Presseerklärung des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 14.01.2010
*Landkreis Harburg will die Eltern eines bleiberechtigten minderjährigen Kindes abschieben und so das minderjährige Kind von seinen Eltern trennen. 16-jähriger Sohn soll „auch ohne Hilfe der Familie zurechtkommen“.*
Der Landkreis Harburg plant, ein Roma-Paar und fast alle gemeinsamen Kinder aus dieser Verbindung demnächst in den Kosovo abzuschieben – mit Ausnahme des Sohnes Ismail (16 J.), der unbestritten einen Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt. Der 16-jährige Ismail G. hat mit einer ebenfalls minderjährigen Frau ein Kind gezeugt, welches die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Als Vater dieses Kleinkindes darf Ismail nicht aus Deutschland abgeschoben werden. Ismail wohnt mit seiner Freundin und dem deutschen Kind bei seinen Eltern und Geschwistern, die nun alle abgeschoben werden sollen.
Für den Landkreis Harburg scheint eine Abschiebung der Eltern von Ismail kein Problem zu sein: Nachdem Ismail mit seiner Freundin eine Familie gegründet habe, sei er doch nun selbst „Familienoberhaupt“. Nach der Abschiebung seiner Eltern werde er „auch ohne die Hilfe der Familie zurechtkommen“. Wenn es mal eng werde, könne der minderjährige Mann sich durchaus an die Eltern seiner Freundin in Bremerhaven wenden oder die
Hilfe des Jugendamtes in Anspruch nehmen. Es seien „keine Gründe ersichtlich“, warum den Eltern des 16-jährigen Ismail ein Aufenthaltsrecht oder eine Duldung zustehen könnte, nachdem für Ismail ein Aufenthaltsrecht als Vater eines deutschen Kindes entstanden sei.
Das Vorgehen des Landkreises Harburg ist unerhört und verfassungswidrig (Verstoß gegen Artikel 6 des Grundgesetzes). Minderjährige Kinder benötigen die gesetzliche Vertretung durch ihre Eltern. Sie benötigen die unersetzbare Hilfe und Unterstützung der Eltern. Minderjährige Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass die Behörden dieses Eltern-Kind-Verhältnis schützen und achten. Dies gilt auch für Jugendliche, die in der Übergangsphase zur Volljährigkeit sich schon mehr oder weniger selbständig verhalten. Eine Aufweichung der scharfen Grenze zwischen Minderjährigkeit und Volljährigkeit kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass man gelegentlich Kinder schon ab 16
wählen lässt.
Bisher betrafen die Fälle zum Thema „Familientrennung“ immer nur „horizontale“ Fälle, also Fälle, in denen Ehegatten voneinander getrennt worden sind oder Eltern von ihren volljährigen Kindern.
So ist beispielsweise im Fall der im Februar 2005 in die Türkei abgeschobenen Gazale Salame kein Kind ohne Elternteil zurückgeblieben.
Gazale wurde hochschwanger mit einer Tochter abgeschoben, der Mann Ahmed blieb mit zwei Kindern in Deutschland zurück. So schlimm der Fall auch ist: Kein Kind ist allein – ohne mindestens den Vater oder die Mutter - zurückgeblieben.
Nun erleben wir jedoch einen ersten Fall von „vertikaler“ Familientrennung. Hier soll ein minderjähriges Kind, das derzeit noch bei seinen beiden Eltern lebt, zum „Waisenkind“ gemacht werden! Nicht die Elternteile sollen zu „Alleinerziehenden“ gemacht werden; das Kind soll zu einem „unbegleiteten Minderjährigen“ werden. Ihm sollen beide Eltern genommen werden. Dieses Verhalten einer niedersächsi-schen Ausländerbehörde ist von einer neuen, einer beklemmenden Qualität!
Es bleibt die Hoffnung, dass das durch Antrag von Rechtsanwalt Hullerum in Lüneburg mit der Sache befasste Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren dem verfassungswidrigen Treiben des Landkreises Harburg ein Ende setzen wird.
gez. Kai Weber
Flüchtlingsrat Niedersachsen
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