Auch am 3. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh gab es eine Gedenkdemonstration in Dessau.
Oury Jalloh, ehemaliger Flüchtling aus Sierra Leone, verbrannte am 7.1.2005, gefesselt an Händen und Füßen in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers.
Eine Fotoseite unter:
http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/070108oury_jalloh.html
ANBEI LINK OURY JALLOH IN PORTUGIESISCH von Marcos Romão: http://de.youtube.com/watch?v=B5tMN0fgLkg&eurl=http://www.mamaterra.de
http://mamaterra.de
-Pressemitteilung Black African Conference in Dessau (06.01.2008) https://thevoiceforum.org/node/664
Der Gedenkzug startete am Hauptbahnhof, führte vorbei am Gerichtsgebäude, in dem der Prozess gegen die beschuldigten Polizisten läuft und endete an der Polizeiwache, in der Oury Jalloh starb. Die genauen Umstände seines Todes im Polizeirevier in der Wolfgangstraße sind bis heute ungeklärt, ein Ende des Gerichtsverfahrens gegen die zwei Polizisten ist nicht in Sicht. Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen, die den Prozess seit Beginn beobachten, fordern, die beiden verdächtigten Polizisten wegen der
zahlreichen Ungereimtheiten wegen Mordes anzuklagen. Dabei geht es zum Beispiel um eine angeblich verschwundene Videoaufnahme der Polizei von der Zelle oder um unterschiedliche Angaben über die Anzahl der nach dem Brand gefundenen Feuerzeuge. Nach wie vor ungeklärt ist auch wie es zum Nasenbeinbruch Oury Jallohs kam. Derzeit müssen sich die zwei Beamten des Dessauer Reviers wegen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht verantworten.
Am Montag wurde erneut deutlich: Auch drei Jahre nach Jallohs Tod sind die Ereignisse im Keller des Reviers nicht vergessen. Im Gegenteil, die Verbitterung, dass sich die juristische Aufarbeitung des Falls so lange hinzieht, ist groß. Und Oury Jalloh ist nicht der einzige, der unter zweifelhaften Umständen ums Leben kam. Es gibt weitere Fälle von Polizeigewalt und Tötungen von Schwarzen in Deutschland: Dominique Kouamadio in Dortmund, Laye-Alama Condé in Bremen, John Achidi in Hamburg und Ndeye Mareame Sarr in Aschaffenburg. Die Ermittlungen sind offiziell längst abgeschlossen, Vertreter der afrikanischen Flüchtlingsgruppen fordern deshalb die Neuaufnahme auch in diesen Fällen. Am Polizeirevier brachten Freunde Oury Jallohs eine Gedenktafel an, mal sehen, wie lange die hängen bleibt.
Die nächsten Prozeßtermine sind am 11. Januar und vom 21.-24. Januar 2008, jeweils ab 9 Uhr im Landgericht Dessau, Willy-Lohmann-Str. 29
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Oury Jalloh Press Report 07.- 08.01.2008
https://thevoiceforum.org/node/669
-*An die Presse* Berlin, den 1. Januar 2008 // *Initiative in Gedenken an Oury Jalloh* https://thevoiceforum.org/node/662
-Radio Guinee : Nouvelles Radio-KanKan
OURY JALLOH: Conférence de commémoration et démonstration à Dessauhttp://www.radio-kankan.com/Nouvelles-Radio-KanKan.838+M544696034e1.0.h…
http://www.radio-kankan.com/
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08.01.2008 / Inland / Seite 2
Zum Inhalt dieser Ausgabe |
http://www.jungewelt.de/2008/01-08/061.php
»Die Anklage im Fall Jalloh muß auf Mord lauten«
Schwarze trauen sich in Deutschland oft nicht zur Polizei, wenn sie Opfer von Straftaten sind. Ein Gespräch mit Moctar Kamara
Interview: Claudia Wangerin
Moctar Kamara ist Mitorganisator der 2. Black African Conference (Konferenz von Schwarzafrikanern), die am Sonntag zum Gedenken an den Asylbewerber aus Sierra Leone stattfand, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte
Am Sonntag fand in Dessau die zweite Konferenz von Schwarzafrikanern statt. Was hat Ihr erstes Treffen bisher bewirkt?
Durch unsere Öffentlichkeitsarbeit ist es im Fall Oury Jalloh wenigstens zum Prozeß gekommen. Es war ja zunächst von Selbstmord die Rede, nachdem er von Dessauer Polizisten schwer verprügelt und in einer Zelle eingeschlossen worden war, die später in Flammen aufging. Obwohl Beamte in der Nähe waren, rettete ihn niemand. Im Gegenteil, die Lautstärke des Feueralarms wurde heruntergestellt und Jalloh verbrannte.
Am Montag haben wir mit einer Demonstration in der Dessauer Innenstadt an seinen dritten Todestag erinnert. Und etwa 30 Dessauer hatten sich mit Kerzen vor dem Polizeirevier versammelt.
Welche Forderungen stellen Sie jetzt?
Wir Schwarzafrikaner sind überzeugt, daß es sich um Mord handelt. Deshalb fordern wir, daß die auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge lautende Anklage geändert wird. Wir haben schließlich im Prozeß erleben müssen, daß es abwechselnd um ein, zwei oder gar kein Feuerzeug ging, mit dem Jalloh seine Matratze angezündet haben soll. Außerdem ist ein Video der Polizei verschwunden, das nach dem Auffinden des Toten in der Zelle aufgenommen wurde.
Die Verantwortlichen müssen bestraft und nicht nur versetzt werden. Der damalige Chef des Polizeireviers Dessau, Polizeidirektor Gerald Kohl, z. B. wurde nach Köthen versetzt, nicht aber entlassen. Ebenso fordern wir die Entlassung von Polizeipräsidentin Brigitte Scherber-Schmidt, die früher in der Polizeidirektion Dessau-Roßlau veranwortlich war – sie wurde zum 1. September 2007 ins Innenministerium Sachsen-Anhalt versetzt. Die Familie von Oury Jalloh muß entschädigt werden, soweit das überhaupt möglich ist.
Was muß sich für Schwarzafrikaner in Deutschland als erstes ändern?
Es gibt viele Fälle von Polizeigewalt und Morden an Schwarzen in Deutschland, die aufgeklärt werden müssen. Z. B. hat die Schwester von Dominique Kouamadio auf unserer Konferenz gesprochen – mit Tränen in den Augen. Ihr Bruder wurde am 14. April 2006 in Dortmund von der Polizei erschossen. Anläßlich des Jahrestages wollen wir am 12. April in Dortmund demonstrieren. Die Staatsanwaltschaft hat es damals als Notwehr abgetan, obwohl Dominique unbewaffnet war. Zum Prozeß kam es gar nicht erst. Das nenne ich institutionellen Rassismus.
Ebenso die Fälle von Laye-Alama Condé in Bremen, John Achidi in Hamburg, N’deye Mareame Sarr in Aschaffenburg und andere, in denen die Ermittlungen offiziell abgeschlossen sind. Sie alle müssen neu aufgerollt werden.
Wie drückt sich der institutionelle Rassismus unterhalb von Tötungsdelikten aus?
Z. B. durch rassistische Polizeikontrollen auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Ich werde z. B. oft willkürlich kontrolliert, wenn ich mich als einziger Schwarzafrikaner in einer Menschenmenge bewege.
Die Polizei würde abstreiten, daß dies rassistisch ist, und es »verdachtsunabhängige Kontrolle« nennen. Wie wollen Sie im Einzelfall den Nachweis führen?
Das mag schwer sein, aber das Gesamtbild ist eindeutig. Schwarze werden in Deutschland so oft von der Polizei schikaniert und verdächtigt, daß sich viele nicht mal mehr trauen, zur Polizei zu gehen, wenn sie beleidigt oder verprügelt worden sind. Ich kenne einige, die rassistische Übergriffe nicht angezeigt haben, weil sie von der Polizei weitere Übergriffe befürchtet haben. Wir müssen die Öffentlichkeit sensibilisieren, sonst gibt es keine Chance auf Gerechtigkeit für die afrikanischen Opfer des institutionellen Rassismus der Polizei. Außerdem muß endlich die Residenzpflicht für Flüchtlinge abgeschafft werden, die es erst möglich macht, daß sie durch das Verlassen ihres Landkreises gegen Gesetze verstoßen, die für Deutsche gar nicht gelten.
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http://www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?…
In Dessau gilt die Omertà
Wie starb Oury Jalloh? In 34 Verhandlungstagen ist man der Antwort darauf nicht näher gekommen. Anwälte werfen der Polizei Falschaussagen vor
AUS DESSAU UND BERLIN CHRISTIAN JAKOB
"Die Beamten weichen aus, lügen, antworten nicht." Ein düsteres Bild vom Verlauf des Prozesses um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh zeichnen Anwälte nach 34 Verhandlungstagen. "Den Polizeizeugen geht es nicht um Wahrheitsfindung. Und Zeugen außerhalb des Polizeiapparates gibt es nicht", sagt die Berliner Anwältin Regina Götz, die Jallohs Eltern vor Gericht vertritt.
Seit dem 27. März läuft vor dem Landgericht Dessau die Verhandlung gegen zwei Polizisten. Dem Dienstgruppenleiter Andreas S. wirft die Staatsanwaltschaft "gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge" vor. Er soll den Alarm des Feuermelders zweimal abgestellt und erst beim dritten Mal versucht haben, Jalloh zu helfen. Der Beamte Hans-Ulrich M. wird der "fahrlässigen Tötung" beschuldigt. Er habe bei der Durchsuchung Jallohs in dessen Hosentasche ein Feuerzeug übersehen. Damit, so die These der Staatsanwaltschaft, habe der schwer alkoholisierte und fixierte Gefangene die mit feuerfestem Stoff bezogene Matratze selbst in Brand gesteckt.
Für die Rechtsanwältin Götze weist diese Version "viele Unstimmigkeiten" auf. Doch diese aufzuklären sei schwierig: "Aus falscher Solidarität bauen die Polizisten eine Mauer des Schweigens auf." Tatsächlich hat die Hauptbelastungszeugin, die Polizeibeamtin Beate H., die in ihrer ersten Zeugenaussage Andreas S. belastet hatte, ihre Aussage später widerrufen - auf Druck der Kollegen, wie Götze mutmaßt. Stattdessen bestätigte der stellvertretende Revierleiter die Behauptung des Angeklagten S., unverzüglich dem Feueralarm nachgegangen zu sein. "Dabei ist mittlerweile zweifelsfrei erwiesen, dass S. erst beim dritten Anspringen auf den Alarm reagiert hat", sagt Götz. Besonders erbost ist sie darüber, dass es bisher kein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage gegen die Beamten gab. "Gäbe es Sanktionen, hätten wir mit Sicherheit eine andere Erkenntnislage", meint ihr Kollege Felix Isensee. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff zwischenzeitlich selbst die Nase voll von den offensichtlichen Lügen der Polizisten: "Der Beamte, der hier falsch ausgesagt hat, muss ans Kreuz genagelt werden", empörte er sich am 10. Prozesstag.
Laut Götz weist das Verfahren gravierende Mängel auf. So seien nur noch wenige Minuten von einer wichtigen Videoaufzeichnung der Spurensicherung auffindbar. Das für die Verwahrung zuständige Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt habe behauptet, die Kamera könnte sich "möglicherweise selbst ausgestellt haben". Auch sei nur ein kleiner Teil der zum Zeitpunkt des Brandes im Polizeigebäude anwesenden Beamten frühzeitig vernommen worden. Die meisten hätten erst vor Gericht ausgesagt - mehr als zwei Jahre nach Jallohs Tod. "Diese Zeugen sind in der Zwischenzeit alle beeinflusst worden," ist sich Götz sicher.
Ein "ganz heißes Thema" sei ein angeblich in der Zelle gefundenes Feuerzeug. Dies war jedoch in der ersten Asservatenliste nicht aufgeführt. Erst Tage nach dem Brand tauchten seine Reste auf einer zweiten Asservatenliste auf. "Wir wissen noch immer nicht, wie dieses Feuerzeug genau gefunden worden sein soll", sagt Götz - zumal der Angeklagte Hans-Ulrich M. ausgesagt hat, dass er bei Jallohs Durchsuchung "mit Sicherheit" ein Feuerzeug entdeckt hätte.
15 weitere Prozesstermine sind bis Ende Februar angesetzt. Bisher wurde weder der medizinische Sachverständige noch der Brandgutachter gehört.
Antirassistische Initiativen versprechen sich davon nicht viel. Auf zwei Konferenzen, die sie am Wochenende aus Anlass des Todestags von Jalloh in Berlin beziehungsweise Dessau veranstalteten, erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden. So kritisierten Vertreter afrikanischer Organisationen auf einem Hearing im Berliner Mehringhof die Selbstmordthese der Staatsanwaltschaft. "Wir haben viele Erfahrungen im Umgang der Polizei mit farbigen Menschen. Immer wieder kommen Afrikaner durch Polizeigewalt zu Tode. Wenn jemand unter Umständen wie Oury Jalloh verbrennt, dann glauben wir, dass es Mord war. Und zwar so lange, bis uns jemand das Gegenteil beweist", sagte ein Sprecher des Afrika-Rates Berlin.
Eine Teilnehmerin verlas Passagen eines Artikels des US-amerikanischen Aktivisten Mumia Abu-Jamal zu Jalloh. "Wie kann die Polizei behaupten, dass jemand, der völlig gefesselt in einer Zelle liegt, sich selber angezündet hat?" In der Abschlusserklärung der "Black Africa Conference" verlangten die Unterzeichner, die Anklage auf Mord zu ändern.
07.01.2008
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"Große charakterliche Mängel"
Mouctar Bah hatte den Tod von Oury Jalloh bekannt gemacht. Seither wird er von den Dessauer Behörden schikaniert
DESSAU taz Wenn sich heute Mittag ein paar hundert Menschen am Dessauer Bahnhof versammeln werden, um an den vor drei Jahren in Polizeigewahrsam verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh zu erinnern, ist dies nicht zuletzt Mouctar Bahs Verdienst. Der Guineer, ein ehemaliger Kühlhausarbeiter mit abgebrochenem Wirtschaftsstudium und Freund des Verstorbenen, trug erheblich dazu bei, dass der Fall öffentlich bekannt wurde. Er bewirkte die zweite Obduktion von Jallohs Leiche und sorgte dafür, dass dessen in Sierra Leone lebende Eltern als Nebenkläger zugelassen wurden. Der Tod von Jalloh machte ihn zum Aktivisten. Dadurch aber wurde er - diese Vermutung legen die Fakten nahe - zu einer Hassfigur der Dessauer Behörden.
Im Jahr 2003 hatte Bah in einer Seitenstraße der Dessauer Innenstadt einen Telefonladen eröffnet. Weil es bis dahin keinen Ort in der Stadt gab, an dem sich Afrikaner richtig willkommen fühlen konnten, wurde sein kleines Geschäft, in dem er auch Palmöl, Jamswurzeln und afrikanisches Shampoo verkaufte, bald zu einem Anziehungspunkt für Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe die Treffpunkte der Deutschen lieber meiden. Das gefiel nicht jedem. Einige Nachbarn verfassten eine Eingabe an das Ordnungsamt. Von "Zusammenrottungen von Schwarzafrikanern" war darin die Rede, von Drogenhandel, der "vorprogrammiert" sei, von "unerträglichem Lärm und Gestank" und "Einschüchterung" der Bürger.
Beim Ordnungsamt fanden diese Ausführungen ein offenes Ohr. Ende 2005 - inzwischen war Bah durch die Medien zu einer gewissen Bekanntheit gelangt - entzog ihm die Behörde die Gewerbelizenz. Die Begründung: "Teile der Kundschaft nutzen das Café als Treff- und Aufenthaltsort, um von dort aus im Stadtpark dem Drogenhandel nachzugehen." Dass einige seiner Kunden tatsächlich Drogen verkauft haben, bestreitet Bah nicht. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg bestätigte ihm, dass er über mehrere Monate hinweg "bei der zuständigen Ordnungsbehörde Bemühungen um ein Einschreiten gegen den Drogenverkauf angestellt" habe. Doch als entlastend wollte das Gericht diesen Umstand nicht sehen und bestätigte in letzter Instanz den auf ein Jahr befristeten Entzug der Lizenz.
Danach übernahm ein Deutscher den Laden; Bah arbeitete als Angestellter weiter. Im Februar 2007 beantragte er die Wiedererteilung seiner Gewerbelizenz. Im Oktober kam der Ablehnungsbescheid. Das Ordnungsamt entblödete sich nicht, in der Begründung aus der "Eingabe" der Nachbarn zu zitieren.
Und das war noch nicht alles. Bah sei wegen "behördlicher Auffälligkeit" nicht dazu geeignet, ein Gewerbe zu betreiben. "Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, lässt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und offensichtlich fehlende Akzeptanz der Normen und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen."
Welche "Auffälligkeiten" gemeint waren? Zum Beispiel zwei Anzeigen wegen Körperverletzung. Bah schildert die Vorfälle so: "Als ich vor meinem Laden sauber gemacht habe, stand mein Nachbar plötzlich hinter mit und hat gesagt: 'Hier stinkts nach Negerpisse.' Als ich mich umdrehte, habe ich erst einen Faustschlag ins Gesicht und dann in den Magen bekommen." Er habe den Angreifer weggeschubst und sich eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung eingehandelt. Doch ein Richter glaubte seiner Version und sprach ihn frei. Der Nachbar sann auf Rache, kam ein weiteres Mal in Bahs Geschäft und schlug erneut auf ihn ein. Diesmal wehrte sich Bah, der Nachbar musste im Krankenhaus behandeln werden. Dieses Verfahren läuft noch. Eine drittes Verfahren wurde eingestellt; bei der vierten Anzeige schließlich ging es um einen Polizisten, der sich bei der Eröffnung des Prozesses wegen Jallohs Tod von Bah "beleidigt" gefühlt hatte.
Eine Initiative schrieb einen langen Brief an die Dessauer Behörden. Bah habe ein tadelloses polizeiliches Führungszeugnis, die Handelskammer und das Finanzamt hätten keine Einwände und einen Beweis dafür, dass in Bahs Laden mit Drogen gehandelt wurde, habe es nie gegeben. Das Amt blieb stur. In seiner letzten Korrespondenz teilte es Bah mit: "Die von Ihnen beantragte Gewerbeausübung muss Ihnen zum Schutz der Allgemeinheit versagt bleiben." Weil Bah der einzige Angestellte in dem kleinen Geschäft war, habe er faktisch weiterhin Leitungsfunktionen übernommen und damit gegen den Lizenzentzug verstoßen.
Im Oktober hat Bah Widerspruch dagegen eingelegt. Dem deutschen Geschäftsinhaber wurde das Ganze zu heikel. Er gab den Laden zum 31. Dezember auf. Bah hat sich arbeitslos gemeldet. Zu Neujahr hat eine deutsch-afrikanische Initiative den Laden vorläufig übernommen. Bah ist nun bei ihr eingestellt, sein Gehalt wird mit dem Arbeitslosengeld verrechnet. Ob dies von den Behörden geduldet wird, ist offen.
CHRISTIAN JAKOB
07.01.2008
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http://www.fr-online.de/top_news/?sid=72e23a7e493880bef812a7e9f1142469&…
Asylbewerber Oury Jalloh - Sein letztes Wort war "Feuer"
Am Nachmittag vor seinem Tod betritt Oury Jalloh ein Callcenter in Dessaus Innenstadt. Er ist aufgebracht zu diesem Zeitpunkt, seine Ex-Freundin will den gemeinsamen Sohn zur Adoption freigeben, er hat als Asylbewerber keine Chance, das zu verhindern. Er telefoniert kurz, dann bittet er seinen Freund Mouktar Bah, der den Laden leitet, einen Anwalt zu kontaktieren. Am frühen Abend geht er wieder. Es ist der 6. Januar 2005. Oury Jalloh hat noch etwa 18 Stunden zu leben.
Zwei Tage später veröffentlicht die Dessauer Polizei eine knappe Pressemeldung. Ein Asylbewerber, heißt es darin, habe Frauen belästigt und sich anschließend in einer Gewahrsamszelle das Leben genommen. Das Opfer, ein Mann aus Sierra Leone, wurde 36 Jahre alt. Die offizielle Todesursache: Hitzeschock. Oury Jalloh ist verbrannt.
Selbstmord im Polizeikeller? Freunde des Opfers haben ihre Zweifel. Sie werden nicht kleiner, als bald schon erste Fakten über die Todesumstände bekannt werden. Nun beginnen auch Hilfsorganisationen zu recherchieren, Journalisten stellen Fragen, und als der Fall schließlich über Dessaus Grenzen schwappt, steht ein Verdacht im Raum. Zumindest aber eine drängende Frage: Wie kann sich ein schwer alkoholisierter Mann, der an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze liegt, mitten in einem Polizeirevier selbst verbrennen?
Es ist eine Frage, die sich das Landgericht Dessau seit einem Jahr mit wachsendem Interesse stellt. Noch im März 2007 glaubte Manfred Steinhoff, der Vorsitzende der 6. Strafkammer, an einen kurzen Prozess. Sechs Tage wollte man damals den Tod des Asylbewerbers verhandeln. Inzwischen sind mehr als 50 terminiert. Richter Steinhoff mag es nicht, wenn er angelogen wird. Schon gar nicht von Polizisten. Deswegen will er nun so lange verhandeln, "bis einer umfällt".
Es ist ein denkwürdiger Prozess, der sich im kargen Saal des Landgerichts Woche für Woche vor den Augen einer internationalen Beobachterdelegation abspielt. Auf der Anklagebank sitzen der Streifenpolizist Hans-Ulrich M. und sein damaliger Dienstgruppenleiter Andreas S. Ersterer soll bei Jallohs Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen haben, Letzterer dem brennenden Mann in der Zelle viel zu spät zu Hilfe geeilt sein. Beide bestreiten die Vorwürfe.
Deswegen versucht das Gericht seit fast einem Jahr, den 7. Januar 2005 in jeder minutiösen Einzelheit zu rekonstruieren. Drei Jahre später sollen Zeugen erklären, ob Türen am Ende eines Flures geöffnet oder geschlossen waren, wer wann wo gesehen wurde, wer was zu wem gesagt hat, wer wann wie reagiert hat. Jede Sekunde kann dabei von entscheidender Bedeutung sein. Das wissen auch die fast 30 Polizisten, die bislang von Steinhoff in den Zeugenstand gerufen wurden und dort zum Teil fast druckreif Geschichten vortrugen, die immer mal wieder zu geschönt waren, um wahr zu sein - so lange, bis der entgeisterte Richter rief: "Wir leben in keiner Bananenrepublik!"
Unstrittig ist bislang nur dies: Am Morgen des 7. Januar 2005 begegnen drei Frauen der Dessauer Stadtreinigung vor der Gaststätte Kartoffelwaage dem betrunkenen Oury Jalloh. Der Mann kommt gerade aus der Disco, er will telefonieren, aber sein Handy funktioniert nicht, deswegen bittet er die Frauen um ein Mobiltelefon. Weil er nicht locker lässt, wählt eine der Frauen die 110.
Dann kommt die Polizei. Gegen halb neun bringt die Streife Jalloh ins Revier in der Wolfgangstraße, wo er von Hans-Ulrich M. durchsucht wird. In Jallohs Taschen findet der Beamte nur ein Handy, eine 50-Cent-Münze und benutzte Papiertaschentücher - ein Feuerzeug will er nicht bemerkt haben. Er ist sich da ganz sicher. Weil Jalloh schreit und sich wehrt, wird er schließlich in die Gewahrsamszelle 5 gebracht und dort an Händen und Füßen fixiert.
Oben, im ersten Stock des Reviers, führt Dienstgruppenleiter Andreas S. unterdessen ein bemerkenswertes Telefonat mit dem Neurologen Andreas B. "Wir bräuchten dich mal" - "Was haste denn?" - "Na 'ne Blutentnahme" - "Na, dann mach' ich das" - "Ja, piekste mal 'nen Schwarzafrikaner" - "Ach du Scheiße, da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen" - "Na bring' doch 'ne Spezialkanüle mit." Das ist so der Umgangston im Polizeirevier Dessau. Im Nachhinein findet der Polizist S., da könnte etwas "falsch rübergekommen" sein.
Gegen 9.15 Uhr untersucht der Arzt den Asylbewerber. Er findet eine Vene und stellt fest, dass Oury Jalloh 2,98 Promille Alkohol im Blut hat. Gleichwohl hält er den Betrunkenen für gewahrsamstauglich. Dann geht er wieder. Etwa jede halbe Stunde wird Jalloh, der immer wieder ruft und an seinen Fesseln zerrt, im Anschluss von Polizisten kontrolliert. Irgendetwas Auffälliges bemerken sie nicht. Dann, gegen zwölf, hört Polizeiobermeisterin Beate H. oben im Dienststellenraum über die Gegensprechanlage "ein plätscherndes Geräusch". Kurz darauf springt die Alarmanlage an. "Feuer", hört H. Jalloh noch sagen. Dann nichts mehr.
Was in diesen wenigen Minuten, in denen Oury Jalloh qualvoll bei 330 Grad Celsius verbrennt, im Polizeirevier Dessau vor sich geht, das ist auch nach gut 40 Prozesstagen ungeklärt. Der Asylbewerber, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, hätte gerettet werden können, wenn gleich nach dem Alarm gehandelt worden wäre. Stattdessen aber habe der Dienststellenleiter S. wertvolle Minuten vertrödelt, den Alarm mehrfach abgeschaltet, weil er ihn nicht ernst nahm, und somit ein Menschenleben auf dem Gewissen. Ein Vorwurf, den S. so nicht stehen lassen möchte.
Andreas S. ist 47 Jahre alt. Er ist ein kleiner Mann mit aschblondem Haar und traurigen, müden Augen. Er hat den Gesichtsausdruck eines Menschen, der Salz isst, obwohl er Zucker erwartet hat - und dem so etwas andauernd passiert. Er wirkt gebückter, als es seinem Alter entspricht. Vor Gericht aber zeigt er sich stets tadellos, der graue Anzug ordentlich gebügelt, die Krawatte ordentlich gebunden, die Schuhe ordentlich geputzt. Andreas S. ist der perfekte Biedermann: Er tut alles dafür, um nicht mit einem Brandstifter verwechselt zu werden.
S. sagt, er habe an jenem Mittag vor drei Jahren sofort gehandelt, nachdem auch der Rauchmelder im Gewahrsams-trakt angesprungen war. Er habe danach zwar noch einen Kollegen gesucht, der ihn begleiten solle und auch von der Pförtnerloge im Erdgeschoss aus noch geschwind seinen Vorgesetzten angerufen. Das alles aber sei "zügig" gegangen. Offenbar nicht zügig genug: Als er im Keller ankam, sei ihm bereits beißender Rauch entgegen gekommen, ein Vordringen in die Zelle sei nicht mehr möglich gewesen.
War es so? Der Polizeibeamte Gerhard M. erzählte dem Gericht eine andere Version. Nachdem er jahrelang geschwiegen hatte, platzte es im Prozess aus ihm heraus: Ja, er sei noch bei der Zelle gewesen, ja, er habe Jalloh auf seiner Pritsche liegen sehen. Aber, so M.: "Ich konnte ihm nicht helfen. Es ging nicht. Ich hatte keine Schlüssel." Die hätte sein Vorgesetzter S. haben müssen, aber der war ja weg - "um Luft zu holen", wie er sagt. Seltsam auch: An ein Telefonat zwischen S. und seinem Vorgesetzten kann sich außer diesen beiden niemand im Revier erinnern. M., der daneben stand, schwört, dass es nie stattfand. Wer lügt hier? Und warum?
Noch entscheidender für die Staatsanwaltschaft allerdings ist, dass die Polizeiobermeisterin Beate H., die lange als Hauptbelastungszeugin galt, ganz plötzlich andere Erinnerungen offenbarte: Hatte sie in ihren ersten Vernehmungen noch beteuert, S. habe den Feueralarm zweimal hintereinander ausgestellt und sich erst beim dritten allmählich in Bewegung gesetzt, wollte sie davon vor Gericht nichts mehr wissen. Dort war sie plötzlich sicher, dass am Tag, als Oury Jalloh starb, "alles zügig" ablief.
Es ist längst nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem zähen Prozess, den Richter Steinhoff inzwischen mit mühsam beherrschtem Groll führt. Da ist etwa das Feuerzeug, mit dem sich der gefesselte Jalloh - nach einer Serie athletischer Verrenkungen - selbst angezündet haben soll: Auf der ersten Asservatenliste vom Tatort taucht es nicht auf. Auf der zweiten schon. Wie es dahin kam und warum es erstaunlich wenig verschmort ist, darüber gibt es unterschiedliche Theorien. Da ist der Nasenbeinbruch von Oury Jalloh, den man erst nach einer zweiten, von der Nebenklage veranlassten Obduktion feststellte.
Und da ist das Treffen aller Polizei-Zeugen, das der inzwischen abgelöste Revierleiter Monate nach Prozessbeginn anordnete. Wozu? Ein Kaffeekränzchen, da sind sich fast alle einig, scheidet als Erklärung aus. So viele Fragen. Und so wenig überzeugende Antworten. "Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt", herrschte Richter Steinhoff zwischenzeitlich einen Polizisten an. Was er erntete, war Schweigen.
Draußen, in den Schwarzen-Communitys von Dessau, Berlin und anderswo, ist man deswegen längst überzeugt davon, dass es den Polizisten darum geht, ein "unverzeihliches Verbrechen" zu vertuschen. Der 7. Januar 2005, das ist für die Initiativen, die sich im Gedenken an den Toten aus Sierra Leone gegründet haben: "Der Tag, an dem Oury Jalloh ermordet wurde." Sie haben zu viel erlebt mit den Freunden und Helfern aus Sachsen-Anhalt. Sie trauen ihnen offenbar alles zu.
Erst neulich, sagt Jallohs Freund Mouktar Bah, sei ein Schwarzer wieder auf den Straßen von Dessau von Polizisten gewürgt und zum Revier geschleift worden. Die Begründung: Gegen ihn liege ein Haftbefehl vor. Später stellte sich das Ganze als Verwechslung heraus, Folgen für den Schwarzen wird es trotzdem haben. Er wird sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten müssen. Der Mann heißt übrigens ebenfalls Jalloh.
Und ist nicht gerade erst der Polizeivize aus Dessau aufgeflogen, weil er seine Beamten aufgefordert hat, das rechte Auge häufiger zuzudrücken? Haben Polizisten nicht Statistiken geschönt, damit das Land nicht mehr als Hort kahlrasierter Dumpfdeutscher durch die Schlagzeilen geistert? "Das ist die Hölle hier", sagt ein weiterer Freund Oury Jallohs. Ihn würde es nicht wundern, sollte sich herausstellen, dass das Feuer im Polizeirevier von Männern in Uniform gelegt wurde.
Dass sich das herausstellen wird, hält nicht mal der Nebenkläger-Anwalt Ulrich von Klinggräff für wahrscheinlich. Nach Lage der Dinge spreche wenig dafür, dass Oury Jalloh kaltblütig ermordet wurde. Anderseits, sagt von Klinggräff, sei auch die Version der Staatsanwaltschaft wenig überzeugend. "Aber ich bin nicht in der Lage, eine Gegenthese zu formulieren."
Offensichtlich ist für den Anwalt einstweilen nur, dass im Polizeirevier von Dessau bis zum 7. Januar 2005 und weit darüber hinaus ein merkwürdiger Corpsgeist geherrscht haben muss. "Die Dreistigkeit, mit der hier gelogen wird, ist ungeheuerlich", sagt von Klinggräff. Er hat seine Zweifel, dass man dem Warum noch auf die Spur kommen wird. Drei Jahre, eine endlose lange Zeit, wenn es um Sekunden geht. Auch wenn Richter Steinhoff nicht locker lässt. Und unermüdlich verhandelt und verhandelt. Bis einer umfällt. Wenn einer umfällt.
Irgendwo in Deutschland lebt unterdessen ein viereinhalbjähriges Kind, das vermutlich nie erfahren wird, dass sein Vater in einer Polizeizelle verbrannt ist. Es hat neue Eltern, ein neues Leben. Mouktar Bah aber sucht noch immer nach dem Sohn seines Freundes. Er glaubt, das ist er ihm schuldig. Er weiß, dass er im Grunde keine Chance hat, den Jungen zu finden. Aber er will weiter suchen, so lange es geht. Das hat er Oury Jallohs Mutter versprochen.
Landgericht Dessau
Beobachter erheben Mordvorwurf
Asylbewerber Oury Jalloh war vor drei Jahren in einer Polizeizelle gestorben
von Alexander Schierholz, 06.01.08, 18:57h, aktualisiert 07.01.08, 14:59h
Dessau/Berlin/MZ. Im Prozess um den Feuertod des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh vor drei Jahren in einer Dessauer Polizeizelle haben Flüchtlings- und Menschenrechtsgruppen verlangt, die beiden verdächtigen Polizisten wegen Mordes anzuklagen. Derzeit müssen sich die zwei Beamten des Dessauer Reviers wegen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung vor dem Landgericht verantworten.
Die Gruppen, die den Prozess beobachten, begründen ihre Forderung mit diversen Ungereimtheiten. Dabei geht es etwa um eine angeblich verschwundene Videoaufnahme der Polizei von der Zelle oder um unterschiedliche Angaben über die Anzahl der nach dem Brand gefundenen Feuerzeuge.
"Die Zeugenaussagen von Polizisten widersprechen sich", sagte Mouctar Bah von der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" der MZ. Diese offenen Fragen rechtfertigten eine Mordanklage. Diese Forderung wurde am Wochenende auch bei einer Konferenz in Dessau-Roßlau und auf einer Tagung in Berlin geäußert.
Die Nebenklage will sich dies aber nicht zu eigen machen. "Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass Oury Jalloh bewusst getötet wurde und damit einem Verbrechen zum Opfer gefallen wäre", sagte Anwalt Ulrich von Klinggräff der MZ. Er teilt aber die Ansicht, dass vieles noch ungeklärt sei. So müsse man zwar von nur einem Feuerzeug ausgehen, das einer der Angeklagten bei der Durchsuchung Jallohs übersehen haben soll, nannte der Anwalt ein Beispiel. Es gebe aber abweichende Aussagen darüber, wo das Feuerzeug später gefunden worden sei. "Da passt etwas nicht zusammen", so von Klinggräff.
Oury Jalloh aus Sierra Leone war am 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Heute ist in Dessau
ein Gedenkmarsch geplant.
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Blumen und Lichter vor dem Polizeirevier
Fall Oury Jalloh: Demonstranten fordern vehement Aufklärung
von Annette Gens, 07.01.08, 19:52h, aktualisiert 07.01.08, 20:26h
Dessau-Roßlau/MZ. Lichter und Blumen im Gedenken an einen toten Menschen am Morgen, Transparente mit teils nachdrücklichen Forderungen nach Aufklärung, Wahrheitsfindung und Entschädigung der Hinterbliebenen am Nachmittag - das kennzeichnete die Ereignisse in Dessaus Innenstadt am Todestag des Afrikaners Oury Jalloh. Der Asylbewerber aus Sierra Leone verbrannte am 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers in der Wolfgangstraße qualvoll. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Das Ende eines Gerichtsverfahrens gegen zwei Polizisten ist noch nicht in Sicht. Am Montag wurde erneut deutlich: Auch drei Jahre nach Jallohs Tod sind die Ereignisse im Keller des Reviers nicht vergessen. Im Gegenteil, die Verbitterung, dass sich die juristische Aufarbeitung des Falls so lange hinzieht, ist groß. Dies brachten auch Vertreter Afrikanischer Initiativen während ihrer Demonstration durch die Dessauer Innenstadt zum Ausdruck.
Der 7. Januar 2008 begann im Revier Wolfgangstraße mit dem Gedenken an Oury Jalloh. An der erstmals von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und den Grünen in Sachsen-Anhalt organisierten Veranstaltung nahm die Spitze der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost sowie das Oberhaupt der Stadt teil. Der Präsident der Polizeidirektion Ost, Karl-Heinz Willberg, wollte mit seiner Teilnahme an der Gedenkfeier vor der Wache ein Zeichen setzen. Es mache ihn betroffen, dass damals ein Mensch ums Leben gekommen ist, "noch dazu einer, der sich in unserer Obhut befand", sagte Willberg. Er wisse, wie sehr die Kollegen des Reviers unter Druck stünden. Doch: "Wir haben zum Dialog keine Alternative."
Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister Klemens Koschig versuchte, die bisherige Sprachlosigkeit der Stadt zu erklären. Möglicherweise sei die Betroffenheit über die Ereignisse im Revier so groß gewesen, dass sie in Sprachlosigkeit seines Amts-Vorgängers mündete. Der Christ Koschig sendete eine andere Botschaft: "Gleich was passiert ist, es ist ein Mensch ums Leben gekommen. Das verdient unsere Anteilnahme." Koschig bat außerdem die afrikanische Initiativen, "ein Stück weit zu der Geduld zu finden, die für die Aufklärung der Ereignisse erforderlich" sei.
Stunden später formierten sich am Dessauer Hauptbahnhof weit mehr als 100 Demonstranten. Ihr Zug hielt vor dem Landgericht, wo eine Schweigeminute für Oury Jalloh eingelegt wurde. Just vor dem Gerichtsgebäude wurde auch der Vorwurf erhoben, bei dem dort laufenden Verfahren gegen zwei Polizisten handele es sich um einen Scheinprozess. Der Zug der Demonstranten führte vorbei am Dessauer Stadtpark zum Gedenkstein für den dort ermordeten Alberto Adriano und später zum Polizeirevier. Immer wieder wurden Mordvorwürfe laut.
Während der Demonstration riefen die Teilnehmer: "Oury Jalloh - das war Mord". Auf Transparenten forderten sie, die Tat dürfe nicht vertuscht werden. Sie beklagten außerdem den aus ihrer Sicht fehlenden Schutz von Afrikanern in Deutschland.
Neues Deutschland
08.01.2008 / Inland / Seite 4
Polizei ehrt verbrannten Oury Jalloh
Dritter Todestag: Flüchtlingsinitiativen verstärken Mordvorwurf
Von Hendrik Lasch, Dessau
Am Todestag von Oury Jalloh, der vor drei Jahren in einer Polizeizelle verbrannte, hat erstmals auch die Dessauer Polizeiführung den Flüchtling geehrt. Afrikanische Initiativen verschärfen derweil ihren Mordvorwurf.
Die Zeremonie war kurz, aber von hoher Symbolkraft: Bei einem Gedenken an den Flüchtling Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers Dessau verbrannte, entzündete auch Karl-Heinz Willberg eine Kerze. Er ist seit Jahresbeginn Präsident der Polizeidirektion Dessau. Damit hat sich drei Jahre nach dem Tod des Flüchtlings aus Sierra Leone erstmals auch die Behörde an einer Ehrung beteiligt, in deren Obhut der 21-Jährige zu Tode kam. Jalloh starb den Hitzetod, nachdem sich aus bislang ungeklärter Ursache die feuerfeste Matratze der Pritsche entzündet hatte, auf der er an Händen und Füßen gefesselt war.
Mit der Teilnahme am Gedenken wolle die Polizei ihre »Betroffenheit« über den »schrecklichen Unglücksfall« zum Ausdruck bringen, sagte Willberg im Anschluss. Der Polizeipräsident äußerte sich aber nicht zum Prozess gegen zwei Beamte, die sich seit März 2007 vor dem Landgericht verantworten müssen. Sie sollen durch Fehler bei der Durchsuchung und Zögerlichkeit nach Auslösung des Feueralarms den Tod mitverschuldet haben. Die
Aufklärung der Vorkommnisse sei »bei Gericht und Staatsanwaltschaft in guten Händen«, sagte Willberg.
In Dessau wird die Geste der Polizeiführung als wichtiges Signal angesehen. Diese habe »begriffen, dass sie an der Aufklärung mitwirken und um Vertrauen werben muss«, sagte Marko Steckel von der Opferberatung des
Multikulturellen Zentrums. Von einem notwendigen »Zeichen des Bedauerns und Gedenkens« sprach Christoph Erdmenger, Landesvorsitzender der Bündnisgrünen.
Hoffnungen des Polizeipräsidenten auf einen Dialog, der ein »entspannteres Verhältnis zwischen Polizei und Ausländern« bewirken könne, stoßen bei Ini-tiativen wie dem Afrikarat oder der »Initiative Oury Jalloh« indes auf Ablehnung. Diese verschärfen vielmehr ihren Mordvorwurf gegen die Behörden. In der Einladung für eine Konferenz, die am Sonntag in Dessau stattfand, heißt es, man sei »überzeugt, dass die Dessauer Polizei Oury Jalloh getötet hat«. Sogar von »organisiertem Mord« ist die Rede. Bei einer Demonstration gestern bekräftigten 150 Menschen diese Position. Sie skandierten »Oury Jalloh – das war Mord«; zudem wurden Parallelen zum NS-Regime gezogen. Auf Transparenten hieß es: »... über Dachau nach Dessau«. Gestützt werde die Mordthese durch den Verlauf des Prozesses, sagte Mouctar Bah, Sprecher der »Initiative Oury Jalloh«, gegenüber dem ND. »Vertuschen und Lügen« seien bei Gericht zu beobachten. Andere Darstellungen des Geschehens nennt er »reine Konstruktion«.
Der scharfe Kurs sorgt für zunehmende Differenzen. Opferberater Steckel, der einst gemeinsam mit Bah maßgeblich auf Aufklärung gedrängt hatte, erklärte, ihm sei »faktisch die Zusammenarbeit aufgekündigt« worden, nachdem er unter anderem in einem ND-Beitrag auf Distanz zu der Mordthese gegangen war. Er sprach von einer bedauerlichen »Radikalisierung«.
Bah jedoch verwahrt sich dagegen, der afrikanischen Gemeinde eine Bewertung des Falles vorschreiben zu wollen. Auch die Ehrung Jallohs durch den neuen Polizeipräsidenten sieht er skeptisch. »Das sind alles Politiker«, sagt er: »Die wollen uns auf ihre Seite ziehen.«
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/122013.html
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08.01.2008 / Inland / Seite 1
Zum Inhalt dieser Ausgabe |
http://www.jungewelt.de/2008/01-08/061.php
Aufklärung im Fall Oury Jalloh gefordert
Drei Jahre nach Tod in Dessauer Gefängniszelle: Gedenken an Flüchtling aus Sierra Leone
Von Frank Brunner
Bei strömendem Regen erinnerten am Montag Dessauer Bürgerinnen und Bürger an den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh vor drei Jahren. Die Einwohner der sachsen-anhaltinischen Stadt legten Blumen nieder und entzündeten Kerzen. An der Veranstaltung, die von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und den Grünen organisiert wurde, nahmen Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) und auch Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg, teil. »Es ist positiv, daß nun auch von offizieller Seite Bedauern über den schrecklichen Tod Jallohs geäußert wurde«, sagte Marco Steckel von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalttaten gegenüber jW. Nach dem Gedenken demonstrierten rund 200 in Deutschland lebende Afrikaner gegen rechte Gesinnung bei der Polizei.
Der aus dem westafrikanischen Sierra Leone stammende Jalloh war am 7. Januar 2005 in einer Zelle der Dessauer Polizeiwache gestorben. Nach Darstellung der Polizei sei es dem an Händen und Füßen gefesselten Jalloh gelungen, ein Feuerzeug aus der Tasche zu ziehen und damit eine schwer entflammbare Matratze zu entzünden. Wegen des Falls müssen sich zwei Polizisten vor dem Landgericht Dessau verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen. Johanna Bartl von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau macht sich allerdings kaum Hoffnungen, daß alle Hintergründe noch ans Licht kommen werden. Die Aufklärung wird vor allem durch sehr widersprüchliche Aussagen der damals anwesenden Polizisten erschwert. »Da ist ein Mensch verbrannt, und Zeugen versuchen, einem Kollegen durch bewußte Falschaussagen einen Freispruch zu verschaffen«, kritisierte Steckel. Afrikanische Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen fordern, die beiden Polizisten wegen Mordes anzuklagen. Der inzwischen 35. Verhandlungstermin findet am 11. Januar statt.
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Drei Jahre nach dem Feuertod von Oury Jalloh
Trauer, Wut und die Forderung nach mehr Schutz
In dem Fall ist bis jetzt eigentlich nur eines klar: Oury Jalloh starb einen schrecklichen Tod, als er vor drei Jahren bei lebendigem Leib in einer Zelle der Polizeiwache Dessau verbrannte. Inzwischen befasst sich das Gericht mit dem Fall, im März soll es ein Urteil geben.
Mehr Schutz für afrikanische Flüchtlinge
In Dessau versammelten sich auch in diesem Jahr rund 150 Vertreter afrikanischer Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen, am Nachmittag zogen sie vor die Polizeiwache, in der Jalloh starb. Sie forderten vor allem einen besseren Schutz von afrikanischen Flüchtlingen, eine lückenlose Aufklärung des Falles und eine Anklage wegen Mordes gegen zwei Polizisten.
Erstmals nahmen an der Gedenkveranstaltung auch Polizisten teil. Man wolle damit ein Zeichen setzen, sagte der Dessauer Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg. Für Johanna Bartl von der Deutsch-Afrikanischen Initiative Dessau ist die gemeinsame Veranstaltung mit der Polizei ein "erster Schritt". Doch "ich habe wenig Hoffnung, dass alle Hintergründe um den Tod von Oury Jalloh noch ans Tageslicht kommen", erklärte sie.
Tragischer Unfall oder Mord?
Der Tod Jallohs ist bis heute nicht aufgeklärt. Die offizielle Version: Der an Händen und Füßen gefesselte Asylbewerber aus Sierra Leone soll das Feuer gelegt haben - eine Rekonstruktion der Fesselung habe ergeben, dass Jalloh genügend Bewegungsfreiheit gehabt hatte, um das Feuer zu entzünden. Nach Darstellung der Polizei handelt es sich also um einen tragischen, selbstverschuldeten Unfall. Angehörige und Freunde sprechen dagegen von Mord. Flüchtlings- und Opferorganisationen räumen allerdings ein, dass es dafür bislang keine Anhaltspunkte gibt.
Unterlassene Hilfeleistung
Die Staatsanwaltschaft legt den zuständigen Beamten unterlassene Hilfeleistung zur Last. Denn Jalloh könnte nach Einschätzung der Ankläger heute noch leben, wäre ihm sofort nach dem Ertönen des Rauchmelders geholfen worden. Denn - das ist sicher - der Mann starb erst sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers. Auf Basis dieser Ermittlungsergebnisse wirft die Staatsanwaltschaft zwei Polizeibeamten Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vor.
http://www.tagesschau.de/inland/dessau4.html
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Dessauer erinnern an Asylbewerber Oury Jalloh
Dessau (ddp-lsa). Drei Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jallow haben am Montag vor dem Dessauer Polizeirevier etwa 30 Demonstranten an das Schicksal des Afrikaners erinnert. Sie entzündeten Kerzen und legten Blumen nieder. Am Nachmittag wollten Vertreter afrikanischer Initiativen durch die Innenstadt ziehen und vor der Wache demonstrieren, in der der Mann aus Sierrra Leona 2005 auf ungeklärte Weise ums Leben kam.
Jalloh war am 7. Januar 2005 nach Ausbruch eines Feuers in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers gestorben. Der zuvor wegen Belästigung festgenommene Asylbewerber soll die Matratze seiner Zelle angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Eine Rekonstruktion der Fesselung ergab, dass der Afrikaner für das Entzünden des Feuers genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Zwei Polizisten müssen sich wegen dieses Falls seit Ende März 2007 vor dem Landgericht Dessau verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige
http://news.abacho.at/politik/artikel_anzeigen/index.html?news_id=47435
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Demonstration erinnerte an Tod von Afrikaner in Dessau
Flüchtlingsorganisationen forderten rückhaltlose Aufklärung
Dessau-Roßlauf (epd).
Mit stillem Gedenken und einer Demonstration ist am 7. Januar in Dessau-Roßlau an den gewaltsamen Tod eines Afrikaners vor drei Jahren in einer Polizeizelle der Stadt erinnert worden. Der Zug mit nach Polizeiangaben gut 100 Teilnehmern führte unter anderem zu dem Polizeirevier, in dem der Flüchtling Oury Jalloh am 7. Januar 2005 bei einem Brand ums Leben gekommen war. Bei Kundgebungen forderten Redner eine rückhaltlose Aufklärung der Vorkommnisse sowie die Änderung der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen zwei Polizisten in Mord. Außerdem wandte sich die Demonstration gegen rassistische Tendenzen innerhalb der deutschen Polizei. Aufgerufen zu der Aktion hatten die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ sowie mehrere Flüchtlingsgruppen.
Am Vormittag fand vor dem Polizeirevier ein stilles Gedenken an Oury Jalloh statt. Dazu aufgerufen hatte die Dessauer „Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt“. Dabei entzündeten Teilnehmer zahlreiche „Gedenklichter“ und legten Blumen ab. Unter den Teilnehmern war auch Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg. Mit seiner Teilnahme wolle er die Betroffenheit der Polizei ausdrücken und dokumentieren, dass auch die Lehren gezogen werden sollen, „dass sich solch ein schrecklicher Vorfall“ nicht wiederholt, sagte er dem epd. Die Polizei müsse sich dem Dialog „auch mit kritischen Stimmen“ stellen, „die sich auf demokratischem Boden befinden“, betonte er.
Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau müssen sich seit März 2007 zwei Polizeibeamte wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässiger Tötung verantworten. Laut Staatsanwaltschaft wäre es möglich gewesen, Jalloh zu retten, wenn die Polizisten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. Bislang fanden 34 Prozesstage statt. Ein Urteil wird nicht vor März erwartet. Über die Ereignisse am 7. Januar 2005 und Details wie etwa den Fundort eines Feuerzeugs gibt es widersprüchliche Zeugenaussagen. Der Asylbewerber Jalloh war an dem Tag festgenommen worden, nachdem er Frauen belästigt und Widerstand gegen Polizisten geleistet haben soll. Wenig später kam er im Polizeirevier bei einem Feuer ums Leben, das er trotz Fixierung an einer Liege selbst entzündet haben soll. (0079/07.01.2008)
http://209.85.135.104/search?q=cache:FhQSc4V8qOoJ:www.epd.de/ost/ost_in…
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Blumen und Lichter vor dem Polizeirevier Fall Oury Jalloh: Demonstranten fordern vehement Aufklärung
von Annette Gens
Dessau-Roßlau/MZ. Lichter und Blumen im Gedenken an einen toten Menschen am Morgen, Transparente mit teils nachdrücklichen Forderungen nach Aufklärung, Wahrheitsfindung und Entschädigung der Hinterbliebenen am Nachmittag - das kennzeichnete die Ereignisse in Dessaus Innenstadt am Todestag des Afrikaners Oury Jalloh.
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07.01.2008, 15:21 Uhr – Politik
Kerzen vor der Polizeiwache
Dessauer erinnern an Asylbewerber Oury Jalloh - Afrikaner fordern mehr Schutz in Deutschland
Dessau (ddp-lsa). Drei Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle haben am Montag Dutzende Bürger sowie Vertreter afrikanischer Menschenrechtsinitiativen an das Schicksal des Mannes erinnert. Vor dem Dessauer Polizeirevier, in dem der Mann aus Sierra Leona am 7. Januar 2005 ums Leben kam, versammelten sich etwa 30 Demonstranten. Sie legten Blumen nieder, entzündeten Kerzen und bildeten mit Lichtern den Schriftzug »Oury«.
An der von der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt und den Grünen in Sachsen-Anhalt organisierten Veranstaltung nahm erstmals auch die Polizeispitze der neuen Direktion Ost teil. Am Nachmittag zogen rund 150 Afrikaner durch die Innenstadt.
Jalloh war vor drei Jahren nach Ausbruch eines Feuers in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers gestorben. Der zuvor wegen Belästigung festgenommene Asylbewerber soll die Matratze seiner Zelle angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Eine Rekonstruktion der Fesselung ergab, dass der Afrikaner für das Entzünden des Feuers genügend Bewegungsfreiheit hatte.
Wegen dieses Falls müssen sich seit neun Monaten zwei Polizisten vor Gericht verantworten. Dem ehemaligen Dienstgruppenleiter und einem weiteren Polizisten werden Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen. Sie sollen zu spät auf Signale des Rauchmelders aus dem Verwahrraum reagiert beziehungsweise bei der Durchsuchung des Afrikaners ein Feuerzeug übersehen haben. Ein Ende des Verfahrens ist vorerst nicht in Sicht.
Während der Demonstration riefen die Teilnehmer: »Oury Jalloh - das war Mord.« Auf Transparenten forderten sie, die Tat dürfe nicht vertuscht werden. Die Demonstranten beklagten auch den aus ihrer Sicht fehlenden Schutz von Afrikanern in Deutschland und forderten eine lückenlose Aufklärung des Todes des Asylbewerbers. Vor dem Landgericht Dessau verlangten die Teilnehmer ein schnelles Urteil. Dort verharrten sie auch in einer Schweigeminute.
Der Präsident der neuen Polizeidirektion Ost, Karl-Heinz Willberg, wollte mit seiner Teilnahme an der Gedenkfeier vor der Wache ein Zeichen setzen und »sich der Diskussion stellen«, wie er sagte. Es mache ihn traurig und betroffen, dass damals ein Mensch ums Leben gekommen ist, der »sich in unserer Obhut befand«.
Grünen-Landeschef Christoph Erdmenger sagte mit Blick auf die Kritik seiner Partei an der Arbeit der Polizei, inzwischen habe sich ein konstruktiver Dialog mit der Polizei einwickelt. Dessaus Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) äußerte Verständnis für den Unmut der Betroffenen über die lange Dauer des Prozesses.
Der Leiter des Dessauer Bündnisses gegen Rechtsextremismus, Günter Donath, rief die Einwohner der Stadt auf, jedem Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Er sei entsetzt, dass sich die juristische Aufarbeitung des Falles so lange hinziehe.
(ddp)
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Der Fall Oury Jalloh - Feuertod drei Jahre später noch ungeklärt (pdf, 92,8 KB)
http://www.lvz-online.de/download/content
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http://www.ad-hoc-news.de/Politik-News/de/14891352/(Zweite+Zusammenfass…
http://www.ad-hoc-news.de/Marktberichte/de/14888159/Kerzen+vor+der+Poli…
http://www.netzeitung.de/deutschland/872610.html
http://www.net-tribune.de/article/070108-102.php
http://www.linie1-magazin.de/linie1/index.php?rubrik=news&ressort=&id=6…
http://www.pr-inside.com/de/kerzen-vor-der-polizeiwache-r373713.htm
http://www.ad-hoc-news.de/Marktberichte/de/14887082/Dessauer+erinnern+a…
http://www.pr-inside.com/de/dessauer-erinnern-an-asylbewerber-oury-r373…
http://www.pr-inside.com/de/gedenken-an-todestag-von-oury-jalloh-r37363…
http://www.n24.de/politik/article.php?articleId=180830&teaserId=186878
http://www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?…
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Radio Guinee : Nouvelles Radio-KanKan
OURY JALLOH: Conférence de commémoration et démonstration à Dessauhttp://www.radio-kankan.com/Nouvelles-Radio-KanKan.838+M544696034e1.0.h…
http://www.radio-kankan.com/
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http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11404
Inland
Polizeizeugen provozieren richterliche Standpauke in Dessau
Eklatante Widersprüche
Von Rolf Gössner
Seit März läuft der Prozess vor dem Landgericht Dessau gegen zwei Polizeibeamte, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, für den grausamen Verbrennungstod des schwarzen Asylbewerbers und Bürgerkriegsflüchtlings aus Sierra Leone, Oury Jalloh, im Polizeigewahrsam verantwortlich zu sein. Einen ersten Prozessbericht von Rolf Gössner finden Sie in NRhZ 89. Hier ein Zwischenbericht. – Die Redaktion.
Jalloh war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer schwer entflammbaren Matratze in der Arrestzelle und ließen ihn allein zurück. In der rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte er am 7. Januar 2005 bei lebendigem Leib. Trotz Rufen und Geräuschen, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen des Brandmelders habe der Hauptangeklagte Andreas S. nicht rechtzeitig reagiert, so die Anklage.
Richter „frustriert und erschüttert“
Am 10. Prozesstag platzt dem Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff der Kragen. Es ist mucksmäuschen still im Gerichtssaal, als er die Aussagen einiger Polizeizeugen wegen eklatanter Widersprüche und auffälliger Erinnerungslücken zerpflückt. Zumindest einer von ihnen, so Steinhoff, müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen. Ungehalten wirft er diesem vor, zu wissen, welcher der Zeugen falsch aussage. „Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt. Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben hier in keiner Bananenrepublik – es geht für Sie um Kopf und Kragen“, poltert der Richter, der sich angesichts des bisherigen Zeugenverhaltens selbst als „sehr frustriert und erschüttert" bezeichnet. Ein demokratischer Rechtsstaat könne nicht damit leben, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagten. „Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln“, droht Steinhoff, „ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um.“
Die richterliche Standpauke zeigt Wirkung. Als erster wird diesmal der Polizeibeamte Gerhardt M. zum zweiten Mal vernommen. Auf die Frage des Richters, ob er heute alles erzählen wolle, „egal, was passiert", antwortet der Zeuge, der sich seit dem Vorfall in psychiatrischer Behandlung befindet, mit „ja". Und tatsächlich ringt er sich durch, seine frühere Aussage wesentlich zu erweitern und zu präzisieren. Bei seiner ersten Vernehmung, so entschuldigt er sich, habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden. Die erneute Vernehmung dreht sich um die letzte Phase des Verbrennungstods von Oury Jalloh. Aufhorchen lässt seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten – trotz des schwarzen Qualms – zwei Schritte in die Zelle gemacht und den auf der brennenden Matratze festgeschnallten Körper von Oury Jalloh gesehen habe. Er habe, nachdem er keinen Feuerlöscher gefunden hatte, mit Wolldecken versucht, die Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. Und er sagt mit großem Bedauern: „Das einzige, was geholfen hätte, die einzige Rettung wäre gewesen, Jalloh sofort loszumachen.“ Er meint damit, den auf der Matratze Festgeschnallten von seinen Hand- und Fuß-Fesseln zu befreien – aber er habe keine Schlüssel dabei gehabt und ihm deshalb nicht mehr helfen können.
Quelle: Umbruch
Zeuge fühlt sich „besser, teilweise erleichtert“
Die Schlüssel hatte nach eigenen Angaben der Hauptangeklagte Andreas S. dabei, der aber immer bestritten hat, dass man nach Öffnen der Zellentür angesichts der Qualmentwicklung in den Gewahrsamsraum hätte reingehen, geschweige denn, darin Lösch- und Rettungsversuche unternehmen können. Auf Nachfrage des Oberstaatsanwalts sagt der Zeuge, er fühle sich nach dieser Aussage „besser, teilweise erleichtert“. Er wird vereidigt, so dass seine Aussage für das Verfahren besonderes Gewicht erhält.
Dieser Polizeibeamte ist nicht der einzige, der nach dem Vorfall psychische Probleme bekam, sich in psychologische Behandlung begeben musste und seine Aussage geändert hat. Auch die Hauptbelastungszeugin der Anklage, die Polizeibeamtin Beate H., stand offenbar unter gewaltigem Druck: Sie, die einstige „rechte Hand“ des Hauptangeklagten, war die Einzige, die unmittelbar nach dem Todesfall ihren Vorgesetzten schwer belastete. Andreas S. habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und sich erst auf ihre Intervention bequemt, die Zelle aufzusuchen.
Polizeibeamtin unter Druck gesetzt?
Während ihrer gerichtlichen Vernehmung ist sie von dieser belastenden Aussage deutlich abgerückt: Jetzt soll plötzlich alles zügig verlaufen sein. Was ist passiert? Wurde Beate H. unter Druck gesetzt oder fühlte sich zumindest so? Schließlich war sie nach ihrer ersten Aussage von der Revierleitung aus angeblicher Fürsorgepflicht gegen ihren Willen versetzt worden – eine Zwangsversetzung, die sie nach eigener Aussage als Bestrafung empfand. Es könnte also sein, dass diese Zeugin dem internen Druck nicht standhielt und dass sie deshalb vor Gericht ihre erste Aussage, unter mehrfachen Tränenausbrüchen, revidiert hat. Nun ist ein Strafermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden: wegen Falschaussage.
Inzwischen sind interne „Hausmitteilungen“ des Polizeireviers Dessau aufgetaucht, in denen die Revierleitung unmittelbar nach dem Vorfall den Geschehensablauf vorschnell und einseitig darstellte – basierend allein auf der Version des Hauptbeschuldigten, ohne die Darstellung der Hauptbelastungszeugin auch nur zu erwähnen. Es liegt der Verdacht nahe, dass damit von Anfang an eine Version festgeschrieben wurde, die von allen Beteiligten und Zeugen als verbindlich angesehen werden sollte.
Protest gegen verschärfte Kontrollen von "Nicht-Deutsch-Aussehenden"
Quelle: Die Karawane
Anwälte: „Massive Manipulation“
Die Anwälte der Nebenklage, die unter anderem die Mutter des Opfers vertreten, sprechen vom Versuch einer „massiven Manipulation“ von Zeugen: Während des laufenden Prozesses hat im Polizeirevier ein Zeugeninformationstreffen stattgefunden, in dem es um Verhaltensregeln und etwaige Falschaussagen von Seiten einzelner Polizeibeamter ging. Anwesend waren Polizisten, die bereits vor Gericht ausgesagt hatten, und solche, denen die Vernehmung noch bevor stand. Es ist mehr als anrüchig, Polizeibeamte, die ja insoweit generell geschult sind, ausgerechnet anlässlich eines solchen Prozesses und während der laufenden Vernehmungen speziell hierauf vorzubereiten – weshalb wohl auch etliche der Zeugen gerade bei diesem Thema vor Gericht regelrecht mauern.
Richter Steinhoff hörte man schon laut und vernehmlich stöhnen: „Dieses Verfahren strotzt nur so vor Schlamperei und Versäumnissen“. Nachdem es zu Beginn des Prozesses so aussah, als ob dieser in kurzer Zeit und relativ oberflächlich über die Gerichtsbühne laufen würde, sehen wir uns mittlerweile eines Besseren belehrt: Gericht und Staatsanwaltschaft geben sich offensichtliche Mühe, diesen Verbrennungstod im Polizeigewahrsam aufzuklären – wobei die AnwältInnen der Nebenklage mit ihren Interventionen und beharrlichen Nachfragen eine zentrale Rolle spielen: Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix Isensee, die Mutter, Vater und Bruder des Opfers vertreten, verbuchten bereits einen wichtigen Erfolg: Nun wird auch ein Todesfall in dem Verfahren verhandelt, der sich 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte.
Immer wieder Tote in Polizeigewahrsam
Nach bisher 24 Verhandlungstagen sollen noch eine ganze Reihe Zeugen befragt werden; weitere Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15. November terminiert, aber ein Ende des Strafverfahrens ist offenbar noch lange nicht in Sicht. Der Prozess hat deshalb besondere Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, dass Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge und Ausländer in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder sogar ums Leben kommen; zu oft werden solche Fälle nicht aufgeklärt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.
Unser Autor, Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, wird den Prozess auch weiterhin in doppelter Funktion beobachten: als Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ sowie im Auftrag der Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“. Sein Bericht erschien in etwas kürzerer Fassung auch in WDR 3 – Tageszeichen (PK)
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PDF-Version http://209.85.135.104/search?q=cache:6ERm7hLhj24J:www.nrhz.de/flyer/bei…
http://www.nrhz.de
Arbeit und Soziales
Verbrennungstod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam vor Gericht
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Von Rolf Gössner
Im und um das Landgericht Dessau gilt Sicherheitsstufe 1 – verschärfte Kontrollen, Mannschaftswagen, Polizisten in Kampfanzügen und mit Hunden prägen das Bild. So gesichert wird ein Prozess gegen zwei Polizeibeamte, denen Staatsanwaltschaft und Nebenklage vorwerfen, für den grausamen Verbrennungstod des schwarzen Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich zu sein.
Massenaufgebot von Polizisten kontrolliert Gerichtsbesucher
Foto:www.umbruch-bildarchiv.de
So viel internationale Aufmerksamkeit hat in Dessau bislang kein anderer Prozess auf sich gezogen – zumindest am Tag des Prozessauftakts, am 27. März 2007, erlebte Dessau eine starke Medienpräsenz und das Landgericht einen großen Zuschauerandrang. Beobachtet wird die Gerichtsverhandlung von Amnesty International sowie von einer internationalen Prozessbeobachtungsgruppe mit Teilnehmern aus Südafrika, Großbritannien und Frankreich; aus der Bundesrepublik sind drei Bürgerrechtsgruppen vertreten: die Internationale Liga für Menschenrechte, Pro Asyl und das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Diese Prozessbeobachtung soll der Justiz besondere Aufmerksamkeit signalisieren und dazu beitragen, dass die gerichtlichen Vorgänge in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert werden – nachdem das Strafverfahren sich bereits über zwei Jahre lang hingezogen hat.
Die Anklage gegen die zwei Polizeibeamten lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen und auf fahrlässige Tötung. Der Bürgerkriegsflüchtling Oury Jalloh aus Sierra Leone war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand festgenommen worden und zum Zweck der Identitätsfeststellung in Polizeigewahrsam geraten. Weil sich Jalloh gegen diese Behandlung verzweifelt wehrte, fixierten ihn Polizisten in einer Gewahrsamszelle mit Fesseln an Händen und Füßen, so dass er sich kaum bewegen konnte, ließen ihn festgeschnallt auf einer Matratze liegend allein in der Arrestzelle zurück.
Nur alle dreißig beziehungsweise vierzig Minuten schauten Polizeibeamte nach dem Gefesselten. Offenbar zu selten und recht nachlässig: Denn am 7. Januar 2005 verbrannte Jalloh auf der schwer entflammbaren Matratze in der Sicherheitszelle bei lebendigem Leib. Trotz ungewöhnlicher Geräusche und Schreie, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen der Rauch- und Feuermelder reagierten die verantwortlichen Beamten nicht rechtzeitig. Erst als die Zelle voll beißenden Qualms und die Leiche des qualvoll Verbrannten fast schon verkohlt war, bequemte sich einer der Angeklagten, wie es in der Anklageschrift heißt, nach dem „Rechten“ zu sehen und schließlich die Feuerwehr zu alarmieren.
In den ersten Verhandlungstagen ist viel über diesen Prozess geschrieben und gesendet worden – über die Brisanz des Falles und auch über die offenen Fragen, die in diesem Strafverfahren vom Gericht zu klären sind: War es Selbsttötung, die durch pflichtgemäßes Handeln und rechtzeitiges Reagieren der Angeklagten hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder etwa Tötung aus rassistischer Motivation, wie manche glauben?
Schon nach den ersten vier Verhandlungstagen, in denen einige Zeuginnen und Zeugen vernommen wurden, lassen sich wichtige Erkenntnisse ziehen, die allerdings noch vorläufig bleiben müssen, da der Prozess bis Juni dauern wird. Zum einen, das sei vorweg gesagt, ist es bereits als Erfolg zu werten, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet und das Verfahren nicht sang- und klanglos eingestellt worden ist, wie es so häufig bei Todesfällen auf Polizeirevieren und durch Polizeigewalt passiert. Der öffentliche Druck dürfte hier eine wichtige Rolle gespielt haben.
Protest gegen verschärfte Kontrollen für Farbige
Foto: www.thecaravan.org
Außerdem konnten die Anwälte der Nebenklage, die unter anderem die Mutter des Getöteten vertreten, einen wichtigen Erfolg verbuchen: Gegen den ursprünglichen Willen des Vorsitzenden Richters und der Verteidigung der Angeklagten wird künftig auch jener Todesfall in den Prozess einbezogen, der sich bereits 2002 in derselben Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte. Damals starb ein 36jähriger Obdachloser im Gewahrsam - und Dienst tat einer der jetzt anklagten Polizeibeamten, dem schon damals Nachlässigkeit vorgeworfen wurde. Zwar wurde das Strafermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt, aber offen blieb die Frage nach einem möglichen pflichtwidrigen Verhalten, das auch in dem aktuellen Verfahren von Bedeutung sein kann. Es drängen sich jedenfalls erstaunliche Parallelen auf.
Aus heutiger Sicht ist keineswegs von der Hand zu weisen, dass bereits die Umstände der Kontrolle, der Festnahme und Identifizierung von Oury Jalloh mit Rassismus zu tun haben – zumal Jalloh einen gültigen Ausweis bei sich trug und erst wenige Monate zuvor schon einmal auf demselben Revier eine Identitätsüberprüfung hatte über sich ergehen lassen müssen, was zumindest einer der Angeklagten wusste. Jalloh hätte also rasch identifiziert werden können, stattdessen ist er stundenlang in eine Zelle gesperrt worden.
Solche wiederholten, auch schikanösen Prozeduren erleben Flüchtlinge und besonders Schwarze hierzulande tagtäglich. Man hat es im Gerichtssaal, wo viele Schwarzafrikaner dem Prozess folgen, förmlich gespürt, dass in diesem Verfahren auch ihre demütigenden Alltagserfahrungen Thema sind – besonders spürbar, wenn Polizeibeamte als Zeugen vernommen werden, Zeugen, die sich häufig an nichts mehr erinnern wollten und in eklatante Widersprüche zu ihren früheren Vernehmungen verwickelten.
Dass Oury Jalloh in eine Polizeizelle gesperrt worden ist, um eine umständliche und überflüssige Identitätsfeststellung durchzuführen, und dass er zu seiner - wie es hieß – „Eigensicherung“ (Selbstschutz) an allen vier Gliedmaßen über Stunden hinweg gefesselt und fixiert wurde, nur weil er sich gewehrt hatte – diese Maßnahmen sind menschenunwürdig und dürften gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, zumal wenn man bedenkt, dass Jalloh mit fast drei Promille Blutalkohol eigentlich in ärztliche Behandlung gehört hätte. Nach dem gewaltsamen Tod von Oury Jalloh ist die Gewahrsamsordnung tatsächlich dahingehend geändert worden: Wer mehr als zwei Promille hat, darf grundsätzlich nicht mehr in die Polizeizelle gesperrt werden, sondern muss als medizinischer Fall in ärztliche Obhut.
Allein die an Oury Jalloh vollzogenen polizeilichen Zwangsmaßnahmen begründeten eine gesteigerte Garantenpflicht der beteiligten und verantwortlichen Polizeibeamten gegenüber ihrem Opfer. Dieser Pflicht sind sie in keiner Weise gerecht geworden – im Gegenteil. Die verzögerte Reaktion auf sämtliche Alarmzeichen aus der Gewahrsamszelle, wie sie einem der Angeklagten zum Vorwurf gemacht werden, könnten womöglich ebenfalls rassistisch motiviert sein – wenn man etwa die zynischen Redensarten über den Inhaftierten in zwei Telefongesprächen entsprechend deutet. Es handelt sich um protokollierte Gespräche, die der Angeklagte mit jenem Arzt führte, der Jahllos „Gewahrsamstauglichkeit“ festgestellt hatte.
Dieser Angeklagte trug im Übrigen für den gesamten Gewahrsamsbereich, für die lebensgefährliche Fixierung und die Kontrollgänge die Verantwortung. Die bisherigen Zeugenvernehmungen ergeben ein teilweise erschreckendes Bild von den Zuständen im Verantwortungsbereich dieses Angeklagten. Hier lernt man nach und nach eine Sicherheitsbehörde kennen, in der „Sicherheit“ offenbar über Menschenwürde und Bürgerrecht gestellt wird, in der Kontrollgänge nachlässig absolviert werden („dem ging’s gut“, so ein Polizeizeuge über den fixierten Jalloh), in der es kaum Schulungen oder Unterweisungen gibt, geschweige denn ausreichende Brandschutzmaßnahmen, in der ungewöhnliche Geräusche und Alarmzeichen von Feuer- und Rauchmeldern nicht zum sofortigen Handeln führen, sondern erst mal ignoriert werden – „ich hatte nebenbei noch etwas anderes zu tun“, so versuchte sich der Angeklagte vor Gericht immer wieder zu entschuldigen. Am Ende verwandelte sich der Sicherheitsgewahrsam in eine ausweglose Todesfalle.
Man könnte insoweit auch von einem Organisationsversagen sprechen, ja von organisierter Verantwortungslosigkeit. Einer der Polizisten im Zeugenstand meinte gar, mangels Einhaltung minimalster Brandschutzbestimmungen hätte das Polizeirevier längst gesperrt werden müssen. Dann wäre Oury Jalloh wohl heute noch am Leben.
Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, ist für die Liga und im Auftrag der Flüchtlingsorgansiation „Pro Asyl“ Mitglied der Internationalen Delegation zur Prozessbeobachtung vor dem Landgericht Dessau.
Weitere Informationen unter http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/oury_jalloh.html
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Datum: Thu, 10 Jan 2008 14:40:11 +0100 (CET)
Betreff: [Verteiler] Wanderausstellung beginnt zu wandern...
Wanderausstellung beginnt zu wandern...
Die von OB Jung geschlossene Ausstellung zur Polizeigewalt geht am Freitag in Wuppertal wandern!
Die abgehängte Ausstellung werden wir am Freitag ab 16:00 Uhr in einer Wanderung zu Fuß und in der
Schwebebahn in die neuen Ausstellungsräume zum Sozialhilfe-Verein Tacheles in die Luisenstrasse
bringen. Wir hoffen, dass die Wandergruppe nicht von jugendlichen Schlägern in Uniform in der Schwebebahn
belästigt werden. Treffpunkt ist am Freitag, den 11.1.2007 um 17:00 vor dem Haus der Jugend in Barmen.
Um 18:00 Uhr wird im Tacheles die Ausstellung feierlich wiedereröffnet.
Neue Veranstaltungsräume gefunden!
Auch für die Veranstaltungsreihe ist ein neuer Raum gefunden worden. Das Wuppertaler Rathaus.
Die Fraktion der Linkspartei lädt zu zwei "Informationsveranstaltungen zur Schließung der
Ausstellung im Haus der Jugend" ins Wuppertaler Rathaus ein.
Do., 17.01.2008, Beginn 19:00:
„Polizeigewalt gegen Flüchtlinge und Migrant_innen - Struktur oder Einzelfall?“
Info- und Diskussionsveranstaltung mit
Dirk Vogelskamp (Komitee für Grundrechte und Demokratie) und Klemens Ross (Republikanischer Anwaltsverein)
Di. 22.01.2008, Beginn 19:00
Film- und Diskussionsveranstaltung:
Polizeigewalt im Bergischen Land - Chaostage 07 und andere Übergriffe gegen Jugendliche, Punks und Migranten Die ReferentInnen werden insbesondere zu den Inhalten der Ausstellung und zur Ausstellungschließung in Wuppertal Stellung nehmen.
Wir freuen uns auf eine öffentliche Debatte.
Weitere Informationen:
http://gegenpolizeigewalt.blogsport.de/
Pressemitteilung - Anti-Diskriminierungsbüro (ADB)Berlin
10. Januar 2008 Vorgestern (8. Januar 2007) wurde die Ausstellung “Vom Polizeigriff zum Übergriff” vom Netzwerk”Bürger beobachten die Polizei” in Wuppertal eröffnet. Bereits einen Tag später ließ der Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) in Absprache mit dem Sozialdezernenten Stefan Kuhn (SPD) die
Ausstellung im Barmer Haus der Jugend abhängen.
Die Ausstellung dokumentiert Übergriffe durch Polizisten gegen Migrant_innen und Demonstrant_innen.
Außerdem wird Polizeigewalt als strukturelles Problem sowie als Repressionsinstrument gegen
Migrant_innen und soziale Bewegungen diskutiert. Dabei wird ein Schwerpunkt auf rassistisch motivierte
Polizeigewalt und ihre institutionellen Rahmenbedingungen gelegt.
Der Wuppertaler Oberbürgermeister Herr Jung erklärt, die Ausstellung würde die Arbeit und das Ansehen von
Polizeibeamten verunglimpfen und diffamieren. Marcus Blöhm vom Anti-Diskriminierungsbüro (ADB) Berlin
erklärt hierzu: “Nicht die Thematisierung der Polizeigewalt schadet dem Ansehen der Polizeibeamten,
sonder die Übergriffe durch Polizisten sowie die Verhinderung einer Verfolgung der polizeilichen
Gewalttäter durch Kollegen und Justiz.” Der Wunsch des Oberbürgermeisters, dass Polizeigewalt nicht in
öffentlichen Räumen thematisiert wird, lässt auf ein merkwürdiges Politikverständnis seinerseits
schließen. Wir fordern die Stadt Wuppertal auf, diese Zensurmaßnahme unverzüglich zurückzunehmen.
Wir freuen uns, dass sich das Netzwerk “Bürger beobachten die Polizei” durch das Verhalten des
Oberbürgermeisters nicht einschüchtern lässt, sondern die Ausstellung und die Veranstaltungsreihe
weiterhin durchführen will und dafür neue Räume sucht.
Wir wünschen ihnen viel Erfolg bei der Suche.
_______________
Ausstellung “Vom Polizeigriff zum Übergriff”
c/o Anti-Diskriminierungsbüro (ADB) Berlin e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon und Fax: 030 / 204 25 11
E-Mail: adb_ausstellung@gmx.de / adb_berlin@gmx.de
Webseite: www.polizeigriff.org / www.adb-berlin.org
Reaktionen auf Ausstellungsverbot
In Wuppertal haben verschiedene Organisationen gegen das Verbot einer Ausstellung zum Thema Polizeigewalt
protestiert. Oberbürgermeister Jung hatte gestern (9.1.08) Bildtafeln im Haus der Jugend Barmen abhängen
lassen, weil sie die Arbeit der Polizei verunglimpften. Die Grünen sprechen von einer
überzogenen Reaktion, die einer Zensur gleichkomme. Gerade weil immer wieder Fehlverhalten und Übergriffe
durch einzelne Beamte bekannt würden, sei eine Diskussion darüber angebracht. Der Sozialhilfeverein
„Tacheles“ bezeichnete das Ausstellungsverbot als Gefährdung der Meinungsfreiheit. Das "Netzwerk Bürger
beobachten die Polizei“ will für die Ausstellung und mehrere Diskussionsabende nun neue Räume suchen. (WDR)
BürgerInnen beobachten die Polizei 09.01.2008 -
Presseerklärung
Wir, das Netzwerk“ BürgerInnen beobachten die Polizei“, haben heute mit großem Unverständnis und
Entrüstung erfahren, dass die Ausstellung „Vom Polizeigriff zum Übergriff“, die gestern im Haus der
Jugend Barmen eröffnet wurde, auf Anweisung des Oberbürgermeisters abgenommen wurde. Die Ausstellung
des Antidiskriminierungsbüros in Berlin dokumentiert in sehr präziser Form verschiedene Polizeiübergriffe,
insbesondere gegen MigrantInnen, und beschäftigt sich mit der Frage, ob es sich dabei um Einzelfälle oder um
ein strukturelles Problem handelt: mangelnde unabhängige Kontrolle der Institution Polizei, Corpsgeist, Racial Profiling, häufige Straffreiheit für Beamte u.s.w. Herr Jung behauptet, die Ausstellung würde „ die Arbeit und das Ansehen von Polizeibeamten verunglimpfen und diffamieren“. Es geht bei der Ausstellung jedoch nicht darum, jeden einzelnen Polizisten oder Polizistin als Gewalttäter oder Rassistin zu stigmatisieren, sondern darum, das Problem als ein strukturelles Problem der Institution Polizei zu thematisieren und zu diskutieren. Wenn der Herr Oberbürgermeister bei der Eröffnung gewesen wäre
und sich die Ausstellung angesehen hätte, so hätte er sich davon überzeugen können.
Auch andere Organisationen greifen die Thematik auf, etwa Amnesty international 2004 mit der Publikation:
Erneut im Fokus – Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger
Gewalt in Deutschland ( im Internet unter http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/LB2004001)
In Wuppertal hat das Medienprojekt solche Fälle in zwei Filmbeiträgen dokumentiert: „Dein Freund und
Helfer“ sowie „Nix Passiert“ sollten am 22.01.2008 im Haus der Jugend zu sehen sein – nun wird nach anderen
Räumen gesucht.
All die dokumentierten Fälle sprechen deutlich dafür, dass wir es auch im Bergischen Land mit einem
gesellschaftlichen Problem zu tun haben, das öffentlich diskutiert werden muss – durchaus auch
kontrovers – und eben dies wollen wir von „BürgerInnen beobachten die Polizei“ mit der Ausstellung und der
Veranstaltungsreihe erreichen. Deshalb hoffen wir, dass sich andere öffentliche Räume finden, in denen
die Ausstellung stattfinden kann und die Veranstaltungen durchgeführt werden können.
Die geplanten Veranstaltungen werden auf jeden Fall
stattfinden:
Do., 17.01.2008, Beginn 19:00:
„Polizeigewalt gegen Flüchtlinge und Migrant_innen - Struktur oder Einzelfall?“
Flüchtlinge und Migrant_innen werden - vor allem, wenn sie „illegalisiert“ sind - mit militärischen Mitteln
an den Grenzen (BGS / Frontex) abgewiesen und mit polizeilichen Mitteln aus Kerneuropa ausgewiesen. Das
Konstrukt vom „Illegalen“, vom „afrikanischen Drogendealer“ oder neuerdings vom „islamischen Terroristen“ schafft Feind-Bilder, die im polizeilichen Handeln relevant werden. Denn polizeiliches Handeln unterliegt nicht dem Zwang zur Unschuldsvermutung – es ist vielmehr der Verdacht, der die Beamten handeln oder nicht-handeln lässt. Die Sondergesetze für „Ausländer“, die strukturelle Entrechtung und der gesamtgesellschaftliche Rassismus tun ihr übriges dafür, dass Migrant_innen in
besonderem Maße Opfer von Polizeiübergriffen werden.
Info- und Diskussionsveranstaltung mit Dirk Vogelskamp (Komitee für Grundrechte und Demokratie) und Klemens
Ross (Republikanischer Anwaltsverein) Di. 22.01.2008, Beginn 19:00
Film- und Diskussionsveranstaltung:
Polizeigewalt im Bergischen Land - Chaostage 07 und andere Übergriffe gegen Jugendliche, Punks und Migranten Schikanen und Übergriffe durch Polizeibeamte kommen leider auch im bergischen Städtedreieck vor. Manchmal ist durch einen glücklichen Zufall eine Kamera dabei, wie etwa bei dem Punkertreffen im Juni 2007. „Dein Freund und Helfer“ ist eine Dokumentation über Polizeiübergriffe und Gegenaktionen der letzten Monate in Wuppertal In einem anderen Fall wurde der Übergriff in Interviews und nachgestellten Szenen dokumentiert: “Nix passiert" ist eine persönliche Reportage über rassistische Polizeigewalt in Wuppertal. Abraham, ein Wuppertaler afrikanischer Herkunft, wird auf dem Nachhauseweg am Karlsplatz grundlos festgenommen. Bei der Festnahme wird er von Polizisten gefesselt, beleidigt und später auf der Polizeiwache Hofkamp verprügelt und getreten.
Die Untersuchung des Vorfalls auf seine Anzeige hin läuft ins Leere. (Beide Filme sind vom Medienprojekt Wuppertal) Der neue Ort für die Veranstaltungen werden rechtzeitig bekannt gegeben.
Mit freundlichen Grüßen,
BürgerInnen beobachten die Polizei
V e r a n s t a l t u n gs p r o g r a m m
Eröffnungsveranstaltung
Di., 08.01.2008, Beginn 19:00:
Was geschah wirklich mit Oury Jalloh?
Vor fast auf den Tag genau drei Jahren verbrannte der sierra-leonische Asylbewerber in einer Polizeizelle in Dessau. Seit Ende März 2007 läuft ein Prozess im Landgericht Dessau. Angeklagt sind zwei Dessauer
Polizeibeamte, denen „Körperverletzung mit Todesfolge“ bzw. „Fahrlässige Tötung“ beim Verbrennungstod Oury Jallohs vorgeworfen wird. Während des Prozesses verwickeln sich die Zeugen zunehmend in Widersprüche;
Beweismittel verschwinden spurlos und der Richter tobt schließlich, dass er den Prozess solange weiterführen wird, bis er herausfindet, welcher der Beamten, die in der Brandnacht auf dem Revier waren, lügt.
Informationsveranstaltung zum Stand des Verfahrens mit der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“
vom Di. 08.Januar bis Sa. 26.Januar 2008
im Haus der Jugend Barmen, Geschwister-Scholl-Platz 4-6, Wuppertal-Barmen
Mo.-Fr. geöffnet von 10 bis 19 Uhr, Sa. 10-13 Uhr
„Beleidigungen, Schikanen, Tritte und Schläge durch Polizisten sind für viele Menschen in Deutschland traurige Realität. Neben Linken, Prostituierten und Obdachlosen werden vor allem Migrant_innen vermehrt
Opfer von Polizeigewalt. Sie berichten von systematischen Übergriffen, die mit einer „verdachtsunabhängigen” Kontrolle beginnen, mit rassistischen Beleidigung ihren Lauf nehmen und in Tritten und Schlägen enden. Für die Betroffenen bedeutet der Übergriff häufig das Gefühl völliger Ohnmacht
gegenüber Polizei und Staat. Dies wird durch die geringe Chance einer strafrechtlichen Ahndung des Übergriffs noch verstärkt. Auf Grund einer ungerechtfertigten Gegenanzeige und einer systematischen Nicht-Verfolgung und Nicht-Sanktionierung von Übergriffen hat meistens nicht der Täter, sondern das Opfer mit einer Verurteilung zu rechnen.
· Sind Schläger in Uniform nur wenige „Schwarze Schafe” und Opfer ihrer Arbeitsbedingungen? Oder sind es doch strukturelle Mängel in der Polizei, die Übergriffe erst ermöglichen oder sogar fördern?
· Warum geraten vermehrt Migrant_innen in das Visier der Polizei und werden Opfer von Übergriffen? Ist der Rassismus in der Polizei nur ein Spiegelbild der Gesellschaft oder steckt mehr dahinter?
· Warum werden die Täter durch Kollegen, Polizeiführung und Politik gedeckt? Und warum haben die Täter keine Verurteilung zu fürchten, während viele Betroffene allein aus Angst vor einer Gegenanzeige keine Anzeige erstatten?
Auf diese und viele weitere Fragen versucht die Ausstellung „Vom Polizeigriff zum Übergriff” antworten zu finden und Betroffenen eine Stimme zu geben. Dabei geht es nicht darum, jedeN einzelneN PolizistIn als
RassistIn oder potentielleN GewalttäterIn zu stigmatisieren, sondern darum, das Problem als ein strukturelles Problem der Institution Polizei zu problematisieren und mit zu diskutieren, welche Gegenstrategien von Betroffenen und verantwortlichen Institutionen sinnvoll sein können.
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Willkürlicher Polizeiübergriff nach LLL-Demo in Berlin
http://www.jungewelt.de/2008/01-15/038.php
Heute, am 13. Januar kam es in Berlin zu einem groß angelegten Polizeiübergriff gegen ca. 55 Personen, die zu der alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration aus Nordrheinwestfalen angereist waren.
Nach der Teilnahme an der Demonstration gingen die Betroffenen zu einem Immigrantenverein in Neukölln und brachen schließlich um kurz vor halb sechs mit einem für die Fahrt zur Demo angemieteten Bus zur Heimfahrt auf. Doch leider kam man nicht weit. Bereits auf dem Weg zur Autobahn stoppte die Polizei den Bus jäh auf dem Columbiadamm kurz hinter der Bushaltestelle Columbiadamm/Friesenstraße und Einsatzkräfte stürmten mit laufenden Videokameras in den Bus und filmte und fotografierte die Insassen. Die Polizei versuchte daraufhin, die zur LLL-Demo angereisten Linken, mehrheitlich mit Migrationshintergrund, in kleinen Gruppen aus dem Bus zu holen, um ihre Personalien festzustellen und provozierte durch brutales Verhalten. Dieses willkürliche und durch nichts gerechtfertigte Vorgehen lehnte die Gruppe vehement ab.
Durch entschlossenen Protest konnte schließlich erreicht werden, dass alle im Bus bleiben konnten. Allerdings nahm die Polizei ausnahmslos von allen Anwesenden die Personalien auf, obwohl ausdrücklich darauf bestanden wurde, die Ankunft einer verständigten Anwältin abzuwarten.
Auf mehrfache Fragen nach dem Grund dieses willkürlichen Überfalls Dutzender Polizisten äußerte der Einsatzleiter sich widersprüchlich. Vage Behauptungen wie „es handele sich um eine Überprüfung“ wechselten mit der Angabe des Vorwands der „Gefahrenabwendung“. Selbst gegenüber der herbeigerufenen Anwälte weigerte der Einsatzleiter sich, den konkreten Grund des Einsatzes anzugeben, „vor Morgen sage ich dazu gar nichts“ war das einzige, was der Vertreter des Rechtsstaates, der bereits unzählige willkürliche Gewaltakte gegen Linke und Migranten auf dem Gewissen hat, gegen den brutalen Übergriff auf die Businsassen vorzubringen hatte.
Der Tod von Oury Jalloh, der gefesselt in einer Polizeizelle verbrannte, oder der auf offener Straße erschossene Dominique Koumadio sind ebenfalls Folgen genau dieser Willkür, die in Deutschland „Rechtsstatt“ genannt wird.
Wir verurteilen diesen willkürlichen Akt polizeilicher Gewalt gegen die LLL TeilnehmerInnen, der sich heute Abend in Berlin ereignet hat aufs Schärfste. Die Aufnahme der Personalien aller Insassen ohne Angabe von Gründen sowie das Festhalten von über 50 Personen über ca. 2 Stunden in einem Bus stellen einen Eingriff in die demokratischen Rechte dar, den wir nicht schweigend hinnehmen werden.
DEKÖP-A (Plattform der demokratischen Massenorganisationen in Europa), Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, AGIF-Jugend, The VOICE Refugee Forum, Rote Antifa – Du/Dü, Young Struggle, Plataforma der MigrantInnen und Flüchtlinge, ICAD, We Want Freedom Campaign
13. Januar 2008
---------------------------- Original Message ----------------------------
Subject: Willkürlicher Polizeiübergriff nach LLL-Demo in Berlin
From: "Antirassistische Initiative"
Date: Mon, January 14, 2008 2:16 pm
To: ari-berlin@gmx.de
--------------------------------------------------------------------------
WDR 3, Tageszeichen
z.Hd. Beatrix Novy
Sendedatum: 21.1.2008
Sendelänge: 5´10´´
Ungeliebt in Wuppertal
Vom Polizeigriff zum Übergriff
Die Schwebebahnmetropole Wuppertal zeigt sich dieser Tage an höchster Stelle kampfesmutig. Jedenfalls wenn es um die Verteidigung der Staatsgewalt im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen geht. Peter Jung, CDU, das achte Jahr im Amt des Oberbürgermeisters, stellte sich gleich mehrere Mal kurz hintereinander schützend vor seine uniformierte Ordnungsmacht. Am 9. Januar ließ er eine polizeikritische Ausstellung im städtischen Jugendzentrum Barmen abhängen, am 10. Januar beendeten die Mitarbeiter seines Ordnungsamtes und der Polizei eine unangemeldete Filmvorführung auf dem stadtzentralen Willy-Brandt-Platz. Und am 15. Januar kündigte er einer ebenfalls polizeikritischen Veranstaltung den lange zugesagten Versammlungsraum im Rathaus.
Die gekündigte Ausstellung trägt den Titel: „Vom Polizeigriff zum Übergriff“ und stammt aus Berlin; auf der ebenfalls gekündigten Veranstaltung sollten hochkarätige Referenten Antworten auf die Frage finden: „Polizeigewalt gegen Flüchtlinge und Migranten – Struktur oder Einzelfall?“ Und der von der Straße vertriebene Film wollte unter dem Titel "Sie tun mir weh, Herr Wachtmeister!" über die jährlichen Punkertreffen in Wuppertal berichten, die sich immer wieder mit heftigen Stockschlägen der Ordnungskräfte konfrontiert sehen.
Peter Jung hat seine Verbote im Einvernehmen mit dem sozialdemokratischen Jugend-, Sozial- und Integrationsdezernenten Stefan Kühn verfügt. Man lasse nicht zu, so das Wuppertaler Oberhaupt, dass in städtischen Gebäuden die Polizei verunglimpft werde.
Mit ihrem wacker geschwungenen Zensurknüppel haben die Stadtoberen einen Volltreffer gelandet. Nicht, weil Ausstellung und Begleitprogramm etwa unhaltbare Vorwürfe unverbesserlicher Polizeikritiker ausbreiten würden. Nein, die Ausstellungsmacher tragen ein echtes Problem vor. Auf Tafeln und im Begleitprogramm berichten zahlreiche Augenzeugen von unangemessenen polizeilichen Übergriffe vornehmlich gegen Jugendliche, gegen Migranten und gegen unangepasste Demonstranten und konkretisieren auf diese Weise, was in wissenschaftlichen Untersuchungen und Expertisen von Menschenrechtsorganisationen thematisiert wird: das Problem struktureller polizeilicher Gewalt.
Vor vier Jahren veröffentlichte Amnesty International den Bericht "Erneut im Fokus – Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Deutschland". In diesem Bericht dokumentiert die Organisation zwanzig Fälle, die in ihren Augen exemplarisch für übermäßige Polizeigewalt in Deutschland stehen. Bereits 1995 und 1997 hatte Amnesty ähnliche Berichte veröffentlicht. Der Bericht 2004 kommt zu dem Schluss: Exzessive Polizeigewalt und deren unzulängliche Ahndung sind immer noch ein Thema in Deutschland.
Die meisten Misshandlungen durch Polizeibeamte ereignen sich danach bei Festnahmen oder in Polizeihaft. Sehr häufig seien davon Ausländer oder deutsche Staatsbürger ausländischer Herkunft betroffen (http://www.amnesty-polizei.de/pages/deutschlandbericht.php).
Ende 2007 haben der Republikanische Anwaltsverein und das Grundrechtekomitee ihre Untersuchungen über die globalisierungskritischen Demonstrationen in Rostock und Heiligendamm veröffentlicht. Zahlreiche Übergriffe der Polizei sind darin belegt.
Auch internationale Organisationen üben immer wieder Kritik; so hat das Antifolterkomitee des Europarates in seinem letzten Bericht festgestellt, Zitat:„Wie bereits im Jahr 2000 (...) wurde eine Reihe von Vorwürfen über eine übermäßige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte zum Zeitpunkt der Festnahme erhoben. Diese Vorwürfe betrafen insbesondere Schläge und Tritte, nachdem die betroffene Person unter Kontrolle gebracht war, sowie eine länger andauernde und feste Fesselung mit Handschellen. Ferner wurden Vorwürfe über verbale Beschimpfungen festgehaltener Personen durch Polizeibeamte erhoben.“
(http://www.cpt.coe.int/documents/deu/2007-18-inf-deu.pdf)
Deutsche Menschenrechtsorganisationen fordern schon seit vielen Jahren eine unabhängige Kontrolle der Polizei. Bislang nämlich wir sie von der Staatsanwaltschaft kontrolliert. Die muss tätig werden, wenn Polizeibeamten strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen wird. Doch Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten in allen anderen strafrechtlichen Bereichen eng und vertrauensvoll zusammen. Sie sind im Alltag aufeinander angewiesen. Dieses Arbeitsbündnis verhindert, so die Kritiker, dass Staatsanwälte konsequent gegen Polizisten ermitteln.
Eine unabhängige Kontrollkommission der Polizei wurde bisher nur einmal, Mitte der 90er Jahre im Stadtstaat Hamburg etabliert. Zuvor waren systematische Misshandlungen von Migranten auf Hamburger Polizeiwachen bekannt geworden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der damalige SPD-Innensenator musste zurücktreten. 1998 wurde dann ein ständiger Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft eingerichtet. Er arbeitete allerdings nur kurz: der nächste Innensenator, wieder von der SPD, schränkte die Aussagebefugnisse der Polizeibeamten vor dem Kontrollgremium ein; nach dem Wahlsieg der CDU schaffte Innensenator Roland Schill, bekannt geworden als „Richter Gnadenlos“, die Kommission wieder ab.
Die unabhängige Polizeikontrolle, die längst auch der UN-Menschenrechtsausschuss von den deutschen Regierungsstellen fordert (Punkt 11 des UN-Berichts: http://www.uni-potsdam.de/u/mrz/mrm/mrm3-4.htm), bleibt auf der Tagesordnung. Aber von all dem hat der Wuppertaler Oberbürgermeister mit seinen Mannen offensichtlich noch nie etwas vernommen.
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atum: Thu, 17 Jan 2008 23:21:08 +0100 (CET)
Betreff: [Verteiler] Frankfurter Rundschau zu Wuppertal
Frankfurter Rundschau 18.1.2008
Kritische Ausstellung
Die Würde der Polizei ist unantastbar
VON JOACHIM F. TORNAU
Das Ansehen der Polizei ist Peter Jung heilig. Der Oberbürgermeister der nordrhein-westfälischen Großstadt Wuppertal möchte Kritik an den Ordnungshütern in städtischen Räumen nicht dulden. In seinem Kampf gegen "Verunglimpfung und Diffamierung", wie er es nennt, scheut der CDU-Politiker sogar vor dem Verbot einer Fraktionssitzung der Linken im Wuppertaler Stadtparlament nicht zurück: "Das Thema
darf man natürlich diskutieren", sagt eine Stadtsprecherin. "Aber nicht im Rathaus."
Zum dritten Jahrestag des Todes von Oury Jalloh, der im Januar 2005 unter immer noch ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, hatte das
Wuppertaler Netzwerk "Bürger_innen beobachten die Polizei" eine Wanderausstellung über Polizeigewalt eröffnet - im städtischen Haus der Jugend. Die vom
Anti-Diskriminierungsbüro Berlin erstellte Schau "Vom Polizeigriff zum Übergriff" zeigt, was auch Amnesty International schon angeprangert hat: Vor allem Menschen nicht-deutscher Herkunft würden in Deutschland immer wieder Opfer von "Schlägern in
Uniform" - meist ohne dass dies Konsequenzen für die beteiligten Beamten nach sich ziehe.
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Oberbürgermeister Jung die 19 Ausstellungstafeln jedoch wieder abhängen. "Er sagt, die Polizei wird diffamiert", erklärt seine Sprecherin. Gesehen hat das Stadtoberhaupt die Schau nicht. Aber er kämpft mit wilder Entschlossenheit: Eine öffentliche Diskussion über das Verbot, zu der die Ratsfraktion der Linken ins Rathaus einladen wollte, untersagte er ebenso wie eine "erweiterte Fraktionssitzung" der Linken zum gleichen Thema.
"Der OB hat von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht", heißt es bei der Stadt lapidar. Die Linksfraktion spricht dagegen von einem "Zensurrausch" und einer unzulässigen Behinderung ihrer politischen Arbeit. Man wolle die Rechtsaufsicht einschalten.
Die unerwünschte Diskussionsveranstaltung fand unterdessen Asyl beim Asta der Wuppertaler Universität. Einen Grund zum Eingreifen sah die Hochschulleitung nicht: "Eine Universität ist pluralistisch", sagt Sprecher Michael Kroemer. "Wir
gehen von Natur aus anders mit solchen Dingen um als eine Stadtverwaltung, die meint, das von oben nach unten steuern zu müssen."