Warten auf den Lkw
Flüchtlinge in Biberach müssen Lebensmittel alle zwei Wochen vom Transporter abholen
Von Gitta Düperthal
Im baden-württembergischem Kreis Biberach an der Riß haben Flüchtlinge beschlossen, sich zur Wehr zu setzen. Sie wollen sich nicht länger mit diskriminierenden Sondergesetzen und deren strenger Auslegung durch die örtlichen Behörden abfinden. Jetzt sind sie mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit gegangen.
Die Situation der Asylberwerber in Biberach ist besonders problematisch: Während die monatliche staatliche Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 224,97 Euro in anderen Bundesländern bar ausgezahlt wird, geben die Behörden in Baden-Württemberg nur Sachleistungen aus. Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung müssen die Flüchtlinge aus einem Lkw entgegennehmen, der zwei Mal wöchentlich vor der Gemeinschaftsunterkunft in der Bleicher Straße vorfährt. Davon abgesehen, daß es nur eine äußerst begrenzte Auswahl an Produkten gibt, müssen die Flüchtlinge dafür Schlange stehen. Auch bei schlechtem Wetter, in Regen und Kälte. So ist die Situation in einem Offenen Brief an das Landratsamt des Kreises beschrieben, den viele der rund 130 Flüchtlinge unterzeichnet haben, die in drei Gemeinschaftsunterkünften leben. Aber das ist nur eine der Beschwerden auf der langen Liste, die jetzt auch dem im Landratsamt zuständigen Abteilungsleiter für Soziales, Arnfried Stoffner, vorliegt.
Die Flüchtlinge kritisieren darin eine häufig »harsche und unfreundliche Abfertigung« bei der Essensausgabe sowie schlechte Qualität der Lebensmittel. Das Verfallsdatum sei mitunter bereits abgelaufen oder zumindest kurz davor, Muslime erhielten statt Lammfleisch Schweinebraten. »Das Schlimmste aber: Es ist nicht genug, wir haben immer Hunger«, betonte ein Flüchtling aus der Bleicher Straße im Gespräch mit junge Welt am Wochenende.
Kleidung wird auf dieselbe Weise wie das Essen vom Lkw nach einem Punktesystem verteilt. Es handele sich um Billigware, die häufig überteuert verhökert werde. Das Tragen solcher Kleidungsstücke stigmatisiere die Flüchtlinge und erschwere ihre Integration, kritisierte Rex Osa, ein Sprecher der Flüchtlinge. Nach wenigen Malen Waschen seien die Textilien bereits zerschlissen.
Zur miserablen Versorgungslage komme die Einschränkung der persönlichen Freiheit hinzu: »Wir dürfen nicht arbeiten und kein Geld verdienen; wir bekommen keinen Deutschkurs, um uns verständigen zu können – obwohl wir den dringend bräuchten, um unsere Angelegenheiten beim Ausländeramt zu klären«, ergänzt ein Flüchtling. »Stattdessen sind wir gezwungen, vorm Fernseher zu sitzen und die Langeweile zu ertragen.« Von 40 Euro, die sie monatlich bar als Taschengeld erhalten, müßten beispielsweise Rechtsanwaltskosten bezahlt werden. Einen Kaffee trinken zu gehen, sei da nicht drin.
Die Flüchtlinge bemängeln zudem die strenge Auslegung der Residenzpflicht in Biberach. Ständig müßten sie im Amt um Erlaubnis fragen. Selbst wenn der Behörde ein Therapieplan für einen Flüchtling vorliege, forderten Mitarbeiter für jeden darin stehenden Termin eine erneute Bestätigung des Psychotherapeuten an. »Viele von uns bräuchten keine Therapien, würde man uns nicht so schlecht behandeln«, meint ein Asylbewerber aus der Gemeinschaftsunterkunft Bleicher Straße wütend.
»Wir nehmen die Äußerungen sehr ernst«, sagte der Abteilungsleiter für Soziales, Arnfried Stoffner. Anfang dieser Woche werde man sich zusammensetzen und beraten, welche der Probleme in die eigene Zuständigkeit fielen und welche auf politischem Weg durch das Landesparlament geklärt werden müßten. Zu letzteren gehörten die Residenzpflicht sowie die Verweigerung von Geldleistungen. Stoffner kündigte an, die Bewohner der Sammelunterkünfte spätestens im September zu einem Gespräch einzuladen. Geantwortet habe er den Flüchtlingen auf ihren Brief bisher nicht, weil er keinen Absender kenne. Auch die weitere Kommunikation der Behördenmitarbeiter mit den Flüchtlingen dürfte sich schwierig gestalten, denn die haben Angst, im Fall kritischer Äußerungen Opfer von Willkürentscheidungen zu werden.
Flüchtlinge sind selbst Kämpfer – von Rex Osa The VOICE Forum
https://thevoiceforum.org/node/1723