Gemeinsam gegen Isolation und Repression – der Solidaritäts- und Aktionstag vom 22.3.2011 in Zella-Mehlis
https://thevoiceforum.org/node/2052
24.03.2011 / Inland / Seite 2Inhalt
»Die Bewohner wurden massiv eingeschüchtert«
Bundesweit Proteste gegen Diskriminierung von Flüchtlingen. Aktionen werden heute und am Samstag fortgesetzt. Ein Gespräch mit Clemens Wigger
Interview: Gitta Düperthal
Clemens Wigger unterstützt die Flüchtlingsorganisation »The voice«. Er hat am Dienstag Aktionen des Bündnisses »Break isolation« in Zella-Mehlis mitorganisiert, die im Rahmen bundesweiter Aktionstage standen und am heutigen Donnerstag fortgesetzt werden.
Die Aktionstage der bundesweiten Kampagne »Abolish – Abschaffen« von Flüchtlingen und ihren Unterstützern hatten am Dienstag ihren Auftakt und werden am heutigen Donnerstag und am Samstag fortgesetzt. In 28 Städten wenden sich Flüchtlinge gegen Lager, Residenzpflicht, Abschiebungen, das Asylbewerberleistungsgesetz und andere Diskriminierungen. Welche konkreten Aktionen gab es am Dienstag?
Die Kampagne geht auf einen Beschluß der antirassistischen Konferenz in Frankfurt/Main im Dezember 2010 zurück, an der sich rund 300 Flüchtlinge aus der ganzen Republik beteiligt hatten. Darunter waren viele, die im vergangenen Jahr in Bayern an Hungerstreiks teilgenommen hatten. Wir haben noch nicht alle Berichte gesammelt – alle beteiligten Initiativen werden ihre Aktivitäten aber nach und nach auf der Seite www.kampagne-abolish.info publizieren.
Wir wissen aber jetzt schon, daß am Dienstag in München rund 200 Flüchtlinge und Unterstützer demonstriert haben. 50 Flüchtlinge aus dem Lager Wittenberg/Möhlau in Sachsen-Anhalt haben in Wittenberg auf dem Marktplatz protestiert. Aus dem Oberurseler Lager in Hessen versammelten sich ebenso viele vor dem Landratsamt in Bad Homburg und später in der Fußgängerzone in Oberursel. Aus dem mitten im Wald gelegenen Brandenburger Lager Hohenleipisch hielten 60 Leute eine Kundgebung vor der zuständigen Ausländerbehörde in Herzberg ab. Und im baden-württembergischen Mannheim beteiligten sich 70 Leute an einer Demonstration zum Abschiebeknast. Ich selbst habe an einer Demonstration im thüringischen Zella-Mehlis teilgenommen. Wir fordern, dieses Lager zu schließen und die Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen.
Und wie lief diese Aktion ab?
30 Unterstützer aus Thüringen sind in das in einem Industriegebiet gelegene Lager gegangen, um den 170 Flüchtlingen, die dort isoliert leben müssen, ihre Solidarität zu zeigen. Wir haben Transparente aufgehängt, Reden gehalten; den ganzen Nachmittag mit den Flüchtlingen gemeinsam Musik gemacht und gehört und Plakate für die am heutigen Donnerstag geplante Demonstration in Meiningen gemalt. Rund 50 Flüchtlinge haben an der Aktion teilgenommen – obgleich man die Bewohner der Unterkunft massiv einzuschüchtern versucht hat.
In welcher Weise wurde Druck ausgeübt?
Als wir Unterstützer gegen Mittag ankamen, standen bereits vier Polizeieinsatzwagen direkt vor dem Lager auf unserem Kundgebungsplatz; Beamte in Uniform zeigten Präsenz, um Flüchtlinge einzuschüchtern. In der Tür des Lagers standen vier Zivilpolizisten, der Hausmeister und eine Sozialarbeiterin versperrten uns den Weg. Zunächst traute sich keiner der Flüchtlinge, zu uns zu kommen. Erst als wir später selber ins Lager hineingingen, wobei wir unsere Personalausweise vorzeigen mußten, sprachen uns Leute an. Wir haben dann erfahren, daß vor unserer Ankunft Zivilpolizisten und die Sozialarbeiterin im Haus herumgegangen seien und den Flüchtlingen gesagt hätten, daß sie auf ihren Zimmern bleiben und sich einschließen sollten – weil es sonst Probleme gebe.
Welche Probleme wurden denn angedroht?
Nichts Konkretes – aber wenn die Sozialbetreuerin solche Drohungen ausspricht, weiß jeder: Sie könnte das monatliche Taschengeld von 40 Euro sowie Urlaubs- und Krankenscheine verweigern, weil das in ihrem Machtbereich liegt. Die Leute sitzen dann ohne einen Teil ihrer ohnehin viel zu geringen Existenzgrundlage da! Zudem war die Nervosität der Verantwortlichen daran festzumachen, daß die Polizei Thüringer Regionalzüge verstärkt kontrolliert und Flüchtlinge zu ihrem Zielort »begleitet« hat. Ein Polizeihubschrauber ist dann auch noch über unsere Kundgebung hinweggeflogen: Örtliche Polizisten haben uns bestätigt, daß diese Überwachung auf uns gemünzt war.