Thüringische Flüchtlings-Gemeinschaft
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Sehr geehrte Damen und Herren
wir wenden uns in einer besonders bedeutsamen Angelegenheit an Sie. Felix Otto ist ein Flüchtling aus Kamerun, der seit neun Jahren in Deutschland lebt. Seit dem 30. März 2009 ist Felix Otto in der Justizvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter in Thüringen gefangen. Er wurde zu acht Monaten Haft verurteilt. Felix Otto hat nicht irgendein schweres Verbrechen begangen. Felix Otto hat lediglich sein natürliches Recht auf Bewegungsfreiheit genutzt.
Daher fordern wir Sie auf, sich für seine sofortige Freilassung aus der Haft und die Abschaffung des Residenzpflichtgesetzes einzutreten.
Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem ein Gesetz zur Residenzpflicht in Kraft ist. Diesem Gesetz zufolge sind Flüchtlinge dazu verpflichtet, sich in einem ihnen zugewiesenen Landkreis aufzuhalten und ihn nicht zu verlassen. Unabhängig von der Begründung oder der Dringlichkeit diesen zu verlassen, benötigen sie eine schriftliche Genehmigung der Ausländerbehörde. Ein Flüchtling, der gegen dieses Gesetz verstößt, wird mit einer Geld- oder Haftstrafe oder beidem belegt. Die Strafe kann bis zu 2500 Euro betragen, die Haftstrafe bis zu einem Jahr.
Anträge von Flüchtlingen auf die Erlaubnis, den Landkreis zu verlassen, werden zumeist willkürlich durch die Ausländerbehörde abgelehnt. Die Ablehnung erfordert keinerlei Begründung durch die Behörde. Darüber hinaus gibt es keine andere Möglichkeit, gegen die Ablehnung vorzugehen, als über eine Eingabe bei Gericht. Dadurch wird die Antragstellung zur Farce. In einigen Landkreisen müssen Flüchtlinge, die 40 Euro pro Monat zur Verfügung haben, für jede Erlaubnis 10 Euro bezahlen. Wenn ein Antrag abgelehnt wird, sind die Flüchtlinge gezwungen, gegen die Residenzpflicht zu verstoßen. Sie werden dann als Verbrecher behandelt und mit Haftstrafen belegt, so wie Felix Otto.
Ein Blick in die Geschichte:
Es sei an den 22. August 1938 erinnert. An diesem Tag trat im Rahmen der von den Nationalsozialisten eingeführten Ausländerpolizeiverordnung eine sehr ähnliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Deutschland in Kraft. Die Strafe bei Verstoß gegen diese Verordnung war wie heute eine Geldstrafe oder bis zu ein Jahr Haft. Betrachtet man die Ähnlichkeiten in Sprache, Strafe und Konsequenzen der Verordnungen von Heute und von 1938, kann es kaum einen Zweifel darüber geben, dass die heutige Verordnung aus der rassistischen Gesetzgebung des Naziregimes übernommen wurde. Damals war es ein rassistisches Gesetz und so ist es die Residenzpflicht heute ebenfalls. Es ist an der Zeit, die Residenzpflicht mit den anderen Relikten des Nationalsozialismus abzuschaffen.
Seit Jahren kämpfen Flüchtlinge in Deutschland für die Abschaffung der Residenzpflicht. Sie kämpfen gegen ihre Strafverfolgung und Kriminalisierung, weil das Gesetz den natürlichen Bedürfnissen des Menschen widerspricht und ihre fundamentalen Menschenrechte verletzt. Zu Recht bezeichnen Flüchtlinge die Diskussion über Integration als Scheindebatte aufgrund der bewussten Ausgrenzung und Isolation von Menschen durch das Residenzpflichtgesetz. Viele Flüchtlinge müssen vollständig abgesondert in heruntergekommenen Lagern leben und haben keine andere Entfaltungsmöglichkeit, als ein System aus Zermürbung und Erniedrigung auszuhalten. Das Leben in den Lagern führt zu ernst zu nehmenden physischen wie psychischen Erkrankungen der Flüchtlinge. Sie wollen diese Situation beenden.
Flüchtlinge leisten Widerstand gegen ihre Stigmatisierung und Kriminalisierung durch dieses Gesetz. Polizeikontrollen werden flächendeckend aufgrund des Aussehens der Menschen durchgeführt. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass bei Personenkontrollen in Zügen diejenigen Menschen kontrolliert werden, die nicht wie weiße Deutsche aussehen. Dabei trifft es Flüchtlinge ohne Behördengenehmigung am härtesten.
Durch die Proteste der Flüchtlinge gegen das inhumane und erniedrigende Residenzpflichtgesetz wurde gezeigt, dass es sich bei der Residenzpflicht um ein deutsches Apartheid Gesetz handelt. Niemand mit einem Bewusstsein und einem Gespür für Menschenwürde kann ein solches Gesetz tolerieren. Der Widerstand der Flüchtlinge gegen dieses Gesetz durch zivilen Ungehorsam und die bewusste Missachtung der unsichtbaren, aber stets präsenten Grenzen, verdient jede Art der Solidarität und Unterstützung als Anerkennung des existentiellen Kampfes für die Verbesserung der ganzen Gesellschaft.
Die Residenzpflicht widerspricht Artikel 13 der UN-Menschenrechtscharta. Das Residenzpflichtgesetz verletzt unser Menschenrecht und muss folgerichtig abgeschafft werden.
Wir, die Thüringische Flüchtlings-Gemeinschaft, fordert sie eindringlich auf, sich für die umgehende Haftentlassung des Herrn Felix Otto und aller anderen Menschen, die wegen dieses Gesetzes im Gefängnis sind, einzusetzen.
Wir, die Thüringische Flüchtlingsgemeinschaft, fordert sie eindringlich auf, sich für die Abschaffung der Residenzpflicht und für eine Entschädigung ihrer Opfer einzusetzen.
In Erwartung Ihrer zeitnahen Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Maksud Agaev
Thüringische Flüchtlings-Gemeinschaft