25.06.10 Landkreis Wittenberg hat Vertrag nicht gekündigt- Lagerdasein in Möhlau geht weiter! Togo Action Plus
http://www.ludwigstrasse37.de/nolager/index.htm
Der Ort, an dem wir leben und wohnen - "eigenen vier Wände" - ist in der Regel auch der Ort, an den wir uns zurückziehen können. Es soll der Ort sein, der zum Schutz der Privatsphäre dient und an dem wir uns wohl und geborgen fühlen können. In den meisten Fällen suchen wir uns diesen Ort selbst, indem wir eine Wohnung mieten oder gar ein Haus kaufen. Wir richten diesen Ort mit unserem Hab und Gut ein und gestalten ihn nach unseren eigenen Vorstellungen. Wir nennen es unser Zuhause.
Haben diese Möglichkeit alle Menschen, die in Deutschland leben?
Nein! Menschen, die als Flüchtling, als AsylbewerberIn nach Deutschland kommen, können erstens nicht frei ihren Wohnort wählen, sondern werden anhand eines bundesweiten Verteilungsschlüssels auf die Bundesländer und Landkreise verteilt. Zweitens werden sie in dem jeweiligen Landkreis, dem sie zugewiesen werden, meist in einer sogenannten Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende untergebracht (Im weiteren Text Lager genannt).
Wie gestaltet sich aktuell die Wohn- und Lebenssituation für Flüchtlinge im Landkreis Wittenberg?
Im Landkreis Wittenberg leben offiziell 206 Flüchtlinge im Lager (Stand Juni 2010). Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 0,15 %; Tendenz sinkend. Unter den 206 Menschen befinden sich 25 Familien mit insgesamt 45 Kindern. Die meisten dieser Menschen haben bereits vor etlichen Jahren ihren Asylantrag gestellt, wurden wie 99 % aller AsylbewerberInnen abgelehnt und leben seit der Ablehnung mit einer Duldung, die alle zwei bis drei Monate, in manchen Fällen auch nur alle zwei Wochen durch die Ausländerbehörde verlängert werden muss. Eine sogenannte Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern sagt nur aus, dass die betreffende Person nicht in ihr vermeintliches Heimatland abgeschoben werden kann, da ein Hinderungsgrund vorliegt. In der Praxis führt die Vergabe von Duldungen an Stelle von einem Bleiberecht für die Menschen in Möhlau zu einem jahrelangen Leben in völliger Unsicherheit
und Angst. Darüber hinaus bedeutet es ein Leben mit der Residenzpflicht, mit Arbeits- und Ausbildungsverbot, mit Gutscheinen statt Bargeld und mit dem Zwang, im Lager Möhlau zu wohnen.
Das Lager Möhlau wurde Anfang der 1990er Jahre auf dem ehemaligen Gelände der russischen Streitkräfte außerhalb der kleinen Gemeinde Möhlau eingerichtet. Nachbarn gibt es im Umkreis von 1,5 km nicht. Es besteht keine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, bis auf den Schulbus. Arztpraxen, Krankenhaus, Behörden und die nächste Einkaufsmöglichkeit liegen rund 9 km und weiter entfernt. Die
benötigten Bustickets für diese Wege müssen von den monatlichen 20 Euro "Taschengeld bezahlt werden. Ein Ausflug in die rund 30 km entfernte Kreisstadt Wittenberg als auch der Besuch von Beratungsstellen, wie dem Psychosozialen Dienst in Halle, ist nur in Ausnahmefällen möglichen. Folge der abgeschiedenen Lage des Lagers Möhlau ist die Isolation der dort lebenden Menschen, die systematische
Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe, eine medizinische Unterversorgung und eine mangelhafte psychische Betreuung und Beratung, die viele BewohnerInnen aufgrund traumatischer Erlebnisse aber in Anspruch nehmen müssten. Einige der BewohnerInnen leben bereits länger als 10 Jahre im Lager; Einzelfälle bis zu 15 Jahre. Viele der dort lebenden Kinder sind im Lager Möhlau aufgewachsen und haben noch nie in einer eigenen Wohnung außerhalb des Geländes gewohnt. Die Zustimmung von Seiten der Behörden zum Umzug in eine Wohnung wurde bisher nur in absoluten Ausnahmefällen erteilt.
Der Zustand des Gebäudes, in dem die Flüchtlinge leben müssen, lässt sich als ein unwürdiger und ausgesprochen desolater beschreiben (Siehe Fotos der Ausstellung). Heruntergekommene Wohnungen, veraltete sanitäre Einrichtungen und Ungeziefer, wie Kakerlaken, prägen das Bild. Küchen und Bäder müssen sich mit mehreren ewohnerInnen geteilt werden. Die leer stehenden Gebäude auf dem Gelände sind z.T. einsturzgefährdet, vermüllt und ungesichert und stellen besonders für die Kinder eine große Gefahrenquelle dar.
Der Betreiber der Unterkunft, die KVW Beherbergungsbetriebe unter der Leitung von Familie Wiesemann, hat in den letzten Jahren wenig Bemühungen gezeigt, an diesem Zustand etwas zu ändern. Darüber hinaus ist die Firma von Familie Wiesemann kein Träger mit interkultureller und integrativer Zielsetzung, sondern ein Wirtschaftsunternehmen, das an Gewinnmaximierung für abgeschriebene Immobilien interessiert ist, die nie als Lebensmittelpunkt auf lange Zeit für Personen und Familien konzipiert waren. Für die Unterbringung erhält Familie Wiesemann pro Person eine Tagespauschale von 7,18 Euro. Das entspricht bei 206 BewohnerInnen einer monatlichen Summe von ca. 45.000 Euro und jährlich von 540.000 Euro.
Doch es regt sich Widerstand gegen diese Zustände... mit Erfolg!
Im Winter 2009 gründete sich die Flüchtlingsinitiative Möhlau. Mit Unterstützung der no lager Gruppe Halle wurde eine erste Demonstration im Sommer 2009 in Wittenberg organisiert. Eine öffentliche Begehung des Lagers am 11.07.2009 unter Teilnahme von Presse, LokalpolitikerInnen und interessierten BürgerInnen folgte. Ein Runder Tisch, bestehend aus verschiedenen UnterstützerInnen nahm seine Arbeit auf und lud im November zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ein. Auch eine zweite Demonstration der BewohnerInnen des Lagers fand statt. Der Druck auf den Kreistag und Landrat wuchs.
Ansatzpunkt der Proteste war und ist: Keine Vertragsverlängerung für Möhlau! Der Vertrag zwischen dem Landkreis und dem Betreiber läuft am 31.12.2010 aus und muss bis zum 31.06.2010 gekündigt werden, wenn eine Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation der in Möhlau lebenden Flüchtlinge gewollt ist.
Ein erster positiver Schritt stellte der Antrag zur "Schließung Möhlaus" der Fraktion "Bürger bewegen Probleme" und Bündnis 90/ Die Grünen dar. Zu einer Abstimmung im Kreistag am 21.06.2010 wird es wahrscheinlich nicht mehr kommen, da Landrat Jürgen Dannenberg signalisiert hat, einer Vertragsverlängerung nicht zu zustimmen und nach Alternativen für die Unterbringung zu suchen - ein erster großer Erfolg für die Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen.
Wie kann und sollte in Zukunft die Wohn- und Lebenssituation für Flüchtlinge im Landkreis Wittenberg aussehen?
Die rechtliche Grundlage für die Unterbringung von AsylbewerberInnen ist der § 53 des Asylverfahrensgesetzes. Demnach sind AsylbewerberInnen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften (GU) unterzubringen. Die im Asylverfahrensgesetz gewählte Formulierung "in der Regel" schließt andere Formen der Unterbringung von AsylbewerberInnen ausdrücklich nicht aus. Damit besteht auch die Möglichkeit, AsylbewerberInnen in Wohnungen unterzubringen. Ebenfalls kann eine GU ein normales Wohnhaus sein, das Gesetz legt dies nicht genauer fest. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt stellte mehrfach fest, das GUs nicht für Familien geeignet sind und die Unterbringung in einer GU generell zeitlich begrenzt sein sollte.
Zentrale Forderungen der BewohnerInnen des Lagers Möhlau sind:
• Schließung des Lagers Möhlau.
• Dezentrale Unterbringung im Stadtgebiet von Wittenberg oder Gräfenhainichen.
• Unterbringung in einzelnen Wohnungen bzw. wohnungsgleich zum Schutz der Privatsphäre.
• Direkte Nachbarschaft mit AnwohnerInnen der jeweiligen Stadtgebiete.
• Gewährleistung einer fußläufigen Erreichbarkeit oder mit öffentlichen
Verkehrsmitteln binnen 15 Minuten:
- von Ärzten und Krankenhaus
- von Schulen, Kindergarten und Hort
- von Einkaufsmöglichkeiten
- von Beratungsstellen und Ämtern
- von Kultur- und Sportangeboten
- von Deutsch- und Weiterbildungskursen
Erfahrungen aus anderen Landkreisen und Kommunen wie Sangerhausen und Dessau, in denen es gar keine Lager gibt, haben gezeigt, dass eine vollständig dezentrale Unterbringung nicht nur umsetzbar ist, wenn der politische Wille vorhanden ist, sondern auch, dass in den Kommunen Geld gespart werden kann.
Wittenberg ist in Sachsen-Anhalt der einzige Landkreis, in dem Flüchtlinge ausschließlich und dauerhaft im Lager leben müssen.
Unterstützen wir / unterstützen Sie die Flüchtlinge in ihrem Kampf für ein menschenwürdiges Leben und Wohnen! Durchbrechen wir gemeinsam die Isolation und fordern die politisch Verantwortlichen auf, sich aktiv für eine humanitäre und angemessene Lösung einzusetzen!