26.04.2011 / Inland / Seite 8Inhalt
»Selbst beim Essen ist ein Wachmann zugegen«
Anwälten wurde Zutritt zu Flüchtlingslager in Mecklenburg-Vorpommern verwehrt. Familien leben unter ständiger Kontrolle. Gespräch mit Insa Graefe
Interview: Gitta Düperthal
Insa Graefe ist Rechtsanwältin in Hamburg und beteiligte sich am Versuch einer Gruppe von Anwälten, das Flüchtlingslager Nostorf in Horst zu besuchen
Im Rahmen einer Fortbildung zum Aufenthaltsrecht wollten Sie mit Anwälten am 6. April das Flüchtlingslager Nostorf in Horst besuchen. Die Visite wurde durch die zuständige Ausländerbehörde in Hamburg untersagt. Was waren die Gründe?
Offiziell hieß es, wir würden den Ablauf stören; zwölf Anwältinnen und Anwälte seien eine zu große Gruppe. Deshalb habe es eine Dienstanweisung des Innenministeriums in Schwerin gegeben, den Besuch des Lagers nicht zu ermöglichen. Weil dieser allerdings zunächst bewilligt wurde und dann wieder abgelehnt, vermuten wir: Dem Leiter des im Wald an der Bundesstraße 5 in Mecklenburg-Vorpommern liegenden Flüchtlingslagers, Wolf-Christoph Trzeba, war nicht daran gelegen, daß Fachöffentlichkeit Zutritt erhält und sieht, was im Lager geschieht.
Worüber will man denn den Mantel des Schweigens decken?
Kritik gibt es an Flüchtlingslagern insgesamt, besonders aber an diesem. Im vergangenen Jahr hatte es dort den Todesfall eines noch ungeborenen Babys gegeben – aufgrund ungenügender medizinischer Versorgung. Daraufhin gab es eine Zusage, keine hochschwangeren Frauen mehr dort unterzubringen, die jedoch nicht eingehalten wurde. Ärztliche Versorgung ist in der Sammelunterkunft insgesamt ein Problem; Bewohner können das Lager nur in Notfällen verlassen, um Ärzte aufzusuchen. In den vergangenen Jahren gab es mehrere Fälle Schwererkrankter, die nicht medizinisch versorgt wurden. Als wir jetzt da waren, haben wir von einem Vater erfahren, daß sein Kind schon seit Wochen Zahnschmerzen hatte – aber nur Schmerztabletten erhielt. Das Versprechen, keine schulpflichtigen Kinder im Lager unterzubringen, weil keine Schule in der Nähe ist, wurde ebenfalls gebrochen – wir haben dort jede Menge Minderjährige gesehen. Eltern wurde gesagt: Ihre Kinder können kein Deutsch, deshalb können sie nicht zur Schule gehen.
Sie sind also trotz Absage des Amtes in das Lager gegangen. Warum haben Sie eigentlich vorher um Erlaubnis gefragt?
Wir waren eine ganz friedliche Gruppe von Anwälten und wollten das Lager keineswegs stürmen – wurden aber die ganze Zeit so behandelt, als würden wir etwas ganz Schreckliches wollen. Im Vorfeld hatten wir einen Fragekatalog abgegeben. Mit einer solchen Reaktion hatte niemand gerechnet: Als Rechtsanwälte müssen wir Zugang haben. Die Behandlung an der Pforte war respektlos. Als ein Kollege einfach reingehen wollte, hat das Wachpersonal ihn zurückgestoßen. Diese Abschottung gegenüber einer von außen kommenden Fachwelt ist inakzeptabel. Die Kontrolle im Lager ist unangemessen. Über alles will die Leitung informiert sein, es findet eine permanente Überwachung statt. Bei Verlassen des Lagers müssen Flüchtlinge ihre Heimausweise abgeben, selbst beim Essen ist ein Wachmann zugegen.
Gibt es denn keine rechtlichen Möglichkeiten, einen Besuch durchzusetzen? Die Bewohner sind doch dafür, daß Sie kommen.
Natürlich haben wir Anspruch darauf, den Flüchtlingen einen Besuch abzustatten. Mit fadenscheinigen Argumenten hat man sich herausgeredet: Man müsse sich vorher anmelden, das erst im Amt bearbeiten, das Besuchszimmer sei voll. Noch nicht einmal im Gefängnis gibt es solche Probleme. Das ist skandalös, denn im Flüchtlingslager hat ja niemand etwas verbrochen. Die Bewohner mußten dann zu uns herauskommen auf den Parkplatz. Sie waren froh, weil sie ja sonst keine Rechtsanwälte zu Gesicht bekommen. Die kostenlosen Flüchtlingsberatungsstellen in Hamburg können sie nicht aufsuchen, weil sie von 40 Euro Taschengeld die Fahrt dorthin gar nicht bezahlen könnten. Deshalb weiß niemand genau, auf welchem Stand sein Verfahren gerade ist.
Wie ist die Rechtslage generell für Besuche von Freunden und Verwandten in Flüchtlingslagern?
Es gibt keine Rechtsgrundlage, Besuch grundsätzlich zu untersagen – selbst bei einer Hausordnung, die das behauptet. Erst sagte man, nur für uns sei kein Besuch möglich; dann hieß es plötzlich, generell dürfe man nur mit schriftlicher Anmeldung rein. Schließlich wollte man uns gar keine Auskunft mehr geben. Als wir uns im Innenministerium beschweren wollten, gingen die Zuständigen nicht mehr ans Telefon. Das ist ungeheuerlich.
http://www.jungewelt.de/2011/04-26/032.php
Versteckspiele um menschenunwürdige Unterbringung - ein Besuchsversuch im Lager Nostorf/Horst am 06.04.2011
https://thevoiceforum.org/node/2093