Keine Wohnungen: Landrat will Zella-Mehliser Asylbewerber in andere isolierte Sammelunterkunft verlegen
„Einen intriganten Gegenschlag“ sieht Osaren Igbinoba, Sprecher von „The voice“ in Thüringen, in diesem Vorgehen. Nachdem die Öffentlichkeit „auf die miesen Zustände im Flüchtlingsheim aufmerksam geworden ist und sie verurteilt“, versuche man nun seitens des Landratsamtes mit allen Mitteln erbärmliche Wohnverhältnisse der Flüchtlinge aufrechtzuerhalten – die lokale Presse wirke dabei mit. Lahmar Cherif ist entsetzt, zumal die Journalistin seine Frau im Blatt falsch zitiert habe: Dass sie lieber im alten Lager wohnen bleiben würde, habe sie nicht gesagt - danach sei sie auch nicht gefragt worden. „Das ist übelste Propaganda“, sagt er. Interessant ist der Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels: Am 23. Juni, jenem Tag, an dem sich Landrat Luther erhofft hatte, vom Kreistag Vollmacht zu erhalten, den Umbau sofort auszulösen zu können, so schrieb die Südthüringer Zeitung. Daraus ist nichts geworden. Der Tagesordnungspunkt ist auf September vertagt.
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Flüchtlinge mürbe gemacht
Keine Wohnungen: Landrat will Zella-Mehliser Asylbewerber in andere isolierte Sammelunterkunft verlegen
Von Gitta Düperthal
Wieder Ärger um das Flüchtlingslager im thüringischen Zella-Mehlis, das in den Schlagzeilen ist, weil sich unter anderem Schimmel durch die Wände frißt: Kurz bevor sich der Kreistag Schmalkalden-Meiningen Ende vergangener Woche in die Sommerpause verabschiedete, hatte Landrat Ralf Luther (CDU) eine Alternative zu dem maroden Plattenbau in der Industriestraße 29 aus dem Hut gezaubert. Die Flüchtlinge sollen demnach in ein ehemaliges Internat umziehen. Um das leerstehende Gebäude in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen, sind nach Luthers Angaben drei Millionen Euro nötig. Das Haus liegt jedoch wie die bisherige Unterkunft isoliert im Industriegebiet am Stadtrand. Eigene Toiletten und Duschen wird es nicht geben. Die wolle man auf dem Gang einbauen, so der Landrat gegenüber der Südthüringer Zeitung. Es sei »allgemein bekannt«, daß in Wohnheimen sehr viel Wasser verbraucht werde und dies auch zu Schimmelbildung führen könne, behauptete er.
Die Nachricht, man wolle sie in eine noch schlechtere Unterkunft umsiedeln, hat bei den Heimbewohnern Panik ausgelöst. Für zusätzliche Verwirrung sorgt eine von 50 Flüchtlingen unterzeichnete Erklärung, die dem Landrat vergangene Woche per Fax zugesandt wurde. Darin heißt es unter anderem: »Wir möchten im Wohnheim in der Industriestraße bleiben. Wir möchten nicht in ein anderes Heim umziehen (...).« Miloud Lahmar Cherif, Sprecher der Flüchtlingscommunity Zella-Mehlis, meint, viele hätten das von der Sozialarbeiterin des Heims verbreitete Schreiben nur aus Angst unterschrieben. Ein Verbleiben im Heim liege nicht im Interesse der Bewohner, sagte Cherif gegenüber jW. 63 von ihnen hätten kürzlich eine Resolution der Community unterschrieben, in der eine Unterbringung in Wohnungen gefordert wird.
Laut Bericht des Lokalblatts ist das Schreiben von einem Dolmetscherbüro in sieben Sprachen übersetzt und an die Flüchtlinge verteilt worden – von wem, bleibt unklar. Nach Auskunft des Landratsamtes gegenüber jW wurde die Erklärung vom privaten Betreiber des Heims versandt, der Initiator sei nicht dokumentiert.
Einen »intriganten Gegenschlag« sieht Osaren Igbinoba, Sprecher der Flüchtlingsorganisation »The voice« in Thüringen, in der von der Lokalzeitung publik gemachten Erklärung. Nachdem die Öffentlichkeit »auf die miesen Zustände im Flüchtlingsheim aufmerksam geworden ist und sie verurteilt«, versuche man nun offenbar seitens des Landratsamtes und des Heimbetreibers mit Hilfe der Presse, eine Verbesserung der Wohnverhältnisse zu verhindern.
Miloud Lahmar Cherif moniert auch, die Autorin des Berichts habe seine Frau falsch zitiert. Wenn sie keine eigene Wohnung haben könne, wolle sie lieber in der jetzigen Unterkunft bleiben, hieß es dort. Dabei habe sie das gar nicht gesagt, empört sich Cherif. Landrat Luther hatte sich übrigens am 23. Juni vom Kreistag einen Beschluß erhofft, der ihm die Vollmacht gegeben hätte, im alten Internat »den Umbauauftrag sofort auszulösen«. Der Tagesordnungspunkt wurde jedoch auf die Sitzung Ende September vertagt. Die Lage in Zella-Mehlis wird auch auf einer bundesweiten Flüchtlingskonferenz am heutigen Samstag in Hannover diskutiert
Unten stehend meine ungekürzte Originalfassung:
Wieder Ärger um das Flüchtlingslager im thüringischen Zella-Mehlis, das in den Schlagzeilen ist, weil sich Schimmel durch die Wände der beengten Behausungen der Flüchtlinge frisst: Kurz bevor der Kreistag Schmalkalden-Meiningen Ende vergangener Woche sich in die Sommerpause verabschiedete, hatte Landrat Ralf Luther (CDU) eine Alternative zu dem verfallenen Plattenbau, Industriestraße 29, aus dem Hut gezaubert. Die Flüchtlinge sollten in das alte leer stehende Schulgebäude am Köhlersgehäu umziehen. Motto: „Den Teufel mit dem Belzebub austreiben“. Allein um das Gebäude in bewohnbaren Zustand zu versetzen, sind drei Millionen Euro veranschlagt. Nach Auskunft der Flüchtlinge liegt das Haus noch isolierter als das jetzige Lager, im Industriegebiet am Waldrand. Eigene Toiletten und Duschen wird es dort nicht geben, die wolle man auf dem Gang einbauen, so der Landrat gegenüber der lokalen Presse. Dem entsprechenden Wassermangel hat er offenbar Positives abgewinnen können: Allgemein sei bekannt, dass in Wohnheimen sehr viel Wasser verbraucht werde und dies auch zu Schimmelbildung führen könne, gibt die Südthüringer Zeitung Luthers Argument wieder.
Das Ansinnen eines Umzugs in eine noch schlechtere Unterkunft hat bei den leidgeprüften Bewohnern des derzeitigen Flüchtlingslagers Panik hervorgerufen. Damit nicht genug: Vor wenigen Tagen kursierte dort eine dubiose Unterschriftensammlung, von der Sozialarbeiterin des Lagers den Flüchtlingen unterbreitet, die jetzt dem Landrat Luther als Fax vorliegt. Viele hätten aus Angst unterzeichnet, so der Sprecher der Flüchtlingscommunity Zella-Mehlis Miloud Lahmar Cherif gegenüber Junge Welt. "Wir möchten im Wohnheim in der Industriestraße bleiben. Wir möchten nicht in ein anderes Heim umziehen, wo wir im Keller duschen und auf dem Gang auf die Toilette gehen müssen. Wir sehen, dass grundhaft saniert wird und akzeptieren, dass der teilweise desolate Zustand nur nacheinander saniert werden kann". Laut der Südthüringer Zeitung haben 50 Leute unterzeichnet - warum die Zeitung resümiert, das seien „etwa 90 Prozent der erwachsenen Bewohner“, ist nicht nachvollziehbar. Erstaunt über all das ist vor allem Lahmar Cherif: Ein Verbleiben in der Industriestraße liege nicht im Interesse der Bewohner. 63 der Erwachsenen der insgesamt rund 150 Bewohner (darunter etwa 25 Kinder) – und damit 13 Personen mehr – hätten kürzlich eine Liste der Flüchtlingscommunity unterschrieben, sie wollten in Wohnungen untergebracht werden. Das Blatt spielt überhaupt eine seltsame Rolle: Den Verfasser des Schreibens benennt es nicht, und vermerkt stattdessen: „Damit auch jeder im Haus weiß, was er da unterzeichnet, wurde die Erklärung von einem Dolmetscherbüro in sieben Sprachen übersetzt: ins Russische, Chinesische, Serbische, Vietnamesische, Kurdische, Arabische und Englische“. Sender sei der private Betreiber, so die Auskunft des Landratsamtes gegenüber Junge Welt; der Initiator sei nicht dokumentiert. Clemens Wigger, vom Unterstützerkreis der Flüchtlingsorganisation „The Voice“, reagiert empört: „Wenn es im Interesse des Landratsamtes und des Betreibers ist, sind plötzlich Dolmetscher zur Stelle, um zu übersetzen, die ansonsten dringend fehlen, wenn es um die Rechtsverfahren der Flüchtlinge geht.“
„Einen intriganten Gegenschlag“ sieht Osaren Igbinoba, Sprecher von „The voice“ in Thüringen, in diesem Vorgehen. Nachdem die Öffentlichkeit „auf die miesen Zustände im Flüchtlingsheim aufmerksam geworden ist und sie verurteilt“, versuche man nun seitens des Landratsamtes mit allen Mitteln erbärmliche Wohnverhältnisse der Flüchtlinge aufrechtzuerhalten – die lokale Presse wirke dabei mit. Lahmar Cherif ist entsetzt, zumal die Journalistin seine Frau im Blatt falsch zitiert habe: Dass sie lieber im alten Lager wohnen bleiben würde, habe sie nicht gesagt - danach sei sie auch nicht gefragt worden. „Das ist übelste Propaganda“, sagt er. Interessant ist der Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels: Am 23. Juni, jenem Tag, an dem sich Landrat Luther erhofft hatte, vom Kreistag Vollmacht zu erhalten, den Umbau sofort auszulösen zu können, so schrieb die Südthüringer Zeitung. Daraus ist nichts geworden. Der Tagesordnungspunkt ist auf September vertagt. Gitta Düperthal
Unter anderem wird all das bei der bundesweiten Flüchtlingskonferenz, Samstag 2. Juli, ab 12 Uhr, in Hannover, kargah e.V., Zur Bettfedernfabrik 1, zur Debatte stehen.
02.07.2011 / Inland / Seite 5Inhalt
http://www.jungewelt.de/2011/07-02/index.php