11.01.11 | 11:38 Uhr
Sechs Jahre ist es inzwischen her, als der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle des Polizeireviers Dessau qualvoll starb. Seine Landsleute sprechen nach wie vor von Mord, die Staatsanwaltschaft hingegen von Körperverletzung mit Todesfolge.
Der lange Weg zur Wahrheit im Fall Jalloh: Sechs Jahre ist es inzwischen her, als der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle des Polizeireviers Dessau qualvoll starb. Seine Landsleute sprechen nach wie vor von Mord, die Staatsanwaltschaft hingegen von Körperverletzung mit Todesfolge.
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Magdeburg (dapd-lsa). Die juristische Aufarbeitung dieses erschreckenden Falls vom 7. Januar 2005, als Jalloh bei einem Brand in der Verwahrzelle an den Folgen eines Hitzeschocks ums Leben kam, erweist sich als langwierig.
Ein erster Prozess vor dem Landgericht Dessau, der am 8. Dezember 2008 nach 59 Verhandlungstagen mit einem Freispruch für die beiden damals angeklagten Polizisten endete, wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) kassiert. Nun muss sich das Magdeburger Landgericht dieses Falles annehmen. Der damalige Dienstgruppenleiter muss sich ab Mittwoch erneut wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Aus Sicht der Anklage hätte er bei einem schnelleren Eingreifen das Leben des Afrikaners retten können. Der Freispruch für den im ersten Prozess mitangeklagten Streifenpolizisten, der nach der Festnahme Jalloh durchsuchte, hat Bestand. Ihm konnte nicht nachgewiesen werden, dass er dabei ein Feuerzeug übersehen hat.
21 Verhandlungstage haben die Richter vorerst bis Ende Mai angesetzt und damit bereits deutlich mehr, als die Dessauer Richter zu Beginn des Prozesses im März 2007 geplant hatten. Nach sechs Verhandlungstagen wollten sie damals das Urteil sprechen. Zehn Mal mehr Sitzungstage waren es zum Schluss.
Der Bundesgerichtshof, der nach der Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklage am 7. Januar 2010 - dem Todestag von Jalloh - das Urteil gegen den Dienstgruppenleiter aufgehoben hatte, hat hohe Anforderungen gesetzt. Der BGH vermisste in der Urteilsbegründung Feststellungen dazu, ob und wie für den an langen Hand- und Fußfesseln auf der angeblich nicht brennbaren Zellen-Matratze fixierten Jalloh eine Brandlegung möglich gewesen ist.
Dies sei 'eine wesentliche Lücke in der Beweiswürdigung', hatte die Vorsitzende Richterin des 4. Strafsenats des BGH, Ingeborg Tepperwien, vor einem Jahr moniert. Insbesondere bleibe unklar, ob das vom Landgericht angenommene 'Anschmoren' des Matratzenbezuges ohne Verbrennungen der Hand und ohne Schmerzenslaute möglich gewesen sei. Solche Schreie hätten den angeklagten 49-jährigen Polizeihauptkommissar, der seither im Verwaltungsbereich der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost arbeitet, jedoch zu einem frühzeitigen Eingreifen veranlassen müssen.
Das Dessauer Landgericht ging auch davon aus, dass sich der Angeklagte pflichtgemäß verhalten habe, obwohl er den Alarm zunächst wegdrückte, anschließend ein Telefongespräch mit seinem Vorgesetzen führte und danach auf dem Weg zu den Zellen im Keller des Reviers umkehren musste, weil er vergessen hatte, die Schlüssel für die Fußfessel mitzunehmen.
Im ersten Prozess ließ das Gericht für mehrere Brandgutachten eine Zelle in der Brand- und Katastrophenschutzschule Heyrothsberge bei Magdeburg nachbauen. Der ursprüngliche Gewahrsamraum, vor dem es keine Feuerlöscher gab, war nach dem Brand umgebaut worden und somit für die Nachstellung unbrauchbar. Eine Videoüberwachung der Zelle gab es nicht, einzig eine Wechselsprechanlage sorgte für eine Verbindung von der Zelle zum Wachhabenden. Im ersten Verfahren wurde auch darüber zwischen Rechtsmedizinern und Brandgutachtern gestritten, wie sich das Feuer verhält, wenn sich das auf der brennenden Matratze liegende Opfer möglicherweise bewegt und versucht, die Flammen zu ersticken. Mit einer Schaufensterpuppe konnte diese Möglichkeit nicht simuliert werden.
Im ersten Verfahren haben die Angeklagten geschwiegen. Nur einmal zu Beginn äußerte sich der Dienstgruppenleiter betroffen über das Geschehen. Er habe das Leben des Afrikaners aber nicht retten können, sagte er damals. Entgegen der Anklage will er rechtzeitig auf das Alarmsignal aus der Zelle reagiert haben. Über die eingeschaltete Lautsprecheranlage, die die Zelle mit dem Dienstzimmer verbindet, habe er ein plätscherndes Geräusch vernommen. Den dann zwei Mal ertönten Warnton eines Rauchmelders habe er ausgedrückt. Auch habe er in Bezug auf frühere Fehlalarme gesagt: 'Nicht schon wieder dieses Ding.' Einige Zeugen beriefen sich auf Gedächtnislücken, konnte oder wollten sich im ersten Prozess nicht mehr an alle Details oder Abläufe erinnern.
Die Grünen, die Internationale Liga für Menschenrechte, die Afrikanische Community und die Internationale Unabhängige Kommission Oury Jalloh fordern eine rückhaltlose Aufklärung der Todesumstände des Asylbewerbers. Nicht nur Menschenrechtler sprechen im Dessauer Verfahren von Ungereimtheiten und Schlampereien, auffälligen Gedächtnislücken und Lügen, Widersprüchen und Vertuschungen, verschwundenen Beweisstücken und unterlassenen Ermittlungen. Auch der Vorsitzende Richter am Landgericht Dessau, Manfred Steinhoff, vertrat die Meinung: '(Wir) hatten nicht die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren, auf die Aufklärung des Sachverhalts'.
dapd
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