21.05.2011 / Fotoreportage / Seite 4 (Beilage)Inhalt
Gefangen in der Einöde
Seit drei Jahren protestieren Asylbewerber in Sachsen-Anhalt gegen unmenschliche Wohnbedingungen. Endlich scheint der zuständige Landkreis zu reagieren. Fotoreportage von
Sascha Montag
Von Sara Mously
Möhlau bei Gräfenhainichen: Das Tor zum Lager
Vor der »Wende« war es eine Kaserne der Sowjetarmee. Damals gab es hier Bars, Geschäfte, ein Kino. Heute pfeift Wind durch die undichten Fenster. Bis auf einen maroden Plattenbau stehen die Häuser leer, ihre Türen sind mit Brettern vernagelt. Das Asylbewerberheim Möhlau liegt zwei Kilometer hinter einem 2000-Seelen-Dorf in der Einöde, etwa acht Kilometer entfernt von der Stadt Gräfenhainichen.
Die 200 Asylbewerber, die dort leben, dürfen weder arbeiten noch in eine eigene Wohnung ziehen. Keiner von ihnen hat ein Bankkonto, nur wenige einen in Deutschland gültigen Führerschein. Manche warten seit fünf Jahren darauf, daß die Ausländerbehörde über ihr Bleiberecht entscheidet, andere schon zehn oder 15 Jahre lang. Kinder, die hier geboren wurden, sind zu Teenagern herangewachsen und kennen von Deutschland kaum mehr als diesen einen vergessenen Winkel Sachsen-Anhalts.
Zwei Jahre alt war der heute zwölfjährige Kurde Mohammad Ali, als seine Eltern mit ihm und seiner großen Schwester aus Syrien flohen. Inzwischen sind noch zwei Geschwister dazugekommen, der heute siebenjährige Mustafa und die kleine Silvana, die erst wenige Monate alt ist. Mohammad ist blaß, dunkle Schatten liegen unter seinen Augen. An diesem Mittag ißt er mal wieder nichts. Statt dessen läuft er nach draußen zu den anderen Jungen. Sie stromern zwischen den Geisterhäusern umher, auf der Suche nach einer Glasscheibe, die sie noch einschmeißen können. Sie klettern in eines der Gebäude, in dessen Tür ein großes Loch klafft, und marschieren in den ersten Stock. Dort haben sie sich ihren »Club« eingerichtet. Der Boden liegt voller Scherben, in eine Ecke haben sie ein löchriges Sofa gerückt. Aus einem Handy plärrt HipHop. »Ach«, sagt Mohammad, »irgendwie ist das doch alles langweilig.«
Vor drei Jahren mußte auch Salomon Wantchoucou in das Heim umsiedeln, der in seiner Heimat Benin politisch verfolgt wurde. Seit zehn Jahren lebt er in Deutschland und weiß, daß Asylbewerber nicht überall so hausen müssen wie in Möhlau. Kaum angekommen, rief er die anderen Bewohner zum Widerstand auf. Sie gründeten die »Flüchtlingsinitiative Möhlau«, veröffentlichten Protestbriefe im Internet und demonstrierten vor dem zuständigen Landratsamt in Wittenberg.
Die Initiative der Bewohner scheint sich nun endlich auszuzahlen: Der Landkreis schrieb den Unterbringungsvertrag im vergangenen Herbst neu aus, am Dienstag soll über den Zuschlag entschieden werden. Wantchoucou reagiert noch zurückhaltend auf den Erfolg: »Ich glaube es erst, wenn es wirklich passiert«, so der Bürgerrechtler. »Aber wenn wir endlich umziehen könnten, wäre das großartig. Schlimmer als hier kann es ja nicht werden.«