Kurdisches Neujahr | 23.03.2009 08:15 | Birgit von Criegern
Schatten der Abschiebung
Das diesjährige Newroz-Fest ist für die aus Syrien geflüchtete kurdische Familie Ali kein Grund zum Feiern. Ein Abkommen lässt sie die Abschiebung fürchten
Der Frühlingsanfang bringt nicht nur die lang erwarteten Sonnenstrahlen, sondern für Kurden in aller Welt auch den Jahreswechsel. Achtmal schon beging die Familie Ali das Newroz-Fest in Deutschland – dieses Jahr jedoch in drohender Ungewissheit. Die Alis sind Immigranten aus Syrien und sie sind Kurden. Die Familie fürchtet um ihre neue Heimat im niedersächsischen Kreis Cloppenburg. Denn seit dem 3. Januar 2009 ist ein zwischen Deutschland und Syrien geschlossenes Rückführungsabkommen in Kraft, nach dem Migranten ohne Pass abgeschoben werden können. Die Regelung könnte auch die kurdische Familie Ali treffen, die als Staatenlose nach Deutschland geflüchtet waren.
Ein kurdischer Demonstrant hisst eine Fahne, die den PKK-Gründer Öcalan zeigt (Foto: AFP/Getty Images) Hungerstreik vor dem Ministerium
Das Newroz-Fest ist für die Alis eine kurze Pause – angespannte Wochen liegen hinter ihr. Vater Salah Ali war sogar in den Hungerstreik getreten, protestierte im März zehn Tage lang mit anderen kurdischen Einwanderern vor dem Innenministerium gegen die drohende Abschiebung. Eigens dafür war er nach Berlin gereist, schlief nachts auf einer Isomatte in einem kurdischen Vereinshaus. Öffentliches Echo auf ihre Aktion gab es kaum. Schließlich brach Ali, der tumorkrank ist, das Hungern ab. Auch die anderen beendeten den Streik – zum Teil im Krankenhaus.
"Wenn ich in Syrien auf dem Flughafen ankäme, würde ich sofort verhaftet werden," sagt Ali, der politisch aktiv war und für die verbotene kurdische Yakiti-Zeitung geschrieben hat." Asyl erhielt seine Familie dennoch nicht, auch nicht der jüngste von sieben Kindern, der neunjährige Rakan, der hier geboren wurde. "Was könnten wir in Syrien anfangen?" fragt Tochter Avin, 22 Jahre alt. "Als Kurden dürfen wir dort weder wählen noch öffentlich arbeiten." Sie hat selbst zwei kleine Kinder, möchte sie hier zur Schule schicken. Und sie will eines Tages nicht mehr von Lebensmittelgutscheinen leben. Die bekommen die Alis, die in Niedersachsen nur mit Duldungsstatus leben, seit neun Jahren.
Das Auslieferungsabkommen ermöglicht der deutschen Regierung, alle abgelehnten Asylbewerber zurückzuschicken. Das Innenministerium habe „dabei direkt mit einem Folterstaat" kollaboriert, kritisiert Pro Asyl. Bernd Mesovic von der Flüchtlingsorganisation sagt, die Behörden zeigten "null Problembewusstsein gegenüber Menschenrechtsverletzungen in Syrien“, obwohl der Lagebericht des Auswärtigen Amtes hier eine deutliche Sprache spricht. Erfahrungsgemäß setzt Syrien rückkehrende Familien unter Druck, um Informationen über den Verbleib von politisch aktiven Angehörigen zu bekommen, hat das Syrian Human Rights Commitee dokumentiert.
„Moderne Standards“
Für die deutsche Regierung ist der Fall einfach: Das Abkommen nach "modernen europäischen Standards" stelle "einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der illegalen Migration aus dem Nahen Osten dar". Betroffen sind hierzulande rund 7.000 syrische Flüchtlinge. Die Familie Ali fühlt sich weder als "illegal" noch als kriminell. Sie hat längst Freundschaften aufgebaut, der 17-jährige Sohn Furad hat hier seinen Schulabschluss gemacht und muss nun die Abschiebung fürchten. Die gewünschte Mechaniker-Ausbildung darf er gar nicht erst anfangen.
http://www.freitag.de/politik/0912-kurden-newroz-abschiebung-syrien?sea…
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Weitergeleitete Mail ----
Von: abdelhamid osman
An: RED Skinhead
Gesendet: Montag, den 23. März 2009, 13:20:23 Uhr
Betreff:
Sie sind hier: Flüchtlingspolitik> Herkunftsländer> Syrien
Handlungsempfehlungen bzgl. Rücknahmeabkommen Deutschland-Syrien
Das am 14.Juli 2008 geschlossene Rücknahmeabkommen mit Syrien (siehe Schnellinfo 7/2008) ist am 03. Januar 2009 in Kraft getreten und ermöglicht unter anderem auch die Abschiebung von Staatenlosen nach Syrien. Laut Pro Asyl sind nun bis zu 7.000 Flüchtlinge aus Syrien, insbesondere KurdInnen von der Abschiebung bedroht. Das Rücknahmeabkommen sei eine „direkte Kollaboration mit einem Folterstaat“. Selbst im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 05.Mai 2008 seien gravierende Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.
Zur Vermeidung von Abschiebungen dieser Personengruppen schlägt die Rechtsanwältin Silke Schäfer als Handlungsoption vor, Asylfolgeanträge zu stellen. Politische Verfolgung könne nun als Asylgrund vorgetragen werden, weil für Staatenlose Syrien durch das Abkommen wieder „Land des gewöhnlichen Aufenthalts“ geworden sei. Im Falle der Nichtverlängerung von Duldungen oder Aufenthaltserlaubnissen könne mit Eilanträgen und Klagen reagiert werden, die sich beziehen können auf:
a) Integration in Deutschland (Art.8 Abs.1 EMRK i.V.m. §25 Abs.5 AufenthG);
b) rechtliches Abschiebungshindernis, da Abschiebung eines Staatenlosen als unmenschliche Behandlung gelten kann (Art.3 EMRK i.V.m. §60 Abs.5 AufenthG).
Zu bedenken ist allerdings, dass bis heute kein internationales Abkommen, kein Völkergewohnheitsrecht und keine gefestigte Rechtssprechung existieren, die die Abschiebung von Staatenlosen verbieten;
c) rechtliches Abschiebungshindernis (§60 Abs.7 AufenthG), da Staatenlose in Syrien faktisch rechtlos sind und ihnen ein Existenzminimum verweigert wird. Die Rechte, die ihnen verweigert werden, sind: Erwerb der syrischen Staatsbürgerschaft, Wahlrecht, Besitz- oder Kaufrecht hinsichtlich Land, Immobilien oder eines Geschäfts, staatliche Anstellung, Erbrecht, Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern, Anspruch auf staatlich subventionierte Lebensmittel, Anmeldung eines Kfz, Arbeit / Ausbildung als Arzt oder Ingenieur, anerkannte Heirat von weiblichen syrischen Staatsangehörigen, Freizügigkeit in Syrien außerhalb der Provinz Hasaka selbst für Kurzreisen, Freizügigkeit für Auslandsaufenthalte. Detaillierte Informationen zur Lage von Staatenlosen in Syrien sind zu finden im Bericht von Eva Savelsberg und Siamend Hajo (2004): "Die Situation staatenloser Kurden in Syrien" .
Die Partei „Die Linke“ geht davon aus, Deutschland verspreche sich mit Hilfe des Rückübernahmeabkommens, staatenlose KurdInnen nach Syrien abschieben zu können
Deutsch-syrisches Rückübernahmeabkommen: Antwort der Bundesregierung (BT: 16/10786) vom 05.11.2008 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (BT: 16/10685)
Am 14.07.2008 wurde ein Abkommen zwischen Deutschland und Syrien geschlossen zur Rückübernahme von Staatsangehörigen und Staatenlosen, die aus Syrien illegal nach Deutschland eingereist sind.Die Partei „Die Linke“ geht davon aus, Deutschland verspreche sich mit Hilfe dieses Abkommens, staatenlose KurdInnen nach Syrien abschieben zu können. Bisher ist dies an der Aufnahmeverweigerung durch Syrien gescheitert.
"Die Weigerung zur Aufnahme staatenloser Kurdinnen und Kurden ist Teil der Arabisierungspolitik des syrischen Regimes in den mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebieten im Norden und Osten des Landes. Im nördlichen Teil, der „Jazira“, wurde 1962 eine Volkszählung durchgeführt, in deren Folge ca. 120 000 Kurdinnen und Kurden ausgebürgert und damit staatenlos wurden. Kurdinnen und Kurden, denen die Staatsangehörigkeit entzogen wurde, gelten seitdem als „Ausländer“, da ihnen der syrische Staat unterstellt, illegal aus der Türkei und dem Irak eingewandert zu sein. Kurdinnen und Kurden, die bei der Volkszählung nicht erfasst wurden, sind seitdem „Nichtregistrierte“, ebenso wie ihre Nachkommen und die Nachkommen von „Ausländern“. Human Rights Watch (HRW) schätzte 1996 ihre Zahl auf insgesamt ca. 200 000" (BT: 16/10685).
Im täglichen Leben sind die Zugehörigen dieser Volksgruppe Diskriminierungen ausgesetzt, so ist ihnen z.B. der Schulabschluss wegen fehlender Papiere nicht möglich.
Die Frage zur Haltung der Bundesregierung gegenüber der Ansicht von Menschenrechtsorganisationen, dass die syrische Regierung eine gezielte Arabisierungspolitik betreibe, teilt die Bundesregierung lediglich mit, dass der Verweigerung der Ausstellung amtlicher Dokumente an Kurden und der Rückübernahme von illegal aus Syrien in andere Staaten emigrierten Personen die syrische Rechtsauffassung zugrunde liege. Die Änderung der Einstellung der syrischen Regierung und die Zustimmung zum Rückübernahmeabkommen stellt die Bundesregierung als "Ergebnis erfolgreicher Verhandlungen" dar.
Auf die Fragen der Fraktion DIE LINKE, wie viele Syrer sich zum Stichtag 30 September 2008 weniger als sechs Jahre bzw. länger als sechs Jahre in Deutschland mit einer Niederlassungserlaubnis (Aufenthaltserlaubnis, Gestattung, Duldung bzw. ohne Aufenthaltstitel) aufhielten, antwortete die Bundesregierung:
Mit einem unter sechs Jahren liegenden Aufenthalt in Deutschland besaßen zum Stichtageine Niederlassungserlaubnis 411 Personen, sowie 4.727 Personen, die länger als 6 Jahre hier lebten;
eine Aufenthaltserlaubnis 6.250 (unter sechs Jahren Aufenthalt) bzw. 7.754 (über sechs Jahre Aufenthalt);
eine Gestattung874 (unter 6 Jahren Aufenthalt) bzw. 110 (länger als 6 Jahre Aufenthalt);
eine Duldung 1.760 (unter 6 Jahren Aufenthalt) bzw. 3.753 (länger als 6 Jahre Aufenthalt)
und die keinen Aufenthaltstitel, auch keine Duldung haben 651 (unter sechs Jahren Aufenthalt) bzw. 625 (mit längerem Aufenthalt als sechs Jahren).
Außerdem fragte die Fraktion nach der Zahl derer, gegen die eine Ausweisungsverfügung ergangen ist (Antwort: 1.774 bzw. 4.141) und nach der Zahl derer, die bis zum Stichtag vollziehbar ausreisepflichtig sind (Antwort: 352 bzw. 945).
Zahlen, die Auskunft darüber geben, wie viele Personen der oben genannten Gruppen staatenlos waren, bei denen aber die Vermutung nahe liegt, sie kämen aus Syrien, liegen der Bundesregierung nicht vor. Auch könne keine Aussage darüber getroffen werden, wie viele Staatenlose und syrische Staatsangehörige nach Inkrafttreten des Abkommens nach Syrien abgeschoben werden.
Auf die Frage, ob die Bundesregierung der Ansicht Syriens folge, dass die ausgebürgerten Kurdinnen und Kurden aus der Türkei eingewandert seien und somit Anspruch auf türkische Staatsangehörigkeit hätten, teilt die Bundesregierung mit, dass entsprechende Äußerungen Syriens ihr nicht bekannt seien, ebenso wenig Maßnahmen oder Bemühungen zur Repatriierung.
Auf Fragen der Linken zur Einschätzung der Bundesregierung zur Verbesserung der rechtlichen Situation der Kurden in Syrien teilt die Bundesregierung mit, dass Bestrebungen, das geltende Gesetz, dass ein Kind eines staatenlosen Kurden keinen Anspruch auf die syrische Staatsangehörigkeit habe, zu ändern, der Bundesregierung nicht bekannt seien. Auch Bestrebungen von syrischer Seite, in Syrien ansässigen staatenlosen Kurden die syrische Staatsangehörigkeit zu verleihen oder denjenigen staatenlosen kurdischen Kindern, die über keinerlei amtliche Dokumente verfügen, den Zugang zum syrischen Bildungswesen zu ermöglichen, seien der Bundesregierung nicht bekannt.
Auf die Frage der Linken, ob Syrien Garantien gegeben habe, ob die Betroffenen Zugang zur Staatsangehörigkeit oder zu einem sicheren Aufenthaltsstatus bekommen und vor diskriminierenden Maßnahmen geschützt seien, teilte die Bundesregierung mit, dass Artikel 8 des Rückübernahmeabkommens festlege, dass die u.a. internationalen Verpflichtungen beider Vertragsparteien unberührt blieben.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Nachfrage zur eigenen "wertorientierten Außenpolitik" lautet:
"Es wird auf den „8.Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen“, Seiten 322 und 323 zu Syrien, verwiesen".
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Bundesinnenministerium unterzeichnet Rückübernahmeabkommen
Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble und sein syrischer Amtskollege Bassam Abdelmajid haben am 14.07.2008 in Berlin ein bilaterales Rückübernahmeabkommen unterzeichnet, so das BMI in ihrer Pressemitteilung vom gleichen Tag. Ebenfalls unterzeichnet wurde ein Durchführungsprotokoll, das die Verfahren zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und weitere Einzelheiten regelt.
Durch das Abkommen soll es künftig möglich sein, nicht nur ausreisepflichtige syrische Staatsangehörige, sondern auch Drittstaatsangehörige und Staatenlose nach Syrien zurückzuführen, wenn diese über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum der syrischen Seite verfügen oder unmittelbar aus dem Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei rechtswidrig eingereist sind.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums vom 14.07.2008
Downlaod:
* Rückübernahmeabkommen Deutschland - Syrien Durchführungsprotokoll
Juli 2008