offner brief der AIR antirassistische Initiative Rostock
Offener Brief
Landtag Mecklenburg-Vorpommern
Innenausschuss, Schloss
Lennéstraße 1, 19053 Schwerin
Rostock, 29.09.2010
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien im Innenausschuss des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, aus Anlass der kommenden Sitzung des Innenausschusses am 30.09.2010 möchten wir Sie mit diesem offenen Brief dazu auffordern sich mit der systematischen Verletzung bestehender Vorgaben und Regeln durch zuständige Behörden zu befassen und dem Landtag die Schließung der Landesgemeinschaftsunterkunft (LGU) in Nostorf/Horst zu empfehlen. Es handelt sich um eine Angelegenheit aus ihrem Aufgabengebiet.
Wir fordern außerdem, die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) Mecklenburg-Vorpommern nach Schwerin oder Rostock zu verlegen. Dort haben die Flüchtlinge, die dem deutschen Rechtswesen oft völlig hilflos gegenüberstehen, in den entscheidenden ersten drei Monaten ihres Asylverfahrens die Möglichkeit, Beratungsstellen und RechtsanwältInnen zu finden, die sie in ihren Verfahren unterstützen. Den Flüchtlingen diese Möglichkeit durch die Unterbringung in isoliert liegenden Unterkünften zu entziehen, bedeutet, ihnen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zu verweigern. Die Zurückverlegung der ZEA nach Rostock wäre nicht nur aufgrund der viel umfassenderen Unterstützungsmöglichkeiten sinnvoll, sondern auch ein Zeichen für den seit den Lichtenhagen-Progromen 1992 eingesetzten institutionellen und bürgerschaftlichen Lernprozess in der größten Kommune des Landes. Ein Signal einer verantwortungsbereiten, weltoffenen und toleranten Stadt mit urbanem Flair.
Die Flüchtlingsproteste der letzten beiden Wochen in Horst werden von uns als „Resultat inhumaner und isolierender Lagerunterbringung und gewollter Ausgrenzung“ angesehen. Lebens- und Versorgungsbedingungen dort schönzureden, empfinden wir als zynische Fortsetzung der strukturellen und individuellen Entmündigung und alltäglichen Entrechtung, die in Nostorf/Horst im Namen unseres Bundeslandes geschieht. Hier muss schleunigst eine Änderung herbeigeführt werden. Ein „Trostpflaster“ in Form einer zusätzlichen Arztsprechstunde, um auf die fahrlässige medizinische Unterversorgung zu reagieren, reicht nicht aus. Noch scheint der Mangel an politischem Willen offenkundig – obwohl klare Missachtungen von humanitären, rechtlichen und politischen Vorgaben zu verzeichnen sind.
Wir fragen:
Wie kann es sein, dass beispielsweise schwangere Frauen, nach ihren Aussagen, während der gesamten Schwangerschaft keine ausreichenden diagnostischen Untersuchungen und keinen vorgeschriebenen Mutterschaftspass bekommen? Wie kann es sein, dass es für viele Beschwerden lediglich Schmerzmittel (Paracetamol) gibt und eine Überweisung zu Fachärzten oftmals verweigert wird? Warum fehlen kompetente DolmetscherInnen, vor allem für Arztbesuche?
Wie kann es sein, dass dort unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über 18 Monate lang leben müssen? Das verstößt nicht nur gegen die von Deutschland vorbehaltlos unterzeichnete UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch gegen den eigenen LGU-Erlass, der besagt, dass eine Maximaldauer von 12 Monaten in der Regel nicht überschritten werden soll. Dies aber scheint inzwischen bei vielen Menschen üblich.
Wie kann es sein, dass seit Beginn der Proteste JournalistInnen, LandtagspolitikerInnen und UnterstützerInnen der Flüchtlinge der Zutritt zum Gelände – bis auf eine einmalige gelenkte Führung – verwehrt wurde? Dass eine undemokratische Abschirmung von der Öffentlichkeit durch ein inzwischen für unbegrenzte Zeit geltendes Besuchsverbot zementiert werden kann?
Wie kann es sein, dass die berechtigten Forderungen der Betroffenen kein Gehör finden und sie stattdessen unter repressiven Maßnahmen (z. Bsp. Beschimpfung, Bedrohung, Arbeitsverlust, Abnahme der Lagerausweise, Zimmerverlegung) zu leiden haben?
Wie kann es sein, dass die Landesgemeinschaftsunterkunft überhaupt existiert? Die laut LGU-Erlass nur übergangsweise eingerichtete Gemeinschaftsunterkunft entspricht – mitten in einem Wald gelegen – in keiner Weise dem gesetzlich festgelegten Grundsatz: Um die Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu ermöglichen, dürfen Gemeinschaftsunterkünfte nur in oder im Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil eingerichtet werden (§2 Abs. 2 GUVO M-V 2001). Gerade eine vom Land betriebene Sammelunterkunft muss denselben Standards unterworfen sein, wie die kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte. Oder nach welchen Doppelstandards wird hier verfahren?
Wir bitten Sie hiermit im Sinne der Flüchtlinge tätig zu werden und die Diskriminierung und menschenunwürdige Behandlung im Namen Mecklenburg-Vorpommerns umgehend zu beenden.
Mit freundlichen Grüßen,
Antirassistische Initiative Rostock