Piraten Prozess Hafenrundfahrt
60 Prozesstage
10 somalische Menschen sitzen seit eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft in Hamburg, darunter 3 Miderjährige, die durch zweifelhafte medizinische Gutachten älter gemacht wurden, die langsam jede Hoffnung verloren haben, in der Haft zumindestens etwas Sinnvolles lernen zu können, um in Somalia eine bessere Zukunft zu haben, was ihr größter und so oft ausgesprochener Wunsch ist.
Verzweifelte Angeklagte, die nicht verstehen was seit 60 Prozesstagen stundenlang auf Somali in ihre Ohren übersetzt wird, denen keiner erklären kann, warum sie keinen Deutschunterricht bekommen können, warum sie noch nicht einmal ein Somali-Deutsch Wörterbuch besitzen dürfen, warum ihnen keiner sagen kann, wie lange sie Einsitzen werden.
Seit anderthalb Jahren.
Vieles bleibt absolut unverständlich.
Mindestens vier Angeklagte können seit Längerem nur mit Hilfe von Psychopharmaka ihren Knastalltag aushalten und dem Prozess "folgen".
Ein Psychiater, der sagt, dass es einfach unmöglich ist, über so einen langen Zeitraum psychische Störungen in der U-Haft medikamentös zu behandeln.
Und währenddessen?
Die Kammer des Gerichts hat nur Zeugen aus Militär, Staatsschutz, aus deutschen Behörten und weiße europäische "Experten" vorgeladen.
Die Verteidigung hat mehre Anträge gestellt, Zeugen aus Somalia zu hören, Zeugen die direkt mit dem Vorfall zu tun haben.
Sie wurden alle abgelehnt.
Diese Zeugen, die selber in Somalia leben, könnten die Verhältnisse in Somalia direkt vermitteln, ganz anders als die europäischen Sachverständigen, die ihre Wissen über die aktuellen Verhältnisse zum großen Teil aus dem Internet haben, weil es viel zu gefährlich ist, nach Somalia zu reisen, und sich vor Ort Informationen zu beschaffen.
Immer öfter kriegt man den Eindruck, dass der Richter geradezu Spaß daran hat, eine unsichtbare Ping-Pong-Partie mit den Anträgen der Verteidigung zu spielen.
Die Staatsanwaltschaft, die kein einziges Mal einen inhaltlichen Beitrag geleistet hat, ihrer Recherchepflicht nicht angemessen nachkommt, sondern ihr Handeln darauf beschränkt, alle Anträge der Verteidigung abzulehnen, scheint ihr Plädoyer bereits zu Beginn des Prozesses fertig gehabt zu haben. Ernst zu nehmen ist sie nicht.
Die Angeklagten haben zum Teil ausgesagt, zum Teil haben sie versucht, ihre Hintergründe und ihre Lebensbedingungen zu erklären.
Mit Ausnahme von einem, der in seiner Aussage die anderen belastet hat, reden alle nur für sich und über sich selbst. Ihre Lebensbedingungen in einer Kriegsregion werden mit jeder Aussage klarer, genauso wie die Ausweglosigkeit ihrer Leben in Somalia.
"Wenn ich kein Arbeit hatte, hatte ich nichts zu essen. Oft wurde ich ohnmächtig, und wenn ich aufgewacht bin, habe ich überall nach Essensresten gesucht" sagt einer der Minderjährigen, als er seinen Alltag beschreibt.
Alle Anträge der Verteidigung auf Haftverschonung für die Minderjährigen wurden mit zum Teil unglaublichen Begründungen abgelehnt: mal waren die solidarische Menschen potentielle Fluchthelfer, mal fragte der Richter einen der Verteidiger voller Sorge: "Sie wollen doch nicht, dass ich ihren Mandanten in die Illegalität entlasse?"
Die Frage nach der Legalität ist eine, die im Grunde diesen Prozess bestimmt:
10 junge somalische Männer wurden ohne jemals festgenommen zu werden, erst in die Niederlande und dann nach Deutschland gebracht und in Gefängnisse gesteckt: O-Ton eines niederländischen Militäroffiziers:
"Wir haben sie nie festgenommen. Wir haben sie vorgefunden und mitgenommen." Den Somalis wird ein öffentlichkeitswirksamer Prozess gemacht, ohne dass sich das Gericht jemals Gedanken über ihren Aufenthaltsstatus gemacht hat.
Also: illegal eingereist, illegal im Gefängnis gehalten, und illegal verurteilt.
Das jetzt zumindest die Minderjährigen einen Aufenthaltsstatus bekommen, nachdem ihre Rechtsanwältinenn sich darum gekümmert haben, ändert nichts an der absolut verrückten Situation.
Hier sitzt der arme, aber ökonomie-strategisch äußerst wichtige Süden papierlose auf der Anklagebank in Deutschland und wird sicherlich zu Höchststrafen verurteilt werden. Das hat der Richter zumindest schon einmal vorsorglich angekündigt.
Uns stellt sich vor allem eine Frage, die vor Gericht sorgsam umschifft, und dort ganz sicherlich nicht öffentlich verhandelt werden wird:
nämlich die, in wessen Interesse dieser Prozess eigentlich geführt wird. Geht es hier um eine geschädigte Hamburger Reederei, auf die der Ausgang des Prozesses wenig Auswirkung hat? Sollen die harte Gangart und die hohen Strafen eine abschreckende Wirkung auf andere potentielle Piraten haben? Die Reedereiverbände und Sicherheitsexpertinnen haben jedenfalls ganz andere Maßnahmen in ihren Katalogen, wie der Piraterie am Besten zu begegnen sei. Dass solche Gerichtsprozesse piratische Aktivität vermindern oder gar verhindern, glaubt dort niemand.
Aber wozu dann überhaupt juristisch strafen?
Geht es bei der Verurteilung der zehn Männer zu Höchststrafen nicht eher um eine Demonstration von Macht, Wille und Konsequenz, um die deutsche Beteiligung an der Militärmission Atalanta zu legitimieren und sich hier als starker Bündnispartner zu präsentieren?
reclaim-the-seas
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60 Days of Piracy Trial
Since November 2010, ten Somali men have been on trial in Hamburg,
Germany. They are charged with attacking and hijacking the German-owned container vessel MV Taipan in April 2010. The Taipan was freed and the pirates captured by a Dutch marine commando.
Ten Somali men have been remanded in custody in Hamburg for one and a half years. Three of them are under-age and have been declared older than they are by the court, using a dubious medical expertise. They have lost all hope of ever learning anything meaningful, of ever having a better life in Somalia - a wish they have expressed so often.
They are desperate defendants who don't understand what has been translated through their headphones in Somali during 60 long trial days. No one can explain to them why they are not allowed to attend German lessons, why they are not even allowed a Somali-German dictionary, or how long they will be held in detention.
Many things have remained incomprehensible for them in the last 18 months.
At least four of the ten have been surviving their days in prison and the court dates with the help of pharmaceutical drugs for some time. A psychiatrist has stated that it is impossible to treat their psychiatric conditions by medication for such a long time.
And in the meantime?
The court has limited itself to hearing witnesses from the military, the police, German authorities, as well as white European "experts". The defence has made a number of plications to hear witnesses from Somalia who are directly linked to the events.
Because they live in Somalia, these witnesses could have given first hand evidence regarding the conditions in Somalia – unlike the European "experts", who largely obtain their knowledge from the internet because it is way to dangerous for them to travel to Somalia.
Frequently, one can get the impression that the judge actually enjoys the invisible game of ping-pong he plays with the applications from the defence.
The prosecution has not once made a meaningful contribution to the proceedings. Their involvement has been limited to objecting to everything the defence asks for, and it appears that their closing address was written before the proceedings even started. They are not to be taken seriously.
Some of the accused have made statements, trying to explain the background of their living conditions. All except one, who made indictments against others, they solely talked for and about themselves. With every statement the living conditions in a war-torn country, as well as the hopelessness of their lives in Somalia, have become clearer.
"When I had no work, I had nothing to eat. I often fainted, and when I came to, I started searching for food scraps" said one of the under-age defendants, describing his every-day life.
All applications to have at least the teenagers released on bail have been declined, sometimes with bizarre reasons. In one case the judge was concerned that people who showed solidarity with the defendants would aid their escape, in another case the fact that the defendants currently have no permit to be in Germany led him to argue: "Surely, you don't expect me to release your clients into an illegal status".
The question of their residence status is one that defines the trial.
Ten Somali men were imprisoned, first in the Netherlands, and then in Germany, without ever having been formally arrested. A Dutch military officer stated: "We never put them under arrest.
We found them and took them with us". The trial has taken place without the court ever thinking about the legal status of the defendants. They came to Germany illegally, have been held here illegally and will be sentenced illegally.
The lawyers of the under-age defendants have achieved that they will be granted a limited residence permit, but that doesn't change the bizarre situation.
On trial in Germany is the poor, but strategically important South, without papers and it will - in all likelihood - receive the maximum penalty. The judge has already indicated that this will be the case.
The question for us is the one question that has been carefully avoided and won't ever be raised in the court room: in whose interest is this trial? Is it for the shipping company, who has suffered damages, but for whom the outcome of the trial won't make any difference? Is the intention to set an example in order to deter others from becoming pirates? The shipping companies and the security experts have totally different ideas of how to combat piracy. None of them believe that a trial and punishment will slow down or even stop piracy. So why punish them at all? Or is the trial and the harsh sentencing just a demonstration of power, intention and resolve, in order to justify the German involvement in the ATALANTA military mission, and in order to establish Germany as a powerful partner for the alliance?
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