich rechtfertigen zu müssen. Es gibt erste Versuche, etwas zu ändern. Es konnten zum Beispiel erste Familien aus der Gemeinschaftsunterkunft in Wohnungen ziehen. Wir werden im Sozialausschuß weiter öffentlich Auskunft zur Flüchtlingssituation fordern, damit wir als Vertreter des Landkreises nicht den Kopf hinhalten müssen, wenn es heißt, in Gifhorn werden die Menschenrechte mit Füßen getreten.
Was denken Sie über die Forderung nach Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die die Zustände in der Gifhorner Behörde untersucht?
Ich finde, die Behörde sollte die Situation von sich aus bereinigen. Wenn jemand von außen kommt, wird nur dichtgemacht. Auf jeden Fall ist es gut, wenn die Flüchtlinge ihre Rechte weiterhin selber einfordern. Stillhalten und sich ins Kämmerlein zurückziehen, hilft nichts. Wir unterstützen auch die Initiative der Hildesheimer Studentin Franziska Fricke, ein regionales Netzwerk zur Unterstützung der Flüchtlinge zu formieren.
05.03.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/03-08/050.php
06.03.2011 23:20 Uhr
Landkreis Gifhorn
„Personal muss ausgetauscht werden“
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gifhorner Kreistag Fredegar Henze fordert nach dem Selbstmord eines Flüchtlings am vergangenen Dienstag (AZ berichtete) personelle Konsequenzen im Ausländeramt. „Das Personal muss ausgetauscht werden, wenn es nicht bereit ist, etwas zu verändern.“
Unterkunft für Asylbewerber: Die Unterbringung in Meinersen ist einer der Kritikpunkte.
Unterkunft für Asylbewerber: Die Unterbringung in Meinersen ist einer der Kritikpunkte.
© Kottlick (Archiv)
Demonstration: Nach dem Selbstmord eine Flüchtlings in Gifhorn hagelt es Proteste und Kritik.
Henze kritisiert die Unterbringung der Flüchtlinge in einem Heim in Meinersen. „Die Bedingungen dort sind menschenunwürdig.“ Er betont aber, dass die Situation in Meinersen nicht zwingend für den Selbstmord des Nepalesen verantwortlich sei. „Er hielt sich kaum in Meinersen auf, sollte seit Sommer 2010 abgeschoben werden. Fraglich, ob er deswegen erst jetzt so reagiert hat.“
Dennoch fordert Henze Konsequenzen im Gifhorner Ausländeramt. „Die Fronten zwischen Behörde und Flüchtlingen sind verhärtet. Ich erwarte, dass das Amt alle Möglichkeiten ausschöpft, den Asylsuchenden ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die sind seit Jahren bei uns, ohne Perspektiven. Das Amt hat Freiräume, nutzt sie aber nicht.“
Landrätin Marion Lau (SPD) dagegen stellt sich auf AZ-Anfrage vor ihre Mitarbeiter. „Die Forderungen und Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. Ausländerpolitik wird in Berlin gemacht, der Landkreis ist nur ausführendes Organ“, erklärt Lau. Sie wünsche sich mehr Sachlichkeit in der Diskussion. Lau vermutet, dass die Gründe für den Suizid in den persönlichen Lebensumständen des Nepalesen zu suchen sind – und nicht in der Ausländerpolitik des Landkreises.
ba
http://www.waz-online.de/Gifhorn/Gifhorn/Uebersicht/Personal-muss-ausge…
++
Henze fordert Personalaustausch
Grüner Politiker äußert sich im "Junge Welt"-Interview zur Asylproblematik
Von Jörg Brokmann
Der grüne Kreistagsabgeordnete Fredegar Henze aus Eickhorst fordert in einem Interview, das er der "Jungen Welt" gab, einer linken, marxistisch orientierten, überregionalen Tageszeitung, den "Austausch des Personal" in der Ausländerbehörde. Henze ist Fraktionsvorsitzender der Grünen.
Am Donnerstag hatten 60 Frauen und Männer wegen der Selbsttötung eines Asylbewerbers in Gifhorn demonstriert und die Schließung des Flüchtlingsheims in Meinersen gefordert.
Auf die Frage, wie er die Situation beurteilt, sagte Henze wörtlich, dass er "großes Verständnis dafür habe, dass die Flüchtlinge wegen der unerträglichen Zustände im Flüchtlingswohnheim auf die Straße gehen." Im konkreten Fall sei jedoch nicht davon auszugehen, dass die spezifischen Bedingungen im Heim den Ausschlag für die Selbsttötung gegeben hätten.
"Trotzdem steht außer Frage, dass der Kreistag Gifhorn die Verhältnisse verändern muss, unter denen Flüchtlinge speziell in Meinersen leiden", wird Henze zitiert.
Aus der Sicht der Grünen habe sich die Situation im Umgang mit den Flüchtlingen derart verhärtet, dass das "Personal ausgetauscht werden muss", sagte Henze wörtlich. Die Ausländerbehörde sei ein Amt, das Dienstleistungen erbringen soll – auch für Flüchtlinge.
Das Personal müsse damit umgehen können, dass Asylsuchende aus ihrem Herkunftsland fliehen mussten – und somit in einer besonderen Situation seien.
"Dazu scheinen die Beamten aber nicht in der Lage zu sein", heißt es weiter. Auf die Frage, ob die Verantwortlichen sich nicht stur angesichts andauernder öffentlicher Kritik stellten, antwortete Fredegar Henze: "Nein, ich nehme wahr, dass in der Leitung der Behörde Unwohlsein darüber existiert, sich rechtfertigen zu müssen. Es gibt erste Versuche, etwas zu ändern. Es konnten zum Beispiel erste Familien aus der Gemeinschaftsunterkunft in Wohnungen ziehen."
Der grüne Kreistagsabgeordnete hält die Einsetzung einer Kommission aber nicht für notwendig. Henze: "Ich finde, die Behörde sollte die Situation von sich aus bereinigen. Wenn jemand von außen kommt, wird nur dichtgemacht."
Sonntag, 06.03.2011
http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/2160/artid/13827009