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06.01.11 / TLZ
Eisenach: Asylbewerber verletzt Residenzpflicht und wird abgeschoben
Ahmet Demiroglu (48), in seiner Heimat politisch verfolgt, wurde zwei Tage vor Heilig Abend in seine alte Heimat abgeschoben. Die politische Arbeit stellte Ahmet in Deutschland nicht ein. In Eisenach kennt man ihn als Vertreter der Montagsdemos, auf denen er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin aktiv war.
Eisenach. Ahmet Demiroglu (48) geht es zurzeit gar nicht gut. Er sei erkrankt und halte sich bei seiner Mutter in Eskisehir auf. Der Ort liegt etwa 300 Kilometer von Istanbul entfernt, berichtet seine Lebensgefährtin. Rund 2000 Kilometer weiter, im winterkalten Eisenach, trauert Traudel König (57) um ihn. Denn Ahmet, in seiner Heimat politisch verfolgt, wurde zwei Tage vor Heilig Abend in seine alte Heimat abgeschoben.
Dort war der Automechaniker nach Angaben seines Anwalts bereits als Gymnasiast festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden. Seinen Asylantrag, 2007 in Deutschland abgelehnt, Klage dagegen 2008 abgewiesen, Antrag auf Zulassung einer Berufung 2010 abgelehnt, hatte der kurdische Volksangehörige wesentlich damit begründet, von türkischen Sicherheitskräften als führender Vertreter der TDKP-Plattform (Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei) gesucht zu werden. Ein Vertreter des türkischen Generalkonsulats hatte ihm nach Angaben des Anwaltes erst jüngst mitgeteilt, dass türkische Sicherheitskräfte immer noch nach ihm fahnden.
Die politische Arbeit stellte Ahmet in Deutschland nicht ein. In Eisenach kennt man ihn als Vertreter der Montagsdemos, auf denen er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin aktiv war.
Zorn und Ohnmacht
Traudel König macht eine schwere Zeit durch: "Ich lebe in einem psychischen Ausnahmezustand", sagt sie. Die Abschiebung mitten im Weihnachtsfrieden sei "ein barbarischer Akt" gewesen. Ihre Trauer ist eine Mischung aus Zorn, Ohnmacht und Verletztsein. Fast fünf Jahre kennt sie Ahmet. Im Januar 2011 sollte Hochzeit sein. Es fehlten nur noch einige Papiere, die seine Scheidung amtlich bekunden sollten. Das sei sowohl in der Ausländerbehörde in Schleiz (Saale-Orla-Kreis), die für ihn zuständig ist, als auch in Eisenach bekannt gewesen, wo er sich wegen Traudel oft aufhielt. Im Hinblick auf eine baldige Eheschließung wurden sowohl bei der Ausländerbehörde des Saale-Orla-Kreises als auch der Stadt Eisenach Anträge auf Aufenthaltserlaubnis beziehungsweise Duldung gestellt, geht aus Papieren seines Anwaltes hervor. Mit der Heirat hätte Ahmet eine Aufenthaltsgenehmigung erwirkt. Das Paar hätte zusammenbleiben können.
Die deutsche demokratische Bürokratie scherte sich jedoch nicht darum und schlug unbarmherzig zu. Ahmet, der Weihnachten mit seiner Traudel verbringen wollte, hatte sich über die sogenannte Residenzpflicht hinweg gesetzt, die ihn verpflichtet, sich nur in dem Landkreis aufzuhalten, in dem die für ihn zuständige Ausländerbehörde liegt. Die Residenzpflicht, ein Kontrollinstrument, gibt es EU-weit nur in Deutschland. Zurzeit werden in Thüringen die Stimmen lauter, sie abzuschaffen. Auch Petra Heß , der neuen Ausländerbeauftragten des Freistaats, passt sie nicht.
Mit dem Gesetzesbruch, der einem kriminellen Akt gleichgestellt ist, trat die Polizei auf den Plan. Aufgrund eines Antrags der Ausländerbehörde des Saale-Orla-Kreises wurde Ahmet in den frühen Morgenstunden des 20. Dezember in der Wohnung seiner Lebensgefährtin festgenommen und ins Gefängnis nach Suhl-Goldlauter gebracht.
Die Intervention seines Anwalts, ein Asylfolgeverfahren zuzulassen, um Gefahr für Leib und Leben des Mandanten infolge einer drohenden Abschiebung zu verhindern, blieb unberücksichtigt. Am 22. Dezember setzte man Ahmet gegen seinen Willen in das Flugzeug.
In Eisenach ließ er Freunde zurück. Ilka May und Stadtratsmitglied Fritz Hofmann (Eisenacher Aufbruch), Sprecher des Solidaritätskreises für den Abgeschobenen, sorgen dafür, dass weiter Druck auf die Behörden ausgeübt wird. "Wir wollen Ahmet zurückholen" sagt Ilka May, "denn jeder soll frei bestimmen können, wo er leben will". Dass die Ausländerbehörden im Saale-Orla-Kreis und in Eisenach, obwohl ihnen die Umstände der bevorstehenden Hochzeit bekannt gewesen seien, nicht gegen die Abschiebung intervenierten, findet sie empörend. Man müsse sie dafür zur Rechenschaft ziehen, meint sie.
Protest in Suhl
Einen Tag vor Heilig Abend protestierten 15 Freunde von Ahmet vor dem Gefängnis in Suhl gegen die drohende Abschiebung. Traudel König wurde ein Besuch verwehrt. Sie dürfe erst am 4. Januar 2011 kommen, hieß es. Da war er längst weg.
Für Fritz Hofmann ist es ein Skandal, dass zwei Menschen, die sich lieben, durch bürokratische Entscheidungen getrennt werden. Und ausgerechnet Eisenach, eine Stadt, die sich als "Ort der Vielfalt" rühme, spiele dabei eine unrühmliche Rolle. So habe die Ausländerbehörde der Wartburgstadt in einem Schreiben an Ahmets Rechtsanwalt von "angeblich dreijähriger Verlobungsdauer" gesprochen, so, "als sei die Behörde von Amts wegen berechtigt, über Liebebeziehungen von Menschen ein ungebetenes Urteil abzugeben". Traudel König ist es leid, und es macht sie auch wütend, dass ihr immer wieder unterstellt wird, ihre Beziehung zu Ahmet sei politisch motiviert. Es sei bekannt, dass Asylanträge mittlerweile zu rund 99 Prozent abgelehnt würden, sagt sie.
Ein Gespräch mit dem Leiter der Ausländerbehörde Eisenach wurde der Zeitung nicht gestattet. Dass dort die Worte gefallen sein sollen, dass Gefängnis und "ein paar Schläge" noch kein Asylgrund seien, wie das Fritz Hofmann sagt, bestreitet ein Stadtsprecher.
Ahmets Freundeskreis hat bereits um die 30 Protestschreiben an die Ausländerbehörden in Schleiz und Eisenach geschickt, so Ilka May. Auch der Innenminister habe Post bekommen. Etwa 400 Unterschriften seien bislang thüringenweit gesammelt worden. Und Traudel König ist fest entschlossen: Wenn Ahmet nicht zurück kehren dürfe, "dann gehe ich in die Türkei und heirate ihn dort."
Rita Specht / 06.01.11 / TLZ
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30.12.2010 / Inland / Seite 4Inhalt
Türkischer Linker aus Eisenach abgeschoben
Leiter der Ausländerbehörde: Gefängnis und »ein paar Schläge« sind kein Asylgrund
Von Claudia Wangerin
Eigentlich hatte die schwarz-rote Thüringer Landesregierung empfohlen, bis zum 7. Januar keine Abschiebungen durchzuführen. »Eine Art humanitärer Feiertagsakt«, so Frank Kuschel, Landtagsabgeordneter der Partei Die Linke gegenüber junge Welt. Doch die Ausländerbehörde in Eisenach folgte der Empfehlung nicht. Das wurde Ahmet Demiroglu zum Verhängnis: Am Mittwoch um 11.40 Uhr wurde er in die Türkei abgeschoben. Der 48jährige Automechaniker ist seit seinem 16. Lebensjahr in linken Organisationen politisch aktiv. In der Türkei wurde er deshalb mehrfach festgenommen und gefoltert, bevor er im Jahr 2005 in Deutschland einen Asylantrag stellte. Der wurde bereits 2007 abgelehnt, seine Klage gegen diese Entscheidung 2008 zurückgewiesen. Es folgte ein Antrag auf Zulassung der Berufung. Laut Rechtsanwalt Roland Meister, der Ahmet Demiroglu vertritt, gab ihm ein Vertreter des türkischen Generalkonsulats zu verstehen, daß in der Türkei noch immer nach ihm gefahndet wird.
In Eisenach stand am 20. Dezember die Polizei vor seiner Tür und nahm ihn in Abschiebehaft. Dabei hatte er gehofft, noch im Januar seine deutsche Lebensgefährtin heiraten zu können. Dafür fehlten jedoch Papiere aus der Türkei. Für den 21. Dezember hatte das Landesverwaltungsamt in Weimar einen Flug von Frankfurt am Main aus organisiert. Ein Eilantrag verhinderte an diesem Tag die Abschiebung in letzter Minute. Die Lebensgefährtin und drei Freunde von Ahmet Demiroglu bekamen bei einem Besuch beim Leiter der Ausländerbehörde Eisenach, Bernhard Kaul, zu hören, die Ablehnung des Asylantrags beweise, daß es in der Türkei keine Verfolgung gebe. Gefängnis und »ein paar Schläge« seien noch kein Asylgrund. »Wir waren zu viert dort und haben mit ihm diskutiert, da hat er sich zu dieser freundlichen Äußerung hinreißen lassen«, sagt Fritz Hofmann, der für das Wahlbündnis »Eisenacher Aufbruch« im Stadtrat sitzt und einen Solidaritätskreis für Demiroglu mitgegründet hat. Der letzte Türkei-Jahresbericht von Amnesty International zeigt ein düsteres Bild: Von Folter und anderen Mißhandlungen in den Gefängnissen ist nach wie vor die Rede. Rechtsanwalt Roland Meister hält daher Kontakt zum türkischen Menschenrechtsverein IHD, der für seinen Mandanten eine Anwältin zum Flughafen in Istanbul schicken wollte. Im Thüringer Landtag will Frank Kuschel für eine Aufarbeitung sorgen. Für Ahmet Demiroglu zu spät.