freies-wort press: Erschienen am 16.08.2008 00:00
Familie Lafavi flüchtete aus dem Iran. Seit drei Jahren versucht sie nun, den Alltag in der Gemeinschaftsunterkunft in Gehlberg zu meistern
Von Volker Kring
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Ein Leben voller Hindernisse: Schon regelmäßige Behördengänge in Ilmenau werden für Masoome Amini, Tochter Fereshteh und Ebrahim Lafavi (von links) zu einer Tagesreise. Foto: ari Bild:
Die Sonne leistet ganze Arbeit an diesem Donnerstag im Hochsommer 2008. Die Luft ist schwer und feucht. Schon bei der kleinsten Bewegung kleben die Kleider am Leib. Hier, wo der Thüringer Wald am dichtesten und am steilsten ist, wandert Familie Lafavi in den Vormittag. Papa Ebrahim hat den Rucksack geschultert. Zwei Flaschen mit Wasser gut darin verstaut. Im Gänsemarsch geht es von Gehlberg (Ilmkreis) hinunter ins Tal, immer die schmale Straße Richtung Gräfenroda entlang. Wenn sich ein Auto nähert, bleibt die Gruppe, zu der noch Töchterchen Fereshthe, meist einfach Sarah gerufen, und Mama Masoome Amini gehören, stehen und drückt sich an die Leitplanke.
Wer die Drei beobachtet, könnte sie für Urlauber halten, die einem der vielen Thüringer Ausflugsziele entgegenwandern oder einfach nur die Natur genießen. Doch die kleine Familie ist an diesem Donnerstag nicht zum Spaß unterwegs. Sie muss heute zum Landratsamt nach Ilmenau in die Ausländerbehörde, um ihren Aufenthaltstitel verlängern zu lassen. „Wir müssen Stempel holen“, sagt Masoome Amini.
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Suhl setzt auf
Wohnungen
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Familie Lafavi kommt aus dem Iran. Vater Ebrahim hat dort bei einer Zeitung gearbeitet, die bei den Machthabern in Ungnade gefallen ist. Vor den folgenden Repressalien floh die Familie nach Deutschland. Seit nun schon drei Jahren leben die Drei in der Gemeinschaftsunterkunft Gehlberg, die vor allem wegen ihrer abgeschiedenen Lage in die Kritik geraten ist. „Die Unterbringung von Flüchtlingen in abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften, weitab von Behörden und medizinischer Versorgung sowie ohne Zugang zu kostengünstigen Einkaufsmöglichkeiten, Kinderbetreuung und kulturellem Leben hat mit menschenwürdiger Flüchtlingspolitik nichts zu tun“, kritisiert Sabine Berninger, Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag die Situation. Die Flüchtlingsselbsthilfeorganisation „The Voice“ nennt Gehlberg ein „Isolationslager“.
Eine Dreiviertelstunde strammer Fußmarsch liegt hinter Familie Lafavi, als sie den Bahnhof Gehlberg erreicht. Mit dem Handrücken wischt sich Vater Ebrahim über die feuchte Stirn. Die Schmerzen im kranken Knie will er sich nicht anmerken lassen. Eigentlich sollte er orthopädische Schuhe tragen. Die hat ihm der Arzt verordnet. Doch die 150 Euro dafür kann sich die Familie nicht leisten.
Pünktlich um 10.25 Uhr rollt der Zug nach Erfurt in den Bahnhof. Die Schaffnerin der Südthüringenbahn hilft bei der Bedienung des Fahrkartenautomaten. „Ich kenne meine Pappenheimer“, lacht sie freundlich. Einheimische nutzen den Zug hier kaum. Wer in Gehlberg wohnt, hat ein Auto oder fährt beim Nachbarn mit.
Um 10.40 Uhr erreicht der Zug Plaue. Hier heißt es für Familie Lafavi: Umsteigen und 35 Minuten Aufenthalt. „Aufpassen“, sagt Ebrahim Lafavi, als endlich der Zug nach Ilmenau einrollt, und erklärt, dass nur der vordere Teil nach Ilmenau fährt. Wer in den hinteren Triebwagen einsteigt, landet am Ende in Meiningen. Für einen Asylbewerber wäre das ein großes Problem, denn er hat Residenzpflicht, darf den Landkreis, in dem er untergebracht ist, nicht verlassen.
Und so liegt für Familie Lafavi bereits das nahe Suhl in einer anderen Welt. Suhl – das klingt in den Ohren der Gehlberger Flüchtlinge beinahe wie das Paradies. „Ich habe einen Freund dort“, erzählt Ebrahim Lafavi. „In Suhl kann man in eigener Wohnung leben.“
Seit April 2005 bringt die Stadt ihre Asylbewerber ausschließlich in Wohnungen unter. „Die mietet die Stadt von der städtischen Wohnungsgesellschaft Gewo an“, sagt der Suhler Sozialamtsleiter Jan Turczynski. 119 Flüchtlinge lebten derzeit über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Auch einen Betreuer für die Asylbewerber hat die Stadt angestellt. Dieser begleitet die Flüchtlinge auf dem Gang zu Ämtern und Behörden, vermittelt den Kontakt zu Schulen und Ärzten. „Das hat sich bewährt, wir haben damit gute Erfahrungen gemacht“, sagt Turczynski.
An eine dezentrale Unterbringung sei im Ilmkreis derzeit nicht zu denken, heißt es aus dem Landratsamt. Der Vertrag mit dem Betreiber der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Gehlberg laufe noch bis 2010, lässt Landrat Benno Kaufhold wissen. Zudem sei das „Betreute Wohnen“ in Gehlberg bewusst gewählt worden, um vor allem Familien aus dem Umfeld einer „üblichen GU“ herauszunehmen. Doch die bewusst gewählte Idylle ist für die Flüchtlinge ein Problem.
„Es ist sehr schön, wenn man die Gelegenheit hat, auch weg zu kommen“, sagt Ebrahim Lafavi. Der Kleinbus der GU, der zweimal wöchentlich nach Gräfenroda und zweimal monatlich nach Arnstadt oder Ilmenau fährt, sei manchmal kaputt. Oft sei auch kein Platz mehr zu bekommen, beklagt die Flüchtlingsorganisation „The Voice“. Auch die ärztliche Versorgung wird kritisiert. Zweimal pro Woche ist ein Hausarzt in der GU. Ansonsten liegt es im Ermessen des Betreuungspersonals, einen Arzt zu rufen. Auch Sarah kennt das. „Ich hatte einmal heftige Bauchschmerzen“, erzählt sie. Ihre Eltern wurden vertröstet und erst nach Stunden ein Arzt gerufen. Ihr Blinddarmdurchbruch musste zweimal operiert werden. „Wenn du bis zum Sprechtag wartest, bist du tot“, sagt die Zehnjährige.
Gesetzliche Vorgaben für die Lage einer Flüchtlingsunterkunft gibt es nicht. „Nur Standards für den Bauzustand sind festgelegt“, sagt Bernd Edelmann, Sprecher des Thüringer Innenministeriums. Es liege also im Ermessen des Landkreises, ob er die Flüchtlinge integriere. Kommentieren werde das Ministerium die Entscheidung des Landkreises nicht.
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Depressionen sind keine Seltenheit
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Pünktlich um 11.37 Uhr erreicht die Südthüringenbahn und mit ihr Familie Lafavi Ilmenau. Bis die Ausländerbehörde in der Außenstelle des Landratsamtes in der Krankenhausstraße öffnet, ist noch gut eine Stunde Zeit. Deshalb geht es in gemütlichem Schlendergang durch die Ilmenauer Innenstadt. Die Geschäfte rechts und links mit ihrem überbordenden Angebot machen noch immer Eindruck auf Sarah, Masoome und Ebrahim. Doch es muss zumeist beim Schauen bleiben. Nur für Sarah fällt ein kleines Täschchen für 50 Cent im Sonderangebot ab. Sarahs dunkle Augen strahlen.
40,90 Euro Taschengeld erhält ein Erwachsener nach Asylbewerberleistungsgesetz pro Monat. Rechnet man Sachleistungen und gegebenenfalls Wertschecks für Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege hinzu, so kommt ein alleinstehender Erwachsener monatlich auf Grundleistungen im Wert von maximal 224,97 Euro. „Das ist deutlich weniger als ein deutscher Hartz-IV-Empfänger bekommt, der zudem Bargeld erhält“, rückt Turczynski das gern gepflegte Bild, dass Asylbewerber mehr in der Tasche haben als Deutsche, zurecht.
Dass er seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdienen darf, kann Ebrahim Lafavi nicht verstehen. „Ich will arbeiten, ich kann arbeiten“, sagt er und spannt die Muskeln. In Hannover oder Mannheim, wo befreundete Familien wohnen, könnte er sofort einen Job in einem iranischen Geschäft bekommen, erzählt er, während die Familie im Landratsamt auf Einlass wartet. Sie haben Glück. Sie waren kurz vor 13 Uhr bei den Ersten, die eine Wartenummer gezogen haben.
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In Suhl hat man gute Erfahrungen mit der dezentralen Unterbringung gemacht, sagt Sozialamtsleiter Jan Turczynski.
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Immer nur zu fordern liegt den Lafavis nicht. Sie sind ruhige, bescheidene Leute, die man sich gut als Nachbarn vorstellen könnte. „Papa würde auch gern besser Deutsch lernen“, sagt Sarah, die vieles von dem, was Mama und Papa sagen, übersetzen muss. Sarah, die in Gräfenroda in die vierte Klasse geht, hat die neue Sprache in der Schule gelernt. Für die Erwachsenen gibt es einen kurzen Grundkurs, der gerade mal rudimentärstes Wissen vermittelt. Soziale Kontakte, um im täglichen Gebrauch besser Deutsch zu lernen, haben die Gehlberger Flüchtlinge nicht. Auch Sarah würde gern mit mehr Kindern, vor allem deutschen, spielen. „Ich habe hier nur drei Freundinnen“, sagt sie.
Noch vor 14 Uhr haben die Lafavis alle notwendigen Stempel. Sechs weitere Monate dürfen sie nun in Deutschland bleiben. Bis der Zug um 16.16 Uhr zurück fährt, ist noch Zeit, die Wertschecks für Lebensmittel umzusetzen. „Kaufland ist billiger als der Markt in Gräfenroda“, freut sich Masoome Amini über die Gelegenheit. 18 Euro kostet die Fahrt nach Ilmenau hin und zurück. Sonst könnten sie sich das kaum leisten. Doch weil sie heute aufs Landratsamt mussten, bekommen sie das Geld zurück.
Mit zwei Einkaufstüten bepackt, geht es schließlich zurück nach Gehlberg. Der Anschluss in Plaue ist jetzt besser als bei der Hinfahrt. Rasch umgestiegen und weiter geht es. Kurz nach 17 Uhr stehen Lafavis wieder am Bahnhof Gehlberg. Dann geht es schwitzend und keuchend den steilen Berg zur Gemeinschaftsunterkunft hinauf. „Jetzt im Sommer geht es“, versucht Masoome Amini ein Lächeln. „Aber im Winter ist es dunkel und kalt“, sagt sie. Wenn erst der Schnee einen Meter und höher liege, werde die Abgeschiedenheit unerträglich. Kaum ein Flüchtling, der nicht an Depressionen litte. Es habe schon mehrere Selbstmordversuche gegeben, bestätigt die Flüchtlingsorganisation „The Voice“. „Gehlberg macht krank“, sagt Sarah, als die kleine Familie gegen 18 Uhr nach einem anstrengenden Tag ihre Unterkunft wieder erreicht, und schaut mit ihren dunklen Kinderaugen, die plötzlich sehr erwachsen wirken, in das dichte Grün des Thüringer Waldes.
http://www.freies-wort.de/nachrichten/thueringen/seite3thueringenfw/art…
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2008: Die Presse: Gehlberger Flüchtlinge - Protest und Erklärungen
http:https://thevoiceforum.org/node/891
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On the 14.09.2008 in Jena:
Discussions on the refugees struggles against isolation camps and discrimination ? ?We are closing the isolation in Katzhütte?.
Links: mdr-radio: Katzhütte - Wieder schwere Vorwürfe gegen Asylbewerberheim https://thevoiceforum.org/node/904
Regional Press - Freiswort Zeitung:
Eine Stimme gegen kalte Ignoranz: Net Zeitung
http://www.netzeitung.de/politik/ausland/1060519.html
Links: 2008: Die Presse: Gehlberger Flüchtlinge - Protest und Erklärungen
http:https://thevoiceforum.org/node/891
Regional Press - Freiswort Zeitung:http://www.thevoiceforum.org/node/909