Stand: 29.09.2011 08:24 Uhr
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/harz/tagdesfluechtlings111.html
Die Flucht nach der Flucht
von Hannes Opel
Maissara M. Saeed, ein Flüchtling aus dem Sudan, steht vor seinem Zimmer in der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig. © ONLINE NDS Fotograf: Hannes Opel Detailansicht des Bildes Ein Flur als Grenzstreifen in der Landesaufnahmebehörde Braunschweig. Europa endet in Braunschweig auf einem langen geraden Flur. Ein Grenzstreifen. Zu beiden Seiten Türen, hinter denen die unterschiedlichsten Nationen liegen. Die Landesaufnahmebehörde (LAB) befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Mars-La-Tour-Kaserne am Rande der Stadt. Inmitten eines brachen Waldstücks wurde die Anlage im ausgehenden 19. Jahrhundert gebaut. Eine Seniorenresidenz und eine Kirche leisten ihr seit 2002 Gesellschaft. Verwahrt, gebetet und gestorben wird nicht nur in Braunschweig in der Peripherie. Die Einrichtung umfasst ein 64.000 Quadratmeter großes Areal. Um die massiven Betonklötze - vier Wohnheime, mehrere Verwaltungsgebäude und eine Kantine - ist ein hoher Zaun gezogen. Wer hinein oder hinaus will, muss sich beim Wachpersonal melden. So schwierig, wie es für Flüchtlinge dieser Tage ist, Europa zu erreichen, so schwierig scheint es, sie in ihren europäischen Reservaten zu besuchen.
"Gebt uns unsere Menschenrechte zurück!"
Seit seiner Ankunft setzt sich Maissara M. Saeed für die Rechte von Flüchtlingen ein. NDR.de begleitete ihn auf dem Weg zum Hohen Flüchtlingskommissar nach Berlin.
"Seitdem ich um Asyl bat, behandelt mich Europa wie einen Verbrecher." Maissara M. Saeed steht vor der Schranke am Eingangstor des Lagers, in dem er seit zehn Monaten lebt. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, tritt er frierend von einem Bein aufs andere. Er erzählt seine Geschichte, als rede er über einen Fremden. Als wäre es nach den Gesprächen mit unzähligen Behörden, Organisationen und Politikern nicht mehr seine eigene, sondern die ihre geworden.
Diskriminierung, Inhaftierung, Verfolgung
Maissara M. Saeed, ein Flüchtling aus dem Sudan, auf der Straße vor der braunschweiger Landesaufnahmebehörde. © ONLINE NDS Fotograf: Hannes Opel Detailansicht des Bildes Maissara M. Saeed kam aus dem Sudan nach Deutschland - in der Hoffnung auf Schutz. "Ich komme aus dem Nordsudan. Vor der Teilung war es das größte Land Afrikas. Die Menschen sprechen verschiedene Sprachen, glauben an unterschiedliche Götter. Ihre Hautfarbe ist schwarz. Trotzdem machen sie Unterschiede. Sie sagen, die einen seien Araber und hätten hellere Haut, wären deshalb privilegierter als Schwarzafrikaner im Westen oder Süden." Im Nordsudan lebe er wie ein Mensch ohne Rechte, erklärt Saeed. Diskriminierungen, Inhaftierungen und Verfolgung seitens der Regierung seien an der Tagesordnung. Seinen Job als medizinischer Assistent an einer Universität hat er verloren, weil er der Meinung war, dass Studenten diskutieren sollten. "Seit 20 Jahren ist in meinem Land ein islamistisches Regime an der Macht. Präsident Umar al-Baschir wird per Haftbefehl vom internationalen Strafgerichtshof gesucht. Er ist verantwortlich für den Genozid in Darfur."
Über Ägypten und Österreich nach Deutschland
Nur wenige Flüchtlinge schaffen es dieser Tage noch nach Deutschland. Auch Maissara Saeed hat einen langen Weg hinter sich. Mit einem gültigen Visum reiste er über Ägypten nach Österreich ein. Als er um Asyl bat, wurde er von den österreichischen Behörden in Abschiebehaft genommen und nach Deutschland überstellt. Das Gefühl entrechtet zu sein, folgte ihm jedoch überallhin wie ein Schatten. "Wir dürfen nicht arbeiten."
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Das Bett von Maissara M. Saeed in seinem hannoveraner Wohnheim. © ONLINE NDS Fotograf: Hannes Opel
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"Es ist schlimmer als im Sudan"
Maissara M. Saeed kam als Flüchtling aus dem Sudan nach Niedersachsen. Im Interview mit NDR.de beschreibt er das Leben in der Duldung und den Alltag im Flüchtlingsheim.
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Keine Menschrechte ohne Aufenthaltsgenehmigung
"Bewegen können wir uns nur in einem Umkreis von 30 Kilometern und wir bekommen entweder unser Essen in den Lagern inklusive 40 Euro im Monat, oder Gutscheine." Die Gutscheine müssen die Bewohner der oft weit in die Peripherie ausgelagerten Einrichtungen mit Verlust eintauschen, damit sie an Bargeld für Fahrkarten, Ärzte und Rechtsanwälte kommen. Es ist ein Leben in steter Abhängigkeit, in einem rechtlich oft langwierigen und zermürbenden Verfahren. "Menschenrechte hängen in Deutschland von der Aufenthaltsgenehmigung ab."
Das Gefühl, nicht willkommen zu sein
Ein Kind steht auf dem Gelände eines Flüchtlingsheims mit einem Fahrrad auf einer Wiese vor einem Gebäude. © ONLINE NDS Fotograf: Hannes Opel Detailansicht des Bildes Ein Leben im Lager. Für viele geduldete Flüchtlinge gibt es kaum Perspektiven auf Integration. "Ich will mich nicht über die Zustände im Lager beschweren, die sind verhältnismäßig ok. Aber Tiere werden auch versorgt und am Leben gehalten." Wir stehen vor der Mensa der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig. "German Abendbrot" nennen die Flüchtlinge die Mahlzeiten mit bitterem Lächeln. In schmalen Zeitfenstern finden sie sich dreimal täglich in der dampfenden Halle ein, an deren Türen zwei Sicherheitsbeamte stehen. "Das schlimmste sind nicht die Umstände, die Gesetze und Repressionen durch die niedersächsischen Behörden. Viel schlimmer sind das Gefühl nicht willkommen zu sein, das Misstrauen und die Abneigung, obwohl man eigentlich Hilfe braucht."
Viele haben psychische Probleme
"Das Leben hier soll Flüchtlingen so unangenehm wie möglich gemacht werden, damit sie von selbst wieder abreisen - auch wenn in der Heimat Verfolgung droht." Das aber widerspreche den Menschenrechten, sagt Maissara mit Nachdruck. "Warten, mehr können wir nicht tun. Jeden Tag und ohne zu wissen, wie es weitergeht. Einige von uns harren jahre- und jahrzehntelang aus, bis ein Urteil fällt." Dieser Zustand wirke sich zum Teil stark auf die Gesundheit der Bewohner im Lager aus. Viele haben psychische Probleme. "Am schlimmsten ist es nachts. Wir sind meistens bis 3 Uhr auf. In dieser Zeit kommt die Polizei, um die Menschen abzuholen, die zurück müssen. Wir hören sie schreien und weinen auf dem Flur, aber wir können ihnen nicht helfen. Du kannst dich entscheiden: Entweder du stirbst schnell in deinem Land, oder du stirbst langsam in Europa."