Dieser Ort, sagt einer, macht krank.
Es ist nicht nur der Schimmel, nicht nur die Kälte, Es ist auch nicht nur das Warten und nicht nur die Isolation.
Gemeinsam gegen Isolation und Repression – der Solidaritäts- und Aktionstag vom 22.3.2011 in Zella-Mehlis > https://thevoiceforum.org/node/2052
Es gibt Baumärkte hier, ein paar Discounter, Autohändler, Industriehallen. Ganz am Rand ein Plattenbau aus DDR-Zeiten, als sei er aus der Zeit gefallen. Vergessen, auf Eis gelegt. Wie das Leben der Menschen, die keine andere Wahl haben, als diesen Ort. Am Donnerstag läuft der Vertrag des Landratsamtes Schmalkalden-Meiningen mit dem Betreiber aus. Ginge es nach dem Willen seiner Bewohner, müsste das Haus geschlossen werden.
Zella-Mehlis. Wenn Deljadin Coljaj aus dem Fenster schaut, sieht er auf die Blechdächer von Werkhallen. Ein Schornstein stößt weißen Rauch aus. Manche Namen halten, was sie versprechen: Industriestraße. Wenn er das Fenster öffnen würde, könnte er wenigstens Frühlingsluft riechen. Aber die Fensterangeln sind kaputt und halten den Rahmen nicht. Das Holz verfault wie ein alter Bootsrumpf.
Gestrandete sind sie ja alle hier irgendwie. Über dem Heizkörper trocknen Kinderstrümpfe. Im Winter hat er manchmal kaum gewärmt. Dann haben sie die Kinder in Decken gewickelt. Schlafen. Damit Zeit vergeht. Im Kosovo ist kein Leben für Roma, sagt er. Ihr Asylantrag ist abgelehnt. Seitdem warten sie. Auf die Beamten, die sie abschieben werden. Oder auf ein Wunder. Seine Frau hockt auf dem Teppich vom Sperrmüll und stillt die Tochter.
Zwei Stockwerke höher zieht ein Mann Brotfladen aus dem Ofen. Seinen Namen will er nicht nennen. Der Duft zieht über den Flur, vermischt sich mit dem beißenden Dunst heißen Öls, Zwiebeln, Kohl und Dutzenden anderen Gerüchen. Man entkommt ihnen nirgends. Es gibt nur eine Küche auf jeder Etage.
Im Zimmer holt seine Frau einen Mantel aus dem Schrank. Schimmel auf dem klammen Stoff, Schimmel an den Badwänden, Schimmel an den Wänden. Er hat sie mit weißer Farbe überstrichen, er öffnet nachts das Fenster, aber es hilft nichts. Auf dem Sofa schläft ein Baby. Die Kinder sind oft krank, sagt sie.
Vor seiner Tür drängen sich die Nachbarn. Führen vor: verschimmelte Wände, Fenster ohne Griffe in feucht riechenden Bädern, in denen man sich nicht einmal die Hände waschen mag. In Zimmern für zwei Menschen, deren Enge jede Intimsphäre überschreitet. Manche leben schon Jahre so.
Dieser Ort, sagt einer, macht krank.
Es ist nicht nur der Schimmel, nicht nur die Kälte.
Ich bin doch Ingenieur. Der Mann, der auch anonym bleiben will, hat aufgegeben. Vor zehn Jahren ist er vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen. Er hätte einen Job in Hamburg haben können. Die Vorschriften, haben sie gesagt, verbieten es. Er hätte einen anderen Job bekommen können, ganz in der Nähe. Auch dafür gab es keine Erlaubnis. Jetzt will er nur noch weg von diesem Ort, an dem er nicht einmal das Fahrgeld hat, um mal rauszukommen aus der Industriestraße im Gewerbegebiet.
Für die Gutscheine, die sie hier zuteilen, bekommt er nur Lebensmittel. Wenn du im Laden stehst, sagt er, gucken sie, als wolltest du stehlen. Ich bin kein Dieb. Zehn verlorene Jahre. Der Fernseher im Zimmer läuft.
Es ist auch nicht nur das Warten und nicht nur die Isolation.
Draußen am Haus steht ein Müllcontainer, in dem sonst nur Bauschutt entsorgt wird. Eine faulige Flüssigkeit sickert heraus, zieht eine stinkende Spur. "Iss nisch gut Heim", hat jemand auf den Container geschrieben. Am Vortag fand in Meiningen eine Demonstration gegen die Zustände in diesem Heim statt. Organisiert vom einem Netzwerk von Flüchtlingen und Helfern. Etwa 15 Bewohner des Heimes haben teilgenommen.
Jetzt erzählt man sich, der Hausmeister habe angekündigt, ihnen werde das Taschengeld gestrichen. 40 Euro im Monat, das einzige Bargeld, das sie erhalten. Wenn sie es überhaupt erhalten. Die Bestimmungen sind für die Bewohner undurchsichtig. Die Streichung, eine ständige Drohung, sagen sie.
Der Hausmeister residiert im Erdgeschoss links, am Ende des Ganges. "Herr Schatz" verkündet das Schild an der Tür. Manche Namen halten nicht, was sie versprechen. Herr Schatz ist ein streng blickender Mann, dazu sehr schweigsam. Er darf, sagt er, nichts sagen. Nicht einmal seinen Vornamen. Und nein, er kann sich nicht erklären, woher die Gerüchte über das Taschengeld kommen. Aber er wolle mir etwas zeigen. Dann führt der Mann ohne Vornamen in eine leere Wohnung, frisch gestrichen mit einem Bad frisch gefliest. Das wäre, sagt er, so eine Variante. Man habe ja auch schon einiges gemacht. Aber es gebe eben Familien, die das nicht würdigen.
Im Landratsamt, heißt es, dort, suche man nach Lösungen. Möglich in einer anderen Unterkunft. Möglich auch in der alten. Im Übrigen habe man in den vergangenen Jahren keine Klagen gehört.
Clemens Wigger, der zu den Unterstützern des Flüchtlingsnetzwerkes "The Voice" gehört, kann darüber nur müde lächeln. Warum erst jetzt, nachdem die Zustände öffentlich gemacht wurden? Überhaupt. Solche Heime, dazu so abgelegen, dass sie die Menschen wie auf einem Ödland isolieren, gehören geschlossen. In Eisenach zum Beispiel wurden Asylbewerber in Wohnungen untergebracht in einem sozialen Umfeld.
Ein Leben auf Eis gelegt. Für die Asylverfahren sind die Landratsämter nicht zuständig. Für eine würdige Unterbringung in dieser Zeit schon. Auch dafür gibt es Bestimmungen und finanzielle Zwänge ebenso. Aber es gibt immer Spielräume. Es ist eine Frage des guten Willens. Und manchmal eben auch eine der Schamgrenze.
Porträt
http://www.tlz.de/startseite/detail/-/specific/Bewohner-fuer-Schliessun…
* Wohnzelle: So wie diese Familie aus dem Kosovo beschweren sich alle Bewohner über das Asylbewerberheim in Zella-Mehlis. Foto: Sascha Fromm
Elena Rauch / 31.03.11 / TA
Aufruf der Flüchtlingscommunity Zella-Mehlis - Wir wollen normale Wohnungen! Nicht im Lager Flüchtling - Lager > https://thevoiceforum.org/node/2054
„Das Lager muss weg ! “ - Lautstarke Demonstration von Flüchtlingen und UnterstützerInnen in Meiningen am 24.3.2011 > https://thevoiceforum.org/node/2058
Zustände im Heim erneut angeprangert - "Lager schließen! Stopp Abschiebung" für Asylbewerber in Zella-Mehlis
https://thevoiceforum.org/node/2050/