Oury Jalloh - institutioneller Rassismus und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland
28.01.2009 - 16:06
Pressemitteilung von: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V.
(openPR) - Oury Jalloh ist am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau gestorben. Während eines langen Gerichtsverfahrens, welches am 27. März 2007 begann und erst am 8. Dezember 2008 endete, konnten die Umstände nicht Zweifelsfrei geklärt werden. Der Prozess war gescheitert. Der Grund dafür sind neben widersprüchlichen Zeugenaussagen von Polizeibeamten, welche bis dato scheinbar ohne Nachspiel blieben, und fehlenden Konsequenzen des Richters, welcher zwar eingesteht, dass der Prozess gescheitert ist, sich jedoch mit der „Unmöglichkeit“ der rechtmäßigen Aufklärung abzufinden scheint, auch fehlendes Interesse und Angst der Öffentlichkeit an der Wahrheit. Denn es kommen nur zwei Möglichkeiten in Betracht: entweder hat sich Oury Jalloh tatsächlich selbst umgebracht, oder er wurde ermordet.
Die von der Staatsanwaltschaft verfolgte Taktik, dass es sich beim Tod von Oury Jalloh um einen Unfall handelte, der auf fahrlässiger Tötung von Polizeibeamten zurückzuführen war, ist schlicht und ergreifend lächerlich, wenn man bedenkt, dass ein mit beiden Armen und Beinen am Bett gefesselter Häftling „aus Versehen“ eine schwer entflammbare Matratze in
Brand gesetzt und sich somit unglücklicherweise selbst getötet haben soll. Das es sich nicht um Selbstmord handelte, dessen ist sich sogar der Richter, der die Polizeibeamten aus formalen Gründen freigesprochen hat, sicher. So schreibt der Spiegel über Richter Manfred Steinhoff: „Er kritisierte scharf, dass die Zeugen mit ihren widersprüchlichen Aussagen dafür gesorgt hätten, dass das Verfahren nichts mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun gehabt habe.“. Die badische Zeitung schreibt: „Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff hatte in seiner Urteilsbegründung schwere Versäumnisse bereits bei den Ermittlungen sowie das Aussageverhalten von Polizisten als Zeugen scharf kritisiert.“ Und in der Welt heißt es: „Richter, Staatsanwalt und die Anwälte der Familie sind sich in einem einig: Man könne nicht davon ausgehen, dass sich Jalloh das Leben nehmen wollte.“
Angefangen von der Behandlung des Gefangenen, der an Beinen und Händen wie ein Schwerstverbrecher im Stile von Hannibal Lecter gefesselt wurde, über die widersprüchlichen Zeugenaussagen von Polizisten, bis hin zu einem Freispruch durch einen Richter, der anscheinend durchaus bestätigt, dass der Freispruch lächerlich ist, müssen wir uns fragen, nicht ob institutioneller Rassismus existiert, sondern wie dieser greifbar gemacht und abgeschafft werden kann.
Wer die verschiedenen Beweise kennt, von denen Einige unter anderem in einer Dokumentation der ARD und auch auf der Internetseite der Initiative für Oury Jalloh zu sehen sind (siehe Quellen), der weiß, dass es sich in diesem Fall um Mord handelte. Die Fragen, die offen bleiben, sind also nicht die der Art der Tötung, sondern die Fragen nach den Tätern und den Motiven. Und genau da fängt die Angst der Bevölkerung an. Denn bei einem Mord in einer Polizeizelle muss die Polizei, deren Aufgabe der Schutz des Rechtsstaates ist, in irgendeiner Form involviert gewesen sein. Wenn nun also die Polizei nicht nur involviert ist, sondern auch noch freigesprochen wird, dann funktioniert unser Rechtsstaat nicht und ist in ernster Gefahr. Damit würde die Öffentlichkeit natürlich den Glauben an das Rechtssystem verlieren, und es würde ein Chaos im gesamten Land drohen. Und nur aus genau diesem Grund ist es zu erklären, warum die Staatsanwaltschaft keine Klage wegen Beihilfe zum Mord, sondern stattdessen wegen unterlassener Hilfeleistung eingereicht hat.
Die große Anzahl an zum Teil ungeklärten Todesfällen durch Polizeigewalt, welche in der Presse ausreichend dokumentiert sind, macht deutlich, dass wir als Nation in der Tat Gefahr laufen, den rechtsstaatlichen Charakter der Bundesrepublik Deutschland zu verlieren, wenn wir nicht umgehend dafür sorgen, dass die im Gesetzt verankerten Institutionen zum Schutz von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ihre Aufgaben erfüllen. Genannt seien hier Beispielhaft nur einige wenige in der breiten Öffentlichkeit bekannten Fälle wie Adem Özdamar - Hagen 2008, Dominique Koumadio – Dortmund 2006, Laye Condé – Bremen 2005, Oury Jalloh - Dessau 2005, Stefan N. - Berlin 2002. Die Tatsache, dass es hier Handlungsbedarf gibt, ist nicht nur bekannt, sondern wird sogar auf den Internetseiten der Bundeszentrale für politische Bildung beschrieben, um die Allgemeinheit auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Der Film „Oury Jalloh“ von Simon Paetau, der 2008 mit dem Deutschen Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde, ist ein weiteres Beispiel für öffentlich dokumentierte und respektierte Hinweise auf die Lücken der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.
Wir fordern daher in Anlehnung an die Forderungen von anderen Organisationen, u.a. Amnesty International, eine internationale, unabhängige Kommission, die nicht nur die Ursachen für den Tod Oury Jallohs und dessen zweifelhaftes Gerichtsverfahren aufklärt, sondern das Rechtssystem als ganzes auf ungeklärte Fälle von Polizeigewalt und fehlende Rechtsstaatlichkeit untersucht, damit Maßnahmen getroffen werden können, welche institutionellen Rassismus verhindern und die Rechtsstaatlichkeit für alle Menschen in Deutschland, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht, Alter und anderen Merkmalen gleichsam sichern.
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Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland zu vertreten.
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Wir wollen schwarze Projekte fördern
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Wir zeigen die Diskriminierung und Benachteiligungen von Schwarzen Menschen auf und bekämpfen sie
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...und vieles, vieles mehr
Seit Mitte der 80er Jahre sind wir in Deutschland aktiv. Die Initiative wurde stark geprägt vom Engagement innovativer und visionärer Frauen, die auch ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland) ins Leben riefen.
Es geht nicht um den "Nachweis" afrikanischer Herkunft, sondern darum, dass Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung rassistisch diskriminiert werden, individuell, gesellschaftlich, strukturell. Dies trifft Schwarze Frauen wie Männer, gleich welcher Nationalität, gleich welcher Biografie, gleich welchen Alters, gleich welcher Orientierung oder welcher Weltanschauungen.
ISD fördert Schwarzes Bewusstsein, Wissen um Schwarze Geschichte, Sichtbarmachung und Anerkennung von Beiträgen in allen gesellschaftlichen Bereichen wie Kunst/ Kultur, Wissenschaft, Geschichte, Medizin; Kontakte und Kommunikation Schwarzer Menschen untereinander sowie zu Schwarzen und anti-rassistischen Gruppen in Deutschland und weltweit; Skandalisierung von Rassismen, anti-rassistische Haltung in der Gesamtbevölkerung.
Wir fordern eine anti-rassistische Haltung in allen Bereichen der Politik (Bildung, Aufenthalt, Staatsbürgerschaft, Asylgestzgebung) einschließlich einer gewandelten Selbstdarstellung durch die Bundesrepublik als multikulturelles, multiethnisches, multikolores Deutschland; immer noch ein Anti-Diskriminierungsgesetz.
Dt/Eng.)
Oury Jalloh Initiative will unabhängige Kommission - demand Independent Commission: Gedenken an Oury Jalloh, Dessau 7.1.09