Unter diesem Titel im Amtsblatt profilierte sich Landrat Helmut Münchberg (Weimarer Land) nun im Fahrwasser Sarrazins mit ausländerfeindlicher Hetze. Eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft könnte gut mit derartigen Äußerungen leben, wenn diese eine Meinungsäußerung einer gesellschaftlichen Randgruppe wie etwa der NPD darstellen würden. Dann wäre derartige Volksverhetzung nicht mehrheitsfähig und ein Helmut Münchberg wäre die längste Zeit Landrat gewesen.
Das wirklich Schlimme aber ist die Realitätsferne der Gesellschaft, welche sich von denen erfolgreich belügen lässt, die Nutzen aus Ausländerhass und Unrecht ziehen. Dies kommt in den Worten des Superintendenten Heinrich Herbst (Weimar) und der Superintendentin Bärbel Hertel (Apolda) zum Ausdruck.
Sie schreiben zunächst an den Landrat: „Wir wissen aber auch gemeinsam, die Kriminalität von Ausländern in der Region gehört nicht zu unseren großen Herausforderungen. Wir wünschten uns ein Wort von Ihnen zu unseren wirklichen Problemen.“.
Wenn man an den Arbeitsplätzen, in Familienkreisen oder an den Biertischen die Themen verfolgt, welche die Gemüter der Bevölkerung bewegen, dann ist das Thema „Ausländerkriminalität“ durchaus ein häufiges Thema und es geht völlig an der Realität vorbei, den Landrat deswegen zu kritisieren, dass er sich zu diesem Thema äußert. Natürlich ist an der Kritik richtig, dass die Worte des Landrates gefährlich für den gesellschaftlichen Frieden sind. Aber die Kritik „Ihr kurzer Text ist ein scharfer Angriff auf unsere Verfassung, unser Menschenbild und unsere Demokratie“ geht schon wieder an der Realität vorbei.
Verfassung, Menschenbild und Demokratie werden nicht primär durch derartige Hetzartikel gefährdet, sondern durch eine Politik, die Sondergesetze gegen bestimmte Menschengruppen installiert, wie Residenzpflicht, wie Arbeitsverbote, wie Zwang zum Wohnen in Isolationslagern. Es ist die durch strukturellen Rassismus geprägte Verweigerung von verfassungsmäßig zu garantierenden Grundrechten, die unter weitgehender Tolerierung auch kritisch oder christlich eingestellter Teile der deutschen Öffentlichkeit mittlerweile Politik und Verwaltung durchsetzt hat, welche die wesentliche Ursache auch dafür ist, dass Ausländer in Deutschland statistisch messbar überdurchschnittlich in Kriminalität verwickelt sind.
Es ist nicht zu kritisieren, dass sich Landrat Münchberg diesem Thema zuwendet und dazu äußert, es ist zu kritisieren, dass er die wahren Ursachen verschweigt, dass er die Bevölkerung dadurch belügt, indem er den Eindruck vermittelt, die Flüchtlinge seien selber schuld (Zitat):
„Wirtschaftsflüchtlinge aus aller Herren Länder aufzunehmen, die sich in Deutschland von unserer Kultur, unserem Rechtssystem abschotten, nicht zum gemeinsamen Leben beitragen und den Anspruch haben, sobald sie über die Grenze in Deutschland sind, aus unseren Sozialsystemen, die eh schon bröckeln, versorgt zu werden.“
Es ist doch nicht die Schuld von Flüchtlingen, wenn deutsche Gesetze denen grundsätzlich ein Jahr lang verbieten, zu arbeiten, nachdem sie einen Asylantrag gestellt haben, wenn deutsche Gesetze dann Vorrangprüfungen vorschreiben, dass ein Arbeitsplatz, den ein Flüchtling nach dieser Zeit gefunden hat, einen Monat dem Arbeitsamt zur Vermittlung ausgeschrieben werden muss, ob sich nicht erstens ein Deutscher oder zweitens ein EU-Bürger oder drittens ein Ausländer mit Aufenthaltsstatus findet, diesen Arbeitsplatz zu besetzen.
Es ist eine klare Lüge, wenn Landrat Münchberg behauptet: „Menschen, die Asyl brauchen, sind jederzeit willkommen. Deutschland ist ein menschliches Land.“ Wer so etwas glaubt, sollte einmal die GU-Zella-Mehlis, Gerstungen, Gangloffsömmern, Breitenworbis etc. besuchen. Diese Lüge anhand nachprüfbarer Fakten öffentlichkeitswirksam zu widerlegen, das hätte Inhalt einer Kritik an Münchbergs Äußerungen sein müssen!
Auf die Hetze:
„Wer unsere Kultur und deutsches Recht verachtet, aber unsere Sozialsysteme in Anspruch nimmt: Raus! Und Deutschland sollte auch damit beginnen:
Kriminelle Ausländer raus!
Ihr Landrat“
beschränkt sich die Kritik der Kirchenvertreter auf den Hinweis:
„Jeder Ausländer, der aufgrund einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt worden ist, muss Deutschland gemäß § 53 des Aufenthaltsgesetzes zwingend verlassen“
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich muss jeder Ausländer, dem von deutschen Behörden ein Aufenthalt verweigert wird, Deutschland zwingend verlassen. Und das betrifft nach den Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 99,2 % der Flüchtlinge. Auch mit den Flüchtlingen, denen es gelang, ihren Bleiberechtsanspruch gerichtlich durchzusetzen oder die dies durch Heirat oder Kinder geschafft haben, kommt Deutschland nur auf einen Flüchtlingsanteil, der 27% des prozentualen Anteils pro Einwohner ausmacht, welcher im Weltdurchschnitt gemäß UNHCR auf der Flucht ist. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, in jedem anderen Land auf der Erde leben durchschnittlich beinahe viermal mehr Flüchtlinge, als in Deutschland! Kann sich jemand vorstellen, dass Deutschland derart unattraktiv für Flüchtlinge ist?
Die Wahrheit ist eine andere! Fast allen Flüchtlingen, die aufgrund berechtigter Fluchtgründe nach Deutschland kommen, wird Asyl grundgesetzwidrig und völkerrechtswidrig verwehrt! Das ist europäische und deutsche Realität, eine Realität, an deren Zustandekommen Deutschland einen beschämend hohen Anteil hat.
„Gefährlich sind Ihre Äußerungen, weil sie unseren Rechtsstaat in Frage stellen“ – wird Landrat Münchberg vorgeworfen. Können unqualifizierte und die Wirklichkeit verzerrende Äußerungen eines Menschen (auch wenn dieser Landrat ist) tatsächlich einen Rechtsstaat in Frage stellen? Wird dieser Rechtsstaat nicht vielmehr von den Politikern und Behörden in Frage gestellt, die mittels diskriminierender Gesetze rassistische Strukturen geschaffen haben?
Die Kritik fährt fort:
„Wir teilen Ihr Misstrauen gegen unseren Rechtsstaat nicht, aber wir sind entsetzt, weil Sie im Originalton die menschenverachtende Sprache der NPD verwenden. Freut Sie das Lob, das Sie zur Zeit von der NPD bekommen? Wünschen Sie sich denn, dass wir bei Ausländern unseren Rechtsstaat außer Kraft setzen? Wir sind froh darüber, dass unser Rechtsverständnis und unser Menschenbild jedem ein faires Verfahren gewähren.“
Diese Kritik bestätigt damit genau das, was Landrat Münchberg zuvor in seinem Artikel geschrieben hat:
„Ich weiß, dass es derzeit noch nicht politisch korrekt ist, Gutmenschen in Verantwortung nehmen zu wollen.
Gutmenschen sind übrigens nicht dasselbe wie gute Menschen.
„Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“, sagt der Volksmund.“
Sollte der Artikel des Landrates tatsächlich von Misstrauen gegen den deutschen Rechtsstaat geprägt sein, dann wäre Herr Münchberg in diesem Punkt schon einen Schritt weiter. Wie kann man frei von Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit sein angesichts staatlich organisierter massenhafter Deportation unschuldiger Menschen in Hunger, Folter und Tod? Es steht doch nicht zur Frage, dass bei Ausländern der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt werden könnte. Das ist schon lange Geschichte. Spätestens seit 1982 mit der Wiedereinführung eines Gesetzes aus der Nazizeit, der sogenannten Residenzpflicht, ist der Rechtsstaat außer Kraft. Das 1993 eingeführte Asylbewerberleistungsgesetz hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Für Flüchtlinge ist der deutsche Rechtsstaat schon lange außer Kraft. Das Gefasel von einem fairen Verfahren ist für Asylsuchende in Deutschland nichts anderes als purer Hohn, gleich nach „Arbeit macht frei“ oder „Jedem das Seine“.
Meist werden doch nicht Kriminelle abgeschoben. Wer tatsächlich führend in Mafiastrukturen verwickelt ist, hat in Deutschland zu nahezu 100% einen gültigen Aufenthaltsstatus. Nicht von ungefähr konnten auch die Terroristen des 11. September gerade in Deutschland ihre Basis aufschlagen. Abgeschoben werden die Flüchtlinge, die zu ehrlich waren, ihre Passdokumente den deutschen Behörden zu geben, abgeschoben werden die, welche von 40 Euro Taschengeld im Monat keinen Rechtsanwalt bezahlen können, der das ihnen zustehende Asylrecht durchsetzt, abgeschoben werden die, die einen Fluchtweg benutzt haben, der inkompatibel mit deutschem Asylrecht ist.
Es ist diesem menschenverachtenden deutschen Deportationssystem inzwischen gelungen, Flüchtlinge so unter Druck zu setzen, dass sie massenhaft (man spricht offiziell von einer Million!) das Leben in der Illegalität - unter schlimmeren als frühkapitalistischen Ausbeutungsbedingungen und unter ständiger Angst vor Entdeckung - einer Asylantragstellung vorziehen. Damit entstand eine Billiglohnkonkurrenz, mit welcher es nachhaltig gelang, das ehemals hohe Lohnniveau in Deutschland zu beseitigen. Diese Erscheinung wird in der Bevölkerung reflektiert: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“. Richtig müsste es heißen: „Durch das Deportationssystem gelang es kriminellen Teilen der Wirtschaft, das hohe Lohnniveau zu brechen und so stark wie in kaum einem anderen Land durch überdimensionale Profitsteigerung die Schere zwischen Arm und Reich auseinander zu treiben“.
Es ist die Funktion derartiger Hetzartikel wie dieser von Landrat Münchberg (ob er sich selbst dieser Rolle nun bewusst ist oder nicht), diese kriminellen Teile der Wirtschaft, die intensiv mit Behörden und Politik verquickt sind, davor zu schützen, dass sie entlarvt werden und sich stattdessen der Zorn der (Wut-)Bürger gegen unschuldige Flüchtlinge entlädt und man dann ungestört fortfahren kann, sich auf kriminelle Weise die Taschen zu füllen.
Die Kritiker der Kirche beteiligen sich in ihrer Blindheit an dieser Verschleierungstaktik, in dem sie die Lüge wiederhohlen, als würde deutsches Rechtsverständnis und Menschenbild jedem ein faires Verfahren gewähren. Bezogen auf deutsche Flüchtlingspolitik ist dies blanker Hohn! Es sind auch keine kulturellen Probleme, die das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern wirklich belasten. Es ist das stumme schreiende Unrecht, dass tagtäglich stattfindet, welches in Behörden und Gesetzen fest verankert ist, welches das Leben Hunderttausender unschuldiger Menschen ruiniert, psychisch und physisch.
Es ist auch dieses Unrecht, welches das Vertrauen sogenannter Migranten in deutsche Behörden und in das deutsche Rechtssystem zerstört hat, was dazu geführt hat, dass in bestimmten Vierteln mit hohem Ausländeranteil die Leute dazu übergangen sind, Rechtsstreitigkeiten untereinander zu regeln statt etwa über die Polizei. Polizei kann nur dort ihre Funktion in einem Rechtsstaat wahrnehmen, wo sie die Unterstützung der Bevölkerung genießt. Wenn aber inzwischen weiße Flecke auf der deutschen Landkarte entstanden sind, wo die Polizei diese Unterstützung vermissen muss, dann ist dies kein kulturelles Problem, auch kein Problem bestimmter Religionen, sondern einzig und allein den Erfahrungen geschuldet, welche Ausländer und besonders Flüchtlinge mit deutschen Behörden machen mussten.
Das sind die Probleme, die selbst Kriminalität darstellen und auch solche verursachen, über die ein Dialog geführt werden muss, nämlich: diskriminierender Umgang mit Menschen und Verletzung von deren Würde durch institutionalisierten Rassismus, koloniale Handlungsmuster in Behörden und Legislative, Kontroll- und Lagermentalität, welche wie ein Pilzmyzel deutsche Verwaltungsapparate durchdringt. Vielleicht sollten Superintendentin Hertel und Superintendent Herbst einmal ihre Amtsschwestern und –Brüder befragen, die schon einmal ein Kirchenasyl durchgeführt haben, um einmal eine Ahnung von dem zu bekommen, was menschliches Zusammenleben in Deutschland wirklich vergiftet, statt unbewusst ihren Beitrag zur Verbreitung diesen Giftes zu leisten.
Quellen:
http://www.weimarer.land.de/landratsamt/amtsblatt/AB_08_2010.pdf
http://apolda.otz.de/web/apolda/startseite/detail/-/specific/Offener-Br…