Im Lager Bramsche-Hesepe sind nicht Schimmel, Feuchtigkeit und Kälte im Winter das Problem, sondern Kontrolle und Isolation
– was berichten die Flüchtlinge darüber?
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11.11.2011 / Inland / Seite 2Inhalt
»Politisch aktive Flüchtlinge verlegt«
Studierende der Universität Osnabrück zogen den Unmut eines Ausländerbehördenchefs auf sich. Ein Gespräch mit Lisa Doppler
Interview: Gitta Düperthal
Lisa Doppler ist Mitglied der Studentischen Initiative der Begegnungsgruppe Landesaufnahmebehörde Bramsche-Hesepe im Osnabrücker Land
Die studentische Vollversammlung der Osnabrücker Universität solidarisiert sich mit den Flüchtlingen der Sammelunterkunft Bramsche-Hesepe, die Anfang der Woche für ein »Leben in Würde« und die Schließung des Lagers demonstrierten. Der Leiter der zuständigen Ausländerbehörde, Conrad Bramm, hat den studentischen Unterstützern im NDR vorgeworfen, Flüchtlinge für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Ich betone, daß die Proteste von den Flüchtlingen selbst ausgehen. Am Dienstag haben sie bei einer Pressekonferenz deutlich gemacht, daß ihr Problem das Lagerleben an sich ist: Sie müssen mitunter zu viert in Mehrbettzimmern leben, sind isoliert vom Rest der Bevölkerung, erhalten nur maximal 40 Euro Taschengeld im Monat. Ihr Leben besteht aus Warten auf Abschiebung. Wir haben enge Kontakte zu ihnen und unterstützen sie logistisch bei ihrer Pressearbeit, weil die vom Lager aus sonst gar nicht möglich wäre. Den Vorwurf, wir würden die Flüchtlinge für politische Ziele instrumentalisieren, weisen wir zurück – Bramm sagt auch gar nicht, welche Zwecke das angeblich sein sollen. In einem Artikel der Osnabrücker Zeitung behauptet er sogar, daß Leute durch das Lager liefen, um Mitstreiter für ihre Proteste zu finden. Das ist absurd. Wir besuchen Flüchtlinge, die wir kennen, und unterstützen sie. Häufig kommen andere hinzu, um sich zu beteiligen. Für uns ist es unverständlich, wenn Bramm droht, rechtliche Schritte wegen übler Nachrede gegen uns einzuleiten. Wir geben weiter, was die Flüchtlinge uns über ihre Situation berichten.
Im Lager Bramsche-Hesepe sind nicht Schimmel, Feuchtigkeit und Kälte im Winter das Problem, sondern Kontrolle und Isolation – was berichten die Flüchtlinge darüber?
Auf dem Gelände des Lagers sind alle Institutionen untergebracht, die nach Auffassung der Behörde für Flüchtlinge relevant sind: Kantine, Schule, Sanitätsstation, Ausländerbehörde, Sozialamt. Ich kann nur wiedergeben, was die Flüchtlinge berichten: Zum Beispiel, daß sie niemandem vertrauen können. Wenn sie einem Sozialamtsmitarbeiter etwas erzählen, wird das wohl auch an die Ausländerbehörde weitergegeben. Sie haben keine Ansprechpartner für ihre Anliegen und keinen Kontakt zu Anwälten. Weiterhin beschweren sie sich über die schlechte Verkehrsanbindung. Es gibt nur einen Zug vom zwei Kilometer entfernten Bahnhof nach Osnabrück. Die Fahrt kostet 5,30 Euro – was sich Flüchtlinge von ihrem minimalen Taschengeld nicht leisten können. Für die Kinder ist es hart, die Schule auf dem Gelände besuchen zu müssen. Wir vermuten, daß dies so eingerichtet ist, damit deutschen Kindern nicht auffällt, wenn plötzlich ein Stuhl neben ihnen leer bleibt, weil ein Schulfreund abgeschoben wurde.
Bereits im Frühjahr gab es einen eintägigen Hungerstreik im Lager …
Das eintönige Kantinenessen ist auch Thema: Es besteht hauptsächlich aus Reis oder Kartoffeln, sagen Flüchtlinge. Alle paar Tage das gleiche Gericht, morgens und abends nur Brot oder Brötchen mit nur einer Sorte Käse oder Marmelade. Obst oder Gemüse gebe es kaum. Manche haben erzählt, daß ihnen nach dem Essen schlecht ist.
Der Widerstand der Flüchtlinge ist immer wieder zusammengebrochen – warum?
2005 und 2006 gab es massivere Proteste, trotzdem hat sich nichts getan – außer daß man politisch aktive Flüchtlinge verlegt hat, in andere Lager. Es gab offene Briefe an Herrn Bramm, der immer wieder behauptet, der falsche Adressat für die Kritik zu sein. Die Flüchtlinge sollten sich an die Landesregierung in Hannover wenden. Das finden wir seltsam, weil sie gar nicht dorthin fahren können. Die Residenzpflicht untersagt es ihnen.
Jetzt übt die Behörde Druck auf die Unterstützer der Flüchtlinge aus und will rechtlich vorgehen – wie reagieren die Studenten der Universität Osnabrück darauf?
Als studentische Initiative erhalten wir Geld für unsere Arbeit mit den Flüchtlingen. Die Vollversammlung mit rund 300 Studierenden hat beschlossen, sowohl die Migrantinnen und Migranten als auch uns weiterhin zu unterstützen – es gab nur wenige Enthaltungen und keine Gegenstimmen. Die Flüchtlinge werden bestimmen, wie ihr Widerstand weitergeht, wir werden sie unterstützen. Sie freuen sich übrigens über Solidaritätsmails an fluechtlingebramsche@yahoo.de.