Sachsen-Anhalts Innenminister über Jalloh-Urteil
"Der Todesfall schadet der Polizei"
Der Tod von Oury Jalloh vor vier Jahren in Dessau bleibt ungesühnt. Sachsen-Anhalts Innenminister Hövelmann hat Verständnis für die Wut der Angehörigen des Opfers.
Sind fassungslos: Prozessbeobachter nach der Urteilsverkündung am Montag. Foto: dpa
Herr Minister können Sie die Wut von Angehörigen und Freunde nachvollziehen?
Mir ist klar, dass das gestern für die Familie und die Freunde von Oury Jalloh ein besonders schwerer Tag war.
Richter Steinhoff warf der Polizei "Schlamperei und Falschaussagen" vor, ein Nebenklagevertreter sprach von "Korpsgeist" und Amnesty International von "organisierten Verantwortungslosigkeit".
Der Todesfall, seine Umstände und der Umgang damit schaden der Polizei. Aber angesichts des Todes eines Menschen ist das Ansehen der Polizei wirklich nicht das vorrangige Problem.
Während des Prozesses verschwanden Beweismittel, der zuständige Revierleiter traf sich mit seinen Kollegen, widersprüchliche Aussagen der Beamten wurden plötzlich widerrufen. Wie glaubwürdig waren die Aussagen der angeklagten Polizisten?
Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen zu bewerten, ist ureigene Aufgabe des Gerichts.
Salion Jalloh, der Bruder des Verstorbenen, nannte den Prozess eine "Farce". Flüchtlingsorganisationen wie "The Voice Refugee Forum" fordern eine unabhängige Kommission, die den Prozessverlauf untersuchen soll. Fehlt Polizisten in Sachsen-Anhalt ein Bewusstsein für den Rechtsstaat?
Polizeibeamte sind Diener des Rechtsstaats. So versteht sich auch die Polizei in Sachsen-Anhalt. Innenministerium und Polizei haben als Konsequenz aus dem Tod von Oury Jalloh mit einer Änderung der Gewahrsamsordnung dafür Sorge getragen, dass rechtsstaatliche Prinzipien auch im Polizeigewahrsam durchgängig eingehalten werden.
Der Richter sagte, die Polizisten hätten "dem Land geschadet.“
Der Tod von Oury Jalloh, aber auch die bekannten Fehler im Umgang mit Rechtsextremismus, haben schmerzhaft deutlich gemacht, wie wichtig einerseits eine klare Haltung gegen rechts und andererseits eine stärkere interkulturelle Kompetenz von Polizeibeamten ist. Die Polizei arbeitet hart daran, auch um wieder stärker zum Ansehen des Landes beizutragen.
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Seit einem Jahr intensiviert das Land Sachsen-Anhalt die Weiterqualifizierung von Polizisten, um den Kampf gegen den Rechtsextremismus voranzutreiben …
In der Ausbildung, in Weiterbildungsveranstaltungen und in regelmäßigen Dienstbesprechungen macht die Polizeiführung jeder Kollegin und jedem Kollegen unmissverständlich klar: Der Kampf gegen Rechtsextremismus hat Priorität
Wie kontrollieren sie die Haltung der Polizisten zu Rechtextremismus?
Jede Polizistin und jeder Polizist muss die Gewähr bieten, jederzeit für den demokratischen Staat einzutreten. Niemand wird kontrolliert, aber wer rechtsextreme oder rassistische Tendenzen erkennen lässt, kann nicht in den Reihen der Polizei bleiben.
Während des Verfahrens kam heraus: Die Polizisten haben sich abfällig über Jalloh geäußert. Ein Ausnahmefall oder Regel bei der Polizei in Sachsen-Anhalt?
Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, aber nach innen wie nach außen gilt hier das Prinzip: null Toleranz gegen Ausländerfeindlichkeit.
Angehörige und Freunde des Opfers haben während des Prozesses gesagt, sie wollen keine Entschädigung, sondern Gerechtigkeit. Inwieweit ist das Innenministerium auf die Angehörigen Jallohs zugegangen und hat sich um sie gekümmert?
Ich habe nach meinem Amtsantritt mehrfach meine Trauer und meine Beschämung darüber ausgedrückt, dass ein Mensch in der Obhut der Polizei einen so schrecklichen Tod gestorben ist.
Warum führte erst der große öffentliche Druck zu weitergehenden Ermittlungen?
Mehr zum ThemaUrteil im Jalloh-Prozess:
Freispruch und Geldstrafe für Polizisten>
Kommentar Verbrannt in der Polizeizelle:
Der ungeklärte Tod des Oury Jalloh>
Pro-Asyl-Referent über Dessau-Freispruch:
"Ein makabres Stück Polizeialltag">
Die Landesregierung hat ein massives Interesse daran, dass der Tod von Oury Jalloh vollständig aufgeklärt wird. Im strafrechtlichen Sinne ist das Sache der Staatsanwaltschaft, im disziplinarrechtlichen Sinne Sache der Polizei selbst.
INTERVIEW: ANDREAS SPEIT
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/der-todesfall-schadet…
08.12.2008 11 Kommentare Schrift
Urteil im Jalloh-Prozess
Freispruch und Geldstrafe für Polizisten
2005 verbrannte der Afrikaner Oury Jalloh angekettet in einer Zelle der Polizei Dessau. Am Montag sprach das Landgericht Dessau einen Beamten frei, ein weiterer zahlt eine Geldstrafe. VON MICHAEL BARTSCH
Von den Demonstranten vor dem Gericht nicht vergessen: Oury Jalloh. Foto: dpa
DESSAU taz Die Todesumstände des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle werden nicht mehr genau geklärt werden können. Auch nach 58 Verhandlungstagen im Prozess gegen zwei angeklagte Polizeibeamte vor dem Dessauer Landgericht blieben zum Abschluss der Beweisaufnahme und nach den Plädoyers am Montag entscheidende Fragen offen. So ist nach wie vor ungeklärt, wie der Brand in der Zelle des Dessauer Polizeireviers überhaupt ausbrach, in der der 23-jährige Afrikaner nach seiner Inhaftierung qualvoll starb.
Oberstaatsanwalt Christian Preißner stellte in seinem Plädoyer das Geschehen lediglich als "tragischen Unglücksfall" dar. Die Staatsanwaltschaft beantragte gegen den ehemaligen Dienstgruppenleiter des Dessauer Polizeireviers Andreas S. eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 40 Euro. Ihm wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wie auch der Nebenklagevertreter hätte Jalloh gerettet werden können, wenn S. nach Ausbruch des Brandes in der Zelle schneller Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte. Der zweite angeklagte Polizist wurde freigesprochen.
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Am Morgen des 7. Januar 2005 dieses Tages brachte die Polizei den Asylbewerber aus Sierra Leone, der schon seit 1999 in Dessau lebte, in das Polizeirevier der Stadt. Frauen der Stadtreinigung hatten sich von dem stark alkoholisierten Afrikaner belästigt gefühlt und die Polizei gerufen. Mit etwa drei Promille Alkohol im Blut leistete er heftigen Widerstand gegen die Beamten. Sie schnallten ihn deshalb in einer Zelle an Händen und Füßen auf einer Pritsche fest. In dem gekachelten Raum befanden sich außer der schwer entflammbaren Matratze, auf der Jalloh lag, keine weiteren Gegenstände.
Eine Viertelstunde vor Ausbruch des Brandes kontrollierten Polizeibeamten die Zelle des Inhaftierten.
Erst gegen Ende des Prozesses tauchte der Verdacht auf, dass der Mitangeklagte Polizist Hans-Ulrich M. dabei sein Feuerzeug in der Zelle verloren haben könnte. Dienstgruppenleiter Andreas S. ignorierte kurz darauf zunächst das zweifache Anschlagen des Brandmelders aus dem Zellentrakt im Keller, weil dieser schon mehrfach Fehlalarme ausgelöst hatte. Die Wechselsprechanlage war leiser gestellt worden, weil sie Telefongespräche störte. Erst ungewöhnliche "plätschernde" Geräusche der Wechselsprechanlage, Hilferufe des Afrikaners und ein Anschlagen des Lüftungsmelders bewogen Andreas S. zum Eingreifen. Versuche, in die Zelle einzudringen und Hilfe zu leisten, scheiterten an der heftigen Rauchentwicklung. Jalloh verstarb nach späteren Gutachten binnen weniger Minuten an einem Hitzeschock.
Wie konnte ein Feuerzeug in die Zelle gelangen, dessen Reste bei der verbrannten Leiche gefunden wurden? Entzündete der Afrikaner möglicherweise selbst die Matratze, auf der er gefesselt lag? Diese Frage blieb zum Prozessabschluss offen.
Auch deshalb die drei Nebenklagevertreter eine Mitschuld des Dienstgruppenleiters am Tode Jallohs. Auf dem Weg in den Keller habe er mindesten zwei bis drei entscheidende Minuten verloren, so Rechtsanwalt Felix Isensee. Er schloss "andere Möglichkeiten der Selbstentzündung" aber ausdrücklich nicht aus.
Die etwa 40 Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude, darunter viele Afrikaner und Mitglieder der Jalloh-Gedenkinitiative, riefen es noch deutlicher: "Oury Jalloh - das war Mord!"
Während Oberstaatsanwalt Preißner für Brandstiftung "nicht den geringsten Anhaltspunkt" sah, ist das Misstrauen der Afrikaner und von Flüchtlingsorganisationen wie "The Voice Refugee Forum" durch den Prozessverlauf stetig gewachsen. Sie fordern eine unabhängige Kommission, die nun den Prozessverlauf untersuchen soll. Salion Jalloh, der Bruder des Verstorbenen, nannte den Prozess eine "Farce". "Alle wissen, dass Oury umgebracht worden ist", ließ der Vater des Verstorbenen über seinen Prozessvertreter ausrichten. Selbstmordabsichten hatten bereits die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage bei einem so lebensfrohen jungen Menschen ausgeschlossen.
Vorwürfe richten sich weniger an das Gericht als an die Polizei, deren Geist und Verhalten in Sachsen-Anhalt durch das Verfahren einmal mehr ins Zwielicht geraten ist. "Der Fall strotzt von Versäumnissen und Schlamperei", ließ sich der Vorsitzende Richter Steinhoff sogar einmal zu einer Bemerkung hinreißen. Nebenklagevertreter Isensee sprach vom "Korpsgeist der Polizei", der dazu führte, das Zeugen "gemauert und gelogen" hätten. Amnesty International schrieb von "Organisierter Verantwortungslosigkeit".
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Der ungeklärte Tod des Oury Jalloh>
Unterdessen haben die Nebenkläger Ggegen den Bereitschaftsarzt Dr. B., der Oury Jalloh vor seiner Einlieferung in die Zelle untersuchte, Strafanzeige gestellt. Nach ihrer Ansicht hätte der Afrikaner in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Die Umstände seiner Verhaftung, die im Prozess keine Rolle spielten, sprach Anwältin Regina Götz in Vertretung der Mutter an. Hinter den drastischen Maßnahmen gegen den Afrikaner stecke ein "institutioneller Rassismus". Die Eltern hatten zuvor ein Angebot des Gerichts entrüstet abgelehnt, das Verfahren gegen Zahlung einer Entschädigung von 5.000 Euro durch Andreas S. einzustellen.
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/freispruch-fuer-dessa…
08.12.2008 6 Kommentare Schrift
Was die Freisprüche der Polizisten in Dessau zu einem Skandal macht
Der ungeklärte Tod des Oury Jalloh
KOMMENTAR VON SABINE AM ORDE
Unwillen und Ungereimtheiten, Schlampereien und Widersprüche prägten von Anfang an die Ermittlungen und den Prozess um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der vor fast vier Jahren gefesselt in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. Aussagen wurden verändert, Beweismittel verschwanden oder tauchten verspätet auf. Ohne massiven öffentlichen Druck wäre es wohl nie zu einem Prozess gekommen. Das ist ein Skandal.
Sabine am Orde ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.
Schuld daran sind vor allem die, die eigentlich für Aufklärung sorgen sollten: die ZeugInnen aus der Polizei. So mutierte die Hauptbelastungszeugin zu Prozessbeginn zur Entlastungszeugin, der Revierleiter bat während des laufenden Prozesses alle Polizeizeugen zu einem Gespräch. Der Verdacht, dass hier KollegInnen auf Linie gebracht wurden, drängt sich auf. Dieser Korpsgeist und widersprüchliche Expertengutachten führten dazu, dass auch nach 22 Monaten Prozess zentrale Fragen nicht geklärt sind: Wie entstand der Brand? Und: Hätte Jallohs Tod verhindert werden können, wenn die Polizisten schneller reagiert hätten?
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So musste das Gericht die beiden angeklagten Polizisten freisprechen. Doch der Verdacht, dass sie nachlässig mit Jallohs Leben umgingen, weil er ein Flüchtling aus Afrika war, der bleibt. Dies gilt umso mehr, weil Polizeigewalt gegen Migranten nur selten Konsequenzen hat. Wenn es mal zu einer Anzeige kommt, folgt darauf meist die Gegenanzeige - und PolizistInnen, die eine Anzeige aufnehmen, glauben eher anderen Polizisten als Einwanderern. Statistiken aus Berlin und Hamburg zeigen zudem: Bei den wenigen Beamten, die je angeklagt wurden, waren Verurteilungen die absolute Ausnahme. In anderen europäischen Ländern werden solche Fälle längst von unabhängigen Kommissionen untersucht. Das muss auch hierzulande endlich geschehen. Auch die statistische Erhebung von Polizeiübergriffen ist überfällig.
Mehr zum ThemaUrteil im Jalloh-Prozess:
Freispruch und Geldstrafe für Polizisten>
Im Fall Jalloh hilft das nicht mehr. Sachsen-Anhalt sollte aber für seinen Tod die Verantwortung übernehmen. Jalloh ist betrunken und gefesselt in Polizeigewahrsam verbrannt. Das Land sollte seine Angehörigen entschädigen.
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/der-ungeklaerte-tod-des…
08.12.2008 7 Kommentare Schrift
Pro-Asyl-Referent über Dessau-Freispruch
"Ein makabres Stück Polizeialltag"
Nach dem Freispruch der beiden angeklagten Polizisten wirft Pro Asyl den deutschen Ordnungshütern institutionellen Rassismus vor. VON ULRICH SCHULTE
taz: Herr Mesovic, steht der Fall Jalloh stellvertretend für ein Problem in Deutschland?
BERND MESOVIC, 54, arbeitet als Referent bei Pro Asyl und ist seit 25 Jahren im Flüchtlingsschutz tätig.
Bernd Mesovic: Ja. Das Verfahren bestätigt, was Menschenrechtsorganisationen seit Jahren behaupten: Die Polizei hat als Organisation ein Problem mit exzessiver Gewalt - und mit ihrer Aufarbeitung. Polizeizeugen haben in dem Prozess ein Gespinst aus Lügen und Halbwahrheiten gewebt. Das war ein makabres Stück deutschen Polizeialltags, der immer noch von Korpsgeist und einer Mauer des Schweigens geprägt ist.
Wie zeigte sich das während des Prozesses?
Die Behörden haben von Anfang an versucht, Ermittlungen in eine von ihnen gewünschte Richtung zu leiten. Als der Tod Oury Jallohs bekannt wurde, wurden Pressemitteilungen veröffentlicht, die Deutungen des Vorgangs nahelegten. Das hat das Verfahren geprägt.
Es kommt bundesweit immer wieder zu Übergriffen durch Beamte. Ist Gewalt das einzige Problem?
Nein. Die Polizei leidet an institutionellem Rassismus. Auch die Geschichte Jallohs begann mit alltäglichem Rassismus: Ein Schwarzer wurde ganz selbstverständlich auf der Straße angehalten, kontrolliert und einkassiert. Diese Selbstverständlichkeit, mit der Polizisten gegen anders aussehende Menschen vorgehen, bestätigen Menschen aus der schwarzen Community, wenn man sie fragt. Eine schwarze Haut bedeutet schlicht ein höheres Risko, verletzt zu werden.
Aus ihrer Erfahrung: Wie werden Übergriffe aufgeklärt?
Eine Aufklärung durch Polizei, oder ein Anerkennen des institutionellen Versagens ist nicht zu erwarten. Das Phänomen existiert in der Selbstwahrnehmung der Polizeibehörden oft überhaupt nicht.
Haben Sie für diesen Vorwurf einen Beleg?
Wenn Initiativen die Polizei auf Vorkommnisse aufmerksam machen, hören sie immer ähnliche Argumente: Danke für den Hinweis, wir kümmern uns um die schwarzen Schafe - aber ein strukturelles Problem besteht nicht. Wenn es hart auf hart kommt, werden die Reihen fest geschlossen. Und leitende Beamte und Staatsanwaltschaft stützen diesen Reflex.
Ein Beispiel, bitte.
In Berlin wurden im Jahr 2004 über 750 Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizisten gestellt, es kam jedoch nur zu einer Hand voll Verurteilungen. Dieses Missverhältnis ist immens. Die Justiz ist offenbar zu einer ernsthaften Aufklärung nicht in der Lage. Rechtsanwälte beobachten zudem: In vielen Fällen reagiert die Polizei mit Gegenanzeigen - so dass die Anwälte ihren Klienten oft raten, von einem Verfahren abzusehen.
Was müssten Behörden tun, um Rassismus zu bekämpfen?
Die Menschenrechte müssten etwa in der Ausbildung breit thematisiert werden, außerdem müsste die Führung den Korpsgeist bekämpfen. Natürlich sollen sich Polizisten im Einsatz aufeinander verlassen können. Das schließt aber nicht ein, Fehlverhalten des anderen zu decken. Die Polizei muss also die so genannte "Cop Culture" aufbrechen, zugunsten einer offenen Organisationsstruktur. Außerdem wäre ein zivilgesellschaftlicher Einblick in Polizeigewahrsame nötig, etwa durch Experten von Nichtregierungsorganisationen. Dieses Unter-sich-Sein der Polizei in Kellergeschossen ist gefährlich.
Amnesty International fordert eine unabhängige Kommission, die in Deutschland Polizeigewalt untersuchen soll. Zu Recht?
Eine solche Kommission wäre ein Schritt nach vorne. So, wie sie in anderen europäischen Ländern bereits existiert.
Wäre die nicht heillos überfordert? Jedes Bundesland hat eine eigene Polizeibehörde.
Sie müsste in der Tat auf verschiedenen Ebenen installiert werden, der Föderalismus macht es nicht gerade einfacher. Und sie würde exemplarisch kontrollieren, nicht flächendeckend. Aber allein die Möglichkeit der Kontrolle beugt Gewalt vor.
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www.jungewelt.de
10.12.2008
Zum Urteil im Prozeß um den Tod von Oury Jalloh
Aus der Stellungnahme von Wolf-Dieter Narr, der im Namen des Komitees für Grundrechte und Demokratie der Urteilsverkündung im Prozeß um den Tod des Asylsuchenden Oury Jalloh beiwohnte:
Am 7.1.2005 ist Oury Jalloh aus Sierra Leone im Polizeigewahrsam zu Dessau, in Zelle Nr. 5 auf einer Schaumgummimatratze festgekettet, um die Mittagszeit verbrannt. Oury Jalloh, Anfang zwanzig, hatte in der BRD vergebens Asyl gesucht. Warum wurde Oury Jalloh in eine Zelle gebracht und festgekettet; warum wurde die Situation des Gefesselten nicht andauernd überprüft; wer hat die Matratze in Brand gesteckt; wie kam ein Feuerzeug in die blitzsaubere Zelle; warum wurde Oury Jalloh nicht rechtzeitig losgekettet und gerettet? Fragen über Fragen.
Über zwei Jahre nach dem Feuertod in polizeigeschützter Gewahrsamzelle wurden zwei Polizeibeamte, einer höheren Rangs, staatsanwaltlich angeklagt. Sie hätten aufgrund pflichtmäßigen Versäumnisses und fahrlässig zum unerklärten Tod im »Gewahrsamsbereich« der Dessauer Polizei beigetragen.
Am 8.1.2008 um 16.45 Uhr ging der Prozeß mit einem längst erwarteten Freispruch wie einem musikalischen Scheinschluß zu Ende. Freunde Oury Jallohs protestierten. Hin und her gehen Protestrufe, Versuche in den Gerichtssaal gekommener Polizeileute, die Protestierenden hinauszudrängen. Der Vorsitzende Richter, Manfred Steinhoff, verkörperte Deeskalation durch Sichruhigverhalten. Um 17.30 Uhr hebt er damit an, Gründe für den Freispruch vorzutragen. Nun kommt alles andere als erwartet.
– Das Verfahren habe in einem rechtstaatlichen Sinne als Wahrheitssuche nicht stattfinden können.
– Die Suche nach einem angemessenen Urteil sei in über 60 statt in sechs Sitzungen daran gescheitert, daß auf dem Boden sumpfiger Wahrscheinlichkeiten und unzuverlässiger Indizien keine harten Tatsachen und stimmigen Indizien hätten gesichtet werden können.
– Dafür aber seien drei miteinander zusammenhängende Gründe verantwortlich: eine unzureichende staatsanwaltliche Zeugenvernahme und Klageschrift (letzteres deutete der Richter nur an); eine Polizeibehörde, die nicht nur das Verfahren ungehörig zu beeinflussen suchte, sondern lebenswichtige Vorkehrungen insbesondere in der Gewahrsamzelle und in Sachen Feuerschutz zu treffen schlampig versäumte; insbesondere aber ein anhaltendes Lügenspinnen der polizeilichen Zeugen, die Angeklagten eingeschlossen. Jede und jeder habe berufliche Pflichten versäumt und statt dessen nach dem Prinzip des Opportunismus sich verhalten: Rette sich, wer kann. Darum häuften sich Fehlaussagen, Widersprüche, zu spät kommende Erinnerungen, groteske Kompetenzmängel und ähnliches mehr. Darum seien die Ermittlungen durch eine bunte Kette von »Pleiten, Pech und Pannen gekennzeichnet gewesen«.
– »Sie, dieses Corps der Polizeibeamtinnen und -beamten, die Leitung eingeschlossen – alle haben dem Rechtsstaat geschadet.« Der Freispruch erfolge, weil das Gericht »im Namen des Volkes« zur Wahrheit verpflichtet sei. Diese sei von der Polizei von Lügen zugehängt worden.
Richter Steinhoff sprach nicht von einer Prozeßverhinderung durch die Polizei, einem »institutionellen Rassismus«, abgefeimter Konstruktion der Tatsachen, die schon mit der staatsanwaltlichen Anklage begonnen habe, wie die treffliche Vertreterin und die beiden kompetent-engagierten Vertreter der Nebenklage. Er benutzte nicht den Ausdruck »struktureller Rassismus«, nicht »Lügengespinst der Polizei«. Darauf lief jedoch die Urteilsbegründung ohne eigentliches Urteil hinaus. Ein Prozeßergebnis, in dem der Polizei, und nicht nur der Dessauer, mit durchschlagenden Gründen der Prozeß gemacht wurde. Die Polizei: schlampig, inkompetent, fahrlässig, vorurteilsgeneigt, arrogant ob ihrer Gewalt, aber selbst festgefügt wie ein beweglicher Block mit raren Ausnahmen, sobald eigenen Mängeln nachgegangen werden sollte: Sie, diese Polizei in ihrer Organisation von oben bis unten, ist des Mordes an Oury Jalloh angeklagt. Die im Verfahren gesammelten Indizien fügen sich jenseits einzelner Personen zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen: Die Polizei zu Dessau ist schuldig.