08.03.2011 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
Kampagne gestartet
Gegenwehr in der thüringischen Provinz
»Durchbrecht die rassistische Isolation der Flüchtlinge – Das Lager Zella-Mehlis schließen!« – unter diesem Motto führt die Menschenrechtsorganisation »The Voice« derzeit eine Kampagne durch. Sie will damit die Asylsuchenden aus dem Lager Zella-Mehlis, Industriestraße 29, im Kampf um ihre Rechte unterstützen. Für den 24. März ist eine Demonstration in Meiningen geplant. Um darauf vorzubereiten, fanden bereits zwei Informationsveranstaltungen am 28.Februar in Suhl und am 3. März in Jena statt. Eine dritte ist für Donnerstag in Meiningen geplant. Dort zeigen die Aktivisten einen Film zum maroden Lager, zum psychischen Druck und der Abschiebepraxis der Ausländerbehörde Meiningen. Der algerische Asylsuchende Miloud Lahmar-Cherif referiert, wie Asylverfahren jahrelang verschleppt und Flüchtlinge gezwungen werden, ein menschenunwürdiges Leben in der thüringischen Provinz zu führen – ausgegrenzt von der Gesellschaft und in Armut. Informiert wird zudem über diskriminierende Paragraphen im Asylbewerberleistungsgesetz. Für den 22.März plant »The Voice« einen Aktionstag im Lager Zella-Mehlis, um die Flüchtlinge zu ermutigen, sich an der Demonstration zu beteiligen und sich durch Drohungen des Amtes nicht einschüchtern zu lassen.
Diese konkret auf eines der 26 Lager in Thüringen bezogenen Aktionen sind Teil einer aktuellen bundesweiten Kampagne der »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten«. Die Dachorganisation bestärkt lokale Kämpfe von Flüchtlingen in der ganzen Republik und macht sie publik. Grundsatz von »The Voice« und einem breiten Netzwerk von regionalen Gruppen aus Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin ist, die Unterstützung selbstorganisierter Flüchtlingsgemeinschaften als Priorität zu betrachten. (gd)
www.thevoiceforum.org
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In den Tod getrieben
Die Polizei hat jahrelang Auskünfte verweigert, warum ein schwerkranker Flüchtling 2008 aus dem Lager Zella-Mehlis geflohen und wie er gestorben ist
Von Gitta Düperthal
Nachdem er über einen langen Zeitraum regelmäßig Abschiebeandrohungen erhalten hatte, flüchtete er aus dem Flüchtlingslager Zella-Mehlis in den Wald. Dort sei er auf grausame Weise ums Leben gekommen, berichteten Mitbewohner aus der Gemeinschaftsunterkunft bereits im vergangenen Jahr gegenüber junge Welt über Ruslan Yatskevich, geborener Polubiatka, aus Belarus. Letztmalig war der damals 32jährige Asylbewerber am 22. Februar 2008 in Zella-Mehlis gesehen worden. Zwei Monate später, am 22. April, fanden Spaziergänger im Wald bei der Sprungschanze in der Nähe von Suhl-Goldlauter einen Toten. Einzig eine Meldung in der lokalen Zeitung Freies Wort gab Aufschluß, daß eine nicht identifizierte Leiche im Wald in der Nähe des Flüchtlingslagers gefunden wurde. »Er war einer von uns, ist einfach so verschwunden, keinen scheint zu interessieren, was ihn in den Tod getrieben hat«, sagt einer der Flüchtlinge, die ihn gekannt haben. Aktivisten von »The Voice« fragten immer dringlicher bei der Polizei nach, was mit ihm geschah – erhielten aber keine Auskunft. »Er ist aus Angst geflüchtet, erfroren, verhungert«, sagt Ruslan Yatskevichs Bekannter. »Selbst der Umgang mit migrantischen Toten zeugt von Respektlosigkeit der Behörden uns gegenüber.«
Als eine Sprecherin der Dokumentationsstelle Antirassistische Initiative e.V. in Berlin kürzlich in diesem Fall recherchierte, konstatierte sie ebenso »hartnäckige Auskunftsverweigerung« und bat junge Welt nachzuhaken. Die Polizei verwies an den Sprecher der Staatsanwaltschaft Meiningen, Thomas Waßmuth, der immerhin die Identität des Toten bestätigte. Epileptiker sei er gewesen; denkbar sei nach rechtsmedizinischen Untersuchungen, daß er an einem schweren Anfall gestorben sei. »Einzelheiten zur ausländerrechtlichen Situation des Verstorbenen« will Waßmuth nicht mitteilen: Zuständig sei die örtliche Behörde selbst.
Sprecher der Flüchtlingscommunity aus Zella-Mehlis erheben schwere Vorwürfe gegen die Ausländerbehörde in Meiningen, für die psychische Zerstörung und den Tod des Flüchtlings verantwortlich zu sein. Seitens der Behörde gibt man sich hingegen überzeugt, Ruslan Yatskevich sei nicht wegen der angedrohten Abschiebung geflohen. Uwe Kirchner, Sprecher vom Landratsamt Schmalkalden-Meiningen, will mit allen Auskünften zum Tod des Flüchtlings, der am 15. Juni 2000 nach Deutschland gekommen war, nur mit dem Hinweis »in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Fachdienst« zitiert werden. Und so hört sich das stressige und traurige Leben des Flüchtlings aus Perspektive des Amtes an: Seit acht Jahren hatte er eine Duldung. Er habe sich in ständiger ärztlicher Behandlung befunden, wegen Alkoholabhängigkeit auch mehrfach im Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Hildburghausen. Seit der Ablehnung seines Asylantrags 2004 und des Folgeantrags 2007 habe die Behörde ihm mit Abschiebung gedroht. Auf deren Rechtmäßigkeit habe sich auch die letzte Androhung im Schreiben vom 5.Februar 2008, etwa zwei Wochen vor seiner Flucht und seinem Tod, bezogen, teilen Kirchner und »der zuständige Fachdienst« mit.
Weiterhin ist Erstaunliches zu vernehmen: Die Abschiebung des Flüchtlings habe »wegen der nur bedingten Flug- und Reisefähigkeit« jedoch gar nicht unmittelbar bevorgestanden. Und: »Dies müßte auch Herrn Yatskevich bekannt gewesen sein«. Was Fragen nach sich zieht: Hatten Behördenmitarbeiter ihm etwa gesagt, er solle das Amtsschreiben nicht so ernst nehmen? Vor allem aber: Weshalb hat die Behörde ihm dann überhaupt die Abschiebung angedroht, da er doch nicht reisefähig war? Dazu heißt es aus dem Landratsamt lapidar: Dies sei »der übliche Verfahrensablauf«.
http://www.jungewelt.de/2011/03-08/048.php
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»Viele haben Angst, ihre Meinung frei zu äußern«
Flüchtlinge leiden unter Isolation und schlechten hygienischen Bedingungen. Ein Gespräch mit Miloud Lahmar-Cherif
Interview: Gitta Düperthal
Miloud Lahmar-Cherif aus Algerien ist einer der Sprecher von der Flüchtlingsinitiative Zella-Mehlis und von »The Voice Refugee Forum«
The Voice« plant, unterstützt durch den Flüchtlingsrat und den Studierendenrat der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Proteste wegen der unerträglichen Zustände im thüringischen Lager Zella-Mehlis. Wie ist die Situation momentan?
Obwohl die Flüchtlingscommunity bereits vor Monaten Mißstände publik gemacht hatte, hat sich nichts geändert– außer, daß man beim Landratsamt in Meiningen nicht mehr behaupten kann, von nichts zu wissen. In diesem Lager, in dem insgesamt 170 Flüchtlinge leben, gibt es überall Schimmel. Putz fällt von den Wänden; Fenster sind undicht; Türen schließen nicht; die Hygiene ist katastrophal. Kinder und Erwachsene plagt Asthma. Aufgrund des strengen Winters war es in den vergangenen Monaten besonders schlimm. Einziges Resultat: In den Küchen wird ein wenig renoviert. Alle sprechen mittlerweile davon, daß das Lager eine Schimmelbude ist. Unterm Deckel bleibt jedoch weiterhin, was man uns antut, wenn man uns zwingt, in ständiger Angst vor Abschiebung und fern von der deutschen Bevölkerung, abgeschieden im Lager im Industriegebiet zu leben. Mit ein bißchen weißer Farbe auf durchweichten Mauern ist es nicht getan. Das Problem liegt tiefer. Durch den restriktiven Umgang der Behörden haben die meisten längst gravierende psychische Probleme. Weil sie Bestrafung fürchten, haben sie Angst, ihre Meinung frei zu äußern.
Wie äußert sich diese Angst?
Flüchtlinge trauen sich nicht, Namen von Mitarbeitern der Behörde und des Heims zu nennen, die ungerecht zu ihnen sind. Sie werden immer sagen, der Hausmeister ist toll. Sie haben Angst auf die Abschiebeliste zu kommen, wenn sie sich nicht unterordnen. Wie schnell und brutal das passieren kann, hat man ihnen vor Augen geführt: Polizisten kommen nach Mitternacht, geben dir 30 Minuten Zeit, einige Sachen zu packen – schon befindest du dich auf dem Weg in dein Herkunftsland, aus dem du in Not und unter Gefahr geflüchtet bist. Viele glauben, gefährdet zu sein, wenn sie gegenüber Medien über die Probleme im Lager sprechen.
Werden Flüchtlinge tatsächlich hart bestraft, wenn sie für ihre Rechte eintreten?
Behördenmitarbeiter können viel gegen uns unternehmen – was im Einzelnen der Grund dafür ist, wirst du nie wirklich erfahren. Der Sanktionskatalog ist lang und demütigend. Sie können dich zwingen, ständig zum Ausländeramt zu rennen, indem sie deinen Aufenthalt stets nur für einen sehr kurzen Zeitraum verlängern. Dort können sie dir ständig unter die Nase reiben, daß du bald abgeschoben wirst, und dir so den nächtlichen Schlaf rauben. Sie können das mickrige monatliche Taschengeld von 40 Euro auf null kürzen; dir nur noch Gutscheine geben; dir jede Teilnahme an einer Konferenz außerhalb des Landkreises untersagen, du erhältst einfach keinen Urlaubsschein.
Wurden Sie schon sanktioniert?
In autoritär geprägtem Klima gibt es Intrigen. Man streut Gerüchte, um Ängste zu verstärken. Zum Beispiel hat irgendwer meinen Mitbewohnern erzählt, ich sei von der Polizei zwei Tage lang ins Gefängnis gesteckt worden, weil ich in einem Magazinbeitrag des MDR Kritik am Landratsamt geäußert hatte. Das stimmte gar nicht. Die Flüchtlinge kamen danach in mein Zimmer – und wunderten sich, daß ich da war. Die Quelle der Lügengeschichte war nicht nachvollziehbar, weil sie über viele Ecken ging. Nach so einer Story traut sich keiner mehr, seine Meinung zu sagen. Oder es passieren andere seltsame Dinge: Eine Polizistin steuerte direkt auf mich zu, als ich mit einer Gruppe von Flüchtlingen unterwegs war. Bevor sie nach Papieren fragte, wollte sie wissen, wohin ich fahre. Sie und ihr Kollege haben uns die ganze Zeit beobachtet.
Es ist immer vom Leben in der Isolation die Rede – was ist darunter zu verstehen?
Wir leben im Lager wie im Ghetto, haben keine Nachbarn. Selbst an der Bushaltestelle im Industriegebiet, wo wir einsteigen, treffen wir nicht auf Deutsche. Wir Flüchtlinge bleiben unter uns. Das hat Auswirkungen: Wenn wir im Bus dann auf Deutsche treffen, fühlen wir uns plötzlich ganz fremd. Für uns gelten nicht dieselben Gesetze und Freiheiten wie für Deutsche. Wir haben Arbeitsverbot und dürfen nicht verreisen, ohne um Erlaubnis zu bitten.
Zum Auftakt der Kampagne zur Schließung des Lagers gab es eine Versammlung in Suhl ...
Ja, aber aus dem Heim ist niemand gekommen. Alle hatten Angst – obwohl Aktivisten von »The Voice« zuvor dort waren, um die Flüchtlinge zu ermutigen. Aber Vertreter der evangelischen Kirche aus Suhl, Diakon Adelino Massuvira João und der Superintendent Martin Herzfeld, und die Stadträtin der Linken, Ilona Burandt, nahmen schockiert unsere Berichte zur Kenntnis und versicherten, zu uns zu stehen.
http://www.jungewelt.de/2011/03-08/049.php
Kampagne gestartet
Gegenwehr in der thüringischen Provinz
»Durchbrecht die rassistische Isolation der Flüchtlinge – Das Lager Zella-Mehlis schließen!« – unter diesem Motto führt die Menschenrechtsorganisation »The Voice« derz...
http://www.jungewelt.de/2011/03-08/050.php
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*Aufruf: Lager Zella-Mehlis schließen – Die rassistische Isolation der Flüchtlinge durchbrechen
*Thüringen: Aktionstag im März
Netzwerk: Break Isolation - Kampagne gegen alltäglichen Rassismus und Diskriminierung