Von Gitta Düperthal
Mit Protestaktionen in 28 Städten will das Bündnis »Break the Silence« (»Das Schweigen brechen«) am heutigen Dienstag auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen. »Abolish – Abschaffen« heißt die Kampagne und richtet sich gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, Residenzpflicht, Arbeitsverbote und alle Formen von institutionalisiertem Rassismus. Dabei sein werden diesmal nicht nur Flüchtlingsinitiativen, sondern auch Kirchenleute, Antifa-Aktivisten, Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Gewerkschaftsfachgruppen und Jugendverbände, lokale Parteigruppen der Linken, der Grünen, Jusos, Amnesty International, ATTAC, Allgemeine Studierendenausschüsse und Hochschulgruppen sowie Ärztevereinigungen.
Die Flüchtlinge haben es satt, in Gewerbegebieten abgesondert zu werden, weitab von der deutschen Bevölkerung, wie im thüringischen Zella-Mehlis oder im hessischen Oberursel. Sie wollen nicht mehr in alten Kasernen wie in Möhlau/Wittenberg mitten im Wald in Sachsen-Anhalt dahinvegetieren oder wie vielerorts – und vor allem in Bayern – mit Essenspaketen und Gutscheinen statt Geld abgespeist werden. Sie haben es satt, sich durch Sondergesetze in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sehen, keine Versammlungsfreiheit wie die Deutschen zu genießen. Sie haben es satt, daß Flüchtlinge eine Sozialhilfe erhalten, die nur 62 Prozent des Hartz-IV-Satzes beträgt, der für Deutsche als Existenzminimum gilt. Sie wollen sich nicht mehr von Behörden schikanieren und gängeln lassen und verlangen angemessene medizinische Versorgung. Und sie fordern einen generellen Abschiebestopp.
Die Kampagne hatte überschaubar begonnen. Zunächst hatten nur die Flüchtlingsorganisation »The Voice« und Aktivisten aus Zella-Mehlis den 22. März zum Aktionstag ausgerufen. Ziel war, mit vielen Unterstützern in das Lager im Industriegebiet zu gehen, um die durch Behördenmitarbeiter eingeschüchterten Flüchtlinge zu ermutigen. Damit diese sich anschließend trauen würden, am 24. März an einer geplanten Demonstration teilzunehmen und so für ihre demokratischen Rechte zu kämpfen. Flüchtlinge aus Meinersen bei Gifhorn zogen nach, wo sich Anfang März ein Asylbewerber aus Verzweiflung umgebracht hatte. Plötzlich ging es wie ein Lauffeuer um. In immer mehr deutschen Städten meldeten Organisationen spontan Proteste an: Kundgebungen, Demonstrationen, Flashmobs, Infostände, Diskussionsveranstaltungen, Filmvorführungen über Mißstände in Lagern. Bis zum Freitag gingen fast stündlich neue Anmeldungen lokaler Aktivisten auf der Internetseite von »The Voice« ein (www.thevoiceforum.org). »Geht auf die Straße!« heißt es nun in Augsburg, Berlin, Braunschweig, Freiburg, Gifhorn, Göttingen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Hennigsdorf, Herzberg, Hildesheim, Köln, Leipzig, Mainz, Mannheim, München, Nürnberg, Oberursel, Osnabrück/Bramsche, Passau, Regensburg, Rostock, Tübingen, Unna, Wittenberg und Würzburg und natürlich in Zella-Mehlis.
Die Situation ist günstig: Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat kürzlich das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt und dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt. Osaren Igbinoba, Gründungsmitglied von The Voice Refugee Forum, erklärt dazu: »Für uns steht fest: Asylbewerberleistungsgesetz und Residenzpflicht sind nicht reformierbar, sondern müssen komplett abgeschafft werden – die Menschenwürde ist nicht verhandelbar.«