Das Lager in Fallersleben/Wolfsburg ist dem KARAWANE-Netzwerk aus früherer Zeit bekannt, da Sunny Omwenyeke aus Nigeria, Mitglied von the VOICE Refugee Forum und konsequenter Kämpfer gegen die Residenzpflicht, zwischen 1998 und 2001 dort untergebracht war. Nachdem er das Lager verlassen hatte, war der Kontakt dorthin abgerissen.
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Während der Proteste für die Schließung des Isolationslagers in Meinersen knüpften FlüchtlingsaktivistInnen aus dem Landkreis Gifhorn wieder neue Kontakte mit den Flüchtlingen aus dem Lager in Fallersleben, welches ca. 35 km entfernt liegt.
Jerry Bagaza, politischer Flüchtling aus Burundi, hat an mehreren Treffen und Konferenzen der bundesweiten Flüchtlingsselbstorganisierung teilgenommen und uns eingeladen, das Lager zu besuchen. Jerry Bagaza stellte vor vier Jahren seinen Asylantrag in Deutschland. Er arbeitete in einem Kindergarten der Caritas in Braunschweig, bis die Ausländerbehörde in Wolfsburg seine Arbeitserlaubnis widerrief und er deswegen die Stelle aufgeben musste. Seitdem kann er sein Aufenthaltsverfahren nicht weiterbetreiben, weil er das Geld für den Rechtsanwalt nicht aufbringen kann. Dieses Problem stellt sich auch für viele andere Flüchtlinge, da sie meistens außer ein paar Euro “Taschengeld” nur Sachgutscheine erhalten und ihnen die Arbeitsaufnahme untersagt wird. Damit wird ein aussichtsreiches Betreiben des Asylverfahren verhindert und das Verfahren am Ende negativ entschieden.
Im Lager leben etwa 200 Menschen – mehrheitlich Männer, einige Frauen und ein dutzend Kinder. Die Asylsuchenden kamen aus Burundi, Zimbabwe, Sudan, Sierra Leone, Liberia, Iran und aus weiteren Ländern. Das Lager in der Hafenstraße im Gewerbegebiet Fallersleben nahe des Bahnhofs besteht aus zwei Gebäudekomplexen, an deren Giebelseiten Überwachungskameras in Drahtkäfigen installiert sind. Jedes Gebäude hat 18 Zimmer im Erdgeschoss und die gleiche Anzahl Zimmer in der ersten Etage – insgesamt gibt es etwa 72 Zimmer. Diese werden teilweise von 3 - 5 Personen bzw. einer Familie belegt. In den unterschiedlich großen Zimmern (15 bis 20 m²) stehen in der Regel nur ein Bett, weil die BewohnerInnen andere Möbel wie Sofas organisiert haben, damit das ganze wohnlicher wird. Wegen des Platzmangels mussten dann die Betten weichen. Jedes Zimmer ist mit einer kleiner Küchenzeile ausgerüstet. Das bedeutet, das Zimmer ist für verschiedene Personen gleichzeitig Schlaf- und Wohnzimmer und Küche.
Das führt logischerweise häufig zu Konflikten, da die Bedürfnisse der BewohnerInnen natürlich unterschiedlich sind: Musik hören, Fernseh gucken, kochen, rauchen, schlafen, spielen, lernen in ruhiger Atmopshäre ist mit Streit und Ärger verbunden, da nicht alle MitbewohnerInnen das gleiche machen wollen. Einige BewohnerInnen haben den Eindruck, dass die Heimleitung diese Konflikte unter den BewohnerInnen sogar provozieren möchte und überhaupt kein Interesse an einer verbesserten Wohnsituation hat. In der letzten Zeit wurde öfter die Polizei gerufen, um Streitigkeiten unter den BewohnerInnen zu “schlichten”. Die Lagerleiterin und die Hausmeister haben als einzige mehrere Räume zur Verfügung, obwohl sie nicht im Lager wohnen. Die afrikanischen Flüchtlinge berichten, dass sie gegenüber Flüchtlingen aus dem anderen Ländern benachteiligt werden – dass es eine Art rassistische Hierachie gibt. Sie hätten viel weniger Chancen, dass ihre Anliegen Gehör finden. Einer meint allerdings auch, dass sie vielleicht zu freundlich und zu nachgiebig seien, während andere viel aggressiver auftreten, um z. B. ein ruhigeres Zimmer oder andere kleinere Erleichterungen einzufordern und diese Forderungen dann auch manchmal erlangen. Mehrere junge Flüchtlinge aus Zimbabwe klagen, dass sie zwar die Möglichkeit haben zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen, aber in Zimmern, wo vier Personen leben müssen, keine Ruhe haben, um zu lernen. Obwohl es freie Zimmer gibt, werden ihre Beschwerden ignoriert.
Die sanitären Einrichtungen sind sehr einfach, aber vor allem überbelegt. Die Toiletten sind immer abgeschlossen. Jeweils die BewohnerInnen mehrerer Zimmer müssen sich eine Toilette teilen. Es gibt pro Zimmer nur einen Schlüssel für jedes Klo. Insgesamt teilen sich bis zu 8 Personen eine Toilette. Einer erzählt, wenn eine Toilette kaputt ist, kann es länger dauern bis diese repariert wird. Dann müssen bis zu 16 Personen eine Toilette nutzen.
Uns wird berichtet, dass die Flüchtlinge in der Regel Gutscheine in Höhe von 124 € und 21 € Bargeld erhalten. Mit diesen Gutscheinen müssen Lebensmittel und Kleidung gekauft werden. Eine Bescheinigung über die Sozialleistungen erhalten sie nicht, so dass das ganze System absolut intransparent ist und sich die Frage stellt, auf welcher Berechnungsgrundlage die Menschen dort nur 145 Euro erhalten und wo der Rest bleibt. Betreiber des Lagers ist wieder einmal die berüchtigte Firma K&S Dr. Krantz Sozialbau in Sottrum bei Bremen (ehemaliges Isolationslager Katzhütte in Thüringen, Isolationslager Meinersen im Landkreis Gifhorn). Diese Firma macht ihre Profite in Kollaboration mit den lokalen Behörden auf Kosten der Flüchtlinge und ist gleichzeitig im Geschäft mit Seniorenresidenzen aktiv.
Wenn BewohnerInnen Strafen zahlen müssen, werden diese von den Gutscheinen oder auch vom Bargeld abgezogen.
Einige der BewohnerInnen leben schon 10 Jahre, viele 3 bis 4 Jahre im Lager. Einige kommen fast nie aus ihren Zimmern und haben massive psychische Probleme. Die BewohnerInnen erzählen auch vom allgemeinen Rassismus in der Stadt, z. B. wird ihnen in den Discos der Eintritt verweigert, weil sie eine Duldung haben.
Jerry Bagaza betont, dass er seit dem Verlust seiner Arbeitserlaubnis die Niedergeschlagenheit und Depressionen besser verstehen kann. Ohne Aufgabe, ohne Arbeit und ohne materielle Mittel wirst du aufs Schlafen und Essen reduziert. Die Menschen stumpfen immer weiter ab. Deswegen betont er die Wichtigkeit, sich dem Netzwerk und der Bewegung der Flüchtlinge anzuschließen, um dieser Abwärtsspirale etwas entgegenzusetzen und den Kampf für die eigenen Rechte aufzunehmen.
Seit dem Beginn der Proteste der Flüchtlinge aus Meinersen finden regelmäßig Treffen zur Planung und Vernetzung zwischen den Flüchtlingsgemeinschaften und Unterstützungsgruppen statt. Nach zahlreichen Treffen im Lager Meinersen wird das nächste Treffen am 6. November 2011 im Lager in der Hafenstraße 28 in Wolfsburg abgehalten. In Zukunft sind weitere Berichte und Aktionen aus Fallersleben zu erwarten.
11.10.2011, Delegation der KARAWANE Hamburg