Hungerstreik und Essenspaketeboykott: Flüchtlingsprotest in bayerischen Lagern erreicht ungekannte Dimension
250 Flüchtlinge in Augsburg/Neusässerstraße verweigern Nahrungsaufnahme – Essenspaketeboykott in Schwabmünchen, Augsburg/Calmbergstraße und Denkendorf
250 Bewohnerinnen und Bewohner des Flüchtlingslagers in der ehemaligen Flak-Kaserne in Augsburg/Neusässerstraße erklärten am Montag, 22. November, den unbefristeten Hungerstreik. Gleichzeitig haben 12 Bewohnerinnen des Lagers in Schwabmünchen/Landkreis Augsburg und 50 Bewohner des Lagers Augsburg/Calmbergstraße begonnen, die Annahme der Essenspakete zu boykottieren; auch der am 9. November begonnene Essenspaketeboykott in Denkendorf/Landkreis Eichstätt wird fortgesetzt. Damit erreichte der Protest in bayerischen Lagern ein Ausmaß wie seit mindestens 10 Jahren nicht mehr. Die Forderungen der Flüchtlinge: Geld statt Essenspaketen; Privatsphäre, Hygiene und menschenwürdiges Wohnen: Wohnungen statt Flüchtlingslager; bessere medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung; Abschaffung der Residenzpflicht; Zugang zu Deutschkursen und Bildungsangeboten; das Recht, zu arbeiten.
„Dass in Augsburg so viele Menschen zum gesundheitsgefährdenden Mittel des Hungerstreiks gegriffen haben, sollte als Alarmsignal an Politik und Behörden verstanden werden. Die bayerische Landesregierung und die Bezirksregierungen sollten die Forderungen der Flüchtlinge sehr ernst nehmen und umgehend konkrete Schritte unternehmen. Beispielsweise könnte Sozialministerin Haderthauer sofort die Durchführungsverordnung Asyl in §13 ändern und die Auszahlung von Bargeld statt Essenspaketen ermöglichen. Wer sich hinter Minimalzusagen und Nichtzuständigkeiten versteckt und auf Aussitzen setzt, spielt mit der Gesundheit und dem Leben von Menschen,“ betont Hans-Georg Eberl von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen.
Überall brennen den protestierenden Flüchtlingen ähnliche Probleme auf den Nägeln: Zwangsunterbringung in extremer Enge, mit 4 bis 8 Personen auf einem Zimmer, unter krankmachenden Bedingungen. Versorgung mit minderwertigen Essenspaketen, die erwachsenen Menschen die Selbstbestimmung über eigene Ernährung und eigene Ausgaben verwehrt. Die fortbestehende Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch Residenzpflicht. Skandalös schlechte medizinische Versorgung, bei der häufig Krankenscheine für notwendige Behandlungen und Medikamente verweigert werden. Dass Menschen, die gerne ihr eigenes Geld verdienen würden, bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung blockiert werden. Dass es für Flüchtlinge viel zu wenig Sprachkurs- und Bildungsangebote gibt. Und nicht zuletzt der respektlose und erniedrigende Umgangston vieler BehördenmitarbeiterInnen und Lagerleitungen. Während Augsburg für den besonders schlechten Zustand der Lagergebäude berüchtigt ist, kommt in den kleinen Ortschaften die Isolation in der ländlichen Abgeschiedenheit als besondere Härte für die Flüchtlinge hinzu.
„Wir wollen einfach nicht mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen leben – wir sind diesmal in Augsburg noch viel mehr
und wir sind bereit, weiter zu gehen, als beim ersten Essenspaketeboykott im Frühjahr,“ hebt ein nigerianischer Sprecher die entschlossene Haltung der Hungerstreikenden in Augsburg hervor. Ein Bewohner des Lagers in Denkendorf, die mit ihrem Essenspaketeboykott den neuen Höhepunkt der Flüchtlingsproteste in Bayern eingeleutet haben, gibt sich optimistisch: „Wir haben angefangen, für unsere Rechte einzutreten, und andere haben den Kampf aufgenommen – das ging schneller als wir erhofft hatten. Wenn wir uns gemeinsam wehren, können wir etwas bewegen.“
Die Bezirksregierungen sind indessen bemüht, durch kleine Zugeständnisse die Stimmung zu besänftigen: In Denkendorf gab es neue Duschvorrichtungen, in Augsburg/Neusässerstraße wurden Kühlschränke und Kocher versprochen und einige Räume wieder neu geöffnet. Hans-Georg Eberl von der Karawane meint dazu: „Das Grundproblem, dass die unerträglichen Lebensbedingungen auf Abschreckung von Flüchtlingen abzielen, lässt sich nicht durch ein paar Schönheitsreparaturen beheben. Auch der Landtagsbeschluss zur Neuregelung der Lagerpflicht und der Erlass von Mindeststandards durch das Sozialministerium haben nichts wesentlich verbessert. Was wir brauchen, ist ein fundamentaler Politikwechsel – wir stellen uns voll und ganz hinter die Forderungen der protestierenden Flüchtlinge."