Aus: migration, Beilage der jW vom 05.11.2008
Mitten in Deutschland
Der Protest von Flüchtlingen im thüringischen Katzhütte hat kurz Aufmerksamkeit erregt. Nun ist alles wieder beim alten
Frank Brunner
Foto: AP
Der Weg in die Welt von Manuk Mamujan beginnt auf dem Parkplatz eines heruntergekommenen Supermarktes im thüringischen Dorf Katzhütte. Es sei besser, sich erst mal dort zu treffen, hatte er am Telefon gesagt. In seiner Welt sind Besucher eher unerwünscht. »Wenn Journalisten auftauchen, holt die Lagerleiterin schon mal die Polizei«, berichtet er, während er vorsichtig den schmalen, steilen Schleichweg, der direkt hinter dem Einkaufszentrum beginnt, emporklettert. Dort oben, an einem Berghang über dem malerischen Schwarzatal, zirka 100 Kilometer südwestlich von Jena, lebt Mamujan. Im »Wohnheim für ausländische Flüchtlinge«, wie die Ansammlung baufälliger Bungalows und Baracken offiziell heißt. Früher, als das Gelände noch ein Ferienlager der DDR war, tobten Kinder hier durch die Hütten – im Sommer. Jetzt ist es Anfang November, und durch die dünnen Wände von Mamujans Behausung kriechen Nässe und Kälte in das spartanisch eingerichtete Wohnzimmer.
Seit fast sieben Jahren sind diese 20 Quadratmeter Mamujans Welt. »Wir sind hier völlig isoliert, ohne Kontakte nach draußen«, klagt er. Seine Heimat habe er aus Angst vor dem türkischen Militär verlassen, so der Kurde. Mit ihm floh auch seine Lebensgefährtin. Mako Sahajan ist eine stille, junge Frau. Reden möchte sie nicht, dabei hätte sie viel zu erzählen. Über deutsche Behörden beispielsweise. »Hier steht alles drin«, sagt statt dessen Mamujan und zeigt ein ärztliches Attest. Für eine Genesung von Frau Sahajan, die sich einer schweren Operation unterziehen mußte, seien die Wohnverhältnisse in der Sammelunterkunft schädlich, schreibt darin im Juli ein Facharzt. Die Juristen im Verwaltungsgericht Weimar sehen das anders. »Die von ihnen behaupteten unzureichenden hygienischen Bedingungen können für sich genommen keinen Anspruch auf Einzelunterbringung ergeben«, heißt es in einem Schreiben vom 6. Oktober. Sollte sich jedoch ihr Gesundheitszustand verschlechtern, könne ein neuer Antrag gestellt werde, tröstet die Behörde.
Den Beamten sind die Verhältnisse im Asylbewerberheim Katzhütte seit langem bekannt. Bereits im Februar forderten die damals 88 Bewohner die Schließung des Lagers. »Wir wollen in normalen Häusern wohnen und nicht in Baracken«, schrieben sie seinerzeit in einem öffentlichen Protestbrief. Die Migranten, vor allem Flüchtlinge aus Aserbaidschan, Armenien, Palästina und dem Irak, deren Asylanträge zumeist abgelehnt wurden, beklagten, daß sie von der Heimleitung wie Kriminelle behandelt werden. So dürfe nach 16 Uhr die Gemeinschaftsküche nicht mehr benutzt werden, Kühlschränke und Heizlüfter würden konfisziert, abends werde das warme Wasser abgestellt, und oft bekämen sie weder Toilettenpapier noch Seife ausgehändigt. Der Protest zeigte Wirkung. Für ein paar Wochen rückten die Asylbewerber von Katzhütte ins Licht der Öffentlichkeit. Die Lokalpresse berichtete, ein Fernsehteam filmte meterhohe Schimmelflecke, und auch die Politik reagierte. Landrätin Marion Phillip (SPD) versprach die grundlegende Sanierung des Asylbewerberlagers. Gleichzeitig drohten die Behörden mit Sanktionen, sollten die Proteste fortgesetzt werden. So wurde dem Palästinenser Mohammed Sbaih, der als Sprecher der Heimbewohner auftrat, mit der Abschiebung gedroht. Am Morgen des 6. Mai holten Polizeibeamten ihn und einen weiteren Flüchtling tatsächlich aus dem Lager. »Nur aus formalen Gründen konnte die Abschiebung verhindert werden«, berichtet Ralf S. Lourenco vom Netzwerk Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten gegenüber junge Welt. Nachdem Sbaih weg war, ging alles ganz schnell. Zwei der verschimmelten Bungalows wurden geräumt, die Schäden an anderen Unterkünften mit weißer Farbe kaschiert. Einige Tage später besucht Landrätin Phillip zusammen mit dem früheren Thüringer Innenminister Richard Dewes (SPD) das Lager. Die Unterbringung hier sei »gerechtfertigt und absolut menschenwürdig«, sagte Phillip anschließend, und Sozialdemokrat Dewes nannte das Lager »vorbildlich«.
Seitdem ist es wieder still geworden in Katzhütte. Statt früher fast neunzig, leben nur noch etwa zwanzig Menschen hier. Besser geworden ist es nicht. »Nicht nur meine Frau und ich leiden unter den katastrophalen Zuständen«, erzählt Mamujan. Seiner Nachbarin, zwei Bungalows weiter, gehe es noch schlechter. Erst nach mehrmaligem Klopfen öffnet Alih Arshad ihre Tür. Auch ihre Behausung ist alles andere als menschenwürdig. Seit zweieinhalb Jahren lebt die Lehrerin aus Pakistan mit ihren zwei Kindern in Katzhütte. »Das ist jetzt mein Haus«, sagt sie und zeigt ihre schäbige Hütte aus Preßspanplatten und Faserkarton. Direkt am Eingang liegt das winzige Zimmer von Charly, ihrem 13jährigen Sohn. Einziges Möbelstück im Raum ist ein Bett. Darüber hängt – als einsamer Farbtupfer inmitten der Tristesse – das Poster eines Hip-Hop-Stars. Die Armut der Familie ist dem Teenager sichtlich unangenehm. Schon nach wenigen Minuten kämpft er mit den Tränen. Sein Bruder Ameen sitzt im Zimmer nebenan auf dem Fußboden, stößt fast ununterbrochen grelle Schreie aus und wirft mit allem um sich, was er in die Hände bekommt. Der dreijährige ist schwer krank. Ameen habe Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten, er sei ängstlich, aggressiv und habe starke sprachliche Defizite, lautet der Befund der Universitätsklinik Jena. Die Lebenssituation des Kindes müsse sich umgehend ändern, eine eigene Wohnung und spezielle Betreuung, empfehlen die Ärzte ...
Manuk Mamujan hat auch nach sieben Jahren im Lager die Hoffnung noch nicht verloren, eines Tages Katzhütte verlassen zu dürfen. »Ich will nicht weiter von Sozialhilfe leben, ich kann doch arbeiten«, sagt er zum Abschied. Dann bleibt er zurück. Mitten in Deutschland.
http://www.jungewelt.de/beilage/art/1883