Karawane München. Für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen!
presse@carava.net
www.carava.net
Bayerischer Flüchtlingsrat
Tel: 089 - 76 22 34
Fax: 089 - 76 22 36
kontakt@fluechtlingsrat-bayern.de
www.fluechtlingsrat-bayern.de
Pressemitteilung, 12. November 2010
Abschiebeanhörungen einer sierra-leonischen Delegation in München vom 15. bis 17. 11. 2010
Dubioses Verfahren zur ?Identitätsfeststellung? ? korruptes Geschäft mit Abschiebungen?
Für Montag, den 15., Dienstag, den 16. und Mittwoch, den 17. November, wurden Flüchtlinge aus dem Bundesgebiet von der ?Zentralen Rückführungsstelle Süd? in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei zu einer Anhörung vor einer sierra-leonischen Delegation im ehemaligen Frauengefängnis Am Neudeck 10 in München vorgeladen, um bei der Ausstellung von Passersatzdokumenten mitzuwirken ? so die offizielle Umschreibung der deutschen Behörden.
Tatsächlich werden Flüchtlinge, unter Strafandrohung bei Nichterscheinen und teilweise polizeilich zwangsvorgeführt, von einer Kommission Sierra Leones überprüft, damit ?Heimreisedokumente? bzw.
Abschiebepapiere beschafft werden können. Menschen, bei denen das Herkunftsland Sierra Leone vermutet wird, werden nach willkürlichen Kriterien, wie Sprache, Dialekt, Narben oder sogar Gesichtsform? begutachtet?. Wird entschieden, dass es sich um einen Sierra Leoner bzw. eine Sierra Leonerin handle, wird ein sogenanntes ?Emergency
Traveling Certificate? (ECT) ausgestellt, und somit die Abschiebung besiegelt ? die Delegierten werden mit einem ?Kopfgeld? für jedes Abschiebepapier belohnt. Vor deutschen Gerichten sind solche Identitätsvermutungen nicht anfechtbar, denn, obwohl sie der Vollstreckung deutschen Ausländerrechts dienen, handelt sich um ausländische Verwaltungsverfahren. Mit der bloßen Beschauung eines Flüchtlings wird festgesetzt, dass ein, meist traumatisierter, sierra-leonischer Flüchtling abgeschoben wird. ?Diese mehr als zweifelhaften Methoden sind nicht nur menschenunwürdig, sondern ziehen auch unmenschliche Folgen nach sich. ?, meint Hans-Georg Eberl von der
Karawane München.
Die Kommission besteht aus Entsandten des sierra-leonischen ?Immigration Office?, die eigens aus dem westafrikanischen Staat eingeflogen werden, nicht aus Beamten der Botschaft, die sonst für Passangelegenheiten zuständig sind. Bereits 2008 fand in Hamburg eine solche Anhörung, vermutlich von der gleichen Kommission, statt, die mehrere Skandale nach sich zog. Das Verwaltungsgericht Bremen stellte fest, es gebe?begründete Zweifel daran, dass ein Passersatzpapier für Sierra Leone mit rechtmäßigen Mitteln beschafft worden sei?, da die Anhörung von einer Kommission durchgeführt wurde, deren "Identität, Aufgabenbereich und Autorisierung gänzlich ungeklärt sind". Des Weiteren äußerten die Richter explizit den Verdacht der Korruption, da die ECTs ?von einer nicht autorisierten Stelle (?) gegen Handgeld ausgestellt worden? seien.
Ein Beamter der Bundespolizei flog im Herbst 2008 auf Veranlassung des Stadtamtes Bremen nach Freetown, um Gelder für die erstellten
Abschiebepapiere zu übergeben. Später wurde in Sierra Leone Anklage gegen Kholifa Koroma, einen leitenden Beamten des ?Immigration Office?, erhoben, wegen dem Verdacht der Unterschlagung von Geldern aus derartigen Anhörungen in Deutschland und anderen europäischen Staaten.
?An Humanität wird nicht gedacht, ein Flüchtling wird zum bloßen Störobjekt. Um Abschiebungen durchzuführen sind den Behörden sämtliche Mittel recht, sogar der Verstoß gegen jegliche Prinzipien des Rechtsstaats.?, kommentiert der Karawane-Aktivist Ben Rau.
Die ?Karawane München für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen? wird an beiden Tagen der Abschiebeanhörung mit einer Kundgebung vor Ort sein, um die vorgeladenen Flüchtlinge zu warnen und um den Behörden klar zu machen, dass solch unrechtmäßige Methoden nicht hinter dem Rücken der Öffentlichkeit und ohne Widerstand durchgeführt werden können.