Tod eines Flüchtlings in Gerstungen nicht verschweigen! Konsequenzen ziehen!
Mai 27, 2013 von Kulturverein Mesopotamien
Am 30. April 2013 ist der irakisch-kurdische Flüchtling Hama Amin Rebwar aus dem Flüchtlingslager Gerstungen beim Überqueren von neben dem Heim verlaufenden Gleisen von einem Zug erfasst und getötet worden. Die verantwortlichen Behörden legen seit dem alles daran, den tragischen Tod zu verschweigen und sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Hama Amin Rebwar, aus dem autonomen kurdischen Norden der Republik Irak, ist im März 2013 aus politischen Gründen in die BRD geflüchtet und wurde dem Flüchtlingslager Gerstungen zugewiesen. Wie alle anderen Bewohner dieses Lagers überquerte er regelmäßig die nahe gelegenen Zuggleise, um im gegenüberliegenden Supermarkt einzukaufen. Dabei wurde er von einem ICE-Zug mit 140 km/h Geschwindigkeit erfasst. Er starb auf der Stelle. Seit Jahren überqueren die Flüchtlinge die Gleise, weil der Weg über die nächste Brücke zum gleichen Ziel mehr als fünfmal so weit ist.
Hama Amin Rebwar hatte in den knapp zwei Monaten nur wenige Kontakte zu Flüchtlingen inner- und außerhalb des Lagers aufgebaut, weshalb wenig über seine Person bekannt ist. So dauerte es auch länger als üblich für den Kulturverein Mesopotamien, Kontakt zu seiner Familie in der Stadt Sulaimania aufzubauen – denn es gab die Befürchtung, dass er stillschweigend eingeäschert werden könnte. Nach intensiver Recherche und Kontaktaufnahme zu Flüchtlingen im Lager und schließlich auch zur Gemeinde Gerstungen konnte herausgefunden werden, dass die Gemeinde selbst Kontakt zur Familie des verstorbenen Flüchtlings in Irakisch-Kurdistan aufgebaut und für die Überführung der Leiche bereits Geld von den Angehörigen kassiert hat. Dass Kontakt mit der Familie aufgenommen wurde, ist nicht das Problem, sondern das stillschweigende Vorgehen in dieser Sache, das einzig ein diskretes Loswerden der Leiche nahelegte. Es gab kein Bemühen, uns oder andere in Frage kommende Organisationen zu kontaktieren und zu informieren. Vor allem wird die Verantwortlichkeit der Behörden bei diesem tragischen Tod überhaupt nicht wahrgenommen bzw. bewusst übersehen.
Trotz der bekannten Gefahr haben das Landratsamt Wartburgkreis und die ihm unterstehenden verantwortlichen Behörden nichts unternommen, um am Flüchtlingslager Gerstungen die Überquerung der Gleise für Bewohner zu erleichtern. Die seit Jahren negierte Gefahr macht das Thüringer Innenministerium mitverantwortlich an dem tragischen Tod dieses jungen Menschen. Die Thüringer Landesregierung steht in der Pflicht, Missstände wie diese in Zusammenhang mit den Flüchtlingslagern zu beheben und die Lebensumstände der mehr als 1600 Flüchtlinge in unserem Bundesland zu verbessern. Dies kann nur durch die Schließung der Lager und die dezentrale Unterbringung geschehen. Zudem werden Flüchtlinge trotz der nun beschlossenen Lockerung der Residenzpflicht immer noch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wenn sie sich bundesweit bewegen möchten. Die geplante Aufhebung der Residenzpflicht in Thüringen ist ein erster Schritt, aber andere diskriminierende Handlungsweisen in der deutschen Asylpolitik müssen noch beendet werden!
Ercan Ayboga
Kulturverein Mesopotamien
http://www.mesop-erfurt.org/2013/05/27/tod-eines-fluchtlings-in-gerstun…
mesop.erfurt@gmail.com
Unterstützer der PM:
- Flüchtlingsrat Thüringen, http://www.fluechtlingsrat-thr.de/
- The Voice Refugee Forum, thevoiceforum@gmx.de , 0176-24568988
English:
Kurdish Iraqi refugee (25yrs) dies in railway accident near the lager of Gerstungen today
https://thevoiceforum.org/node/3177
PM The VOICE Refugee Forum Jena vom 30.04.2013
Kurdisch-irakischer Geflüchteter (25) starb heute auf den Gleisanlagen direkt neben dem Isolationslager Gerstungen
In den heutigen Mittagsstunden ereignete sich ein tragischer Zwischenfall auf den Bahngleisen, die das Isolationslager am Ortsrand Gerstungen vom restlichen Ort abschneiden. Ein Zug zerschmetterte den Körper eines 25-jährigen Kurden beim Gleisübertritt, der den herannahenden Zug vorgeblich nicht wahrgenommen haben soll. Nach Informationen durch andere Geflüchtete vor Ort befand sich das Opfer seit mehr als 2 Monaten im Lager und war über die erzwungene Isolation im Lager selbst hinaus eine eher zurückgezogene Persönlichkeit mit wenig sozialen Kontakten zu den Mitinsassen.
Die Verantwortlichen Behörden vor Ort werden mit Sicherheit keine Energie darauf verschwenden, die näheren Umstände dieses Vorfalles aufzuklären – sie werden es einen „tragischen Unfall“ beim illegalen Überschreiten von Gleisanlagen nennen. Ein ebenfalls mögliches Selbstmordgeschehen in Folge unerträglicher Lebensbedingungen ohne Privatsphäre oder gar lebenssichernden Perspektiven soll gar nicht erst in ursächlichen Betracht gezogen werden.
Im Kontext dieser gewollten Isolation lässt sich auch der Tod von Michael Kelly in Gerstungen einordnen, der am 20.9.2011 tot in seinem Zimmer im Heim gefunden wurde. Er war bereits Tage vorher unbemerkt infolge einer schweren Erkrankung verstorben Im Lager Gerstungen ist ein Mann gestorben 05.10.2011)
Das Landratsamt Wartburkreis verweigerte damals den anderen Heimbewohnern gegenüber jegliche Erklärung und wies die Presse an, von Besuchen abzusehen (TA 15.10.2011 und Lager Gerstungen: Leiche erst nach Tagen entdeckt 15.10.2011).
Dass der Trampelpfad über die Gleise von dem am äußersten Ortsrand des Dorfes gelegenen Lager zu den Geschäften und Haltestellen des Dorfes bereits jahrelang genutzt wird, kann bei Ansicht des entsprechenden Google-Maps-Satellitenbildes offensichtlich nachvollzogen werden:
http://maps.google.de/maps?q=gerstungen&hl=de&gl=de&bav=on.2,or.r_qf.&b…
(A = Lager Gerstungen, Am Berg 1 – deutlich erkennbarer Trampelpfad über die Gleise ins Dorf)
Angesichts dieser Satellitenaufnahme können die zuständigen Behörden sicherlich nicht abstreiten, von dem jahrelang eingetretenen gefährlichen Weg in Kenntnis gewesen zu sein.
Hier hat die generelle Praxis deutscher Behörden, Geflüchtete unter Missachtung allgemeiner Menschenrechte wie dem Recht auf Selbstbestimmung des Wohnortes oder dem Recht auf Bewegungsfreiheit am Rand und sogar außerhalb meistens abgelegener Dörfer in Lagern zu isolieren, erneut ein Menschenleben gefordert.
Dessen nicht genug, wird durch die Verantwortlichen der Lager regelmäßig versucht Aktivisten der Selbstorganisation Geflüchteter von solidarischen Besuchen abzuhalten, indem sie kriminalisiert und politischer Verfolgung durch Erstattung von Anzeigen ausgesetzt werden. Der letzte derartige Vorfall ereignete sich nur wenige Tage vorher am 24. April 2013 anlässlich eines Besuches des BREAK ISOLATION Solidary Acts (The VOICE Jena: Polizei kriminalisiert Treffen in Thüringer Flüchtlingsheimen und belagert das Grünowski).
Wir trauern tief über diesen erneuten, sinnlosen und vermeidbaren Tod eines Menschen, der nach Deutschland kam um Schutz zu finden – ein Tod in einer unaufhörlichen Reihe unzähliger Opfer, welche durch Isolation, Willkür, Verfolgung und Mangel an Perspektiven außer der einer gewaltsamen Abschiebung durch das rassistische System deutscher „Asylgesetzgebung“ mit Abschottung vor regulärem Asyl, Duldungsstatus, Lagerhaltung am Rande der Gesellschaft, Residenzpflicht, Polizeibrutalität von „racial profiling“ bis hin zu verschleierten gewaltsamen Todesfällen und den finalen Gewaltanwendungen bei Abschiebungen zu verantworten sind.
Wir möchten diesen traurigen Anlass erneut dazu nutzen um aufzuschreien gegen diese Verbrechen gegenüber der Würde von Menschen und fordern den deutschen Staat hiermit abermals dazu auf, sich endlich im Einklang mit den vorgeblich ratifizierten Vereinbarungen der UN-Menschenrechtscharta zu verhalten!
The VOICE Refugee Forum Jena
Schillergäßchen 5
07745 Jena
https://thevoiceforum.org
Contact:
thevoiceforum@gmx.de
mobil: +49176 99621504
Bitte unterstützen Sie unsere Bemühungen zur Stärkung des selbstorganisierten Widerstandes Geflüchteter gegen die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und Europa indem Sie die Nachricht weiterverbreiten und die Unabhängigkeit unserer Arbeit durch Geldspenden sichern helfen:
Bankverbindung: Förderverein The VOICE e.V.
Kto: 127829
BLZ: 260 500 01
BAN: DE97 2605 0001 0000 1278 29
BIC: NOLADE21GOE
Kontakt-mail: foederverein_the_voice@web.de
Weitere Informationen: https://thevoiceforum.org/aktueller Spendenaufruf_eng