Von Stephan Otto 14.12.2009 / Berlin / Brandenburg
Genehmigung für Besuch in Hamburg
Flüchtlinge protestierten zusammen mit antirassischen Initiativen gegen die Residenzpflicht
Straßentheater gegen Residenzpflicht
Als Paul Njoroge aus Kenia nach Deutschland flüchtete, glaubte er, ein freies Land erreicht zu haben. Doch ebenso schnell merkte er, dass diese Freiheit nicht für ihn galt. Er wurde in ein Heim in die Nähe von Frankfurt (Oder) eingewiesen. Seine Schwester aber lebt in Hamburg, und nach dem Asylverfahrensgesetz darf der 37-Jährige sie ohne Genehmigung nicht besuchen. Dagegen protestierte er am Samstag auf einer Kundgebung unter der Weltzeituhr, zu der flüchtlingspolitische und antirassistische Organisationen aus der Region aufgerufen hatten. »Ich will nicht ein Gesetz brechen, das für Deutsche nicht gilt«, sagte er. 2005 wurde Paul Njoroge zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt, weil er gegen diese Residenzpflicht verstoßen hatte. Seitdem ist er zwar geduldet, kann aber jederzeit abgeschoben werden.
Doch die Kritik an dieser in Europa einmaligen Auflage, die sowohl für Asylbewerber, als auch für geduldete Flüchtlinge gilt, wächst. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hält sie zwischen Berlin und Brandenburg für obsolet, wie er gegenüber dem ND bekräftigte. Körtings Haltung zu dem Problem ist nicht neu, und auch die rot-rote Landesregierung in Brandenburg möchte den Flüchtlingen einen straffreien Transit nach Berlin ermöglichen und nahm das Vorhaben in die Koalitionsvereinbarung auf.
Paul Njoroge und etwa hundert Mitstreiter versammelten sich trotzdem auf dem Alexanderplatz. Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat begrüßt zwar die Absichtserklärungen von SPD und LINKE in Potsdam und Berlin. Allerdings gebe es noch keine ernsthaften Anstalten, das Vorhaben auch umzusetzen, meint Thomas.
Körting kündigte zwar an, erneut zu prüfen, ob eine Bundesratsinitiative Erfolg haben könnte, doch angesichts der schwarz-gelben Mehrheit sind die Initiativen skeptisch. Bereits vor zwei Jahren scheiterte ein solcher Vorstoß, und auch in Brandenburg gab es seinerzeit einen erfolglosen Vorstoß. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) habe eine Aufhebung der Residenzpflicht im Beirat des lokalen Aktionsplans Potsdam gefordert, erklärt Kay Wendel vom Brandenburger Flüchtlingsrat. Der damalige Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sei jedoch dagegen gewesen. Nach seiner Einschätzung fehlte dafür eine Ermächtigungsgrundlage, weil das Asylverfahren unter die Bundesgesetzgebung fällt.
»Auf der Länderebene gibt es aber einen Ermessensspielraum«, bekräftigte Kay Wendel. Der Berliner Rechtsanwalt Rolf Stahmann habe ein Gutachten angefertigt, das einen Weg zeige, die Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg aufzuheben. »Es können eine einfache Verwaltungsvereinbarungen zwischen beiden Ländern geschlossen werden«, erklärte Wendel. »Davon gibt es zwischen Berlin und Brandenburg bereits 79 andere.« Beide Länder bewegten sich seit längerem aufeinander zu und bereiteten in kleinen Schritten eine Fusion vor, glaubt er. »Wir hoffen, dass nun Bewegung in die Diskussion kommt« sagt Wendel.
Paul Njoroge ist täglich von der Bewegungsunfreiheit betroffen. Er weiß nicht, wovor die Behörden Angst haben. Vor ihm? Er sei kein Krimineller, meint er, und sein Blick verrät Ratlosigkeit. Kay Wendel erklärt, dass die Residenzpflicht 1982 eingeführt wurde, nachdem vermehrt Flüchtlinge aus der Türkei und Vietnam in die Bundesrepublik gekommen waren. Damals habe es eine Hysterie vor einer »Asylantenschwemme« gegeben, woraufhin die Politik versucht habe, das Land so unattraktiv wie möglich zu machen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161130.genehmigung-fuer-besuch-…
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10.12.2009 Beitragsfunktionen:
INTERNATIONALES: Dunkle Haut erntet misstrauische Blicke
Ein Asylbewerber berichtet Schülern von seinen Erfahrungen in Kamerun, Jüterbog und Berlin
JÜTERBOG - Wie fühlt es sich eigentlich an, wegen seiner Hautfarbe ausgegrenzt zu werden? Wie ist es, wenn man als politisch unbequemer 18-Jähriger aus seinem Heimatland ausgewiesen wird? Und was ist, wenn man arbeiten will, aber nicht darf? Zu diesen Fragen bekamen Schüler am Goethe-Schiller-Gymnasium in Jüterbog nun Besuch von jemandem, der sie authentisch beantworten konnte: dem Kameruner Ndama Josef Serge.
Unter dem Motto „Kennenlernen – Asylbewerber im Unterricht“ organisiert der Kirchenkreis Zossen-Fläming bereits seit einigen Jahren Unterrichtsstunden mit deutsch-, englisch- und französischsprachigen Asylbewerbern. Das passte gut zum Lehrplan für die Abiturienten im Französischkurs, die sich mit Frankophonie beschäftigen, mit der Verbreitung der französischen Sprache in der Welt.
Der 27-jährige Ndama Josef Serge ist seit dem Jahr 2001 in Deutschland. Mit einer Gruppe von Freunden hatte der damals 18-Jährige in einem Viertel seiner Heimatstadt eine Demonstration gegen die Regierung in Kamerun geplant. „Der Präsident in Kamerun ist schon seit 26 Jahren an der Macht, das ist ein Familienclan, man kann keinerlei politische Entscheidung bekunden als Bürger in Kamerun, dagegen wollten wir demonstrieren“, erzählte er den Schülern.
Für sein politisches Engagement kam er ins Gefängnis, war Tage ohne Essen und Trinken und wurde gefoltert. Das schlimmste sei das laute Schreien und Weinen der anderen Gefangenen gewesen, berichtet er. „Dagegen konntest Du nichts tun.“ Nach einigen Tagen in Haft folgte die Abschiebung nach Deutschland. Ohne jegliche Kenntnis der Kultur oder Sprache kam Serge zur zentralen Annahmestelle Brandenburgs in Eisenhüttenstadt. Einige Wochen später erhielt er einen Platz im ehemaligen Asylbewerberheim in Jüterbog.
„Jüterbog ist eine schöne Stadt, aber als Schwarzer wird man sehr misstrauisch angeguckt“, so seine Erfahrung. Bei Blicken allein blieb es nicht. Als der begeisterte Fußballer eines Abends vom Sport kam, lauerte man ihm hinter dem Rohrteich-Sportplatz auf und verprügelte ihn.
Heute lebt er in Berlin mit seiner dreijährigen Tochter und seiner Frau. Die Hauptstadt sei anders, so seine Erfahrung. „Da ist man einer von vielen und die Leute helfen einem, wenn sie sehen, dass man auf der Straße bedroht oder verprügelt wird.“ Er macht nun eine Ausbildung zum Fußballtrainer.
Weniger als ein Prozent der Asylbewerber werden in Deutschland anerkannt. Sie seien „für Politiker wenig interessant“, sagt Ralf Eyssen, Asylhelfer aus Luckenwalde, schließlich lägen sie dem Staat auf der Tasche und dürfen nicht wählen.
Drei Monate bekam Serge zum Deutschlernen – zu wenig, um die Sprache wirklich zu beherrschen. Arbeiten gehen durfte der junge Mann damals nicht. Dafür muss ein Asylbewerber laut Gesetz mindestens vier Jahre lang in Deutschland leben. „Mit 18 Jahren hat man Träume und Ziele, man will studieren, man will lernen, aber ich durfte das nicht, als ich herkam, das war wie eine Folter“, berichtet Serge.
Vor drei Jahren durfte er seine eigene Mutter nicht mal auf dem Sterbebett besuchen, weil er keine Ausreisegenehmigung bekam. Er durfte nicht mal nach Berlin. Denn laut Residenzpflicht dürfen Asylbewerber den Landkreis, in dem ihre Unterkunft ist, nur verlassen, wenn sie eine Genehmigung haben. „Als ich einen Freund in Berlin besuchte, wurde ich auf der Straße festgenommen.“
Viele demütigende Erfahrungen hat Serge gemacht. Trotzdem, so erzählte er den Abiturienten mit strahlenden Augen, hält er am großen Wunsch fest, eines Tages Fußballtrainer in Kanada zu sein. (Von Adrienne Fuhr)
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11679161/61939/Ein-Asylb…