Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte am 12.07.2012
Wertes Gericht
Der hier vor diesem Gericht angeklagte Vorwurf gegen meine Person bezieht sich auf den Schutz des Rechtsgutes der Vollstreckungsgewalt des Staates und seiner hierzu berufenen Organe sowie insbesondere auf die Effektivität derselben Maßnahmen. Ich möchte gleich am Anfang meiner Ausführungen betonen, dass genau diese Effektivität der intendierten Maßnahme der handelnden Polizisten – nämlich die Festnahme des S M – durch meine deeskalative Intervention zu keiner Zeit in Frage gestellt und letztlich erst recht nicht verhindert wurde. Meine Intervention bezog sich einzig und allein auf die möglichst verletzungsfreie Durchführung dieser Maßnahme i.S. des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit nach Maßgabe des Artikels 2 Absatz 2 GG aus meiner fachlichen Kompetenz als Arzt heraus.
Mir ist durchaus bewusst, dass Polizeibeamte in der Ausübung dieser Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Anwendung sogenannter „einfacher Gewalt“ berechtigt sind und dass diese bis hin zum Schusswaffengebrauch gegen Menschen und Sprengstoffeinsatz gegen Sachen reichen darf. Diese „einfache Gewalt“ genannten Maßnahmen unterliegen darüber hinaus jedoch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf andere Grundrechtsgüter der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen gemäß den Artikeln 1 Absatz 3 und 20 Absatz 3 GG – und genau diese Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme zur Beugung des Willens des Betroffenen bzw. zur Erreichung des Zieles der beabsichtigten Vollstreckung von Staatsgewalt ist die hier eigentlich zu klärende Frage.
§ 113 StGB regelt einen sensiblen Bereich im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Die Rechtsrealität der juristischen Einschätzung solcherlei Fälle sogenannter Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte insbesondere gegen Polizeibeamte in Deutschland beruht nicht nur auf weitläufig interpretationsfähigen Auslegungen durch die jeweiligen Ermittlungsbehörden der Staatsanwaltschaft sowie auch konsekutiv durch die notwendig die Strafbefehle beurteilenden RichterInnen, vielmehr fußen die Ausgangspunkte dieser Ermittlungen regelmäßig auf den Deutungshoheiten der handelnden Polizeibeamten. Die Einschätzung der Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns oder wahlweise deren Angemessenheit obliegt somit im ersten Impuls immer den Ausführenden dieser Handlungen selbst, denen in aller Regel auch eine umfängliche Kompetenz bezüglich ihrer eigenen Handlungsweisen unterstellt wird. Juristischer Evaluationen polizeilicher Handlungen bedarf es bekanntlich erst nach entsprechenden Strafanzeigen durch Betroffene oder die Polizisten selbst – quasi zur Rechtfertigung ihrer Gewaltanwendung.
Die Staatsanwaltschaften als „Herrin der Ermittlungsverfahren“ lassen in aller Regel genau diese handelnden Polizeibeamten als Belastungszeugen befragen bzw. beauftragen deren Kollegen mit den entsprechenden Ermittlungsaufträgen und sind über einen hinlänglich bekannten Korpsgeist derselben hinaus auf eine möglichst problemlose Zusammenarbeit mit eben diesen Polizeibeamten angewiesen. Anzeigen von Polizisten im selben Sachzusammenhang werden regelmäßig vorrangig bearbeitet. Nicht selten beschränken sich die so bevorzugten Ermittlungsverfahren ausschließlich auf belastende Zeugenaussagen der handelnden Polizeibeamten – entlastende Zeugen werden dann weder von Polizei noch durch die Staatsanwaltschaften ermittelt. Gelegentlich werden sogar objektive Beweismittel wie Videoaufnahmen der Polizei selektiv auf belastende Perspektiven und Ausschnitte hin begrenzt oder sogar entlastende Sequenzen gänzlich den Akten vorenthalten (wie z.B. sehr eklatant im aktuell bekannten Fall des Jenaer Stadtjugendpfarrers Lothar König).
Der Status quo zwischen den Grundrechten aller Menschen in Deutschland und den imperativen Einschränkungen unterworfener vollziehender Gewalten sollte in genau solchen Fällen eine sorgfältige Würdigung erfahren. Eine verkürzte Beurteilung der Sachlage nach StGB und Thüringer Polizeiaufgabengesetz kann dem konstitutionell hergeleiteten Rechtsstaatsprinzip der Gewaltenteilung und deren Bindung an geltende Rechtsgüter nicht wirksam oder umfänglich gerecht werden.
Im Hinblick auf polizeilich fragwürdige Maßnahmen gibt es eine ganze Palette von durchaus problematischen Phänomenen: vorauseilende Einschränkungen von Demonstrationsrechten, rechtswidrige Freiheitsentziehungen durch polizeiliche Einkesselungen oder fragwürdige Identitätsfeststellungen, massenweise illegale Handydatenerfassung, Proklamationen von Aufenthaltsverbotszonen oder Racial Profiling – und das alles wahlweise mit oder ohne Körperverletzungen im Amt durch offensichtlich unangemessene Gewaltanwendungen. In einer Vielzahl solcher Vorkommnisse wird von den Betroffenen erwartet, dass sie diese körperlichen und sachlichen Verletzungen ihrer Grundrechte primär widerstandslos hinnehmen und sich auch sekundär noch mit einer strafrechtlichen Konsequenzlosigkeit gegenüber den Verantwortlichen abfinden sollen. Andererseits erfolgt zur Rechtfertigung solcherlei polizeilicher Straftaten regelmäßig eine standardisierte Strafverfolgung mit reihenweisen Strafbefehlen nach einseitiger Aktenlage welche im offenen Widerspruch zum rechtsstaatlichen Anspruch auf Würdigung der verfassten Grundrechte steht.
Der hier implizierte zivile Gehorsam gegenüber den Deutungshoheiten dazu berechtigter Beamter wird allgemein auch als Staatsräson bezeichnet – ein Phänomen ohne verfassungsmäßig formulierte oder anderweitig gesetzliche Grundlage. Der vereinfacht ausgedrückte Vorrang von Interessen des Staates gegenüber jedweden Einzelinteressen („…unter Inkaufnahme der Verletzung von Moral- und Rechtsvorschriften“ Wikipedia) verstößt schon ganz prinzipiell dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 GG, welcher eben auch in der Strafverfolgung und vor Gericht gelten sollte.
Betrachten wir hierzu doch mal die Ausgangslage in diesem Verfahren:
Staatsanwalt Leicht versuchte zum ersten Verhandlungstag zu betonen, dass Thüringen staatsanwaltlich und gerichtlich ein anderes Bundesland als z.B. Sachsen sei. Abgesehen davon, dass der Herr Leicht angibt, nicht der zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft in diesem Fall, sondern lediglich ihr Verfahrensvertreter zu sein, erfolgte auch die Ermittlung in meinem Fall ganz klar einseitig, ausschließlich belastend und in vorauseilender Vorverurteilung. Das Ermittlungsergebnis besteht letztlich aus belastenden Aussagen von nur einem der beiden eskalativ agierenden Polizeibeamten vor Ort. In der Aussage des anderen Polizeibeamten vor Ort ergibt sich kein Hinweis auf die belastende Aussage des anderen. Eine dritte Aussage stammt von einem bearbeitenden Polizeikollegen und bezieht sich letztlich nur auf eine ominöse Identitätsfeststellung. Von den im Strafbefehl darüber hinaus aufgezählten fünf weiteren Zeugen fehlt jegliche Aussage. Der die polizeilichen Ermittlungen federführend bearbeitende bzw. abschließende Polizeioberkommissar wurde hingegen nicht als Zeuge im Strafbefehl erwähnt. Zu den zivilen Zeugen, die namentlich in den Aussagen der beiden Polizeibeamten erwähnt wurden, lässt sich in der Akte keinerlei Ermittlungstätigkeit nachvollziehen.
Die Ermittlungsakte zum ursächlichen Vorgang des Widerstandes des Festgenommenen selbst ist der Akte weder beigeordnet, noch ergibt sich ein Aktenzeichen der eingestellten Ermittlungen. Die Verfahrensakte des Prozesses gegen den ursprünglich Festgenommenen wird der anwaltlichen Verteidigung des Angeklagten erst zwei Tage vor Terminierung und nur für 24 Stunden zur Verfügung gestellt und ein hierauf bezogener Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zur Berücksichtigung dieser wesentlichen Akten schlichtweg ignoriert. Die Quintessenz dieser Vorgehensweise resümiert der vorsitzende Richter Dr. Litterst-Tiganele mit den ebenfalls vorverurteilenden Worten, dass „…es sich nach Aktenlage um eine übersichtliche Angelegenheit“ handele.
Als Angeklagter in diesem Strafprozess habe ich neben dem Umstand, dass ich der fraglichen Situation persönlich beigewohnt habe, naturgemäß eine andere Sichtweise auf diese unterstellte „Übersichtlichkeit“:
Nur einer der Polizeibeamten belastet mich in seiner ersten Zeugenaussage persönlich. Die dabei erhobenen Vorwürfe haben zu unterschiedlichen Zeiten ziemlich verschiedene Schweregrade. Am Anfang stand eine Strafanzeige wegen „gefährlicher Körperverletzung“ (Strafbewährung nach StGB 6 Monate bis 10 Jahre Freiheitsentzug) – nach meiner Vorladung zur polizeilichen Ermittlung vom 30. August 2012 wegen „Gefangenenbefreiung u.a.“ (Strafbewährung Geldstrafe bis 3 Jahre Freiheitsentzug – je nachdem was „u.a.“ bedeuten mag) und mit Ankündigung einer „kriminaltechnischen Registrierung“ sagte dann der gleiche Beamte bei einer erneuten Zeugenvernehmung am 12. September 2012 dazu passend aus, ich sei „…sehr aktiv gewesen…(den Gefangenen) …zu befreien.“ Der Strafbefehl vom 6. November 2013 wiederum beschreibt meine vermeintliche Straftat dann als sogenannten „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (Strafbewährung Geldstrafe bis 3 Jahre Freiheitsentzug).
Für mich ist der mehrfache Paradigmenwechsel der vorgeblichen Straftatbestände keineswegs „übersichtlich“ – und er ist im Übrigen auch nicht begründend aus der Aktenlage ersichtlich. Für mich ergibt sich der Eindruck, dass sich der mich primär anzeigende Polizeibeamte der Folgenschwere seiner Anschuldigungen entweder nicht gegenwärtig war oder aber anderweitig motiviert gewesen sein könnte.
Hier nun schließt sich der Kreis von meinem Fall hier zu vielen anderen Fällen, in denen aggressive und/oder gewalttätige Polizeibeamte eigenes fragwürdiges Handeln durch die Konstruktion und/oder sachliche Übertreibung von Strafanträgen im Nachgang noch rechtfertigen wollen.
Mag sein, dass Polizisten ganz generell ein besonders geschultes Basiswissen bezüglich der schützenden Rechtsgüter dieses Landes unterstellt werden sollte. Auffällig ist jedoch, dass es immer wieder zu völlig überzogenen Strafanzeigen von Polizeibeamten gegen Personen kommt, welche bezüglich derselben Rechtsgüter situationsbezogen eine offensichtlich andere Einschätzung haben. Es besteht der Verdacht, dass sich Polizeibeamte vordergründig mit ihren vermeintlichen Rechten bzw. Befehlen als Beamte oder gar Vollstreckungsbeamte auszukennen vermeinen und die verfassten Grundrechte der von ihren Handlungsweisen betroffenen Personen dabei häufig genug aus dem Blick verlieren.
Leider stellen auch die gerichtsverfassungsmäßig unabhängigen Staatsanwaltschaften und RichterInnen keinen wirklich objektiven Gradmesser gegen solcherlei repressive Strafverfolgung dar. Genau wie in diesem Verfahren hier, werden immer wieder Strafbefehle nach einseitiger Aktenlage gefertigt und damit gerechnet, dass die Angeklagten möglicherweisen keinen Widerspruch einlegen könnten. Geschieht dies doch, dann wird gerne mit der auch hier zu Tage getretenen Voreingenommenheit argumentiert und dem Angeklagten nahe gelegt, doch bitte Angemessenheit der Prozesskosten im Auge zu behalten und das „übersichtliche“ Verfahren nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Ganz generell wird schon ein Widerspruch auch als Zeichen von mangelnder Einsichtigkeit im Hinblick auf die vorgeworfene Straftat gesehen – ein Umstand der nicht vordergründig als mildernd für den Angeklagten gewertet werden dürfte.
Bei widerstreitenden Aussagen zwischen Polizisten und Angeklagten oder auch zivilen Zeugen werden die Aussagen der Beamten regelmäßig glaubwürdiger bewertet. Selbst offenbare Falschaussagen von Polizeibeamten haben in der Regel keinerlei Konsequenz seitens der verantwortlichen Hüter des Rechts. Um derlei Phänomene als offenen Bruch des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß Artikel 3 GG zu beschreiben, braucht nicht vordergründig eine vertiefende juristische Weiterbildung. Sie trägt andererseits auch nicht dazu bei möglicherweise voreingenommene Feindbilder abzubauen – und damit meine ich nicht nur die Polizei als viel beschworenes Feindbild beim Bürger, sondern auch und gerade den umgekehrten Fall: das offensichtliche Feindbild des Bürgers bei Polizeibeamten, die es bei Interaktionen mit möglichst schwerwiegenden Strafanzeigen zu überziehen gilt. Diesen Teufelskreis aus Feindbildern zu durchbrechen, braucht es eben mehr als einseitige Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften und richterliche Entscheidungen nach genau dieser Aktenlage.
Mit angeklagter Hochachtung
Thomas Ndindah