09.02.2012
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Bremen und Niedersachsen heben Residenzpflicht auf
Der Schritt über die Landesgrenze
Bremen und Niedersachsen wollen eine Vereinbarung treffen, die Flüchtlingen länderübergreifende Reisen ermöglicht. Hamburg möchte sich nicht anschließen.von Emilia Smechowski
Als Flüchtling in Bremen oder Niedersachsen wäre dieser Mann einen Schritt weiter. Bild: dpa
HAMBURG taz | Flüchtlinge aus Bremen und Niedersachsen werden wohl bald ins jeweils andere Bundesland reisen dürfen. Dies geht aus einer Vorlage für eine geplante Kabinettssitzung beider Länder am 21. Februar hervor. Damit würde die sogenannte Residenzpflicht, die Flüchtlinge bisher in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt, entscheidend gelockert. "Die Erweiterung", heißt es in dem Beschlussvorschlag, ermögliche "Asylbewerbern vor allem in sozialer und familiärer, aber auch wirtschaftlicher Hinsicht eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben". Menschen, die schwerwiegende Straftaten begangen haben, sollen von dieser Regelung ausgenommen werden.
Bremen und Niedersachsen sind die zwei ersten Bundesländer im Norden, die eine solche Vereinbarung miteinander treffen. Brandenburg und Berlin, ebenfalls Flächenland und Stadtstaat, trafen diese Regelung bereits im Juli 2010 - allerdings unter anderen gesetzlichen Voraussetzungen.
Das niedersächsische Innenministerium bestätigte am Donnerstag lediglich, dass Gespräche geführt würden. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) spricht da offener: "Die genannte Vorlage wurde von beiden Ländern vorbereitet", sagte er der taz. "Es ist davon auszugehen, dass sie auf der gemeinsamen Sitzung auch verabschiedet wird."
Residenzpflicht
Sie verbot ursprünglich Asylbewerbern und Geduldeten, ihren Landkreis zu verlassen.
Viele Bundesländer (und alle im Norden) haben die Residenzpflicht mittlerweile auf ihr Land ausgedehnt.
Der erstmalige Verstoß wird als Ordnungswidrigkeit geahndet, jeder weitere als Straftat.
Ein gemeinsamer Änderungsantrag der Länder Bremen, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen mit dem Ziel, die Residenzpflicht abzuschaffen und nur in Ausnahmefällen einzuschränken, scheiterte Ende 2010 im Bundesrat.
Auch die Vereinten Nationen fordern die komplette Abschaffung der Residenzpflicht. Sie sei eines der schweren Mängel deutscher Asylpolitik.
Möglich ist dieser Vorstoß vor allem, weil im Juli 2011 das Asylverfahrensgesetz geändert wurde: Es berechtigt die Bundesländer, untereinander Vereinbarungen zu schließen, um Flüchtlingen die Reisefreiheit zu erleichtern. Bereits im September vorigen Jahres hatte in Bremen die Linkspartei einen Antrag gestellt, mit Niedersachsen zu kooperieren. "Wir erleben aber häufig, dass unsere Anträge von der Koalition abgelehnt werden", sagt die Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt, "sich dann aber in großen Teilen in späteren Vereinbarungen wiederfinden."
Brandenburg und Berlin waren bezüglich der Residenzpflicht Vorreiter: Sie schlossen ihre Vereinbarung schon im Juli 2010 ab. Da zu diesem Zeitpunkt das Gesetz noch nicht geändert war, braucht jeder Flüchtling vor Reiseantritt aber eine Erlaubnis der Ausländerbehörde. Die gilt dann zwar dauerhaft, trotzdem nennt der Flüchtlingsrat Brandenburg das Papier ein massives Sanktionsinstrument.
Auch wer einmal eine falsche Angabe bei der Behörde gemacht habe, könne von dieser bestraft werden. "Straftaten, egal welcher Art, sanktioniert aber das Strafrecht", sagt Beate Selders, Sprecherin des Brandenburgischen Flüchtlingsrates. Sie warnt deshalb davor, Straftäter grundsätzlich von einer solchen Regel auszunehmen.
Ihr niedersächsischer Kollege Kai Weber will erst den konkreten Beschluss abwarten, bevor er mögliche Ausnahmeregelungen beurteilt. "Ich muss schon sagen: Hier können wir mal das niedersächsische Innenministerium uneingeschränkt loben", so Weber. Er geht davon aus, dass die Neuerung vor allem niedersächsische Flüchtlinge nach Bremen ziehen wird - vom Land in die Stadt. Der Wohnsitz ändert sich durch diese Regelung übrigens nicht.
Bremen soll auch in Hamburg angefragt haben, ob man dort der Vereinbarung beitreten wolle. Das bestätigt Innenbehördensprecher Frank Reschreiter. Man sei da aber "eher zurückhaltend", sagt er. "Eine generelle Freigabe der Residenzpflicht befürworten wir nicht." Allerdings würden in Hamburg "in begründeten Einzelfällen" seit langem und regelmäßig Ausnahmen gemacht. Bislang vor allem für Schüler und Auszubildende, die im Umland wohnen und in Hamburg einen Ausbildungsplatz haben. "Da sind wir großzügig."
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Kommentar Residenzpflicht
Irrationale Ängste
Das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung, wenn Hamburg und Schleswig-Holstein am 28. Februar in Kiel eine gemeinsame Kabinettsitzung abhalten. Nach Informationen der taz gibt es im Hamburger Senat die Befürchtung, dass die hohe Attraktivität Hamburgs zu einem Flüchtlingsstrom aus der Provinz in die Metropole führen könnte.
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Humanität
Landesregierung lockert Residenzpflicht für Asylbewerber
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (r.) und Innenminister Reinhold Gall (r.) bei der Regierungspressekonferenz am Dienstag (14. Februar 2012) im Landtag in Stuttgart
Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Innenminister Reinhold Gall
14.02.2012Asylbewerber dürfen sich in Baden-Württemberg künftig frei bewegen und hierbei den Bezirk ihrer Ausländerbehörde vorübergehend verlassen. Eine entsprechende Verordnung zur Lockerung der sogenannten Residenzpflicht hat der Ministerrat bei seiner heutigen Sitzung beschlossen. „Wir haben damit ein weiteres Vorhaben aus unserer Koalitionsvereinbarung umgesetzt, das deutliche Erleichterungen für Asylbewerber mit sich bringen wird“, stellten Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Innenminister Reinhold Gall in Stuttgart fest. Bisher mussten die Asylbewerber eine Erlaubnis einholen, um den ihnen zum Aufenthalt zugewiesenen Bezirk der Ausländerbehörde vorübergehend zu verlassen.
Die Ausländerbehörden würden durch die Reform erheblich entlastet, erklärte der Innenminister. Das Recht zum vorübergehenden Aufenthalt sei jetzt nur noch an zwei Bedingungen geknüpft. Zum einen sei die Lockerung der Residenzpflicht erst nach dem Ende der Unterbringung in der Landesaufnahmestelle zulässig und zum anderen dürften keine erheblichen Verstöße gegen Mitwirkungspflichten im Asylverfahren vorliegen. „Beide Bedingungen sind unerlässlich zur Sicherung einer zeitnahen Durchführung des Asylverfahrens, schränken andererseits aber die gewährten Erleichterungen für die Asylbewerber nicht unverhältnismäßig ein“, hoben Kretschmann und Gall hervor.
Zur aktuellen Situation in Syrien stellte der Innenminister klar: „Auch aus Baden-Württemberg wird derzeit kein Syrer abgeschoben und dies bereits seit 2011. Damit tragen wir den bestehenden Unruhen in diesem Land Rechnung. Es ist aus meiner Sicht momentan nicht vertretbar, Menschen in dieses Land abzuschieben.“ Eines förmlichen Abschiebestopps bedürfe es hierfür nicht. „Wir haben jedoch eine entsprechende interne Absprache mit dem landesweit zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe getroffen“, erläuterte Gall. In Baden-Württemberg halten sich aktuell 2.671 Syrer auf, davon seien 304 geduldet, also ausreisepflichtig.
Die Landesregierung arbeite darüber hinaus an weiteren Verbesserungen beim Ausländerrecht, fuhr der Innenminister fort. Damit leiste sie einen Beitrag zur „Allianz für Fachkräfte“, um das Fachkräfteangebot für die mittelständische Wirtschaft in Baden-Württemberg zu sichern. Im Dezember 2011 sei das Bündnispapier zur Gründung der Allianz unterzeichnet worden, das unter den zehn gemeinsamen Zielen der Allianzpartner unter anderem eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften und die bessere Integration von Personen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt vorsieht. Inzwischen könne ausländischen Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten leichter als bisher eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden - etwa um eine Ausbildung antreten zu können und anschließend den Beruf auch im Land auszuüben. Die Landesregierung stütze sich dabei auf einen Beschluss der Bundesregierung vom 7. Dezember zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union. Die Neuregelung solle auch den Pflegebereich umfassen und gelte in Baden-Württemberg im Vorgriff schon für diejenigen, die heute eine Ausbildung beginnen möchten.
Außerdem setzt sich die Landesregierung im Bundesrat und in der Innenministerkonferenz für eine neue gesetzliche, an humanitären Kriterien ausgerichtete Bleiberechtsregelung ein. „Damit soll gut integrierten Flüchtlingen endlich eine verlässliche Perspektive geboten werden“, unterstrich Innenminister Gall. Die Probleme der Kettenduldung und fehlender Aufenthaltsperspektiven seien durch die bisherigen Bleiberechtsregelungen nicht vollständig gelöst worden. In Baden-Württemberg hielten sich Mitte 2011 rund 9.500 Ausländer geduldet auf, davon etwa 5.500 länger als sechs Jahre. Die bisherigen Regelungen waren stets an feste Stichtage gekoppelt. Dies solle nun geändert werden.
Quelle: Staatsministerium Baden-Württemberg
http://www.baden-wuerttemberg.de/de/Landesregierung_lockert_Residenzpfl…