Flüchtlingsorganisationen protestieren gegen geplante Massenvorführung afrikanischer Asylbewerber vor nigerianischen Diplomaten. Ein Gespräch mit Rex Osa
Interview: Gitta Düperthal
Rex Osa ist Sprecher der Flüchtlingsorganisation The Voice
Für Donnerstag plant die Flüchtlingsorganisation »The Voice« eine Protestkundgebung in Karlsruhe. Dorthin haben sich seit Beginn dieser Woche nigerianische Botschaftsbeamte begeben, um Asylbewerber zu »identifizieren«, ihnen Dokumente auszustellen und ihre Abschiebung vorzubereiten. Auf welche Weise führen ihnen deutsche Ausländerbehörden die Flüchtlinge zu?
Mit polizeilichem Zwang werden Afrikaner bis Freitag aus der ganzen Republik zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe transportiert. Die nigerianische Botschaft mit Sitz in Berlin führt solche Abschiebeanhörungen immer wieder in verschiedenen Städten durch. Sie sind Teil eines korrupten und neokolonialen Abschiebehandels zwischen der nigerianischen Botschaft und deutschen Behörden auf Kosten der Flüchtlinge. Die Rolle der nigerianischen Botschaft ist seit 2007 bekannt: Für jede Abschiebung aus Deutschland durch die Zuordnung der nigerianischen Nationalität kassiert sie 500 Euro, 250 Euro für das Verhör und 250 Euro nach Erfolg, wenn sie Papiere der nigerianischen Staatsangehörigkeit ausstellt. Mitunter erkennt man dort auch Asylbewerber aus anderen afrikanischen Staaten an, um sie später nach Togo, Liberia, Uganda, Sudan oder Sierra Leone weiterzuschieben. Das ist ein reines Geschäft.
Wie läuft die Identifizierungsprozedur ab?
Für diese Abschiebeverhöre vor nigerianischen Diplomaten werden Flüchtlinge willkürlich in verschiedenen Städten ausgesucht. Oft werden sie durch die Polizei mit Handschellen wie Kriminelle vorgeführt, einige kommen direkt aus der Abschiebehaft, andere werden mit Briefen verständigt und vorgeladen. Selbst wer sich freiwillig dorthin begibt, wird oftmals um drei Uhr nachts abgeholt, muß möglicherweise bis fünf Uhr in einer Zelle auf dem Polizeirevier verbringen und wird dann im Polizeiwagen zur Botschaftsvorführung gebracht. Unterwegs wird er mitunter von Polizisten sogar auf die Toilette begleitet. Einige unterzieht man der Leibesvisitation; andere müssen sich gar nackt ausziehen, jede Körperöffnung wird durchsucht. All das macht man zur Einschüchterung. Flüchtlinge, die vor Verfolgung aus dem Land geflohen sind, müssen nun vor Vertretern desselben Regimes erscheinen, das sie einst zur Flucht gezwungen hatte. Das löst große Angst aus. Während des Verhörs werden sie von den Vertretern der Botschaft befragt, um anhand ihrer Sprache und den Worten, die sie benutzen, ihre nigerianische Herkunft zu bestätigen. Außerdem können die Botschaftsvertreter willkürlich nach Erscheinungsbild, Gesichtsform und traditionellen Narben etc. jemanden als Nigerianer »identifizieren«. Die nigerianische Botschaft agiert wie eine Abschiebeagentur – auch ganz ohne Beweise.
Was ist bislang an Widerstand dagegen gelaufen?
Seit 2008 gibt es bereits eine Kampagne verschiedener Organisationen gegen diese Zwangsvorführungen. Eine Delegation verschiedener afrikanischer Vereine in Deutschland hat Vertreter der nigerianischen Botschaft wegen dieser Machenschaften kritisiert. Geändert hat das nichts.
Ist es Flüchtlingen gelungen, sich solcher Vorführung zu entziehen?
Wer sich weigert, bekommt erst das Taschengeld von 40 Euro entzogen, bei der nächsten Zwangsvorführung wird er spätestens von der Polizei abgeholt – und er steht oben auf der Abschiebeliste oder wird gleich in Haft genommen. Deswegen tauchen einige Asylbewerber bei dieser Gelegenheit in die Illegalität ab.
Was müssen die nach Nigeria abgeschobenen Flüchtlinge derzeit befürchten – wie ist die Situation dort?
Da geht es nicht nur um Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen oder unberechenbare Bandenüberfälle und Unruhen. Die Polizei ist korrupt. Wenn jemand aus den Regierungskreisen oder deren Angehörigen etwas gegen dich hat, wirst du, wenn es schlecht läuft, gleich erschossen. Meinungsfreiheit gibt es nicht. Weil Nigeria über reiche Ölvorkommen verfügt, gibt es eine kleine korrupte superreiche Elite und massenhaft arme Menschen.
Für Donnerstag planen Sie eine Protestkundgebung …
Wir wollen öffentlich machen, wie korrupt die nigerianische Botschaft agiert, und Druck aufbauen, um diese Abschiebemaschinerie zu stoppen.
Kundgebung, Donnerstag, 11 Uhr, Durlacher Allee 100, Karlsruhe
18.08.2011 / Inland / Seite 2Inhalt
http://www.jungewelt.de/2011/08-18/052.php