Meinungsbericht aus der KARAWANE Gruppe Hamburg nach der Demonstration in Gedenken an Oury Jalloh am 07.01.2010 in Dessau
Am 5. Jahrestag des brutalen Todes von Oury Jalloh gedachten mehr als zweihundert DemonstrantInnen in Dessau allen, von staatlichen und nicht-staatlichen rassistischen Kräften ermordeten Menschen.
Oury Jalloh verbrannte am 07. Januar 2005 in einer leeren Zelle im Dessauer Polizeirevier an Händen und Füßen am Boden fest gekettet auf einer feuerfesten Matratze liegend.
Unter der Schockwirkung der grausamen Todesumstände Oury Jallohs und der Unverfrorenheit der staatlichen Behörden ohne irgendwelche Beweise als einzigen Tathergang eine Selbsttötung zu behaupten hatte sich die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ – für Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung gegründet. Mit der langjährigen Erfahrung von The VOICE Refugee Forum und dem KARAWANE-Netzwerk entwickelte sich die Kampagne zu einem grundsätzlichen Aufruf, sich gegen rassistische Gewalt und Polizeibrutalität zu organisieren und die einzelnen Fälle wie die Erschießung von Dominique Koumadio in Dortmund zusammenzubringen. Die kompromißlose Haltung gegenüber allen Relativierungen und die Kontinuität des Protestes haben zu dem Prozess gegen zwei Polizeibeamte geführt, der mit dem Freispruch und dem Verlust jeglichen Anscheins von Rechtsstaatlichkeit endete. Sie haben dazu geführt, dass der Bundesgerichtshof in höchster richterlicher Instanz am 5. Todestag Oury Jallohs das Urteil des Dessauer Landgerichts kassiert und einem Revisionsverfahren statt gibt.
Dies ist kein „Sieg der Rechtstaatlichkeit“ wie von vielen Seiten jetzt die Entscheidung in Karlsruhe bewertet wird, sondern der Versuch nach der Wiederherstellung des Anscheins von Rechtstaatlichkeit, der in Dessau so vollständig verloren ging. Das Gericht habe "nicht die Chance gehabt, das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen". Polizeibeamte hätten im Zeugenstand "bedenkenlos und grottendämlich" falsch und unvollständig ausgesagt, die Freisprüche für die beiden Angeklagten beruhten nicht darauf, "dass wir herausgefunden hätten, was sich am 7. Januar 2005 im Polizeirevier Dessau abgespielt hat". - "Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen", waren Richter Steinhoffs letzte Worte, ehe er die Verhandlung schloss. (Süddeutsche Zeitung)
Sollte der Dessauer Prozess, der am 27. März 2007 begann, die nie belegte und widersinnige Behauptung der Selbsttötung untermauern, war das Prozessende 21 Monate später am 08. Dezember 2007 die Bestätigung der Annahme „Oury Jalloh- das war Mord“. Schon Monate zuvor hatte die Initiative den Prozess als Farce bezeichnet und sich von der Prozeßbeobachtung zurückgezogen und den Protest auf der Strasse verstärkt.
Der Aufruf und die fortlaufenden Vorbereitungen zur Gründung einer internationalen unabhängigen Untersuchungskommission, die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh durch Protestaktionen oder mit der Fotoausstellung „Break the silence!“ und auch eine gute Arbeit der Rechtsanwälte haben den Druck geschaffen, dass im Bundesgerichtshof in Karlsruhe jetzt erstmals die Frage - wie kann jemand brennen ohne zu schreien? - aufgegriffen wurde. Allerdings bleibt es bei dem Beschluss für eine Revision vor dem Landgericht Magdeburg eben auch bei der von Beginn an festgelegten Version, Oury Jalloh habe sich selbst verbrannt. Diese Version ist nicht aus Ermittlungen hervorgegangen. Im Gegenteil wurden die Ermittlungen nur in diese Richtung geführt. Dabei verschwanden Beweismittel oder wurden vernichtet, was Richter Steinhoff damals in Dessau als Ansammlung von „Pleiten, Pech und Pannen“ bezeichnete. Ursprünglich sollte es in keinem Fall einen Prozess geben und nur durch den massiven Druck der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und einer wachsenden Öffentlichkeit kam es erst nach zwei Jahren zum Prozess. Die Festlegung auf die These Oury Jalloh habe sich selbst verbrannt führte zu einem bizarren Bild des Rechtsstaats: Mit Polizeipsychologen, Aussageverhaltenstraining und Polizei internen Prozessdepechen wurde versucht eine in sich schlüssige Version, dessen was nach Ausbruch des Feuers geschah, dem Gericht zu liefern. Da bereits vorher schon die absurde Version des Tathergangs festgelegt war, war es nicht überraschend, dass dies trotz aller Hilfestellungen nicht gelang. Der gesamte von den PolizistInnen der Dessauer Wache geschilderte Ablauf von der Festnahme bis zum Erscheinen der Feuerwehr blieb voller Widersprüche, Falschaussagen, Schweigen und Lücken.
So zeigte sich am Ende des über zwei Jahre hinausgezögerten Prozess wieder: Oury Jalloh – das war Mord! Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann in einem aktuellen Artikel, die sich dem Leser aufdrängende Frage nach Mord nur mit falschen Informationen auslöschen: „ ... Weil er keinen Ausweis hatte, wurde er - obwohl er fast drei Promille Alkohol im Blut hatte - in eine Zelle gesperrt und an ein Bett gefesselt. Wie es ihm gelang, seine „feuerfeste“ Matratze mit dem Feuerzeug, das er nicht hätte haben dürfen, anzuzünden, blieb ungeklärt wie manches andere. Gesichert ist dank Überwachungskameras, dass es sich nicht um eine gezielte Tötung handelte - wohl aber um grobe Nachlässigkeiten, herablassendes Verhalten und um Vertuschungsversuche auf vielen Ebenen.“ (faz.net) Es gibt keine Aufzeichnungen durch die Überwachungskameras, wodurch belegt werden könnte, wie das Feuer ausgebrochen ist und wer wann in der Zelle war, wo Oury Jalloh gefesselt auf dem Boden lag. Es gibt genauso wenig Aufzeichnungen wie Oury Jalloh zu dem Nasenbeinbruch und Trommelfellverletzungen kam, die erst in einer zweiten von der Nebenklage veranlassten Oduktion bekannt wurden.
Es geschieht keine Gerechtigkeit auch nicht durch das Urteil in Karlsruhe, die Gerechtigkeit wird weiter ausgesperrt. Trotz der deutlichen Kritik aus Karlsruhe an dem bisherigen Verfahren wird das, was nicht sein darf, weiter ausgeblendet. Der Glaube an eine Selbsttötung unter Ausschluss der Möglichkeit der vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Tötung entspringt einer rassistischen Denkweise und Struktur in diesem Land. Für die Dessauer Polizei ist es Schutzbehauptung und Rassismus zusammen.
Dass das Schweigen über den Tod Oury Jallohs weiter gebrochen wird, ist der kontinuierlichen und intensiven Arbeit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zu verdanken. Oury Jallohs Tod ist zum Symbol für rassistische Polizeigewalt geworden und Oury Jalloh lebt in dem Kampf gegen das koloniale Unrecht weiter. KARAWANE-Kulturfestival vom 4.-6. Juni 2010 in Jena
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh setzt den Kampf um Gerechtigkeit fort, die Arbeiten an der internationalen unabhängigen Untersuchungskommission und die Vorbereitung eines Tribunals gehen weiter.
Oury Jalloh- das war Mord
Break the Silence
Fotos von der Gedenkdemo für Oury Jalloh unter: Gedenkdemo für Oury 07.01.10
Bundesgerichtshof Mitteilung der Pressestelle, Nr. 3/2010: Freispruch im Fall "Ouri Jallow" aufgehoben
*****
KARAWANE-Kulturfestival vom 4.-6. Juni 2010 in Jena
"Vereint gegen koloniales Unrecht in Erinnerung an die Toten der Festung Europa"
Überregionale Info für das Karawanefestival 4.- 6. Juni 2010 in Jena: + (Texts in English)