Shambhu Lama kämpfte 15 Jahre für ein Leben in Deutschland. Am Ende sollte er nach Nepal abgeschoben werden, obwohl er ein deutsches Kind hatte. Er beging Suizid und wurde am Dienstag eingeäschert. VON CHRISTIAN JAKOB
Trauer um Shambhu Lama: Der 40-jährige Nepalese wird in Hildesheim eingeäschert. Foto: Privat
HILDESHEIM taz | Eine Handvoll junger Männer, sie alle stammen aus Nepal, sind zu der Einäscherung erschienen. Nun stehen sie vor dem Trauerraum und werden von dem Bestattungsunternehmer gewarnt. "Sie können gleich sitzen oder stehen, das überlasse ich Ihnen, dazu weiß ich zu wenig über Ihre Kultur", sagt er. "Aber tun Sie sich einen Gefallen und lassen sie den Sarg geschlossen. Sie wissen ja, was mit ihm geschehen ist."
Die Sonne lässt die pastellfarbenen Wände des Krematoriums leuchten. Das Feuerbestattungsinstitut steht in einem Hildesheimer Gewerbegebiet, umringt von einem Vertrieb für Fräsen und einem Laborwagen-Hersteller. Die Nepalesen machen Fotos von Nadine Tannenberg, dem Sarg und einem kleinen Kind, das die junge Frau auf dem Arm trägt. Es heißt Joshua Chris und ist der Sohn des 40-jährigen abgelehnten Asylbewerbers Shambhu Lama. "Die Behörden haben ihn in den Tod getrieben", sagt Tannenberg, nachdem Lamas Sarg in der Brennkammer verschwunden ist.
Später sitzt neben ihr am gedeckten Kaffeetisch Bija Mokthan und wühlt in einem Umschlag. "Das sollten alles wir bezahlen", sagt er und reicht ein Papier herüber. Mokhta ist Sprecher des Nepalesischen Kulturvereins und der Preis, der auf den Zetteln kalkuliert wird, ist der für die letzte Reise seines Landsmanns Lama.
Wenn es nach dem deutschen Staat geht, dann hätte der die Heimreise schon 1996 antreten sollen. Da wurde sein Asylantrag abgelehnt. Doch erst kürzlich bekamen die Behörden das für Lamas Abschiebung nötige Papier. Am 3. März sollten Bundespolizisten ihn nach Kathmandu bringen - obwohl er im Einvernehmen mit Tannenberg den Umgang mit seinem Sohn pflegte.
Lama hatte die Gerichte auf seiner Seite. Trotzdem kündigte die Ausländerbehörde Gifhorn ihm am 1. März die Rückführung nach Nepal an. Nach 15 Jahren Kampf um sein Bleiberecht war Lama psychisch am Ende. Nun wird er nächste Woche in einer Weißblechurne der Firma Völsing in seine Heimat fliegen. Das war die billigere Variante. Einen Sarg nach Nepal zu schicken hätte 6.000 Euro gekostet. Die hatte Mokhtas Verein nicht, auch wenn die Bundesregierung am Ende Geld zuschoß.
Lama lebte in Deutschland als Geduldeter - ohne Arbeitserlaubnis, untergebracht in Sammelunterkünften, versorgt mit Gutscheinen für 184 Euro im Monat. Im August 2009 lernten er und Tannenberg sich in einer Pizzeria in Königslutter kennen. "Er war ein sehr höflicher Mann, wir haben uns gut verstanden", sagt sie. Kurz darauf wurde sie schwanger. Die Beziehung fand ein Ende, doch Tannenberg, ihr neuer Freund und Lama waren sich einig: "Shambhu sollte Umgang mit seinem Sohn haben, das war uns allen wichtig."
Im Mai 2010 wurde das Kind geboren. Lama lebte damals im Flüchtlingswohnheim Meinersen. Dessen Bewohner klagen seit langem über einen schikanösen Umgang der Ausländerbehörde. Es liegt nicht weit von Tannenbergs Wohnort entfernt, doch dazwischen sind zwei Landkreisgrenzen, die Lama wegen der Residenzpflicht für Asylbewerber nicht überschreiten durfte. "Die Ausländerbehörde hat immer Schwierigkeiten gemacht, wenn er eine Besuchserlaubnis wollte", sagt Tannenberg.
Gegenüber der Ausländerbehörde und dem Jugendamt gab sie an, dass Lama der Vater ihres Kindes war, 2010 erkannte der die Vaterschaft offiziell an. Doch die Ausländerbehörde zweifelte und weigerte sich, ihm ein Aufenthaltsrecht zu geben. Am 24. Februar zog Lama vor Gericht.
Vier Tage später, am Tag vor seinem Tod, besuchte er Tannenberg und seinen Sohn ein letztes Mal. "Wir waren Kaffee trinken, er hat mit seinen Gutscheinen Windeln gekauft", sagt sie. Am nächsten Morgen ging er zur Ausländerbehörde und erfuhr: Zwei Tage später wollte man ihn in ein Flugzeug setzen. "An dem Tag hat er mich angerufen, und gefragt, ob es etwas Neues vom Gericht gibt", sagt Lamas Anwältin Daniela Öndül.
Es gab nichts Neues. Um 14.14 Uhr bekam Tannenberg eine letzte SMS: "Gott hat es so gewollt. Ich kann Euch nicht wiedersehen, aber bis zum letzten Atemzug wünsche Ich Euch alles Gute." Um 15.40 Uhr beobachteten zwei Schülerinnen auf dem Gifhorner Bahnhof, wie Lama vom Gleis herabstieg und seinen Kopf auf die Schienen legte, als ein Güterzug herannahte.
Öndül hat jetzt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Sachbearbeiter der Gifhorner Ausländerbehörde eingereicht: Sie hätten Öndül angelogen, Lamas Vaterschaft trotz ausreichender Nachweise ignoriert und seine Abschiebung vorbereitet, obwohl das Verwaltungsgericht Braunschweig sie aufgefordert hatte, dies zu unterlassen. "Noch am Tag seines Todes und wider besseren Wissens" hätten die Sachbearbeiter Lama prophezeit, sein Antrag vor Gericht werde keinen Erfolg haben. Stattdessen werde man ihn nach Kathmandu abschieben. Diese Ankündigung habe Lama, so schreibt Öndül, "in eine psychisch so aussichtslose Lage gebracht, dass er sich schließlich das Leben nahm". Zwei Wochen später entschied das Verwaltungsgericht Braunschweig, dass Lama ein Aufenthaltsrecht zugestanden hat. Genützt hat dies nur noch Öndül: Ihr Honorar muss der Landkreis Gifhorn bezahlen.
Der äußerte sich am gestrigen Mittwoch nicht. Kurz nach dem Tod hatte Landrätin Marion Lau verbreiten lassen, die Gründe für Lamas Suizid seien "im persönlichen Umfeld zu suchen".
http://www.taz.de/1/nord/artikel/1/abschied-von-einem-unerwuenschten/
30.03.2011