Asylpolitik- „Miserable Flüchtlingbetreuung“ Flüchtlingsrat besucht Sonneberger Gemeinschaftsunterkunft und fällt ein vernichtendes Urteil
Von Roland Wozniak und Ully Günther
Sonneberg – Verfolgt, vertrieben, entwurzelt. Und schließlich: angekommen, angefeindet, ausgegrenzt. Das Schicksal von Flüchtlingen ist in der Regel eine Odyssee mit sehr begrenztem Spaßfaktor.
Was mag in Menschen vorgehen, die auf Grund ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung oder wegen der Zugehörigkeit zu ihrer Volksgruppe in ihrer Heimat verfolgt werden? Die irgendwann diese Heimat verlassen müssen? Die ihre letzte Hoffnung auf Deutschland setzen, ein in ihren Augen schönes, sicheres und freies Land? Und dann zum Beispiel in Sonneberg auf eine Realität treffen, die Steffen Dittes, Vorsitzender des Flüchtlingsrates Thüringen, „eine Katastrophe“ nennt, denn Flüchtling in Sonneberg sein, das heißt in Angst leben.
Männer wie Frauen berichteten dem Flüchtlingsrat, im Schnitt etwa einmal pro Woche würden rassistische und ausländerfeindliche Parolen vor ihrer Unterkunft in der Gustav-König-Straße gebrüllt, öfter flögen in der Nacht Steine oder Eisbrocken gegen Fassade und Fenster.
Der Flüchtlingsrat Thüringen ist ein politisch unabhängiger Zusammenschluss aus Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und Mitmenschen die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Am Samstag lud der Verein Flüchtlinge zum Gespräch. Gastgeber war die katholische Gemeinde St. Stephan.
Nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention gab es im Jahre 2007 weltweit 42 Millionen Flüchtlinge. Ein Viertel dieser Flüchtlinge verließ das eigene Heimatland. Nach Europa kamen davon etwas über 11 Millionen Menschen, und in der Bundesrepublik landeten schließlich weniger als 20 000 Flüchtlinge, von denen wiederum 595 als zugewiesene Asylbewerber nach Thüringen kamen, ein kleiner Teil davon nach Sonneberg.
Nach einem Besuch der Gemeinschaftsunterkunft hier hatte sich Steffen Dites sein Urteil dann gebildet: Er diagnostizierte: „Miserable und katastrophale Missstände.“ Und das, obwohl noch kurz vor seinem Besuch durch das Landratsamt ein paar kosmetische Reparaturen durchgeführt wurden. So bemerkte der katholische Pfarrer Andreas Anhalt, dass der Bretterverschlag vom Eingang verschwunden und diese Zone optisch hergerichtet worden sei. In der Küche seien kaputte Fensterscheiben ausgebessert worden, durch die seit Jahren der Wind hindurch gepfiffen habe, auch ein neuer Küchenherd sei angeschafft worden.
Ein solches Vorgehen, so Dittes, sei in Thüringen eher die Regel als die Ausnahme. Bei Besuchen des Flüchtlingsrates würden oft in der Woche vorher noch ein paar grobe Missstände beseitigt. Den Umgang mit den Flüchtlingen hier belege aber die Tatsache, dass Scheiben, in die schon vor Monaten Steine geflogen seien, noch immer nicht repariert seien.
In der Diskussion klagten dann auch besonders die Frauen über ihre Ängste. Nachts stünde die Haustür offen, sie trauten sich nicht aus ihren Zimmern über den Flur, wo mehrfach fremde Leute genächtigt hätten. „Unglaublich“, kommentierte Dittes, mit einer selbstschließenden Tür müsse das möglichst sofort abgestellt werden.
Auch der Umgang mit ihnen in der Ausländerbehörde war bei den Flüchtlingen Anlass zu bitteren Klagen. Mündliche Anträge würden dort nicht angenommen, schriftliche Begründungen nicht erteilt, viele trauten sich auch gar nicht mehr nachzufragen, hieß es: „Die werden dort immer gleich laut.“
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Flut von Klagen
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Der Vorsitzende des Flüchtlingsrates zeigte sich von der Flut und dem Inhalt der Klagen sichtlich beeindruckt. Es komme ja immer wieder vor, dass Flüchtlinge im einen oder anderen Einzelfall nicht korrekt behandelt würden, „aber hier habe ich gleich aus mehreren Schilderungen verschiedener Flüchtlinge den Eindruck gewonnen, dass die Verwaltung im Bereich Ausländerrecht rechtswidrig handelt. So etwas habe ich bislang noch nicht erlebt.“
Besonders stieß Dittes auf, dass ihm die Flüchtlinge berichteten, ihr Ausweisdokument mit dem Duldungsstempel werde nicht prompt verlängert, sie müssten es abgeben und manchmal Tage darauf warten. „Können Sie sich vorstellen, wie es einem Flüchtling ergeht, den die Polizei am Bahnhof ohne Ausweisdokument antrifft?“, fragt Dittes. Flüchtlinge seien verpflichtet, dieses Dokument bei sich zu tragen. Die Duldungserlaubnis einzustempeln, das sei ein Vorgang von nur zwei Minuten.“
Nallandjan Geanik lebte als Armenierin in Aserbaidschan, vor 11 Jahren kam sie mit ihrer Mutter nach Sonneberg, bis heute wird ihr das Bleiberecht verweigert, obwohl die Gesetze nach vier Jahren zumindest eine Duldung vorsehen. „Ich habe Hoffnung, dass die Gesetze für uns sind.“ Verzweifelt erzählt sie davon, dass sie zu Hause sitzt und nichts tun darf. „Ich darf nicht arbeiten. Ich kann keine Familie gründen. Wie soll ich so mein Leben in den Griff bekommen?“ Ihre Mutter, so erzählt die junge Frau, habe auf Grund der Behandlung in der Ausländerbehörde schon einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Auch bei Serine Hakopjan hängt die weitere Lebensplanung am Aufenthaltsstatus. Derzeit lernt sie als Schülerin in der 10. Klasse. „Ich möchte gern Krankenschwester lernen. Ich müsste mich jetzt bewerben, aber ich darf den Kreis nicht verlassen.“ Hier greift die so genannte Residenzpflicht. Asylbewerber dürfen den Landkreis nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung verlassen. Dabei, sagt Dittes, sei es durchaus im gesetzlichen Rahmen, diese Residenzpflicht auf ganz Thüringen auszudehnen.
Ein Verstoß gegen diese Residenzpflicht kann Sanktionen nach sich ziehen. Bereits das dreimalige unerlaubte Verlassen des Landkreises wird als Straftat geahndet. Dies musste der aus dem Irak geflohene Ehemann von Gisela Hoffmann erfahren, ihm wurden einmal 500 DM Strafe auferlegt. Die beiden sind schon seit Jahren verheiratet. Er geht einer geregelten Arbeit nach. Ihm werde immer noch die Niederlassungserlaubnis verweigert, sagt er.
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Untragbar
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Als einzige Vertreterin der offiziellen Politik war die Landtagsabgeordnete Carola Stauche (CDU) beim Flüchtlingsrat in Sonneberg zu Gast. Carola Stauche ist im Innenausschuss des Landtages die Beauftragte für Migration und Integration. „Ich bin oftmals mit der Situation unzufrieden“, sagt sie. Auf der Veranstaltung in Sonneberg wurde sie mit einer von ihr getätigten Äußerung im Landtag konfrontiert. Im Jahr 2007 hat sie dort geäußert: „Wir können dieses Land nicht kaputtmachen, indem wir die ganze Welt bei uns aufnehmen.“ Zu dieser Äußerung steht die Abgeordnete auch heute noch, aber dass man mit denen, die wir aufnehmen, nicht so umgehen könne, wie es in Sonneberg geschehe, sagte Carola Stauche auch. Sie versprach, die Missstände an den entsprechenden Stellen zur Sprache zu bringen.
Pfarrer Andreas Anhalt resümierte, was Asylbewerber und Flüchtlinge beträfe, sei der Kreis onneberg „in einem sehr bedauernswerten Zustand“, und Steffen Dittes schrieb gestern einen Brief an die Landrätin, an die Bürgermeisterin und ans hiesige Netzwerk für Demokratie. Inhalt: Die Lage der Flüchtlinge in der Stadt Sonneberg sei untragbar. Sie müsse sofort verbessert werden.
Freies Wort Zeitung; Erschienen im Ressort Sonneberg Lokal am 04.03.2009 00:00
http://www.freies-wort.de/nachrichten/regional/neuhaus/art4147,940146
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Eisenach: Diabeteskranker Flüchtling soll abgeschoben werden; Pressemitteilung des Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Stellungnahme des KARAWANE-Netzwerks an das Verwaltungsgericht Gera
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