Delegationsbesuch des Isolationsheims in Witthoh, Baden-Württemberg [Deutsch und English]
Tuttlingen District deprive Refugees from participating in Refugee Conference in Stuttgart
Bericht einer Delegationsreise des KARAWANE-Netzwerks aus Wuppertal
5. Februar 2011
Bericht als pdf-Datei
zum download und Druck
Isolationslager in Hardheim, Neckar-Odenwald-Kreis
Auf der Hinfahrt zum bundesweiten Treffen der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen besuchte am 5. Februar 2011 eine Delegation aus Wuppertal das Isolationsheim in Hardheim im fränkischen Odenwald, in Neckar-Odenwald Kreis. Die Flüchtlingsinitiative Biberach und THE VOICE Refugee Forum Baden-Württemberg hatten uns auf die miserabele Situation der Flüchtlinge dort und über die praktizierte Isolation informiert.
Der Weg führte früh morgens von der A3 über eine Landstraße durch idyllische Landschaften. Ein unangenehmes Gefühl ergriff die Delegation. Sie hatte bereits zahlreiche Isolationsheime in entlegene Gebiete in Nordrheinwestfalen, Hessen, Bayer, Niedersachsen und Thüringen gesehen. Viele Dörfer und kleine Gemeinden Deutschland hatte sie so kennengelernt und fragte sich, welchen Kontakt wohl die Flüchtlinge hier knüpfen können, wie sie Übersetzer oder Rechtsanwälte finden können. In Hardheim angekommen, war die Straße gefunden. Instinktiv fuhren wir den Berg hinauf aus der Stadt hinaus. Nach dem ein Schild das Ortsende anzeigte, sahen wir auf der rechten Seite der Straße das Isolationsheim. Wir erkannten es anhand der mit arabischer Schrift von Flüchtlingen geschriebenen Sätze an den Wänden. Im Gebäude, in dem die Flüchtlinge untergebracht sind, war von 1966 bis 1992 Hardheim eine US-amerikanische Raketenabwehreinheit untergebracht. Zur Zeit leben dort über 100 Flüchtlinge, alleinstehen Männer, Frauen und Familien. Sie kommen aus Afghanistan, China, Gambia, Irak, Iran, Kamerun, Nigeria, Pakistan, SriLanka und aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.
Hinweisblatt zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit
Isolation in einer ehemaligen Kaserne
Wir wurden von einem Freund empfangen und gingen gemeinsam in das Zimmer, was er gemeinsam mit 2 anderen Flüchtlingen bewohnt. Im Zimmer wohnen normalerweise 4 Personen. Die vierte Person ist von kurzem abgeholt und abgeschoben worden. Einer seiner Mitbewohner machte uns
Tee. Die Freunde erzählten vom Heim und später kam ein weiterer Flüchtling hinzu. Ein afghanischer Familienvater, der mit seinen Kindern und seiner Frau in dem Heim lebt.
Das Lager hat neben dem Erdgeschoss zwei weitere Stockwerke. Im Erdgeschoss befindet sich ein Büro der Lagerverwaltung. Ein Angestellter des Landratsamts des Neckar-Odenwald-Kreises, Fachdienst für Öffentliche Ordnung ist Wochentags täglich von morgens bis Nachmittags dort. Sein Büro ist die Außenstelle Hardheim des bereits zuvor genannten Fachdienstes. Er heißt Kovacs und wird von den Flüchtlingen als „Chef“ bezeichnet. Warum er so genannt wird, haben wir später erfahren. Die Außenstelle ist zuständig für Postübergabe, für die Ausweis- oder Duldungsverlängerungen und für die „Reiseerlaubnisse“, also für die Erlaubnis sich vom Neckar-Odenwald-Kreis zu entfernen. Die Residenzpflicht beschränkt nämlich die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge auf dieses Gebiet. Für die Flüchtlinge bedeutet dies, dass keine Amtsgänge notwendig sind. Alle verwaltungsrelevanten Angelegenheiten werden dort erledigt. Bei unserem Rundgang durch das Gebäude berichteten uns die Flüchtlinge, dass eine Erlaubnis für den Besuch eines Rechtsanwalts äußerst schwierig sei. Herr Kovacs verlangt, dass die Rechtsanwälte ihn durch Fax benachrichtigen, bevor er eine Erlaubnis erteile.
Im Erdgeschoss ist weiterhin eine Essensausgabestelle. Dort wird zwei Mal in der Woche zwischen 9:30 und 12:00 Uhr das Essen ausgegeben. Jeder Person stehen 315 Punkte pro Ausgabetag zur Verfügung. Von Flüchtlingen erfuhren wir, dass die Firma Edeka C+C Grossmann Handel GmbH die Essensausgabe organisiert. Die Flüchtlinge erhalten bei der Abholung eine „Quittung“ bei der die Punktzahl für jedes Artikel zusammengefasst in Gruppen „Haushaltwaren, Snack, Mineralwasser, TK-Geflügel“ angegeben ist. Im Kopf der Quittung steht „Einkauf Asyl – Ehler“. Die Flüchtlinge zeigten uns Brote, die sie dort am Donnerstag abgeholt hatten. Diese waren verschimmelt. Oft erhielten sie Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen sei, erzählten die Flüchtlinge. Wir konnten uns den Eindruck nicht verwehren, dass hier aus den Regalen der Supermärkte aussortierte Lebensmittel an Flüchtlinge verteilt werden. Die Flüchtlinge in Bayern hatten bereits in 2010 durch Hungerstreiks auf die Firma DreiKönig aufmerksam gemacht. Die Biberacher Flüchtlingsinitiative hatte bereits auf dem bundesweiten KARAWANE-Treffen über die Praxis der Essensausgabe in Baden-Württemberg berichtet gehabt. Das Punktesystem sei ferner nicht transparent. Es erlaubt keine Möglichkeiten die Preise mit denen der Lebensmittel in den Supermärkten zu vergleichen.
Die im Lager untergebrachte Verwaltung und die Essensausgabe zusammen sind perfide Mittel der Kontrolle und Isolation dachten wir uns. Die Flüchtlinge können ihre aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten im Lager erledigen. Das Essen wird dort ausgegeben. Sie erhalten kein Geld, um selber die notwendigen Lebensmittel in den lokalen Supermärkten einzukaufen. Mit den 40 Euro Taschengeld, das Ihnen bleibt, können sie maximal zwei Mal zur Kreisstadt Mosbach fahren. Nicht weiter. Außerdem werden sie durch die wöchentliche Organisierung der Essensausgabe gezwungen, sich im Lager aufzuhalten. Das Lager ist sozusagen für sie wie eine offene Hafteinrichtung. Die Isolation ist perfekt durch den Fachdienst für Öffentliche Ordnung organisiert. Die preußische Geschichte und sein Ordnungswahn durchdringt das 21. Jahrhundert. Außerdem wird hier der Profit der Supermarktketten gesichert. Der Abfall der großen Supermärkte wird in Baden Württemberg von der Firma DreiKönig oder Edeka C+C Grossmann Handel GmbH abgekauft. Der Staat kauft diese auf dem normalen Markt nicht mehr verkaufbaren Waren von diesen Firmen ab und verschleudert sie an die Menschen unterster Klasse, an die Flüchtlinge. Die Supermärkte entledigen sich so den teuren Entsorgungskosten und die Firmen DreiKönig und Edeka C+C Grossmann Handel GmbH machen Profit, weil der Staat die Reste für die Flüchtlinge abkauft.
Die Lage des Lagers in Hardheim erfüllt die Vorgaben der Ausgrenzung der Flüchtlinge ebenfalls perfekt. Zum nächsten größeren Ort Tauberbischofsheim können die Flüchtlinge nicht hin, weil dieser in einem anderen Kreis liegt. Die Busse nach Mosbach fahren nicht ein Mal in der Stunde. Außerdem muss Mensch die lange Fahrt auf sich nehmen und sie kosten Geld, das den Flüchtlingen nicht zur Verfügung steht. Eine einfache Fahrkarte in die Kreisstadt Mosbach kostet 8:30Euro. Die Flüchtlinge erhalten nur 40 Euro „Taschengeld“ in bar im Monat. Eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu den umliegenden größeren Städten Heidelberg, Heilbronn und Würzburg dauert mindestens 2 Stunden 30 Minuten, 1:50 oder 1:30.
Enge Raumverhältnisse
Im ersten und Stockwerk des Gebäudes sind rechts und links von der Treppe jeweils eine Flur. In jedem Stockwerk sind 14 Zimmer, eine Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftstoiletten und Duschen, im ersten Stock jeweils für Männer und Frauen. Die Zimmer sind jeweils mit 4 bis zu sechs Personen belegt. Familien, d.h. die Eltern und die Kinder, leben zusammen in einem Zimmer. Jeweils ein Spint ist für eine Person. Hochbetten ermöglichen die Mehrfachbelegung der Zimmer. Das Zimmer, in dem wir saßen hatte etwa 20 Quadratmeter. Normalerweise wohnen dort vier Flüchtlinge. Die Holzfenster sind alt und morsch. Schimmel finden wir an den Decken und am Fenster. Die Heizungen sind verrostet. Die Heizung im oberen Stockwerk ist so stark verrostet, dass es einige Tage vor unseren Besuch leckte.
Ein Zimmer im Flüchtlingslager Hardheim – Schimmelbefall an den Wänden, Decken und um die Fenster
Gemeinschaftsküche des Isolationslagers im zweiten Stockwerk
Der afghanische Familienvater erzählte uns, dass drei seiner vier Söhne seit ihrem Aufenthalt an Asthma leiden. Eine ärztliche Bescheinigung beschreibt die mangelnde Hygiene im Heim. In ihr wird festgestellt, dass die Zimmer (Anmerkung der Delegation: ,die von mehreren Menschen bewohnt werden,) nicht ein Mal Waschbecken vorweisen. Bei den Kindern der afghanischen Familie stellt die Bescheinigung fest: „Die Kinder …. Sind ständig krank. Es kommt häufig zu Infekten der oberen und unteren Luftwege. […] bei zweien der Söhne [wurde] ein Asthma bronchiale festgestellt. Es ist allgemein bekannt, dass psychische Belastungen das Krankenbild verstärken.“ Der Familienvater erzählt uns, dass seine Frau nachts im Stillen weine. Er selbst sucht in den Nächten die Dusche auf und heult dort alleine: „Wo soll ich hin? Hier wird unser Leben zerstört. Nach Afghanistan kann ich auf keinen Fall!“
Im Gebäude trafen wir auf weitere junge afghanische Flüchtlinge, die erst seit einigen Monaten dort wohnen. Sie berichteten, dass ein Mitbewohner aus ihrem Zimmer abgeschoben wurde. Sie berichten über die Perspektivlosigkeit, die sie von morgens bis Abends spüren. Ein junger studierter afghanischer Künstler sagt: „Ich weiß nicht, wie lange ich hier aushalten kann. Nach Afghanistan kann ich nicht, aber wenn ich hier bleibe gehe ich kaputt.“ Ein anderer fragte uns verwundert, wie denn all das zusammen zu bringen sei, mit Menschenrechten, die die deutsche Regierung überall in die Welt propagiere. Die einzige Freude, die sie in der Woche haben, ist der Fußball. Ein Mal in der Woche spielen sie gemeinsam.
Wir fragten, welche Erfahrungen sie mit den Hardheimern haben. In Hardheim selbst seien sie nicht willkommen. Das spüren sie. „Sie wissen, dass wir abgelaufenes Essen erhalten.“, sagte einer. „Sie ignorieren uns, sprechen nicht mit uns!“, sagte ein anderer. Die Hardheimer wissen, dass wir Pfandflaschen sammeln müssen, um ein wenig Geld zu haben. Die einzige Möglichkeit sein „Taschengeld“ aufzubessern, ist es für 1,05 Euro pro Stunde zu arbeiten. Entweder sind es Reinigungstätigkeiten im Gebäude selbst oder andere Reinigungstätigkeiten in Hardheim. Wer eine solche Tätigkeit erhält entscheidet Herr Kovacs. Einer hat mal gefragt, ob er auch arbeiten darf, und als seine Anfrage abgelehnt wurde, fragte er weiter, warum andere die Möglichkeiten haben und er nicht. Herr Kovacs sagte: „Ich bin der Chef. Ich entscheide!“
Forderung der Flüchtlinge nach Asyl und Schließung des Lagers
Die Freunde erzählten, dass sie gemeinsam einen offenen Brief an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Karlsruhe geschickt hätten. Bisher ist konkret nicht geschehen. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg besuchte tags zuvor am 4. Februar das Lager. Sie hoffen nun durch die Besuche und durch ihre Berichte mehr Aufmerksamkeit. Ihnen geht es nicht nur um Essen und sie wollen nicht darauf reduziert werden: „Wir haben Probleme in unseren Ländern, deshalb haben wir uns auf dem Weg gemacht. Wir fordern unser Recht auf Asyl!“. Ein anderer ergänzte: „Das Lager hier kann nicht reformiert werden. Es muss geschlossen werden!“ Sie seien gerade dabei sich mit anderen Flüchtlingsgemeinschaften in Baden Württemberg zusammenzuschließen um ihre Forderungen gemeinsam Nachdruck zu verleihen. Am 12. März findet in Stuttgart die erste selbstorganisierte Flüchtlingskonferenz statt.
Flüchtlinge haben eine Stimme
Konferenz von Flüchtlingen aus Baden-Württemberg
Flüchtlingskonferenz in Stuttgart
Samstag, 12.03.2011, 10.00 – 16.30 Uhr
DGB-Haus, Kleiner Saal
http://thecaravan.org/node/2780