19.06.2010 / Inland / Seite 4Inhalt
Gegen Residenzpflicht
Berlin und Brandenburg wollen Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge schaffen. Linksfraktion im Bundestag legt Antrag vor. Gebühren für Reiseerlaubnisse rechtswidrig
Von Ulla Jelpke
Die Residenzpflicht für Flüchtlinge, die ihnen das Verlassen ihres Landkreises ohne Sondergenehmigung untersagt, soll zumindest in Berlin und Brandenburg gelockert werden. Die beiden von SPD und Linkspartei geführten Länder wollen durchsetzen, daß Reisen zwischen Berlin und Brandenburg nicht mehr erlaubnispflichtig sind. Das Brandenburger Innenministerium hat außerdem angekündigt, bis Mitte Juli einen Erlaß zu verabschieden, der den Betroffenen erlaubt, sich innerhalb des Bundeslandes frei zu bewegen. Dazu sollen den Ländern durch eine Bundesratsinitiative mehr Kompetenzen bei der Umsetzung des Gesetzes eingeräumt werden. Auch im Bundestag wird das Thema zur Sprache kommen: Die Linksfraktion wird einen Antrag einbringen, der die ersatzlose Streichung der Residenzpflicht fordert.
Welche absurden Folgen die Regelung hat, macht der Fall eines 27jährigen iranischen Flüchtlings aus Brandenburg deutlich. Der Mann war zum Schulbesuch nach Berlin gereist und erhielt ein Strafverfahren, weil er für die Fahrten keine Erlaubnis hatte. Wie der Flüchtlingsrat Brandenburg am Donnerstag mitteilte, wird das Verfahren nun gegen Zahlung von 90 Euro Bußgeld eingestellt.
Für Reisen in andere Landkreise müssen die Betroffenen eine Erlaubnis bei der Ausländerbehörde einholen. Manche Ämter verlangen hierfür Gebühren in Höhe von zumeist zehn Euro – für Asylbewerber, die ohnehin nur einen verkürzten Sozialhilfesatz erhalten, eine erhebliche Belastung. Das Verwaltungsgericht Halle hat diese Praxis in einem bereits Ende Februar ergangenen Urteil für rechtswidrig erklärt. Konkret monierte das Gericht, die Aufenthaltsverordnung sehe zwar Gebühren für die Ausstellung von Bescheinigungen vor, für das Verlassen eines Landkreises genüge aber eine schlichte – mündliche – Erlaubnis. Ob das Urteil praktikabel ist, muß allerdings bezweifelt werden. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) merkt in seiner Antwort auf eine Grünen-Anfrage im Abgeordnetenhaus an: »Bei Verzicht auf eine solche Bescheinigung wird es für die Betroffenen allerdings zum Teil schwierig sein, die örtliche Erlaubnis nachzuweisen.« Die meisten werden also, um Schwierigkeiten mit der Polizei zu vermeiden, weiterhin für einen Bescheid Geld bezahlen, den sie eigentlich gar nicht brauchten.
Am Montag wird im Berliner Haus der Demokratie die Ausstellung »Residenzpflicht – Invisible Borders« wiedereröffnet. Die Exposition war im Januar bei einem mutmaßlich von Neofaschisten verübten Brandanschlag auf das Zossener Haus der Demokratie zerstört worden. Am Dienstag lädt die Linksfraktion zu einer Veranstaltung zur Abschaffung der Residenzpflicht. Auf dem Podium sitzen Vertreter der Fraktionen aus Brandenburg und dem Bund, dem Flüchtlingsrat Brandenburg und von »Jugend ohne Grenzen« Bayern.
Podiumsdiskussion am 22. Juni, 18 Uhr, »Werkstatt der Kulturen«, Neukölln, Wissmannstr. 32 (U-Bahnhof Hermannplatz)