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13.05.2008 / Inland / Seite 5
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»Negative Wirkung«
Nach Protesten im Flüchtlingslager Katzhütte verlegt das Landratsamt Sprecher der Heimbewohner zwangsweise in andere Sammelunterkünfte Von Jana Frielinghaus
Peter Lahann hat durchaus Verständnis dafür, wenn sich Flüchtlinge über ihre Ghettoisierung und über ihre miserablen Lebensbedingungen beklagen. Gerade für die Bewohner der Sammelunterkunft im thüringischen Katzhütte sei die Situation »völlig unbefriedigend«, räumte der Sprecher des Landratsamtes Saalfeld-Rudolstadt am Freitag im Gespräch mit jW ein. Man versuche gerade deshalb »nach Kräften«, Flüchtlinge dezentral in städtischen Wohnungen unterzubringen. Im Landkreis sei das bei zwei Dritteln der Asylbewerber der Fall.
Doch im Fall der einzigen im Kreis noch verbliebenen Sammelunterkunft in Katzhütte bleibt die Behörde hart. Peter Lahann verweist auf Paragraph 53, Absatz 1 des Asylverfahrensgesetzes. Dort heißt es, Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben, sollen »in der Regel« in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Alles andere sei die Ausnahme.
Die wochenlangen Proteste der »Katzhütter« gegen ihre menschenunwürdige Unterbringung sind dennoch nicht ohne Wirkung geblieben: 16 der zuvor 87 Bewohner, darunter zwei Familien mit Kindern und fünf alleinstehende Männer, haben einer Einzelunterbringung in Gera und Suhl zugestimmt, die ihnen das Amt nun doch angeboten hat. Eine weitere Familie ist nach Angaben der Verwaltung innerhalb des Lagers in eine andere Wohnung gewechselt. Die »in die Kritik geratenen Bungalows« seien damit nicht mehr belegt. Zwei Familien mit Kindern sollen noch andere Unterbringungsmöglichkeiten angeboten werden. Doch die »restlichen« Bewohner sollen in Katzhütte bleiben, bekräftigte Lahann.
Gleichzeitig hat die Behörde zu drastischen Maßnahmen gegen die beiden Wortführer des Protests, Mohamed Sbaih und Mustafa Sajren, gegriffen: Beide wurden vergangenen Dienstag unter Androhung von Gewalt in andere, weit voneinander entfernte Sammelunterkünfte in Greiz und Eisenach geschickt. Vertreter von Ausländerbehörde, Polizei und Heimleitung händigten ihnen einen Bescheid aus, aus dem die Flüchtlingsselbsthilfeorganisation »The Voice« in einer Mitteilung vom Donnerstag zitiert. Darin heißt es zur Begründung der Verlegung, die beiden Männer hätten »durch Ihr Verhalten in den letzten Wochen die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit massiv« gefährdet. Durch die von ihnen erhobenen und »demonstrativ bekundeten Forderungen« sei es »bereits mehrmals zu erheblichen Unruhen« im Heim gekommen, von den beiden gehe eine »negative Wirkung auf das Verhalten der anderen Bewohner« aus.
Sbaih verlangte vergeblich, vor seiner Verlegung einen Anwalt sprechen zu dürfen und mit Hilfe eines Übersetzers den Inhalt des Behördenschreibens vollständig erfassen zu können. Das Landratsamt rechtfertigte sein Vorgehen am Freitag in einer ausführlichen Presseerklärung: »Um ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft sicherzustellen, aber auch aus Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter« sei man dazu gezwungen gewesen.
Zugleich schiebt Landrätin Marion Philipp (SPD) den Schwarzen Peter den Flüchtlingshilfsorganisationen zu: Die »selbsternannten Flüchtlingsvertreter« trügen »ihre bundesweit laufende Kampagne gegen die Asylgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Rücken der Verfolgten« aus, die eigentlich nichts anderes wollten als in Unterkünften wie Katzhütte »nun endlich zur Ruhe« zu kommen.
Für das Landratsamt dürfte bei seinem Festhalten an Katzhütte entscheidend sein, daß es erst im vergangenen Jahr die Bewirtschaftung neu ausgeschrieben und erneut an den bisherigen Betreiber, die Firma K&S, vergeben hat. Firmen wie K&S werden für ihre Leistungen pauschal pro Bett vergütet – Kostensenkung mit allen Mitteln erhöht folglich den Gewinn. Qualitätskontrollen finden, wie die Zustände in Katzhütte zeigen, nur statt, wenn die Situation für die Bewohner so unerträglich geworden ist, daß sie an die Öffentlichkeit gehen.
Katzhütte jetzt auch Fall für Staatsanwalt
Strafanzeige gegen Verantwortliche gestellt
Saalfeld/Katzhütte (OTZ/U. H.). "Strafanzeige und Strafantrag gegen die Verantwortlichen wegen der Unterbringung und Zwangsumverteilung der Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft Katzhütte" hat jetzt der Saalfelder Rechtsanwalt Bertram Fritzenwanker gestellt, der neun in Katzhütte bzw. ehemals in Katzhütte untergebrachte Flüchtlinge vertritt. Für seine Mandanten hatte er Anträge auf Einzelunterbringung in Saalfeld und auf Arbeitserlaubnis gestellt.
Unter anderem vertritt Fritzenwanker eine Familie, deren achtjährige Tochter infektanfällig ist, so dass Ärzte zu einem Wohnungswechsel raten. Angeblich konnte aus Kapazitätsgründen keine dezentrale Unterbringung in Saalfeld erfolgen, habe die Kreisbehörde geantwortet. Fritzenwanker recherchierte bei einem Saalfelder Wohnungsunternehmen und erfuhr, dass angemessene Wohnungen vorhanden sind und die Aufnahmebereitschaft bestehe.
Zwei weitere Mandanten seien zu Wochenbeginn nach Greiz bzw. Eisenach "zwangsumverteilt" worden, über die Anträge auf Einzelunterbringung in Saalfeld sei überhaupt nicht entschieden worden, empört sich der Anwalt.
Die Umsetzung von Mohammed Sbaih und Mustafa Saadat, die vom Landratsamt als "Protestierer" bezeichnet werden, sei zum Schutz der Mitarbeiter erfolgt, reagiert die Kreisbehörde. Sowohl die Heimleitung als auch Mitarbeiter des Landratsamtes seien durch einige Heimbewohner wiederholt massiv bedroht worden. Eine Auszahlung von Leistungen wird daher ab sofort nur noch durch männliche Beschäftigte des Landratsamtes vorgenommen.
Die aserbaidshanische Familie, die sich trotz dreier Angebote bisher weigerte, den Bungalow zu verlassen, ist am Mittwoch in eine andere Wohnung in der Gemeinschaftsunterkunft gezogen. Die Bungalows sind damit nunmehr leer gezogen. Die Kritik am baulichen Zustand der beiden Bungalows sei berechtigt gewesen, so die Kreisbehörde, aber die anhaltenden Proteste einiger Heimbewohner und der Flüchtlingsverbände sowie die Weigerung einiger Bungalowbewohner auszuziehen, hätten die durch die Verwaltung angestrebte Sanierung unmöglich gemacht. Statt sachlicher Gespräche seien durch Einzelne persönliche Angriffe auf die Landrätin und Mitarbeiter des Landratsamtes erfolgt, so die Kreisbehörde.
09.05.2008