»Seit jenem Besuch hat sich viel geändert«
Flüchtlinge in Zella-Mehlis zum Widerstand ermuntert. Auch Sonntag wieder Kundgebung vor dem Lager. Ein Gespräch mit Miloud Lahmar Cherif
Interview: Gitta Düperthal
Miloud Lahmar Cherif ist Sprecher der Flüchtlingscommunity des Lagers in Zella-Mehlis und Aktivist der Organisation »The Voice«
Die »Flüchtlingscommunity« Zella-Mehlis und The Voice rufen für Ostersonntag erneut zu Protesten und massenhaftem Solidaritätsbesuch in der Thüringer Flüchtlingsunterkunft in Zella-Mehlis auf. Warum wurde das Lager in der Industriestraße 29 zum Schwerpunkt der Kampagne »Abolish – Abschaffen« erklärt?
Als eine Delegation von »The Voice« Ende des Jahres zu Besuch kam und Mut zusprach, waren die Bewohner noch sehr ängstlich. Sie hatten sich damals kaum getraut, öffentlich über ihre Situation zu berichten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: ständige Demütigungen durch Behördenmitarbeiter, beengtes Dahinvegetieren in unzumutbaren Räumlichkeiten mit feuchten Wänden und Schimmel, große Armut. Viele müssen jeden Tag fürchten, es könnte ihr letzter in Deutschland sein, die Abschiebungsdrohung schwebt wie ein Damoklesschwert über ihnen. Klar, daß das Selbstbewußtsein der Flüchtlinge auf dem Tiefpunkt angelangt war!
Doch seit jenem ersten Besuch hat sich viel geändert. Wir haben Kontakte zu Unterstützern bekommen – aus Kirchenkreisen, von der Partei Die Linke und anderen Organisationen, die uns häufig besuchen. Die Presse berichtet jetzt regelmäßig. Flüchtlinge trauen sich, vor laufender Fernsehkamera dem MDR vom respektlosen Umgang mit ihnen zu berichten.
Wir haben schon mit vielen Aktionen darauf gedrängt, daß das Lager geschlossen wird. Und wir kämpfen weiter, schon am Sonntag gibt es direkt vor dem Lager eine Kundgebung. Menschenrechtsaktivisten aus der ganzen Republik werden dazu anreisen. Ab 12.00 Uhr heißt es: »Brecht die Isolation, übt Solidarität mit Flüchtlingen«.
Was ist Ziel dieser Aktion?
Den Flüchtlingen die Botschaft rüberzubringen: »Ihr seid nicht allein. Viele andere, Flüchtlinge und Aktivisten, fühlen mit euch.« Sogar Organisationen, die sich bisher noch nicht blicken ließen, sind nun mit von der Partie. Selbst wenn wir nur für einen halben Tag Verstärkung bekommen, ist das viel wert. Die zweite Botschaft geht an die Behörden: »Wir lassen uns nicht unterkriegen und werden weiter gegen eure ungerechten Gesetze kämpfen.« Geplant ist eine Vielzahl von Aktivitäten. Wir werden Spaß haben, uns bei Essen, Musik, Gesang, Tanz und Malerei entspannen.
Haben Sie mit Ihrer Kampagne schon etwas erreicht?
Leider können wir nicht sagen, wir hätten es geschafft, unsere Menschenrechte durchzusetzen. Trotzdem ist Gutes passiert. Niemand kann mehr behaupten, nicht gewußt zu haben, wie diskriminierend der Umgang mit uns Flüchtlingen ist. In Thüringen ist das jetzt Gesprächsthema. Wir haben Partner für unseren Kampf gewonnen. Die Behörden können nicht umhin, wahrzunehmen, daß jetzt alles unter den Augen der Öffentlichkeit geschieht.
Sie waren zum Gespräch mit dem Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) bei Radio Lotte in Weimar eingeladen. Was hatten Sie sich davon erwartet?
Nichts! Wir kennen seine Antworten bereits. Aber darum geht es nicht. Für uns war diese Radiosendung eine gute Möglichkeit, daß alle die Stimme der Flüchtlinge hören können.
Haben Sie Repressionen zu spüren bekommen, weil Sie für Flüchtlingsrechte eintreten?
Ja, ausgerechnet am 22. März, dem Tag unserer Demonstration in Meiningen für die Schließung des Lagers in Zella-Mehlis, erhielt ich einen Brief vom Landratsamt: Ich müsse wegen Verletzung der Residenzpflicht 58 Euro Strafe zahlen. Es ging darum, daß die Polizei mich und meinen Freund Salah am 20. November im Erfurter Bahnhof gestoppt hat, als wir zur Konferenz nach Berlin wollten, um die Rechte von Flüchtlingen zu debattieren. Das Merkwürdige ist, daß solche Strafen kurz darauf ausgesprochen werden – und nicht, wie sonst üblich, erst vier Monate später. Das sollte wohl ein deutlicher Wink aus dem Landratsamt sein
Kundgebung, Sonntag, ab 12.00 Uhr, Zella-Mehlis, Industriestraße 29
Das Spendenkonto ist auf der Internetseite www.thevoiceforum.org/ unter »Kontakt« angegeben.
http://www.jungewelt.de/2011/04-21/052.php
ND Press:
»Der Schimmel ist überall« Flüchtlingsinitiativen organisieren Konferenz in Jena, um auf ihre Lebenssituation hinzuweisen >> https://thevoiceforum.org/node/2094