Forderung: Mitglieder von "The Voice Refugee Forum" und Asylbewerber vor dem Heiligenstädter Bahnhof. Foto: Monika Köckritz Forderung: Mitglieder von "The Voice Refugee Forum" und Asylbewerber vor dem Heiligenstädter Bahnhof. Foto: Monika Köckritz
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Für Clemens Wigger steht fest: Das Asylbewerberheim in Breitenworbis ist, was die Wohnbedingungen angeht, "eines der schlimmsten in Thüringen". "Lager Breitenworbis schließen!" schrie es denn auch von dem Transparent, das Mitglieder von "The voice Refugee Forum", einer Organisation von Flüchtlingen für Flüchtlinge, durch Heiligenstadt trugen.
Heiligenstadt. Am Bahnhof, vor dem Landratsamt, der Ausländerbehörde und auf dem Marktplatz mühten sich die Engagierten um Aufmerksamkeit. All zu viel davon war ihnen nicht beschieden. Auf dem Marktplatz waren es vielleicht eine Handvoll junge Leute, die interessiert zuhörten. Wigger konnte seine Enttäuschung nicht verhehlen.
Mit Verständnis aber reagierte er auf die geringe Zahl von Asylbewerbern, die sich dem Protest anschlossen. Etliche würden sich nicht trauen, öffentlich den Zustand im Heim zu beklagen. Wigger weiß von Repressalien wie Kürzung von Sozialleistungen, Hinauszögern einer Erlaubnis für den Arztbesuch oder der Androhung einer schnelleren Abschiebung. Auch hatten nach seiner Kenntnis Heimbewohner Ärger bekommen, weil sie der Presse gegenüber kein Blatt vor den Mund nahmen.
Für "The Voice Refugee Forum" ist das "verfallene Gebäude des Isolationslagers in Breitenworbis, gelegen zwischen Bundesstraße, Feldern und stinkenden Güllebehältern, ein Beispiel für Deutschlands Entschlossenheit, Flüchtlinge zu isolieren und ihres Verstandes zu berauben". Die Aktivisten scheuen sich nicht, dem Wort Isolation das Attribut "rassistisch" hinzuzufügen. In Breitenworbis wird laut "The Voice" die Menschenwürde verletzt - weil die Bewohner weit entfernt von jeglicher städtischer Umgebung leben, abgeschnitten von allen nötigen Kontakten.
Heimbewohner bestätigen das. Asi zum Beispiel, 38 Jahre alt, Mutter von zwei Töchtern, 17 und 13 Jahre alt. Die Iranerin lebt seit neun Monaten in Breitenworbis, mit den Kindern in einem Zimmer. Sie verlangt die Schließung des Heims, bittet, wie gestern beim Protest, die Öffentlichkeit um Hilfe. Im Gespräch nennt sie die Probleme, die ihr nicht mehr tragbar erscheinen.
Da sei der Gestank von der unmittelbar benachbarten Schweinezucht. Die jüngste Tochter bekomme Migräne davon, habe sogar im Krankenhaus gelegen. Da seien die Entfernungen zum Dorf mit der Schule und der einzigen, nicht unbedingt preisgünstigen Einkaufsmöglichkeit. Die 17-jährige Tochter Hediye beschreibt den Weg zur Schule im Winter als gefährlich, weil eisglatt bei Frost und Schnee. Oft seien sie und ihre Schwester gestürzt.
Asi und ihre Töchter fühlen sich abgeschnitten. Samstags und sonntags fahre kein Bus. Gern aber würde Asi, die sich im Iran hat taufen lassen und als Christin großer Gefahr ausgesetzt war, am Wochenende eine evangelische Kirche besuchen.
Die Mutter klagt nicht zuletzt über die Zustände im Heim, über zu ertragenden Lärm und Streit in den Nachbarräumen, über sanitäre Missstände. Für alle über 140 Bewohner gebe es nur drei Duschen und in jeder Etage des großen Gebäudes nur eine kleine Küche. Die Tochter erwähnt ihre Lehrerin, bei der sie schon duschen durften und Ruhe fanden, wenn es im Heim zu laut war.
Die Familie hätte gern eine eigene Wohnung, versteht nicht, warum das nicht möglich ist.
"Andernorts geht so etwas", weiß Wigger. Es sei sehr viel von den jeweiligen Behördenmitarbeitern abhängig. Auch habe jeder Landkreis genügend Spielraum, guten Willen walten zu lassen. Wichtig ist Wigger, weiter im Kontakt mit den Asylbewerbern in Breitenworbis zu bleiben und "dass auch andere Mut fassen zum Protest".
Monika Köckritz / 16.09.11 / TLZ