Gedenken wir der Toten der Festung Europa – Bedenken wir, dass das Morden weitergeht.
Fragen wir uns wie wir weitermachen werden – was wir unseren Kindern antworten werden?
Wir begrüßen die Demonstration und möchten Euch unseren solidarischen Beitrag überbringen. Aufgrund des zeitgleich stattfindenden KARAWANE Flüchtlingscamp in Erfurt können wir nicht selbst präsent sein. Wir hoffen, dass Flüchtlinge aus der Region das Wort ergreifen und über die aktuelle Situation frei von Angst und schonungslos sprechen werden.
Das, was den vergangenen gewaltsamen Tagen im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen etwas Besonders verleiht, war das übergeordnete Interesse politischer Kreise und die konkrete Organisierung der Situation.
Es ging damals um die Durchsetzung einer Grundgesetzänderung – konkret die faktische Abschaffung des Asylrechts. Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war der notwendige Katalysator, Flüchtlinge schärfer zu verfolgen, zu entrechten und auszugrenzen. Unter dem Eindruck des Szenarios von hunderten Steine und Brandflaschen werfenden meist jungen Männern, begrüßt und angefeuert durch den Beifall tausender Sympathisanten sprachen Politiker schnell von „Volkes Wille“ und dass jetzt gehandelt werden müsse. Dass, das Boot voll ist, das hatten sie schon vor dem Gipfel der rassistischen Mord- und Brandanschläge Anfang der 90er Jahre, ihren Bürgern und Bürgerinnen ständig eingetrichtert. Sorgfältig gepflegter Rassismus und Faschismus hilft bei Zeiten richtungsweisende Projekte auf den Weg zu bringen. In Folge des Pogroms und der tödlichen Brandanschläge in Solingen, Mölln, Lübeck, Hoyerswerda und anderswo in Deutschland und eben nicht nur im Osten führte die Regierung die sogenannte Drittstaatenklausel ein. Deutschland erklärte sich umgeben von sicheren Drittstaaten. Jeder Flüchtling, der durch eines der umliegenden Länder nach Deutschland kommt, wird dorthin zurückgeschoben. Dieses gegenüber den anderen europäischen Ländern erklärbar zu machen, musste der rassistische Mob von der Leine gelassen werden. Dieser erste Schritt Deutschlands setzte das Signal für den Krieg gegen Migration. Heute sind Todeslager und Todeszäune entlang der EU- Außengrenzen eingerichtet und mit der Grenzschutzagentur FRONTEX wird Flucht und Migration militärisch beantwortet.
Wer guten Mutes und mit dem Glauben an soziale Sicherheit und Menschenrechte seine vom Imperialismus verwüstete Heimat verlässt, es schafft alle Todesstreifen zu überwinden und in Europa ankommt, der findet sich im Zentrum dessen wieder, was seine Flucht verursacht hat – in den Kernländern der kolonialistischen Unterwerfung. Hier sind die Stammplätze der mächtigsten Interessenverbände, die durch Besatzung und Versklavung sich den materiellen Vorsprung verschafften, die Welt zu dominieren und dafür zu sorgen, dass heute alle fünf Sekunden auf dieser Welt ein Kind verhungert. Hier hat sich das System entwickelt, dass Besitz und Eigentum über alles stellt. So dass nach Generationen kaum noch einer merkt, dass seine Seele, seine immaterielle Kraftquelle schon in der Kindheit zu geschüttet wird. Die Kultur des Kapitalismus schafft Gesellschaften frei von Empathie – seelenlose Gesellschaften – unfähig sein Zombiedasein zu überwinden, solange die Angst nicht überwunden wird, dieses menschenfeindliche System - innen und außen – zu bekämpfen, solange die Privilegien zu angenehm erscheinen, um sie fallen zu lassen.
Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war nur ein Teil des multiplen Zombies, der für Flüchtlinge in Deutschland überall in Erscheinung tritt – im Mord an Oury Jalloh, oder Amir Ageeb, Ndeye Mareame Sarr, Laye Konde , Christy Omordion Schwundeck oder in der Verweigerung überlebensnotwendiger medizinischer Versorgung wie bei Mohamed Sillah und Ousman Sey, in der vom Verfassungsschutz betrieben NSU- Nazi-Mordkampagne. Beweise vernichten und Märchen erzählen – Glaubt ihren Lügen nicht mehr.
Der multiple Zombie ist solange stark, solange wir uns reinziehen lassen, solange wir uns Befehlsnotstände und Sachzwänge einreden, die uns keine Wahl lassen, solange wir akzeptieren, dass Deportationen, Lager und Sondergesetze wie die Residenzpflicht feste Grundlage der deutschen Gastfreundschaft ist.
Wir haben vor einigen Wochen in Rostock Flüchtlinge aus den Lagern in Rostock, Greifswald, Bad Doberan und Jürgensdorf getroffen. Was sie uns erzählten über die Behandlung durch die Behörden und die rassistischen Attacken auf der Straße, lässt wissen, dass Rostock-Lichtenhagen sich im kleinen Maßstab tagtäglich widerholt und dass ein großer konzentrierter Hassausbruch jederzeit und nicht nur dort sich wiederholen kann. Besonders in Zeiten verschärfender ökonomischer Bedingungen und wenn es für die Herrschaften oben von Nutzen ist. Und umso leichter, als dass alle die permanenten kleinen Ausbrüche gewohnt sind. Dass es zu keiner Wiederholung kommt, bedarf es aller Anstrengungen, die Lager zu schließen und die Residenzpflicht komplett (für alle und für das gesamte Bundesgebiet) abzuschaffen.
Bei unserer Versammlung im Lager in Rostock, sagte ein Flüchtling: „Wir können nichts ändern, wir sind nur einige zehn- oder hundertausende in diesem Land, die Deutschen sind 80 Millionen. Die Deutschen müssen für uns was tun.“
Das System treibt in die Schizophrenie.
Die Antwort ist die Selbstorgansierung und der alltägliche Widerstand wie er von THE VOICE Refugee Forum Mitte der 90er Jahre begonnen wurde und bis heute die stärkste Basis der Verteidigung der Flüchtlinge in Deutschland ist. Nicht 80 Millionen Deutsche haben die Lager Katzhütte oder Zella Mehlis wie ein dutzende weitere in Thüringen geschlossen, sondern der Protest und der nicht kompromittierbare Widerstand der AktivistInnen von THE VOICE.
Niemand gibt Dir Dein Recht, wenn Du nicht darum kämpfst, niemand zeigt Solidarität, wenn er Deinen Kampf nicht kennt. Die Flüchtlingsprotestzelte (www.refugeetentaction.net) in Süddeutschland haben eine neue Welle des Widerstands auf die Straße gebracht. Break Isolation breitet sich aus. Nach dem Break Isolation Camp (www.thecaravan.org/refugeecamp2012) in Erfurt werden sich FlüchtlingsaktivistInnen aus ganz Deutschland auf den Weg auf einen Protestmarsch nach Berlin machen. Das rassistische Gesetz der Residenzpflicht missachtend, alle Flüchtlinge und ehrlich Gesinnte aufrufend sich zu beteiligen und der menschlichen Würde ein Gesicht zu geben, werden sie dem multiplen Zombie herausfordern und die Isolation brechen.
Wir rufen alle zur Solidarität, Unterstützung und Beteiligung auf.
Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass in der gegenwärtigen Situation unter dem Eindruck der kapitalistischen Schuldenkrise, rassistische und faschistische Hetze sich weiter verschärfen wird. Unsere Antwort kann nur unsere Organisierung und unserer Zusammenschluß sein – im alltäglichen Kampf zur Verteidigung unserer Rechte und zur Überwindung des kapitalistischen Systems.
24. August 2012
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, The VOICE Refugee Forum,
Break Isolation-Flüchtlingsgemeinschaften in Deutschland,
Empfehlung: "The truth lies in Rostock" Filmdokumentation
http://video.google.com/videoplay?docid=-138324537333427498