DEUTSCH: Aufruf zur Spende für die Flüchtlingscommunitys in den Lagern: Brecht die Isolation! Alle Lager schließen!
ENGLISH: Make Donation for the Refugee Community in the lagers! - Break the Isolation! Close all lagers!
- "Die Leute hier sind fix und fertig" Karawane Festival - Delegation in Thüringer Flüchtlingslagern https://thevoiceforum.org/node/1616
- 'Ihre Erfahrungen in Leben und Tod sind Teil unseres Erbes', 05. Jun 2010
Fotos und Videos vom Karawanefestival 2010 in Jena - Mit politischer Kunst und Kultur gegen das tödliche EU-Grenzregime
Auf no-racism.net gibt es eine Artikelsammlung zum Karawane Festival 2010 - mit Berichten und Fotos. Ihr findet die ersten unter: http://no-racism.net/thema/124
Karawane Erklärung zum Festival - "Vereint gegen koloniales Unrecht"
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4. Juni 2010 Ali Al Dailami
Grenzenlose Solidarität gegen koloniales Unrecht und Rassismus
Anlässlich des Karawane-Festivals, das vom 4. bis 6. Juni 2010 in Jena stattfindet und sich für Rechte von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten einsetzt, erklärt Ali Al Dailami, Mitglied des Parteivorstandes der Partei DIE LINKE:
Es ist notwendig gegen die herrschende Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie ihren (neo)kolonialen Hintergrund aktiv zu werden. Denn die Ausgrenzung von Flüchtlingen durch Lager, Stigmatisierung, durch Lebensmittelgutscheine, Unterdrückung durch Sondergesetze wie der Residenzpflicht und Abschiebungen stellen rassistische Diskriminierungen dar. Sie befördern Rassismus, in dem sie Ungleichheit rechtfertigen.
Der Antwort auf eine Kleine Anfrage der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, ist zu entnehmen, dass es die Bundesregierung mit der Bekämpfung von Rassismus nicht so ernst meint. Die rassistisch diskriminierenden Vorschriften und Sondergesetze will sie genauso wenig abschaffen, wie die koloniale Vergangenheit aufarbeiten. Lapidar erklärt die Bundesregierung, dass sie nach Prüfung der Möglichkeit der Ausrichtung bzw. Beteiligung an einer entsprechenden Veranstaltung anlässlich des 125. Jahrestages der Berliner Afrika-Konferenz entschieden hat, nichts zu tun. Kein Wunder also, dass sie die Auswirkungen einer rassistischen Politik und Kolonialgesetzgebung nicht beheben will. Auch weiterhin soll staatliches kolonial-rassistisches Unrecht nicht durch eine entsprechende Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes geheilt werden.
DIE LINKE wird auch weiterhin für die rechtliche, politische und soziale Gleichstellung aller, sowie gegen Neokolonialismus und Rassismus kämpfen - außerparlamentarisch und parlamentarisch. Unsere Solidarität gilt den Aktivisten und dem Anliegen des Karawane-Festivals.
http://www.die-linke.de/nc/presse/presseerklaerungen/detail/artikel/gre…
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08.06.2010 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
»Ein Gefühl von Freiheit«
Abschaffung der Residenzpflicht und Schließung von Lagern: Flüchtlingsorganisationen trafen sich in Jena zum Karawane-Festival
Von Gitta Düperthal, Jena
Erinnerung an die Toten der »Festung Europa« – Demonstration am Freitag in Jena
Foto: Thomas Kriska
Rund 2000 Aktivisten der Flüchtlingsorganisationen »The voice« und »Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge« sowie deutsche Unterstützer haben am Wochenende in Jena bei Demonstrationen, Versammlungen, Theater- und Kunstaktionen lautstark auf ihre desolate Lage aufmerksam gemacht. Unter anderem forderten sie die Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht – in keinem anderen Land sind Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit wie in Deutschland eingeschränkt. Sie verlangten die Schließung der Lager und statt dessen Unterbringung in Privatwohnungen. So mancher Jenaer Bürger betrat die von Künstlern auf dem Theaterplatz aufgestellte enge Holzhütte, die eines der von Schimmel und Rost durchdrungenen Elendsquartiere in Möhlau nachstellt, und war schockiert. An den Wänden hingen Fotos, die den baufälligen und verkommenen Gesamtzustand des Lagers zeigten.
Flüchtlinge waren aus der ganzen Republik angereist, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was ihnen alltäglich angetan wird – per Sondergesetz und Behördenwillkür. Viele Migranten empfanden die Zusammenkunft beim Karawane-Festival als Befreiung. »Hier werden wir ernst genommen und können Kraft tanken«, sagte ein aus einem Lager in Halberstadt angereister afrikanischer Flüchtling gegenüber junge Welt: »Es ist ein Gefühl von Freiheit«.
An vier Orten in der Innenstadt wurde auf Transparenten und mit wütend skandierten Demoslogans Abschiebung als »staatlich kontrolliertes Verbrechen« gegeißelt. Dabei waren unter anderem Flüchtlinge aus Sierra Leone, dem Kongo, der Elfenbeinküste und anderen afrikanischen Staaten, aber auch Kurden aus der Türkei und Palästinenser aus Gaza. Am Mikrophon berichteten einige von ihnen, wie sie – einst vor Bürgerkrieg, Krieg, Hunger, Armut oder politischer Verfolgung geflüchtet – sich jetzt, in Deutschland, rassistischer Polizeigewalt ausgesetzt sehen. Der Kurde Engin Celik berichtete von seinem 31tägigen Hungerstreik in der Abschiebehaft: »Ihre Zerstörungskraft ist so groß, daß wir starke Postionen entgegensetzen müssen.«
Als sich am Freitag ein Trauermarsch zum Gedenken an die Toten der »Festung Europa« in Bewegung setzte, waren traurige und bedrückte Gesichter zu sehen. Die meisten Flüchtlinge haben Bekannte oder Verwandte, die einen grausamen Tod auf dem Mittelmeer starben – seit Jahren drängt die EU-Grenzschutzorganisation Frontex Boote mit Flüchtlingen von der Küste weg aufs offene Meer ab und treibt sie so in den Tod. Am Samstag zog eine bunte Parade durch Jena; dieses Mal trugen einige der Teilnehmer nigerianische Masken – als Symbol für die Toten, die kein Begräbnis erhalten und nicht sichtbar werden dürfen. Abends tönte Reggae und rauer Politpunk durch die Altstadt.
Immer wieder waren Beschwerden der Flüchtlinge über haltlose Zustände in Ämtern und Wohnheimen zu hören, bittere Klagen über Mitarbeiter von Behörden und Polizeiorganen, sowie unverantwortlich handelnde Ärzte und Richter, die bei Abschiebungen mitwirken. Beim öffentlichen Tribunal am Holzmarkt traten zwei Aktivistinnen in schwarzen Roben auf und klagten jene Funktionsträger an, die sich am brutalen Akt alltäglicher Flüchtlingsdiskriminierung beteiligen. Die kurdische Karawane-Aktivistin Naciye Alpay faßte in ihrer Rede zusammen: »Die Entrechtung der Flüchtlinge steht stellvertretend für einen generellen Abbau sozialer und demokratischer Rechte.« Es tobe Klassenkampf von oben: »Im Interesse des Profits probieren sie aus, wie weit sie gehen können.« Längst betreffe Diskriminierung und Kriminalisierung auch andere Bevölkerungsgruppierungen. Hartz-IV-Bezieher müßten beispielsweise ähnliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit hinnehmen wie die Flüchtlinge. Die Agentur für Arbeit, ARGE, stelle ihnen ganz nach Belieben Urlaubsscheine aus – oder auch nicht. »Deshalb müssen sich unterschiedliche Bewegungen zusammenschließen, um den Erhalt eines demokratischen Deutschlands zu sichern«, konstatierte Alpay.
Der Aktionskünstler Hermann Josef Hack stellte am Holzmarkt ein Klimaflüchtlingslager mit rund 800 Miniaturzelten auf. Sie trugen Aufschriften wie »smash capitalism« oder »fuck Frontex«. Aktivisten trugen einige der Pappzelte vor das nahe gelegene Gebäude des Vorstands der Firma Jenoptik. Aus dem Fenster schauenden Mitarbeitern und Passanten erklärten sie ihren spontanen Protest: Jenoptik liefere Wärmekameras an Frontex, die damit Flüchtlinge auf hoher See ausfindig mache und von der Küste abdränge.
In einer Diskussionsrunde vor dem Jenaer Theater berichteten Karawane-Aktivisten und »The voice« über Erfolge: Nach langem Protest sei das besonders heruntergekommene Thüringer Lager Katzhütte am vergangenen Freitag endgültig geschlossen worden. Allerdings seien die dort lebenden Flüchtlinge in andere Lager verlegt worden – und hätten nicht endlich, wie gefordert, Privatwohnungen beziehen können. Es gelte also, weiter zu kämpfen.
Solche Gesprächsrunden waren vor allem für Flüchtlinge wichtig, die noch nicht lange in Deutschland sind. Einige von ihnen berichteten verunsichert, noch nie jemanden getroffen zu haben, dessen Asylantrag positiv beurteilt wurde. Auch Kinder beteiligten sich an der Debatte – sichtlich erleichtert, endlich einmal offen aussprechen zu können, wie sehr es sie bedrückt, daß ihren Eltern stets »der Mund verboten wird«. Ein Mädchen sagte: »Für mich als Kind ist es schlimm, mit ansehen zu müssen, wie meine Mutter im Sozialamt gedemütigt wird – und deshalb sogar krank ist.« Eines der wichtigsten Ziele in Jena sei gewesen, Flüchtlinge zu organisieren, sagt Osaren Igbinoba: »Es geht darum, sich gegenseitig Courage zuzusprechen, um den Kampf gestärkt wieder aufnehmen zu können.«
http://www.jungewelt.de/2010/06-08/047.php
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08.06.2010 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
Strategien zur Gegenwehr
»Was können wir gegen all das Unrecht tun, das Flüchtlinge in Deutschland erleiden müssen?«, lautete eine der meistgestellten Fragen beim Festival der Flüchtlingsorganisationen »Die Karawane« und »The voice« in Jena am vergangenen Wochenende. Dieses Mal war die Frage nicht mehr, wie so oft, geprägt von Rat- und Hilflosigkeit. Die Wut schien sichtlich auf Bürger übergesprungen. Stillhalten und Schweigen sei nicht mehr angesagt, so der Tenor öffentlicher Gesprächsrunden. Wichtig sei, daß lokale Gruppen und engagierte Bürger so oft wie möglich in den Lagern auftauchen. Sei es, um mit den Bewohnern Deutsch zu sprechen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und ihre Isolation zu durchbrechen, sei es, die häufig katastrophalen Zustände publik zu machen. Allerdings sei das nicht immer einfach, berichtete ein Aktivist des »Bündnisses gegen Abschiebung« aus Mannheim. Der Initiative sei das Verteilen von Flugblättern, auf denen die Bewohner zum kostenlosen Deutschkurs eingeladen wurden, untersagt worden. In das Lager dort werde nur vorgelassen, wer einen Flüchtling kenne und dessen Namen angeben könne. Besucher müßten ihren Paß an der Pforte abgeben.
Schlimmer noch gehe es in Lagern in Gerstungen (Wartburgkreis) und Gangloffsömmern (Landkreis Sömmerda) zu, berichtete einer der Organisatoren des Festivals, Osaren Igbinoba. Beide Flüchtlingsunterkünfte seien in katastrophalem Zustand, die Menschen dort »fix und fertig«. Die Lagerverwaltung Gerstungen habe das Elend im Lager vor der Öffentlichkeit mit aller Macht verbergen wollen und einer Delegation der Karawane Hausverbot erteilt. Selbst dem NDR sei der Zugang verwehrt worden, doch derartige Reaktionen reizten erfahrungsgemäß Medien erst recht zur Berichterstattung. Flüchtlinge wie in Gerstungen oder Möhlau in alten Kasernen unterzubringen, sei nicht durch Mangel an geeigneten Gebäuden bedingt, sondern pure Absicht, um Angst und Schrecken zu verbreiten, meinte ein anderer Aktivist.
»Je mehr Unruhe es um all diese menschenunwürdigen Bedingungen gibt, desto besser«, so der Tenor. Dazu gehöre das Insistieren auf das Besuchsrecht – eine andere Möglichkeit sei, die jeweils lokal zuständigen Behörden und Politiker anzurufen und mit den Mißständen zu konfrontieren.
(düp)
http://www.jungewelt.de/2010/06-08/049.php
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Von Stefan Otto, Jena 08.06.2010 / Inland
Tanz der Entrechteten
Die »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten« und »The VOICE« feierten in Jena ein Kulturfestival
Zwei Initiativen gedachten in Jena der Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa sterben. Jene, die es geschafft haben, rücken mit einem Kulturfestival ein Stück näher zusammen. Auch um sich gegenseitig den Rücken zu stärken.
Maskenparade während des Karawane-Flüchtlingsfestivals in Jena
Foto: Stefan Otto
Niemand weiß, wie die Toten aussehen, auf die sie gespannt warten. Dann sind sie auf einmal da, verborgen hinter Masken, und um sie herum bildet sich ein Kreis. Sie haben sich lautlos unter die Leute gemischt. Es ist ganz leise, nur ein afrikanischer Regenmacher rauscht, während ein Mittelsmann zwischen den Lebenden und Verstorbenen übersetzt. Die Toten klagen, warum der Kameruner Alino beim Versuch, nach Europa zu kommen, von einem Grenzschützer angeschossen wurde und verblutete oder warum Oury Jalloh im Polizeigewahrsam in Dessau auf einer Matratze verbrannte.
In den Masken kehrt der Geist der Verstorbenen auf die Welt zurück. Sie beginnen im Takt zu den Trommeln zu tanzen und ziehen durch die Straßen, gefolgt von 600 Leuten. »Wir verbinden uns noch einmal mit unseren toten Brüdern und Schwestern, damit wir sie in Erinnerung behalten«, erläutert Sunday Omwenyeke, einer der Organisatoren des Festivals, die Zeremonie. Dieser Totentanz hat in weiten Teilen Afrikas eine lange Tradition; er bietet Schutz und Solidarität, vor allem in Zeiten von Katastrophen und Unglück.
Dieses afrikanische Ritual fand nicht in Nigeria statt, wo die Masken angefertigt wurden, sondern in Jena. Die beiden Flüchtlingsorganisationen »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten« und »The VOICE Refugee Forum« feierten am Wochenende ein Festival, auf dem sie der vielen Tausenden gedachten, die den Weg in die Europäische Union nicht geschafft haben, sondern mit ihren Booten im Mittelmeer kenterten oder in den Bergen Südosteuropas erfroren. »Aber wir sind hier«, ruft Sunday Omwenyeke zur Eröffnung des Festes von der Bühne am Pulverturm.
Mut gegen Residenzpflicht
Das war in Jena nicht zu übersehen. Dennoch betonte er das, weil ihr Zusammenkommen nicht selbstverständlich war. Flüchtlinge unterliegen der Residenzpflicht, sie dürfen ihren Landkreis nicht ohne Genehmigung verlassen. »Schon unsere physische Präsenz verleiht uns Kraft«, meint der 49-jährige Osaren Igbinoba. In der Gemeinschaft schöpfen sie Mut und besinnen sich darauf, dass sie Menschen seien, deren Würde niemand nehmen könne. Viele von ihnen kommen aus Ländern, in denen ein Leben nicht viel zählt. Auf ihrer Flucht ließen sie alles zurück; nur ihren Verstand haben sie behalten und ihre Stimme, die sie erheben.
Osaren Igbinoba floh 1994 aus Nigeria vor der Militärdiktatur Sani Abachas und gründete in Thüringen mit anderen Flüchtlingen die Initiative The VOICE. Im Jahr darauf sollte Igbinoba abgeschoben werden. Mitten in der Nacht kam die Polizei, um ihn zu holen, doch ein spontaner Aufstand im Lager in Mühlhausen lenkte die Einsatzkräfte ab, so dass ihm die Flucht gelang. Ein Jahr lang lebte er illegal in Deutschland und wurde von Freunden und Aktivisten versteckt. Erst nachdem der Schriftsteller Ken Saro Wiwa 1995 in Nigeria hingerichtet wurde, wagte Igbinoba, sich den deutschen Behörden zu stellen und wurde schließlich als politischer Flüchtling anerkannt. Auch Sunday Omwenyeke flüchtete aus Nigeria; er schloss sich der »Karawane« an.
Bislang traten diese Flüchtlingsinitiativen vor allem mit Demonstrationen in Erscheinung, wenn einer ihrer Freunde abgeschoben werden sollte oder sie sich über die Residenzpflicht beschwerten. Jetzt bekommt der Protest eine kulturelle Variante hinzu und wird vielseitiger. »Damit wird er noch mehr ein Ausdruck für unser Leben«, findet die 26-jährige Aktivistin Mai Zeidani aus Jerusalem.
Die Stadt wird zum Festival
Auf vier Bühnen spielte Musik und lockte Passanten und Flaneure an. Jenas überschaubare Innenstadt nahm einen Festivalcharakter an, und die Stadt kam ihrem Ruf als »Ort der Vielfalt« nach. Im vorigen Jahr nahm der Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) diese Auszeichnung der Bundesregierung entgegen – eine PR-Aktion, untermauert von einem Runden Tisch, an dem sich Vereine und Institutionen für eine lebendige Demokratie einsetzen. Am Wochenende waren es die Marginalisierten aus den Lagern in Thüringen und Niedersachsen, Hessen und Bremen, die mit ihren Freunden und Unterstützern die Stadt besuchten und diese Auszeichnung mit Leben füllten. Sie feierten zusammen und vergaßen dabei allerdings nicht, warum sie in Deutschland gestrandet sind.
»Wir sind hier, weil ihr unser Land zerstört«, heißt einer der Leitsätze der »Karawane«, der auf die Hintergründe ihrer Flucht aufmerksam macht. Zwar seien die Länder Afrikas seit einigen Jahrzehnten unabhängig, doch sie funktionierten nicht, meint Osaren Igbinoba. Er spricht Englisch; für ihn ist es die Sprache der Unterdrücker seiner Vorfahren. Die Kolonialisten hätten das Land ausgebeutet und kulturelle Traditionen zerstört. Seitdem herrsche überall Chaos. Nur die Abhängigkeiten von Europa und den USA seien geblieben.
Noch immer richte sich die Infrastruktur vor allem nach den Bedürfnissen der reichen Länder. Igbinoba gibt dafür ein Beispiel: »Die Insel Gorée liegt vor Senegal und war während der Sklaverei eines der großen Tore zur Hölle. Von hier wurden Millionen Afrikaner nach Amerika und Europa verschifft. Heute wird dieser Ort von der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Rahmen ihrer Überwachung der afrikanischen Küstengewässer genutzt.« Die Ströme der Wanderungen haben sich umgekehrt. Einst wurden die Afrikaner gegen ihren Willen verschleppt, jetzt darf keiner übersiedeln, weil Europa für sie keinen Nutzen hat.
Nur wenigen gelingt die Flucht. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 33 000 Anträge auf Asyl gestellt. Doch am Leben dürfen diese Migranten nicht teilnehmen. Wie ihr Leben aussieht, das dokumentiert der Film »Mesobeli«, den die Regisseurin Amelie von Marschalck auf dem Festival zeigte. Die Ethnologie-Studentin wohnt vis-à-vis von einem Flüchtlingsheim in Hamburg und drehte einen Film über ihre Nachbarn "Aleksandre und Dawit" (Namen geändert).
Die Brüder verließen vor sechs Jahren Georgien, weil der bewaffnete Konflikt in Südossetien sich zuspitzte und immer mehr Zivilisten in den Tod riss. Nun sind sie zwar in Sicherheit, doch nur bis auf Widerruf geduldet. Mit der drohenden Abschiebung müssen sie leben, in ihrem Heim mit gekachelten Wänden und grellem Licht. 70 Personen wohnen in dem zweigeschossigen Bau. Vor der Tür ein Kinderspielplatz und rissiger Straßenbelag.
Am Tropf der Behörden
Wer hier ankommt, ist in der Warteschlange. Asylbewerber dürfen nicht arbeiten, haben kein Geld und keine eigene Existenz, sondern hängen am Tropf der Ausländerbehörde und schlagen die Zeit tot. »Hier passiert nichts«, sagt "Aleksandre". »Wir dürfen uns nicht entwickeln. Das ist kein Leben, sondern alt werden.« Der Film porträtiert zwei Einzelfälle aus Georgien; andere Flüchtlinge könnten ähnliche Geschichten erzählen.
Immer wieder berichten die Geduldeten, wie die tägliche Leere aufs Selbstwertgefühl drückt. Viele fühlen sich zudem von den Behörden gegängelt und haben Angst vor Diskriminierung und Anfeindungen auf der Straße. »Asylant« ist in Deutschland noch immer ein gängiges Schimpfwort. Nur vor diesem Hintergrund ist die Dankbarkeit der georgischen Brüder gegenüber ihrer Nachbarin zu verstehen, weil sie sich für ihr Leben interessiere und ihnen mit Respekt begegnet sei.
Das sei bereits ein wichtiger Schritt, findet Osaren Igbinoba. Wer nur für seine eigene Lohnerhöhung kämpfe, der könne sich nur schwer vorstellen, dass es auch Menschen gebe, die gar kein Geld bekommen, obwohl sie schon seit 15 Jahren in Deutschland lebten. Auf der anderen Seite kennt Igbinoba auch Flüchtlinge, denen die Geduld fehle, über ihr eigenes Schicksal hinaus zu denken. »Aber es ist wichtig, die alltägliche Vereinzelung zu durchbrechen«, meint er.
Das habe das dreitägige Festival erreicht. Nun werde die »Karawane« ihren Weg weitergehen, zusammen mit »The Voice«. »Wir brauchen keinen neuen Martin Luther-King, wenn wir solche solidarischen Communitys haben«, sagt Igbinoba und macht bereits den nächsten Schritt ihrer Bewegung aus: Das Netzwerk soll weitergestrickt werden und noch mehr Leute ansprechen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/172535.tanz-der-entrechteten.ht…
[ 07. Jun 2010 ]
Grenzen niedertanzen - Das Karawane Festival 2010
Die Jenaer Innenstadt wurde vom 1. bis 4. Juni 2010 mit politischen Inhalten gegen (neo)koloniale Ausbeutung gefüllt. Ein wesentlicher Teil davon war das umfangreiche Kulturprogramm, dass aus dem Ereignis ein tolles Festival machte.
Dieser Artikel gibt einen Einblick in die verschiedenen Veranstaltungen während des Festivals, das als experimenteller Akt des Widerstandes verstanden werden kann. Es fand an vier zentralen Orten im Zentrum von Jena statt. Die zentrale Bühne befand sich beim beim Pulverturm/Johannistor, weitere Orte waren am Theatervorplatz, am Holzmarkt und am Campus der Universität. Weitere Veranstaltungen und das Nachtprogramm fanden in verschiedenen Lokalen statt.
Am Theatervorplatz gab es einige :: Ausstellungen, ein Wanderkino, in dem rund um die Uhr Filme gezeigt, verbunden mit Workshops und Diskussionen. Ein Zimmer aus dem Flüchtlingslager Möhlau In einen Workshop am Freitag Nachmittag wurde über die Situation in den Flüchtlingslagern in Thüringen informiert und am Abend gab es ein Reggae/HipHop Konzert, dass die Anwesenden begeisterte. Danach wurde die Frontexplode Kampagne mit einer Feuershow präsentiert.
Am Samstag ging es bereits am Vormittag los mit Diskussionen zu Charterabschiebungen und Rückkehrabkommen. Danach gab es mehrere Konzerte, ein Theater, bei dem die Situation von illegalisierten Menschen zu vermittelt wurde und eine Aufführung des Bolzenschneiderballetts gegen Grenzen.
Der Sonntag war den Kindern gewidmet, denen bei einem Fest ein umfangreiches Angebot zum Mitmachen oder Ausprobieren im Zirkuszelt geboten wurde, wie Riesenpuzzle, Wikinger_innenschach, Tischfußball, Hüpfburg, Rollenrutsche, Märchenpavillon, Gestaltung eigener Taschen, Seilbalance, Jonglage, ein Feuer-Workshop und mehr. Die Kinder wurden auch zu Darsteller_innen, u.a. bei einer Zirkusvorführung von Kindern aus Hamburg und Akrobatik von einer Gruppe aus Jena-Lobeda. Zum ersten mal gezeigt wurde an diesem Tag die Fotoausstellung "So lebe ich", für die 50 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 18 Jahren ihren Alltag fotographisch festgehalten haben. Um 15:00 fand dann der Abschluss des Festivals mit ein paar letzten Worten statt.
Am Holzmarkt wurde am Freitag ein Klima-Flüchtlingslager mit 1.000 Minizelten errichtet. Diese waren mit teils widersprüchlichen und, wie der Künstler meinte, zur Diskussion anregenden Slogans beschriftet. Danach gab es Musik von mehreren Bands und DJs. Der Samstag begann mit Musik und Informationen zum Thema "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört", wobei am ganzen Platz zahlreiche Transparente aufgelegt waren. Danach spielten einige Bands und eine Theater-"tribunal gegen Abschieber(_innen)", gefolgt von weiteren Bands und Informationen über den Widerstand gegen Abschiebungen.
Der Platz im Unicampus war Station der Vokü, die die Teilnehmer_innen des Festivals die ganze Zeit über mit veganem Essen, Tee und Kaffee versorgte. An allen Tagen gab es Gesprächsrunden, Poesie und Musik. In einem Hörsaal befand sich das :: Permanentkino mit einem umfangreiches Programm zu Kämpfen gegen Rassismus, Abschiebungen und Lagern. Dabei ging es u.a. um frühere Aktivitäten, wie die erste Karawane für die Rechte Flüchtlinge und Migrant_innen im Jahr 1998 oder die Aktivitäten zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh.
Bei Workshops, die teilweise erst vor Ort ausgemacht wurden, ging es vor allem um die Vernetzung der in der Isolation lebenden Flüchtlinge und die Fortsetzung des Kampfes zur Schließung der Lager. Zwar wurde einen Tag vor Beginn des Festivals das :: Lager Katzhütte geschlossen, aus dem zahlreiche Flüchtlinge angereist waren. Dieses Lager, für dessen Schließung seit langem gekämpft wird, doch die Leute wurden in andere Lager gebracht, in denen zwar nicht ganz so miserabel Bedingungen sind, wie in Katzhüttte, doch die Isolation wird so nicht durchbrochen. Der Kampf gegen Lager hat zum Ziel, dass Flüchtlinge selbst bestimmen können, wo und wie sie leben.
Die Hauptbühne befand sich beim Pulverturm/Johannistor, wo sich ab Freitag um 10:00 Uhr der Infopunkt befand und es um 13:00 hieß: Willkommen! Mit Musik, Performance und Worten zur Begrüßung wurde das Festival feierlich eröffnet. Danach startete die Prozession, die bei den anderen drei Veranstaltungsorten vorbei zog, wobei am Theatervorplatz eine Installation mit Koffern präsentiert wurde. Der Zug mit ca. 400 Teilnehmer_innen endete wieder beim Pulverturm mit einer Präsentation des Denkmals "in Gedenken an die Toten der Festung Europa". Danach wurden unter dem Motto "Wir sind die Karawane" die Beweggründe der Aktivist_innen für die Organisierung des Festivals der Öffentlichkeit präsentiert und gemeinsam zu kurdischer Musik getanzt.
An den folgenden Tagen gab es permanentes Kurlturprogramm mit Theatervorführungen, DJs und Konzerten, bei denen hunderte Leute ausgelassen tanzten. Zwischendurch fand u.a. ein Sloganworkshop statt und das offene Mikrophon bot Flüchtlingen die Gelegenheit, um über soziale Ausgrenzung, Lager und ihre Kämpfe zu berichteten.
Während des gesamten Festivals sorgten Trommler_innen für Musik während der Pausen und brachten die Anwesenden zum Tanzen.
Ein Höhepunkt der drei Tage war die Maskeraden-Parade, die am Samstag beim Pulverturm startete. Mehr dazu im Artikel :: Die Maskeraden Parade - zur Vereinigung der Kämpfe.
http://no-racism.net/article/3397/
[ 07. Jun 2010 ]
Die Maskeraden Parade - zur Vereinigung der Kämpfe
Die Masken
Einer der Höhepunkte des Karawane Festival 2010 in Jena war die Maskeraden-Parade, die am Samstag, dem 5. Juni bei der Hauptbühne begann und danach durch die Innenstadt zog. Dabei gelang es, viele interessierte Passant_innen zu erreichen und ihnen die Präsenz des Widerstandes vor Augen zu führen.
Zuerst wurden beim Platz am Pulverturm die Hintergründe erklärt und es gab eine Präsentation der Masken, begleitet von Trommler_innen und Tanz. Die Performance basierte auf Zeremonie des Widerstandes gegen die koloniale Unterdrückung der Igbo im heutigen Südostnigeria. Die traditionellen afrikanischen Masken symbolisieren Leben und Tod, sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie erzählen die Geschichten des Widerstandes und stehen für die physische Präsenz aller kämpfenden Menschen. Kurz gesagt: "Wir sind hier!"
Die Präsentation wurde von Aktivist_innen von The Voice in ihrer eigenen Form der Umsetzung gestaltet, die damit ihre Gefühle in Europa zum Ausdruck brachten und sie mit den Toten und Zurückgebliebenen verbanden. Ziel der speziell dem Netzwerk der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen gewidmeten Parade war, die auf den Weg nach Europa gestorbenen zu ehren und sie sichtbar zu machen. Die Toten und die Überlebenden wurden in ihren Kämpfen für eine gerechte Welt vereint und das Bewusstsein geweckt für diese Kämpfe gegen ein barbarisches System, das die Menschen, insbesondere Flüchtlinge und Migrant_innen, trennt und voneinander isoliert. Es war ein kraftvoller Umzug, der Opfer und Überlebende verband, um die Angst zu bekämpfen und die Stille zu durchbrechen. Die Maskeraden Parade war sowohl Reflexion vergangener als auch Vorbereitung auf künftige Kämpfe gegen die verschiedenen Formen der Ausbeutung, Unterdrückung und Isolation durch ein System der kolonialen Ungerechtigkeit.
Weitere Informationen zur Parade im Artikel :: Die Toten der Festung Europas ehren: Memorial und Maske Festung Europa.
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KARAWANE Festival - Eine Bastion der Menschlichkeit und der Solidarität
Maskeraden-Parade am 5. Juni 2010 durch JenaEin würdiges Gedenken an die ungezählten Schwestern und Brüdern, die auf ihrem erzwungenen Weg von ihren Bezwingern erneut verfolgt und zu Tode gebracht wurden.
Why? steht in großen Lettern auf einem Foto von einem im Meer treibenden toten Menschen.
Der anklagende Aufschrei war in Westdeutschland in den 70er und 80er Jahren auf einem Bild von einem von einer Kugel in den Rücken getroffenen Soldaten zu sehen als Ausdruck der Ablehnung von Krieg in dem Verständnis von einem militärischen Konflikt zwischen zwei Armeen. Der Krieg der dominanten Länder durch ihre Regierungen und eine handvoll multinationaler Konzerne und Banken gegen die Gesellschaften des Trikonts, der Krieg gegen verzweifelte und hoffnungsvolle Menschen auf der Suche nach einem Raum zur Entwicklung drückt sich erst Jahrzehnte später in der Neuauflage des alten Antikriegsplakates aus. Eine Entwicklung im Bewusstsein der deutschen AktivistInnen, die der 15jährige Kampf der Organisation der Flüchtlinge von the VOICE gegen Deutschlands und Europas mörderische Deportationsmaschinerie hervorgebracht hat. Erste Früchte einer überlebensnotwendigen „Entwicklungshilfe“, wobei jedoch die zentrale Kraft die Selbstorganisierung der Flüchtlinge und die Beziehungen zu der sich organisierenden Jugend der MigrantInnen in 2. und 3. Generation ist. In der Vermischung der nationalen und kulturellen Hintergründe zu einer Gegenwehr gegen den Rassismus, den Massenmord an Flüchtlingen und MigrantInnen und gegen ein globales technologisch höchstleistungsfähiges und ethisch total degeneriertes System.
Das Signal zum KARAWANE Festival war schon der große Flüchtlingskongress in Jena im Jahr 2000. Die erste Anklage und der dann folgende kontinuierliche und unbeugsame Widerstand kam aus den Bergen in Jena Forst – einem Isolationslager der neuen Generation des deutschen Lagersystems. Von dort begann im Grunde die Karawane und der mühsame Aufbau unter den Bedingungen der ständigen Bedrohung von Deportation – die Abschiebung ist schärfste Waffe gegen die AktivistInnen.
Die Karawane ist nach Jena zurückgekehrt. Es war Zeit für eine neue Zeremonie und ein beschwören des unbeugsamen Widerstands in Achtung und Ehrung der Opfer - gegen die Bestialität einer verfaulten aber längst nicht geschlagenen Kolonialgesellschaft. „ Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ die zentrale Parole der Karawane hat die afrikanische Maskerade nach Jena gebracht. In einem in diesem Land noch nie gesehen politisch-kulturellen drei Tage dauernden Festivals auf vier Plätzen und überall dazwischen entwickelte sich ein Raum der uns gehörte, den wir bestimmten, wo das Gesetz der Trennung und Isolation nicht mehr dominierte . Die afrikanischen Masken trieben angefeuert von der internationalen Comunity der Flüchtlinge die brennende Anklage des ertrunkenen Flüchtlings durch die Strassen Jenas. Während die Kinder den Masken neugierig in die Augen sahen, zuckten Brandstifter und Biedermann erschrocken zurück.
Jena Karawane Festival 2010 war ein großes würdiges und energiegeladenes Ereignis – möglich gemacht durch die Überwindung der Angst – auf dem langen Kraft zehrenden Weg bis dass keiner mehr deportiert wird.
!!!KARAWANE SOLIDARITÄT!!!
Ra
Karawane hh
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Karawane-Festival in Jena 4. bis 6. Juni 2010
Karen Eliot 05.06.2010 23:37
Themen: Antirassismus /Globalisierung und Kultur
Image: http://media.de.indymedia.org/images/2010/06/283154.jpg
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" ist eine Parole aus den vergangenen Jahrzehnten migrantischer Selbstorganisation, die zugleich auch als inhaltliche Klammer für das Karawane-Festival dient. Das Festival findet unter dem Titel "Vereint gegen koloniales Unrecht" dieses Wochenende in Jena statt. Mit einem vielfältigen Programm, bei dem sich künstlerische und aktivistische Interventionen, inhaltliche Debatten und kulturelles Rahmenprogramm (Kino, Konzerte und Ausstellungen) verschränken, wird dabei versucht, das Thema in der Stadt sichtbar zu machen.
Beeindruckend bei vielen Veranstaltungen ist die mehrsprachige Übersetzung von Redebeiträgen (mit Schwerpunkt deutsch, französisch, englisch), welche sich als grundlegend für ein solidarisches Miteinander von verschiedensprachigen Aktivist_innen erweist. Im Gegensatz zu anderen Situationen – auch in linken Kontexten – konnte am Festival so (aber auch durch das experimentieren mit Sprechformen) einer Dominanz weißer Politikformen entgegengewirkt werden. Schade ist dabei aber gleichzeitig, dass dominante Formen der Repräsentation unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterverhältnisse zu wenig aufgebrochen wurden bzw. dadurch viele Aspekte von Flucht & Migration sowie rassistischer Diskriminierung und Gegenstrategien zu wenig sichtbar blieben. Let's queer Antirassismus!
Das Festivalprogramm ist in fünf Themenblöcke gegliedert: »Die Toten der Festung Europas ehren«, »Wir sind hier, weil Ihr unsere Länder zerstört«, »Stoppt rassistische Polizeigewalt«, »Abschiebungen stoppen« und »Vereint gegen soziale Ausgrenzung«.
Kurz zu einzelnen Programmpunkten bisher: Zum Auftakt wurde Freitag Vormittag in der Innenstadt von Jena eine Installation des Künstlers Hermann Josef Hack aufgebaut. Die Installation besteht aus 1000 Miniaturzelten, die symbolisch ein Flüchtlingslager darstellen und durch auf den Zelten angebrachte Parolen einen Zusammenhang zwischen Migration und Klimawandel herstellen sollen. Gerahmt wurde die Ausstellung durch die Präsenz antirassistischer Aktivist_innen. Wie sich vor Ort zeigte, eine Intervention im öffentlichen Raum, die sich gut dazu eignet, den Zusammenhang zwischen Flucht und Migrationen aus dem globalen Süden auf Grund sich ändernder klimatischer Bedingungen und den Verursacher_innen des selbigen in den industrialisierten Ländern aufzuzeigen. Diese Argumentation hat das Potential, ein vereinfachtes Verständnis rund um das Thema Migration (auf rassistische Bilder einerseits und einen daran anschließenden Sicherheitsdiskurs andererseits) zu durchbrechen.
Freitag Nachmittag kam es anschließend zu einem ersten Höhepunkt am Festival. Die Demo „In Gedenken an die Toten der Festung Europa“, an der sich etwa 400 Menschen beteiligten, wurde in Form eines Gedenkzuges abgehalten: Die Spitze des Demonstrationszuges bildete ein symbolischer Sarg, weiters wurden Papierbänder mit den Namen unzähliger Personen, die an den EU-Außengrenzen ermordet wurden, getragen. Die Demo, untermalt von einem Klangteppich, formierte sich zu einem Trauermarsch, um den Ermordeten ihre Würde wiederzugeben. Bei einer Zwischenstation am Theaterplatz wurde ein Mahnmal im Gedenken an die 12.000 Toten der Festung Europa eröffnet. Das Denkmal, dass aus mit Beton übergossenen Koffern besteht, soll dazu anregen, ähnliche Denkmalinitiativen in ganz Europa zu starten, um die Toten an den EU-Außengrenzen symbolisch sichtbar zu machen.
Am Abend fanden schließlich zwei Diskussionsveranstaltungen statt. Die erste, von "The VOICE Refugee Forum" getragene Veranstaltung hatte das Ziel, über lokale Kämpfe in Flüchtlingslagern in Thüringen zu informieren. Bei der Veranstaltung waren Aktivist_innen unter anderem aus der Türkei, Palästina, Syrien und dem Irak anwesend, die von ihrem Aufenthaltsstatus in Deutschland und ihren von "The VOICE" unterstützten Kämpfen in den einzelnen Lagern berichteten. Bei der Veranstaltung wurde sichtbar, wie wichtig die hartnäckige Unterstützungsarbeit von "Außen" gerade auch für die Bewohner_innen von teilweise sehr isoliert gelegenen Lagern ist. Am Beispiel des Lagers "Katzhütte", gegen das eine von "The VOICE" zusammen mit Bewohner_innen des Lagers geführte Kampagne gestartet wurde, wurde aber auch die Ambivalenz von erfolgreicher Kampagnenarbeit in dem Bereich deutlich. Wie diese Woche bekannt wurde, wird "Katzhütte", die in der Kampagne gefordert wurde, nun endlich geschlossen. Für zahlreiche Flüchtlinge bedeutet dies eine Verbesserung ihrer Lebensumstände, während einige sich nun mit noch beschisseneren Lebensumständen konfrontiert sehen.
In einer Podiumsdiskussion am selben Abend unter dem Titel "Die anhaltende koloniale Ungerechtigkeit – Klimaungerechtigkeit, Flucht & Migration" berichtete Alassane Dicko (Assoziation der Abgeschobenen Malis) von den Auswirkungen des Klimawandels in Mali und den damit verbundenen Migrationspolitiken. Er berichtete davon, wie die EU versucht, Druck auf die dortige Regierung aufzubauen, um die Migration im Interesse der EU zu managen. Angekündigt wurde unter anderem der Plan, nächstes Jahr eine Karawane zu organisieren, die ausgehend von Dakar (Senegal, Ort des nächsten World Social Forum) nach Bamako (Mali) reisen wird. Dabei arbeiten lokale Aktivist_innen und Unterstützer_innen aus dem globalen Norden zusammen, es sollen Fluchtgründe aufgezeigt und Bewegungsfreiheit praktiziert werden.
Samstag mittag startete eine weitere Demo in Form einer Maskenparade durch die Innenstadt. Die Form der Maske ist an Formen des Totengedenkens in Teilen Afrikas angelehnt. 2 afrikanische Holzmasken, die eigens für das Festival hergestellt wurden, bildeten den Höhepunkt der Feierlichkeit, auch viele Demoteilnehmer_innen trugen Stoffmasken. Durch die kämpferische Stimmung zog die Parade viel Aufmerksamkeit und Interesse auf sich. Das Konzept der Anerkennung und des Respekts für die Toten der Festung Europa schätzen auch viele Demonstrationsteilnehmer_innen als geglückt ein.
In Summe könnte der Versuch, das Grenzcamp als Ort vielfältiger Aktionsformen zu begreifen als gelungen angesehen werden. Des Festival war bisher von einer kämpferischen und zugleich zugänglichen Atmosphäre geprägt, die nicht nur für die zusammengekommenen Aktivist_innen – und das generationenübergreifend - durchwegs fein war, sondern auch im Kontext einer Kleinstadt wie Jena gut funktioniert hat. Das Karawanefestival in Jena war ein weiterer Schritt in Richtung der Verankerung der Parole „Wir sind hier und wir bleiben“ als Grundlage emanzipatorischer Politik. Wir treffen uns nicht nur nächstes Jahr in Jena, sondern auch bei Grenzcamps im Sommer 2010, dem ESF in Istanbul und der Karawane in Westafrika im Sommer 2011.
Karen Eliot 05.06.2010 23:37
http://de.indymedia.org/2010/06/283153.shtml
Links zum Festival:
http://karawane-festival.org
https://thevoiceforum.org
http://thecaravan.org
Weiterer Artikel zum Thema:
http://no-racism.net/article/3396
[ 05. Jun 2010 ]
'Ihre Erfahrungen in Leben und Tod sind Teil unseres Erbes'
Maskeraden-Parade am 5. Juni 2010 durch Jena
Das Karawane Festival 2010 in Jena richtet sich gegen (neo-) koloniale Ausbeutung und Unterdrückung, die an den Grenzen der Festung Europa sichtbar wird. Dort sterben jedes Jahr tausende Menschen aufgrund der Umsetzung einer rassistischen Politik. Mit den Festival wird an diese Toten erinnert und der Kampf der Flüchtlinge und Migrant_innen einmal mehr auf die Straße getragen.
[:: Bildergalerie]: http://no-racism.net/image/3396
Zu drei Tagen des Widerstandes vom 4. bis 6. Juni 2010 in Jena haben die 'Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen' und 'The Voice Refugee Forum' aufgerufen, unter dem Motto: "Vereint gegen koloniales Unrecht, in Erinnerung an die Toten der Festung Europa".
Das 'Festival' ist eine Ausdrucksform des politischen Kampfes, um "die zentralen Elemente neokolonialer Ausbeutung und die damit verbundenen Folgen in kreativer und sehr bestimmter Form in die Öffentlichkeit zu tragen".
Die Open Air Verantsaltungen finden an mehreren Orten der Jenaer Innenstadt statt. Es gibt zahlreiche Workshops und Diskussionsveranstaltungen, bei denen Flüchtlinge und Migrant_innen über ihe Lebenssituation in Europa und die Situation in ihren Herkunftsländern berichten. Seit die Karawane zum ersten mal im Jahr 1998 durch Deutschland zog, wird die Botschaft "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" in die Öffentlichkeit getragen. Damit wird gegen die fortgestezte Ausbeutung in vieler Länder protestiert, von der vor allem Menschen in den reichen Ländern profitieren, die ihre Privilegien mit rassistischer Gewalt verteidigen. Kontrollen finden nicht nur bei der Einreise an den Grenzen statt, sondern überall und beeinträchtigen die Lebensqualität vieler Menschen massiv. Vor allem Flüchtlinge in Deutschland, die während ihres Asylverfahrens in Lagern leben müssen, sind durch die Resisdenzpflicht massiv in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die Isolation, die sie durch die Unterbringung in meist weit abgelegenen Quartieren erleben, zu durchbrechen, ist ein weiteres Ziel des Karawane-Festivals: Also sich zu treffen, sich auszutauschen und die lokalen Kämpfe zu vernetzen.
Die Stimmen jener Menschen, die sonst meist keinen Raum haben, in dem ihnen zugehört wird, bekommen in Jena eine Bühne, um ihre alltäglichen Probleme mitzuteilen. Es gilt, das Schweigen zu brechen: "Wir sind hier, wir werden kämpfen! Bewegungsfreiheit ist eines jeden Menschen Recht."
Neben den Diskussionen und Workshops gab es mehrere kleinere Aktionen und zwei große Umzüge durch die Jenaer Innenstadt. Am Freitag, dem Eröffnungstag, beteiligten sich 400 Menschen an einer Demonstration zur Erinnerung an die Toten der Festung Europa. Es war eine Art "Prozession", angeführt von einem Sarg, hinter dem die Namen von Toten der Festung Europa auf Listen durch die Straßen getragen wurden. Zwei Boote wurden von Menschen mit weißen Masken getragen, als Symbol für die vielen namenlosen Toten, die bei der Überfahrt über das Mittelmeer oder vor den Küsten Westafrikas ihr Leben verloren.
Nach einer Runde durch die Stadt ging es zurück zum Johannistor, wo das Mahnmal eröffnet wurde. An dem aus Kanistern gefertigten Tor, wurden die Namenslisten befestigt und in einem feierlichen Akt die Grenze symbolisch zerrissen, danach zogen alle begleitet von Trommelklängen durch das Tor auf den Platz, wo dann das Programm weiterging.
Am Samstag fand eine Maskenparade statt. Masken sind Teil eines afrikanischen Rituals, mit dem Menschen in Nigeria ihrer Toten gedenken. In Verbindung mit einer Demonstration, zogen an die 600 Leute durch die Stadt und erregten sehr viel Aufmerksamkeit bei den Passant_innen. Es war ein energiereicher Demonstrationszug, der sowohl Teilnehmer_innen als auch den zahlreichen Beobachter_innen am Rande des Weges sichtlich Freude bereitete; es war ein Gedenken, das verbunden ist mit Feiern und eine Zelebration des Widerstandes.
Diese wird noch bis Sonntag gemeinsam in Jena fortgesetzt, doch ist sicher, dass die alltäglichen Kämpfe gegen Abschiebungen, Ausgrenzung und Unterdrückung überall fortgesetzt werden.
Das Festival-Programm und umfangreiche Informationen über den Widerstand der Flüchtlinge und Migrant_innen in Deutschland sind zu finden auf folgenden Seiten:
http://no-racism.net/article/3396/
http://karawane-festival.org
https://thevoiceforum.org
http://thecaravan.org
„Wir führen den Kampf bis zum Ende“: Flüchtlinge protestieren in Jena gegen Abschiebung und Residenzpflicht PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: BN-Redaktion
Freitag, den 04. Juni 2010 um 10:38 Uhr
Heute beginnt in Jena das „Open-Air-Festival“ „Karawane“. Unter dem Motto „Vereint gegen koloniales Unrecht, in Erinnerung an die Toten der Festung Europa“ wollen Migranten gegen die bundesdeutsche Residenzpflicht und die „Festung Europa“ protestieren. „Wir erwarten circa 2.000 bis 3.000 Teilnehmern“, teilte Mitveranstalter Markus Saxinger BlaueNarzisse.de mit. Die Gäste sollen aus Deutschland, Euro und der ganzen Welt anreisen. Die Flüchtlingsnetzwerke „Karawane“ und „The Voice Refugee Forum“ fordern in einer Ankündigung „die vollständige Abschaffung der Beschneidung der Bewegungsfreiheit“.
Deutschland: „Kernland des staatlichen europäischen Rassismus“
Die Residenzpflicht betrachten die Veranstalter als Erbe des Kolonialismus und als „deutsches Apartheidsgesetz“. „Durch die Verweigerung der Reiseerlaubnis, wird auch unser Festival behindert. Vielen Flüchtlingen wurde der Urlaubsschein verweigert, wodurch diese ihren Landkreis nicht verlassen durften“, heißt es weiter in der Ankündigung. Deutschland zeige sich mit diesem EU-weit einmaligen Gesetzt als „Kernland des staatlichen europäischen Rassismus“.
Geplant sind vier Bühnen, Happenings, Paraden, mehrere Kunstinstallationen, Ausstellungen und Vorträge im Stadtkern von Jena. Drei internationale Künstlergruppen wollen zum Auftakt des Festivals ein Mahnmal für die „Opfer der Festung Europa“ errichten. Zudem soll eine westafrikanische Maskenparade symbolisch in die Stadt einziehen. „Das Festival will antirassistische AktivistInnen vereinen und die Dynamik des Widerstands neu entfachen“, kündigen die Veranstalter an.
Protestiert werden soll auch gegen die 2004 von der EU gegründete Grenzschutzagentur Frontex. Diese sei für zahlreiche tote Flüchtlinge an der EU-Südgrenze verantwortlich. Nach Erhebungen der Veranstalter seien bereits 12.000 Flüchtlinge bereits an der europäischen Außengrenze umgekommen.
Bereits 2000 fand in Jena ein Kongress gegen die „Abschiebung und soziale Ausgrenzung“ statt. Da viele Flüchtlinge durch die Residenzpflicht an der Teilnahme gehindert worden seien, rief Karawane im Anschluss eine Kampagne zum zivilen Ungehorsam ins Leben. „Wir führen den Kampf bis zum Ende“, heißt es in der Festivals-Ankündigung. Die Veranstaltung läuft noch bis zum 6. Juni.
http://www.blauenarzisse.de/v3/index.php/aktuelles/1681-wir-fuehren-den…
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Titel
„Ein Krieg gegen Flüchtlinge“
Interview mit einem Mitglied des „The Voice Refugee Forums“
Osaren Igbinoba, 49, stammt aus Nigeria und lebt seit 1994 in Deutschland. Der Flüchtlingsaktivist und Gründer von „The Voice“ sprach mit Akrützel über koloniale Ungerechtigkeit und die Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung.
Was sind die größten Probleme von Flüchtlingen in Thüringen?
Wie überall werden Flüchtlinge auch hier aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und kriminalisiert. Viele sind verängstigt und glauben, sie seien
nicht berechtigt Teil der Gesellschaft zu sein. Das Ziel unserer Organisation „The Voice“ ist es, Flüchtlinge darin zu bestärken, am öffentlichen Leben teilzunehmen
und über ihre Bedürfnisse zu sprechen.
Kannst du ein Beispiel dafür nennen, wie Flüchtlinge kriminalisiert und ausgeschlossen werden?
Flüchtlinge bekommen Gutscheine statt Bargeld. Das ist eigentlich dumm, denn der zusätzliche Verwaltungsaufwand kostet den Staat mehr. Aber das Gutscheinsystem ist eine Waffe, um Menschen zu dis-kriminieren und komplett auszugrenzen.
Nach langen Protesten soll das Flüchtlingsheim in Katzhütte geschlossen werden. Ist das ein Erfolg oder geht das Leiden nur an anderer Stelle weiter?
Die Schließung des Heimes allein ist noch kein Gewinn. Ein Erfolg ist unsere tägliche Arbeit, die darauf abzielt, Flüchtlinge dazu zu ermuntern, über ihre Situation zu sprechen. Und in Katzhütte haben sie darüber gesprochen.
Wie empfindest du das Verhalten der deutschen Behörden gegenüber Flüchtlingen?
Viele sind traumatisiert durch die Polizeibru-talität und das Verhalten der Behörden. Schon die Gesetzestexte sind rassistisch, aber um solche Gesetze auch in die Praxis umzusetzen, muss man tatsächlich Rassist sein.
Die Gesetzestexte sollen rassistisch sein?
Ja, die Gesetzgebung ist Teil der kolonialen Dominanz der Deutschen. In der Verfassung steht, die Würde des Menschen sei unantastbar. Das mag für Deutsche gelten, aber für Fremde stimmt es nicht. Wir möchten, dass der Begriff Würde umdefiniert wird: Menschenwürde sollte man durch seine bloße Existenz erlangen, und nicht erst per Gesetz. Man kann nicht mit einem Verweis auf Gesetze Menschenrechte ignorieren. Niemand wird mit einem Pass geboren.
Du sprichst von „kolonialer Dominanz“. Dabei gibt es seit vielen Jahren keine Kolonien mehr.
Kolonialismus ist nicht nur eine Frage der Geschichte, sondern auch der Gegenwart. Vielleicht könnte man statt Kolonialismus auch Ausbeutung sagen, aber das Ergebnis bliebe dasselbe. Deshalb lautet unser Motto auch: Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.
Welche Rolle spielt die deutsche Gesellschaft für dich in diesem Zusammenhang?
Ich bin enttäuscht darüber, wie ignorant viele Deutsche den Problemen von Flüchtlingen gegenüberstehen. Die Gleichgültigkeit des deutschen Bildungssystems widerspricht den Werten humanistischer Verständigung. Jeder Deutsche sollte wissen, was in Flüchtlingsheimen passiert. Aber der Gedanke, Weiße seien überlegen, ist sehr tief verwurzelt in der europäischen Kultur.
Wie sieht die Situation von Flüchtlingen denn im Rest Europas aus?
Die Europäische Union führt einen Krieg gegen Flüchtlinge. Flüchtlinge werden als minderwertig betrachtet, ohne Recht, hier zu leben. Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es der größte
Geldgeber der europäischen Grenzpolitik ist. Der Krieg gegen Flüchtlinge spielt sich aber nicht nur innerhalb Europas ab, sondern auch in den Flüchtlingsländern selbst: Die EU ist nach Mauretanien, Ma-
rokko und nun auch in den Senegal eingedrungen. Flüchtlinge werden als Feinde dargestellt, weil die EU eine Zielscheibe braucht, um die eigenen Sicherheitssysteme weiterzuentwickeln und auszutesten.
Möchtest du damit andeuten, dass Flüchtlinge nur als Ausrede missbraucht werden?
Ja, genau. Die Staaten wollen ihre Macht ausbauen. Sie streben danach, fremde Länder zu kontrollieren und gleichzeitig ihre eigenen Bürger zu überwachen. Flüchtlinge werden dazu benutzt, Ängste zu
schüren und Sicherheitsverschärfungen zu rechtfertigen.
Deine Beschreibungen hören sich sehr düster an. Wie können die Bedingungen für Flüchtlinge verbessert werden?
Wichtig ist es, überhaupt wahrzunehmen, dass die Behandlung von Flüchtlingen ein gesellschaftliches Problem darstellt: Dabei handelt es sich um die totale Zerstörung einer Minderheit. Niemand, weder
das Bildungssystem noch die Universitäten, scheint sich dafür zu interessieren. Es ist sehr schmerzhaft, sich schuldig zu fühlen, und einfach, sich dann abzuwenden. Aber wir müssen mutig genug sein,
die Verhältnisse offen anzusprechen. Nur so können wir die Angst vor der Freiheit überwinden und gemeinsam dafür einstehen, aus der Welt einen besseren Platz für die gesamte Menschheit zu machen.
Wie kann man dabei helfen, die Wahrnehmung des Problems ins öffentliche Bewusstsein zu rücken?
Wir rufen jeden dazu auf, sich uns anzuschließen. Ich bin sehr beeindruckt von den Jenaer Studenten, die dabei helfen, das Karawane-Festival zu organisieren. Sie sind wundervoll und lassen mich hoffen, dass Veränderungen möglich sind. Jena kann hierbei eine große Rolle spielen.
Das Gespräch führte Isabel Schlegel
FOTO: ISABEL SCHLEGEL
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Ein Fest gegen die Ignoranz
Die Ziele und Inhalte des Karawane-Festivals in Jena
Wer sich am ersten Juni-Wochenende beim entspannten Einkauf wundert, warum da eine Meute maskierter Personen durch die Stadt zieht, hat nicht mitbekommen, dass in Jena vom 4. bis 6. Juni ein ganz besonderes Ereignis stattfindet: das Karawane-Festival. Es steht unter dem Motto „Vereint gegen koloniales Unrecht, in Erinnerung an die Toten der Festung Europa“, und über einhundert Künstler werden sich mit Konzerten, Ausstellungen und Aufführungen daran beteiligen.
Das Festival erstreckt sich über die gesamte Innenstadt, Veranstaltungsorte sind beispielsweise Campus, Holzmarkt und Theaterplatz. Die Organisatoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, auf die Situation von Flüchtlingen und Migranten in Thüringen und Deutschland aufmerksam
zu machen. Das Festival beginnt am Freitag mit einem „Memorial für die Toten der Festung Europa“. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Choreografie und
Demo, in deren Verlauf ein Denkmal am Theaterplatz präsentiert wird. Startpunkt des Gedenkmarschs ist das Johannistor. Im Laufe des Wochenendes sind außerdem
Kinovorstellungen und der erwähnte Umzug mit original westafrikanischen Masken geplant. Er symbolisiert den Einzug derjenigen in die Stadt, die auf ihrem Weg nach Europa ihr Leben verloren haben.
Der Sonntag, letzter Tag des Festivals, steht ganz im Zeichen der Kleinen, ein Kinder-festival mit Jam-Session ist angedacht. Parallel sollen für die Erwachsenen, wie am ganzen Wochenende, Diskussionen und Reden stattfinden. Die Themen sind breit gefächert, sie reichen von rassistischer Polizeigewalt und Berichten über die Flüchtlingslager bis hin zu Residenzpflicht und sozialer Ausgrenzung.
Das „The VOICE Refugee Forum“ über nimmt die Vorbereitungen, auf der Web präsenz nennt man den „Stopp aller De portationen“ das oberste Ziel. Es werden etwa dreitausend Besucher aus aller Welt erwartet, die helfen wollen, dieses Ziel zu verwirklichen.
Mit seinen vielfältigen Angeboten bietet das Karawane-Festival die Möglichkeit, sich ein Bild von den Lebensbedingungen von Flüchtlingen und Migranten zu machen und Informationen aus erster Hand zu erhalten. Natürlich kommt mit den zahlreichen musikalischen und kulturellen Beiträgen auch das Feiern nicht zu kurz.
Marc Zimmer
Mehr zum Ablauf des Festivals gibt es im
Veranstaltungskalender und auf www.ka-
rawane-festival.org
http://www2.uni-jena.de/akruetzel/archiv/282.pdf
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Gruppenausstellung
27.04.2010 - 06.06.2010 "color is a bridge"
Unter dem Motto „color is a bridge“ beteiligt sich der Salon der Kuenste mit einer Bildausstellung am Karawane - Festival in Jena, einem interkulturellen Festival, welches auf die miserable Lage der Flüchtlinge und Migranten in Europa und Deutschland aufmerksam machen will.
Gruppenausstellung von: Martina Hammel, Hamid Ashayeri und Rita Mascis
http://www.leimerart.de/sdk_april10.htm