08.11.2010 / Inland / Seite 8Inhalt
»Alle Lager müssen geschlossen werden«
Flüchtlinge in Thüringen fordern Wohnungen.
Neonazis provozierten vor Sammelunterkunft in Gerstungen.
Ein Gespräch mit Osaren Igbinoba
Interview: Gitta Düperthal
unbenannt
Osaren Igbinoba ist Mitbegründer der Initiative »The Voice Refugee Forum« und Aktivist der Dachorganisation »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten«
Aktivisten des Flüchtlingslagers in Gerstungen in Thüringen haben in den vergangenen Wochen scharfe Kritik an den Zuständen im Lager öffentlich gemacht. Am Freitag kamen zwei NPD-Mitglieder, um fremdenfeindliche Hetzpropaganda vor und in dem Lager zu verbreiten.
Die NPD-Funktionäre Tobias Kammler und Patrick Wieschke hatten angekündigt, die Asylbewerber in Gerstungen aufsuchen zu wollen, aber keinen Zeitpunkt bekanntgegeben. Offensichtlich war ihnen klar, daß sie dort nicht willkommen sein würden und mit Gegenwehr zu rechnen hätten. Gegen 13 Uhr wurden sie von einem Polizeiaufgebot empfangen, das ihnen den Zutritt zum Heim verwehrte. Beide verteilten dann vorm Lager Flugblätter, auf denen sie den Flüchtlingen in verschiedenen Sprachen Geld versprachen, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren.
Um gegen den Besuch zu protestieren waren Aktivisten von The Voice aus Jena, Apolda, Eisenach und Halle gekommen. Die Polizei war freundlich, aber erlaubte uns nicht, das Lager zu betreten – später erfuhren wir, warum. Gegen 14 Uhr fuhren Limousinen vor. Nachdem der Spuk mit den Nazis vorbei war, stand den Flüchtlingen hoher Besuch ins Haus. Der Thüringer Innenminister Peter Huber (CDU) hatte beschlossen, an diesem Tag, begleitet von seinen Bodyguards, das Lager zu besichtigen. In aller Diskretion, versteht sich, denn zu feiern gibt es ja da wahrlich nichts. Die NPD hatte angekündigt, weiter in der Stadt Gerstungen ihre Pamphlete zu verteilen, »um die dortigen Stimmungen inländerfreundlich zu kanalisieren«.
Inwiefern ist die Thüringer CDU/SPD-Regierungskoalition mitverantwortlich dafür, daß rassistische Kräfte nun Morgenluft wittern?
Mit ihrer Politik, Migranten keine Integration zu ermöglichen, geben sie den Neofaschisten Gelegenheit, aus ihren Löchern zu kommen. Die fallen mit ihrem Rassismus fast gar nicht mehr auf. Bezeichnend ist, daß die Sozialdemokraten sich kaum rühren. Sie tun nichts gegen die Fremdenfeindlichkeit. Insofern sind auch sie mitverantwortlich für dieses Klima. Amtsleiter und Mitarbeiter in Behörden tragen ebenso Verantwortung, indem sie Migranten in abgelegenen alten und heruntergekommenen Kasernen isolieren, ihnen mit der Residenzpflicht auferlegen, sich nicht fortbewegen zu können und sie in die Armut drängen. Auf diese Weise ermuntern sie die Faschisten geradezu, ihrem Rassismus ungehemmt zu frönen und die Demokratie zu verhöhnen.
Wie sind die Flüchtlinge mit der NPD-Gefahr umgegangen?
Sie haben gefordert, den Rechten Hausverbot zu erteilen.
Was hatte es mit dem Besuch des Innenministers auf sich?
Wir hatten ihn bereits Ende September bei unseren Protesten anläßlich der von uns als Heuchelei empfundenen Interkulturellen Woche in Bad Salzungen angetroffen. Kein einziger Flüchtling war dazu eingeladen worden. Deshalb hatten wir uns selber eingeladen, um über die inhumanen Lebensbedingungen in den Lagern zu diskutieren. Der Innenminister hatte uns damals zugesagt, das Flüchtlingswohnheim zu besuchen. Er besichtigte Duschen und Küche, die wegen ihres miserablen hygienischen Zustands im Gespräch waren und sprach drinnen mit den Bewohnern.
Später sagte der Innenminister zu mir, das Heim könne nicht geschlossen werden, aber er werde versuchen, für einige Familien »eine Lösung außerhalb« zu finden. Die Renovierung soll 360000 Euro kosten, bis jetzt sind allerdings nur sehr oberflächlich Elektrizität und Heizung repariert worden. Ich sagte ihm, er müsse alle vier Heime in Thüringen schließen: Gangloffsömmern, Gerstungen, Zella-Mehlis und Breitenworbis. Er hat zugesagt, die anderen Lager ebenfalls zu besuchen.
Was fordern Sie von der Landesregierung, um Aktivitäten der NPD und anderen Neofaschisten zurückzudrängen?
Sie muß sich zu einer menschlichen und demokratischen Flüchtlingspolitik bekennen. Alle Lager müssen geschlossen werden, und den Flüchtlingen sind ordentliche Wohnungen zu stellen. Es darf auch keine Abschiebungen mehr geben.
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