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Tunesische Fischer haben 44 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet. Nun dürfen sie nicht aufs Meer und sollen ins Gefängnis

By voice, 16 April, 2010

Gefangen an Land

Tunesische Fischer haben 44 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet. Nun dürfen sie nicht aufs Meer und sollen ins Gefängnis
Uli Kreikebaum

TEBOULBA. Das Meer ist für ihn seit zweieinhalb Jahren Sperrzone. Doch an diesem Morgen schert sich Abdel Basset Zenzeri nicht darum. Bei Sonnenaufgang, die Aufpasser der Regierung schlafen noch, stiehlt sich der Kapitän auf einen geliehenen Kutter. Er will auf See erzählen, was passiert ist. Der hagere Mann lehnt an der Reling und raucht hastig. "Ich bin ruiniert, unsere Familien sind entehrt", sagt er und spuckt ins Meer.

Kapitän Abdel Basset Zenzeri und Kapitän Abdel Karim Bayouth aus dem tunesischen Fischerort Teboulba sind im November 2009 von einem Gericht im sizilianischen Agrigent zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von 440 000 Euro verurteilt worden. Die Kapitäne und die Crew ihrer zwei Fischerboote retteten am 7. August 2007 vor der italienischen Küste 44 afrikanische Flüchtlinge. Die Seeleute bargen Migranten aus Sudan, Eritrea, Äthiopien und Marokko, 30 Seemeilen vor Lampedusa aus einem sinkenden Gummiboot. Nachdem die Fischer die Küstenwache angefunkt hatten, schickten die Italiener eine Korvette.

Hilferufe in aufgewühlter See

Dem Kriegsschiff, das die zwei Fischkutter auf der Fahrt Richtung Lampedusa blockieren wollte, seien die Kapitäne mit riskanten Manövern ausgewichen, argumentierte das Gericht, das den Hauptvorwurf der Menschenschlepperei fallen ließ. Es verurteilte die Fischer wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Die Tunesier sagen, das Kriegsschiff habe sie abgedrängt, als die Küstenwache sie Richtung Festland eskortierte. Der Verteidiger legte Berufung ein, eine Entscheidung wird es womöglich erst im kommenden Jahr geben.

Kapitän Zenzeri geht ins Führerhäuschen des geliehenen Kutters und stellt den Notruffunk ein. An diesem Morgen kommt nur Knistern aus der Box und unverständliches Gemurmel. Am Morgen des 7. August 2007 ertönten Hilferufe. Zenzeri erinnert sich an jenen Tag, während der Flaschenzug das Netz kreischend ins Meer entlässt und Möwen kreisen, um Sardinenreste zu erhaschen. "Die See war aufgewühlt. Ein Kollege hörte den Funk, sah die Flüchtlinge und hat mich geweckt. Ich habe ihm zuerst gesagt, lass sie weiterfahren, Flüchtlinge fahren doch täglich an uns vorbei." Zenzeri erzählt leise und gepresst. "Aber dann hörte ich Schreie, sah Kinder, eine schwangere Frau. Zwei Flüchtlinge gingen über Bord. Zwei von uns sprangen hinterher, um sie zu retten."

Der Fall der tunesischen Fischer ähnelt jenem des deutschen Hilfsschiffs Cap Anamur, dessen Crew vor fünf Jahren 37 Flüchtlinge im Mittelmeer rettete. Auch gegen den damaligen Chef der Hilfsorganisation, Elias Bierdel, und Cap-Kapitän Stefan Schmidt war in Agrigent wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung prozessiert worden. Vier Jahre Haft und je 400 000 Euro Geldstrafe für Bierdel und Schmidt hatte die Staatsanwaltschaft beantragt. Im Oktober 2009 wurden die Deutschen freigesprochen.

Wie sie sind auch die Tunesier mit viel Anerkennung bedacht worden. Cap-Kapitän Schmidt reichte die an ihn verliehene Carl-von-Ossietzky-Medaille, die unter anderen auch Heinrich Böll und Günter Grass erhalten haben, im Dezember 2009 in Berlin an Zenzeri und Bayouth weiter. "Sie haben die Auszeichnung mehr verdient als wir, sie haben ihr Leben riskiert", sagte Schmidt. Zenzeri war gerührt, als er die Urkunde in Händen hielt. Auf Deutschland setzt er nach dem Besuch in Berlin besonders. Das Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung und die Liga für Menschenrechte haben Überbrückungsgeld gesammelt, ein Spendenkonto eröffnet und versprochen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun.

Der italienische Verteidiger, mit dem er sich nicht verständigen kann, hat Zenzeri versichern lassen, die Chancen auf einen Freispruch stünden jetzt, da der Schleppereivorwurf vom Tisch sei, gut. Zenzeri kann mit solchen Einschätzungen nichts anfangen. Wichtig ist ihm, was am Ende eines Tages im Netz ist. "Und das ist seit zweieinhalb Jahren nichts." Die Aussicht, am Ende doch ins Gefängnis zu müssen, ist ihm nur ein Schulterzucken wert. "Lächerlich."

Nach den fünf hoffnungsvollen Tagen in Berlin holt den Kapitän in Teboulba die Wirklichkeit ein. Er darf weiterhin nicht fischen, in seinem neuen Pass steht "Hafenarbeiter" statt "Kapitän". Er überlegt, sein Haus zu verkaufen, um die Familie mit den drei kleinen Töchtern ernähren und den Bootskredit abbezahlen zu können. 110 000 Euro hat der damals fast neue Kutter gekostet. "Nach der Festnahme ist das Boot im italienischen Hafen geplündert und so beschädigt worden, dass es nichts mehr wert ist."

Zenzeri hat seine Ledermappe, aus der Artikel und Notizen, Gerichtsprotokolle, Schreiben von Politikern und Skizzen quellen, immer bei sich. Er steht im Führerhäuschen des geliehenen Kutters und fischt einen Zeitungstext aus der Kladde, eine Lobeshymne auf italienische Fischer, die Flüchtlinge gerettet hatten. "Was haben wir anderes getan? Bei besserem Wetter hätten wir die Flüchtlinge auf hoher See auf die Schiffe der Küstenwache bringen können und hätten nicht in die italienischen Hoheitsgewässer eindringen müssen." Aber genau das wird den Tunesiern von der Staatsanwaltschaft nun vorgeworfen. Laut Anklage sollen sie die offizielle Aufforderung der Behörde ignoriert haben, italienisches Hoheitsgewässer zu meiden.

Menschenrechtler und liberale Politiker betrachten den Prozess als Präzedenzfall: Damit solle ein Zeichen gegen die Rettung illegaler Einwanderer auf See gesetzt werden. Für die Freilassung der Seeleute aus der Untersuchungshaft hatten sich 80 Organisationen eingesetzt. Über 100 EU-Politiker unterschrieben eine Resolution und beklagten, dass mit der Verurteilung die goldene Regel der Rettung auf dem Meer in jedweder Situation gebrochen werde. Doch die italienische Justiz äußert sich trotz Anfragen nicht zu dem Fall.

"Menschen, die ihr Leben riskiert haben, um andere Menschen zu retten, sind Opfer einer EU-Politik, die alle Fluchtwege nach Europa verplombt", sagt Fanny-Michaela Reisin, Präsidentin der Liga für Menschenrechte. "Flüchtlinge und Migranten werden im Auftrag der EU auf hoher See abgefangen, in Lebensgefahr gebracht und zur Rückkehr nach Afrika gezwungen. Das Menschenrecht auf Asyl fällt im Mittelmeer förmlich ins Wasser."

Den Tunesiern geht es lediglich um ihr Recht aufs Fischen. Die siebenköpfige Crew wartet im Hinterhof des Restaurants "Venezia" in dem kleinen Ort Teboulba. Durch stumpfe Scheiben geht der Blick aufs Meer. Es riecht nach Salz, Tang und dem Diesel der ankommenden Boote. Alle wollen sie ihre Version der Geschichte erzählen.

"Ich fühle mich an Land gefangen, weil ich nicht mehr für meine Familie sorgen kann und ohne Pass nicht mehr als Bürger gelte", beginnt Kamel Ben-Kalifa, der 51 Jahre alt ist und deutlich älter aussieht. Seine Frau Nizeha sagt später, in der zum Rohbau erstarrten Wohnung eines Sohnes, dass ihr Mann nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft drei Monate nicht aus dem Bett gekommen sei. "Es geht mir wieder gut", fällt ihr Ben-Kalifa ins Wort.

Mit Handschellen und in Käfigen seien sie in Sizilien zum Gericht gebracht worden. "Als wären wir Schwerbrecher." Ben-Kalifa ist ein massiger Typ mit rauem Humor, seine Hände sind schwielig, doch seine Stimme zittert. "Sie haben uns das Meer genommen. Warum?"

Um mit dem Kutter hinauszufahren, hat Kapitän Zenzeri das Morgengebet ausgelassen. Er steht backbord und kommandiert. Zwischen Kähnen taucht ein Holzbötchen auf, das mit seinen Scheinwerfern nachts die Sardinen lockt. Für die Nussschale scheint Windstärke zwei bis drei eine Herausforderung zu sein. Die Boote der Flüchtlinge sind nicht größer.

Drei Fischer schwimmen im Netz, um die Fänge von Tang und Fischresten zu befreien. Sie lachen, Zenzeri winkt. "Wir haben immer öfter Skelettteile, Kleidung, Schuhe und Reste von Booten im Netz", sagt er. Dass die Fische weniger würden, liege an den europäischen und asiatischen Fangflotten mit ihren riesigen Netzen, die Berge von Müll ins Meer kippten.

Der Schuldspruch gegen die Kapitäne sei auch auf den seit Jahrzehnten schwelenden Fischereistreit zwischen Italien und Tunesien zurückzuführen, meint Uwe Jenisch, Seerechtsexperte der Universität Kiel. Das "unverhältnismäßige Urteil" mache deutlich, dass die EU Regelungen zur illegalen Migration, Asylpolitik und dauerhafte Lösungen für die Flüchtlingsströme finden muss. Er spricht von "Vorboten der klimawandelbedingten Völkerwanderung".

Italiens Präsident Silvio Berlusconi wertet seine Flüchtlingspolitik als Erfolg. Italien hat, wie andere Mittelmeeranrainer auch, Auffanglager in Afrika und Boote für die nordafrikanischen Küstenwachen finanziert, Rückführungsabkommen verhandelt, Einreise- und Asylbestimmungen verschärft. Seit die Italiener Boote mit Einwanderern auf See abfangen und nach Libyen zurückbringen, sind die Auffanglager von Lampedusa leerer, die Inselbewohner zufrieden.

Am Südufer von Teboulba, in der Nähe von Zenzeris Wohnung, liegen Schuhe, morsche Holzplanken und tote Fische im Kies. Es stinkt nach Tang und Verwesung. Kapitän Bayouth, dessen Augen ein paar Tage zuvor rotgeädert und verquollen waren, ist eine Woche lang nicht zu sprechen. Von einem Suizidversuch geht unter den Fischern das Gerücht.

Spitzel der Regierung warten

Die Sonne steht fast im Zenit. Kapitän Zenzeri lehnt an der Reling, raucht und skizziert ein Szenario: Ein Kreuzfahrtschiff, voll besetzt mit Europäern, ist in Seenot geraten. Es funkt SOS und erhält keine Antwort. Nach der Tragödie wird sich herausstellen, dass tunesische Fischer in der Nähe waren, aber nicht halfen. Aus Angst, verurteilt zu werden, wie sie sagen werden. "Was würde Europa tun?"

Der Kapitän steuert den Kutter zwischen zwei Boote im Hafen. Spitzel der Regierung seien in der Nähe, heißt es. Zenzeri wartet eine Stunde auf der Landzunge, bis er zurück in die Stadt geht. "Wenn unsere Berufung keinen Erfolg hat und wir verurteilt werden, wird niemand mehr schiffbrüchige Flüchtlinge retten", sagt er. Zenzeri überlegt, bis er auf die Frage, wie er in einem ähnlichen Fall heute handeln würde, sagt: "Ich würde alles wieder so machen." Der Satz ist sein Mantra geworden.

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Kampagne für die Lebensretter

Borderline-europe, eine deutsche Menschenrechtsorganisation, in deren Vorstand der ehemalige Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel sitzt, hat im März das Komitee "SOS Mittelmeer - Lebensretter in Not" gegründet. Es setzt sich für die tunesischen Fischer ein.

Materielle und juristische Unterstützung ist geplant. Informationen unter: www.border-line-europe.de/news

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/… » 2010 » 15. April » Horizonte

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