NDR - TV.: 19.03.2009
Abschiebung wegen Diabetes Wo lebt es sich gesünder: In Thüringen oder Sierra Leone?
Taz Press zu *Abschiebung in Thüringen - Der Flüchtling darf nicht zu dick sein
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jungewelt Press - Interview: 21.03.2009
»Meinem Mandanten droht akute Lebensgefahr«
Ein Zuckerkranker soll nach Sierra Leone abgeschoben werden. Dort steht er vor dem Nichts. Ein Gespräch mit Thomas Letschert
Ralf Wurzbacher
21.03.2009 jungewelt Press
Thomas Letschert ist Rechtsanwalt im thüringischen Eisenach und vertritt den akut von Abschiebung nach Sierra Leone bedrohten Aboubacar Wan
Nach der Ermordung seiner Eltern war Ihr Mandant Aboubacar Wan 1998 vor dem bis 2002 in seinem Heimatland Sierra Leone tobenden Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen und lebte seither als »Geduldeter« in Thüringen. Obwohl er an Diabetes erkrankt und insulinabhängig ist, soll er nun abgeschoben werden.
Wie ist der Stand des Verfahrens?
Herrn Wans Asylverfahren wurde rechtskräftig abgeschlossen und sein Antrag abschlägig beschieden. Daraufhin haben wir im Rahmen eines Klageverfahrens durchzusetzen versucht, ein Abschiebehindernis aufgrund seiner Erkrankung geltend zu machen. Während des Verfahrens wurde dann seitens der Ausländerbehörde die Abschiebung angedroht, wogegen wir uns mit einem Eilantrag zur Wehr setzten. Aber auch der wurde zurückgewiesen mit der Begründung, die medizinische Versorgung meines Mandanten sei in seinem Heimatland auf Dauer gewährleistet.
Wie kam das Gericht zu dieser Überzeugung?
Zunächst hatte das Sozialamt angeboten, die Medikation für die Dauer von zwei Jahren zu bezahlen. Laut obergerichtlicher Rechtsprechung reicht das aber nicht aus, weil die medizinische Versorgung auch darüber hinaus zu gewährleisten ist. Dem begegnete das Landesverwaltungsamt mit der Zusicherung, dauerhaft für Herrn Wans Behandlungskosten aufkommen zu wollen. Damit liegt nach Einschätzung des Gerichts kein Abschiebehindernis mehr vor.
Das NDR-TV-Magazin Extra3 hat derweil in Erfahrung gebracht, daß für den Fall seiner Abschiebung keinerlei Vorkehrungen getroffen wurden..
Deckt sich das mit Ihren Kenntnissen?
Das Landesverwaltungsamt vertritt den Standpunkt, die nötigen Schritte könnten problemlos über die örtliche deutsche Botschaft abgewickelt werden. In der Hauptstadt Freetown gibt es aber lediglich eine Art Notbotschaft, die nur in Ernstfällen tätig wird. Dazu kommt, daß in diesem Land eine Arbeitslosenquote von 80 Prozent, Armut und starke Korruption vorherrschen. Die Gefahr ist groß, daß Gelder aus Deutschland in dunklen Kanälen verschwinden. Aus eigener Tasche könnte mein Mandant seine Medikation auf keinen Fall bezahlen.
Was passiert, wenn Herr Wan seine tägliche Insulinration nicht erhält?
Ein Attest seines behandelnden Arztes besagt, daß in diesem Fall akute Lebensgefahr droht.
Das Landesverwaltungsamt hat Ihrem Mandanten zu einer kalorienarmen Ernährung und sportlicher Betätigung geraten. Damit könne er seinen Insulinbedarf auf null reduzieren.
Was halten Sie von der Argumentation?
Das klingt für mich schon zynisch. Dazu muß man wissen, daß der Sachbearbeiter, der dies empfohlen hat, nicht etwa Mediziner ist. Vielmehr fühlt er sich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Zuckerkranker zu diesen Ausführungen berufen. Dieser Herr ließ sich auch damit zitieren, daß die Heilungschancen meines Mandanten in Sierra Leone besser seien, weil dort die Ernährung weniger kalorienreich sei. Nach meinen Informationen ist das Gegenteil der Fall, dort sollen Lebensmittel äußerst fettreich zubereitet werden.
Wie geht Ihr Mandant mit seiner Situation um?
Er ist natürlich sehr angespannt, so wie seine Lebensgefährtin. Sie ist Deutsche und könnte ihm im Falle seiner Abschiebung wohl nicht nach Sierra Leone folgen. Herr Wan stünde in seinem Heimatland vor dem Nichts: er hat dort weder Familienangehörige noch Freunde, und ohne Ausbildung würde er wahrscheinlich keine Arbeit finden. Dazu kommt seine Krankheit, und das in einem Land mit einer laut Auswärtigem Amt hochproblematischen medizinischen Versorgung.
Was unternehmen Sie jetzt?
Wir werden Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar einlegen. Ich will darauf hinwirken, daß zumindest für die Dauer des Verfahrens keine Abschiebung erfolgt. Dazu muß die Berufung aber erst einmal zugelassen werden, und das ist leider nicht sicher.
Gibt es Unterstützung für Ihren Mandanten?
Es gibt eine Reihe von Organisationen, sie sich für Herrn Wan einsetzt, darunter den thüringischen Flüchtlingsrat, die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten. Auch Amnesty International will uns zuarbeiten.
http://www.jungewelt.de/2009/03-21/057.php
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NDR - TV.: 19.03.2009
Abschiebung wegen Diabetes Wo lebt es sich gesünder: In Thüringen oder Sierra Leone?
Taz Press zu *Abschiebung in Thüringen - Der Flüchtling darf nicht zu dick sein
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*Richter unterstützt zwanghaften Abschiebewillen gegen Aboubakar Wan *** Bericht mit Fotos
*Unterstützt Aboubacar Wan gegen die drohende Abschiebung
*Stellungnahme des KARAWANE-Netzwerks an das Verwaltungsgericht Gera
*Eisenach: Diabeteskranker Flüchtling soll abgeschoben werden; Pressemitteilung des Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Bericht mit Fotos
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13.03.2009
Abschiebung in Thüringen - Der Flüchtling darf nicht zu dick sein >>>>
Ein Diabetiker wird wohl nach Sierra Leone abgeschoben. Dort sei die Ernährung nicht so kalorienreich, argumentiert das Amt. Es zahlt seine Behandlung in Afrika - falls er nicht dicker wird. VON ANNA CORVES
Zu fettes Essen in Thüringen. Ein guter Abschiebegrund? Foto: dpa
BERLIN taz Bis Donnerstagabend hatte Aboubacar Wan noch Hoffnung, doch nun hat er das Urteil schriftlich: Das Verwaltungsgericht Gera hat die Klage gegen seine Abschiebung abgewiesen. In seiner Stimme schwingt Angst und Wut mit. "Mir geht es nicht gut, wie soll es mit mir weitergehen?"
1998 war Wan vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat Sierra Leone nach Deutschland geflohen. Damals war er 16. Seine Eltern waren ermordet worden. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er lebt als Geduldeter in Thüringen.
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Vor vier Jahren erkrankte er an Diabetes, viermal täglich braucht er Insulin. Da eine schwere Erkrankung ein Abschiebehindernis sein kann, wenn die medizinische Versorgung im Heimatland nicht gewährleistet ist, stellte er einen Folgeantrag auf Asyl. Doch im Dezember erhielt er den Abschiebebescheid. Per Eilantrag erwirkte Wans Anwalt einen Aufschub und klagte.
Die mündliche Verhandlung am 5. März sollte klären, ob die Diabeteserkrankung des 27-Jährigen ein berechtigtes Abschiebehindernis ist. Für den Prozessgegner von Herrn Wan, das Thüringer Landesverwaltungsamt, war die Antwort klar: Nein.
Der zuständige Sacharbeiter schrieb mehrere Seiten dazu. Als Experte schien ihn dabei seine eigene Erkrankung zu qualifizieren. "Der Unterzeichner hat selbst seit über 30 Jahren Diabetes und hat sich mit dem Thema sehr intensiv beschäftigt." Er empfahl Wan, sich "einer geregelten kalorienreduzierten Ernährung zu befleißigen und insbesondere eine erhöhte körperliche Tätigkeit auszuführen". So könne er seine Insulinabhängigkeit gegebenenfalls auf null reduzieren.
Dafür seien die Möglichkeiten in seiner Heimat sogar besser, da die Ernährung dort nicht so kalorienreich sei wie in Thüringen. Wans Arzt sagte, er fürchte, dass sich Wans Zustand bei fehlender medizinischer Versorgung verschlechtere. "Bis hin zum Tode".
Doch das Verwaltungsgericht Gera urteilte, dass die medizinische Versorgung von Aboubacar Wan in Sierra Leone gesichert sei. Um die Abschiebung zu rechtfertigen, hatte das Sozialamt Eisenach zunächst zugesagt, zwei Jahre lang die Kosten für die Behandlung zu erstatten.
Das hätte dem Gericht jedoch nicht gelangt, eine langfristige Übernahme musste sichergestellt werden. Um dieses Abschiebehindernis zu beseitigen, versprach das Verwaltungsamt zu zahlen - "gegebenenfalls unbefristet, sofern der Antragsteller nachweist, dass er im Bereich eines Normalgewichtes ist".
Dies bedeute Körpergröße in Zentimetern minus 100 erhöht um maximal 10 Prozent, heißt es in dem Schreiben. Vor Gericht erschien Wan im "Normalmaß": mit 80 Kilo bei 1,79 Meter Größe. Ein Sprecher des Verwaltungsamts sagte der taz: "Wir werden das Gewicht in zwei Jahren mit Sicherheit nochmals prüfen." Da muss sich Wan wohl bei der Botschaft in Sierra Leone nochmals wiegen lassen.
Wie eine Behandlung in dem westafrikanischen Land aussehen soll, bleibt nach dem Urteil unklar. Das Auswärtige Amt beschreibt Sierra Leone im Internet als Land mit einer "hoch problematischen" medizinischen Versorgung, mit nur wenigen akzeptablen Apotheken. Woher soll Wan Insulin kriegen, zu welchen Ärzten gehen? Das Verwaltungsamt verweist auf die Botschaft in der Hauptstadt Freetown.
Wan droht nun eine schnelle Abschiebung. Seine Lebensgefährtin ist verzweifelt: "Er würde in Freetown landen und auf der Straße stehen." Wans Anwalt will vors Oberverwaltungsgericht ziehen.
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-fluechtling-darf-…