22.12.2008 www.jungewelt.de
»Der Rechtsstaat funktioniert nicht richtig«
Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« fordert eine unabhängige Kommission. Diese soll den Tod des Schwarzafrikaners aufklären. Gespräch mit Mbolo Yufanyi
Interview: Gitta Düperthal
Mbolo Yufanyi ist Mitglied der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«
Vor vier Jahren verbrannte der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh in Dessau in einer Polizeizelle. Zwei Beamte mußten sich deswegen vor Gericht verantworten und wurden am 8. Dezember freigesprochen. Ihre »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« spricht von einem Scheinprozeß, durch den ein Mord vertuscht werden sollte. Sie drängen weiter auf Aufklärung – was haben Sie vor?
Am Jahrestag des Todes von Oury Jalloh, dem 7. Januar 2009, werden wir wie in den vergangenen Jahren in Dessau demonstrieren. Wir haben erleben müssen, daß das Gericht weder fähig noch willens war, aufzuklären, wie er tatsächlich ums Leben kam. Deshalb rufen wir dazu auf, eine unabhängige Kommission von Experten einzurichten, um neue Ermittlungen aufzunehmen. Z.B. muß das Brandgutachten sorgfältig untersucht werden: Wie kann es denn sein, daß die Feuerwehr viermal vergeblich versuchte,zu rekonstruieren, wie Oury Jalloh verbrannt ist? Rechtsanwälte und andere Fachleute aus mehreren Ländern haben Interesse bekundet, sich mit den Ungereimtheiten des Prozesses zu beschäftigten.
Außerdem nehmen wir zu deutschen Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen Kontakt auf. Wir glauben nämlich, daß Druck auf die Justiz ausgeübt wurde. Mit dem Freispruch für die Polizisten ist erwiesen: Der deutsche Rechtsstaat funktioniert nicht richtig – vor allem wenn es um Migranten geht.
Worauf soll die unabhängige Kommission ihr Augenmerk richten?
Nichts ist geklärt – weder was vor, noch was während oder nach dem Feuerausbruch geschah. Wie konnte überhaupt ein Feuerzeug in die Zelle kommen? Wie soll sich der gefesselte Oury Jalloh selbst angezündet haben? Warum sollte es ihm dann nicht gelungen sein, den Brand zu löschen? Oder ist er etwa zuvor schon durch Mißhandlung gestorben oder bewußtlos geworden – er hatte ein gebrochenes Nasenbein! Eine der Handschellen – ein wichtiges Beweismittel! – hat der Hausmeister weggeschmissen. Der Tatort war zwar gesperrt – wurde aber trotzdem mehrfach betreten. Ein Polizist hatte eine Liste der betreffenden Personen angefertigt – die ist aber verschwunden.
Rätselhaft ist auch, warum man Oury Jalloh überhaupt verhaftet hat: Die Frauen, die er belästigt haben soll, wollten keine Anzeige stellen. Sie bestätigten, sich in keiner bedrohlichen Situation befunden zu haben, als die Polizei kam, sei er bereits weg gewesen. Hinzu kommt: Die Videoaufzeichnung, die eine Stunde lang sein müßte, zeigt aber nur vier Minuten. Und das Feuerzeug, mit dem Oury Jalloh sich angezündet haben soll, haben die Polizisten vor Gericht unterschiedlich beschrieben.
Seit vier Jahren versuchen Mitglieder der Initiative die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen – was gibt Ihnen die Kraft?
Zum ersten Mal erheben sich Migranten gemeinsam gegen das rassistische System und die Polizeigewalt. All das prägt den Alltag der meisten von uns seit Jahrzehnten – deshalb haben wir auch die Energie, gegen das Unrecht aufzustehen. Um die Öffentlichkeit zu informieren, haben wir gerufen: »Das war Mord!«. Unser erster Erfolg war, daß überhaupt Anklage erhoben wurde. Viele Dessauer unterstützten uns auch, jedoch wohl weniger, um die Wahrheit herauszufinden, sondern weil sie fürchteten, ihr Ort könne in den Ruf einer »Nazi-Stadt« kommen. Bereits im Jahr 2000 hatten drei Neonazis den Moçambiquaner Alberto Adriano nachts im Dessauer Park ermordet.
Und wie reagiert jetzt nach Ihren Beobachtungen die Polizei?
Zu Beginn des Prozesses waren die Beamten verunsichert. Der Richter hatte mit für uns seltsam klingenden Worten gemahnt: Wir leben doch hier in keiner »Bananenrepublik«, und wollte damit sagen, die Polizisten sollten aufhören zu lügen. Nach dem Freispruch ging die Polizei wieder aggressiv wie zuvor gegen Demonstranten vor. Wir vermuten, daß der Richter unter Druck stand – aber immerhin hat er deutlich gemacht, daß das gesamte Polizeirevier falsch ausgesagt hat.
Das ganze System ist rassistisch! Nichts ist seitdem passiert, auch die Politiker schweigen. Aber wir werden weiter kämpfen. Polizeibeamte haben offenbar einen von uns umgebracht – Schlimmeres kann gar nicht mehr passieren.
http://www.jungewelt.de/2008/12-22/036.php
Demo in Gedenken an OURY JALLOH, LAYE KONDE und alle anderen Opfer rassistischer Polizeibrutalität
* Pressemitteilung der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh vom 19. Dezember 2008
* Tod von Laya Alama Condé in Bremen nach Brechmittel - Freispruch für den Polizeiarzt
Rubrik: Oury Jalloh [12. Dec 2008] no-racism.net
Systematisch: Keine Aufklärung des Todes von Oury Jalloh
African People Convention APC Kassel: Police Brutality and Oury Jalloh Case of Injustice in Germany
Refugee News Network - November 2008
Mumia Abu-Jamal Tribute to Oury Jalloh - August 2008
Fotos
Fotostrecke Dessau - 08.12.2008;
*von Umbruch Bildarchiv aus Berlin: Aufklärung von Oury Jallohs Tod gescheitert
Fotos von thomsen aus Jena
*Björn Kietzmann Fotos
*Einem Tributvideo - Oury Jalloh Kampagne in Dessau (27/11/2008)