Presse-Mitteilung 17/2011
*"Polizeiübergriffe am 11.08.2011 beim Prozess um die Ermordung von Oury Jalloh in Magdeburg"*
Während des heutigen Prozesstages vor dem Landgericht Magdeburg wegen der Ermordung von Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam am 07.01.2005 kam es zu einem unnötigen und gewaltsamen Einsatz der Magdeburger Polizei.
Bei der Vorführung von Brandversuchsvideos äußerten spontan einige von der Vorführung emotional betroffene ZuschauerInnen und ProzessbeobachterInnen ihren Unmut. Die vorsitzende Richterin versuchte, die Personalien der Anwesenden durch Justizbedienstete feststellen zu lassen. Zur Durchsetzung wurden Beamte der Magdeburger Polizei eingesetzt, die mit unnötiger Aggression und Härte unter anderem gegen den Prozeßbeobachter Mouctar Bah vorgingen.
Gerade angesichts der vor Gericht verhandelten Polizeigewalt protestieren wir aufs Schärfste gegen diese erneuten Übergriffe auf langjährige Prozeßbeobachter. Sie reihen sich ein in die schon bekannten Schikanen und polizeilichen Repressionen gegen Mouctar Bah, den Träger der
Carl-von-Ossietzky-Medaille der internationalen Liga für Menschrenrechte 2009 und andere Freunde des ermordeten Oury Jalloh.
Die Antirassistische Inititative Berlin fordert die Sachsen-Anhaltinische Justiz und Polizei dazu auf , diese unnötigen Eskalationen zu unterlassen.
Wir fordern Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt dazu auf, stattdessen vergleichbares Engagement bei der Verfolgung des Mordes an Oury Jalloh zu zeigen.
Berlin, 11.08.2011
Antirassitische Initiative Berlin e.V.
Informationen zu Mouctar Bah:
http://www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2010/11/Kampf-gegen-Rassismus-Mou…
Informationen zum Oury Jalloh Prozeß:
http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
Press:
13.08.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
http://www.jungewelt.de/2011/08-13/033.php
»Polizeieinsatz reiht sich ein in viele Schikanen«
Beobachter beim Oury-Jalloh-Prozeß vor Magdeburger Landgericht von Ordnungshütern mißhandelt. Ein Gespräch mit Antonia Mbuta
Interview: Gitta Düperthal
unbenannt
Antonia Mbuta ist Prozeßbeobachterin beim Verfahren zum Tod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam in Dessau und bei der Initiative »No Lager Halle« aktiv
Am Donnerstag gab es einen Eklat beim Landgerichtsprozeß in Magdeburg um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Zelle starb. Wie kam es ausgerechnet bei diesem Prozeß, der mögliche rassistische Polizeigewalt untersuchen soll, zum Polizeieinsatz gegen Prozeßbeobachter?
Am Donnerstag wurde eine Videoaufnahme gezeigt, mit denen der Nachweis geführt werden sollte, daß Oury Jalloh sich angeblich selber umgebracht haben soll. Darauf ist ein mit einer Puppe nachgestellter Brandversuch zu sehen. Mit Biegen und Brechen versucht man so zu suggerieren, daß es für Oury Jalloh möglich gewesen sein soll, die feuerfeste Matratze in der Zelle im Dessauer Polizeigewahrsam eigenhändig mit einem Feuerzeug anzuzünden – obgleich er doch an Händen und Füßen gefesselt war. Das hat Prozeßbeobachter der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« aufgebracht. Die Gruppe hat immer wieder unbequeme Fragen gestellt: Wie soll das Feuerzeug in die Zelle zu Oury Jalloh geraten sein? Warum verschwanden Videoaufnahmen spurlos? Wieso hat niemand seine Schreie gehört? Sie ist davon überzeugt, daß er nur von Polizeibeamten ermordet worden sein kann. Mouctar Bah, der Oury Jalloh gut gekannt hat, muß die Tatsache sehr erschüttert haben, daß man nun mittels einer Puppe den absurden Beweis eines Suizids erbringen will. Deshalb hat er nach der Video- Aufführung mehrmals gerufen: »Wo ist der Leichnam von Oury Jalloh?« Zwei andere Prozeßbeobachter machten ebenfalls Zwischenrufe. Die Vorsitzende Richterin wertete dies als Störung und versuchte, ihre Personalien durch Justizbedienstete feststellen zu lassen. Um das durchzusetzen, wurden fünf oder sechs Beamte der Magdeburger Polizei gerufen, die meines Erachtens mit unnötiger Härte vorgingen.
Was ist genau passiert?
Zunächst haben die Polizisten die drei Aktivisten aus dem Saal gedrängt. Als ich den Beamten sagte, daß ich dieses Vorgehen unverhältnismäßig finde, haben sie mich angeschrien: Ich solle mich nicht einmischen. Außerhalb des Saales gab es eine erregte Diskussion mit Mouctar Bah, der sich dagegen verwehrte, daß die Polizei seine Personalien aufnehmen wollte. Daraufhin kamen weitere Beamte hinzu, drückten ihn mit Gewalt auf den Boden und legten ihm Handschellen an. Alle drei wurden zunächst festgenommen und durften erst später wieder am Prozeß teilnehmen, nachdem der Anwalt der Nebenklage mit der Richterin verhandelt hatte.
Wurde Bah dabei verletzt?
Ja, später hat er mir berichtet, daß er im Krankenhaus zur Untersuchung war, weil er kaum laufen konnte. Er hat eine Prellung am rechten Bein, weil Polizisten mit ihren Knien seine Beine brutal heruntergedrückt haben.
Ausgerechnet Mouctar Bah wurde festgenommen, der die Carl-von- Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte verliehen bekam und Kopf der Bewegung ist. Ein Einschüchterungsversuch? Der Polizeieinsatz reiht sich ein in viele Schikanen, die Mouctar Bah bereits hinnehmen mußte, seitdem er sich für die Aufklärung der Todesumstände seines Freundes einsetzt. In der Begründung der Ehrung durch die Internationale Liga für Menschenrechte heißt es: »Er war rassistischen Beschimpfungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt, die NPD griff ihn auf ihrer Webseite an. Von staatlichen und kommunalen Behörden wird er nach wie vor alles andere als bestärkt.« Genauso ist es: Beispielsweise hat das Dessauer Ordnungsamt Mouctar Bah bereits Ende 2005 wegen »großer charakterlicher Mängel« die Gewerbelizenz für sein Internetcafe entzogen. Dessau ist eine Kleinstadt, wo Menschen mit anderer Hautfarbe sowieso stigmatisiert werden.
Immer wieder haben Mitglieder der Oury-Jalloh-Initiative beklagt, daß der Prozeß nur verzögert werden soll und die Aufklärung seines Todes gar nicht ernst genommen werde. Haben Sie auch diesen Eindruck?
Ja. Die Antirassistische Initiative Berlin fordert die sachsen-anhaltinische Justiz und Polizei dazu auf, Eskalationen zu unterlassen und statt dessen vergleichbares Engagement bei der Strafverfolgung zu zeigen.